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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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Trauerrede
Eingeweide zu wüten. Man war sehr sorgfältig,
meine Tochter zu unterweisen. Das erste, was
sie von ihrer Muttersprache lernte, war dieses: Sie
sey ein artiges Kind, und wenn sie fromm wäre, so
sollte sie auch einen hübschen Mann bekommen.
Diese wichtige Vermahnung war nicht ohne Nu-
tzen. Die Hoffnung, einen Mann zu bekommen,
hatte so vielen Nachdruck in dem Gemüthe dieser
Tochter, daß sie alles faßte, was meine Frau für
Tugenden ihres Geschlechts hielt. Jm vierten
Jahre verstund sie die Wirkung des Spiegels; im
fünften erlangte sie einen Geschmack von schönen
Kleidern; im sechsten war sie vermögend, über ihre
Gespielinnen zu spotten; im siebenten faßte sie die
Regeln des Lombers, und andern Zeitvertreibes;
im achten unterwies man sie in der Kunst, zärtlich
zu blicken, und artig zu seufzen, und nunmehr war
meine Frau eben im Begriffe, ihr eine kleine Kennt-
niß von demjenigen beyzubringen, was der gemeine
Mann Christenthum und Wirthschaft nennt, als
eine unverhoffte Krankheit diese sorgfältige Mutter
von ihrer hoffnungsvollen Tochter trennte.

Jch komme itzt auf denjenigen Umstand meiner
Ehe, an welchen ich nicht ohne die empfindlichste
Rührung gedenken kann. Was bey einem Trauer-
spiele die Aufwickelung des Knotens heißt, das ist
in dem Ehestande der Tod unsrer Weiber. Je
verwirrter, ie betrübter bey jenem das widrige
Schicksal der aufgeführten Personen vorgestellt
wird; desto wichtiger scheint uns die Aufwickelung.

Jch

Trauerrede
Eingeweide zu wuͤten. Man war ſehr ſorgfaͤltig,
meine Tochter zu unterweiſen. Das erſte, was
ſie von ihrer Mutterſprache lernte, war dieſes: Sie
ſey ein artiges Kind, und wenn ſie fromm waͤre, ſo
ſollte ſie auch einen huͤbſchen Mann bekommen.
Dieſe wichtige Vermahnung war nicht ohne Nu-
tzen. Die Hoffnung, einen Mann zu bekommen,
hatte ſo vielen Nachdruck in dem Gemuͤthe dieſer
Tochter, daß ſie alles faßte, was meine Frau fuͤr
Tugenden ihres Geſchlechts hielt. Jm vierten
Jahre verſtund ſie die Wirkung des Spiegels; im
fuͤnften erlangte ſie einen Geſchmack von ſchoͤnen
Kleidern; im ſechſten war ſie vermoͤgend, uͤber ihre
Geſpielinnen zu ſpotten; im ſiebenten faßte ſie die
Regeln des Lombers, und andern Zeitvertreibes;
im achten unterwies man ſie in der Kunſt, zaͤrtlich
zu blicken, und artig zu ſeufzen, und nunmehr war
meine Frau eben im Begriffe, ihr eine kleine Kennt-
niß von demjenigen beyzubringen, was der gemeine
Mann Chriſtenthum und Wirthſchaft nennt, als
eine unverhoffte Krankheit dieſe ſorgfaͤltige Mutter
von ihrer hoffnungsvollen Tochter trennte.

Jch komme itzt auf denjenigen Umſtand meiner
Ehe, an welchen ich nicht ohne die empfindlichſte
Ruͤhrung gedenken kann. Was bey einem Trauer-
ſpiele die Aufwickelung des Knotens heißt, das iſt
in dem Eheſtande der Tod unſrer Weiber. Je
verwirrter, ie betruͤbter bey jenem das widrige
Schickſal der aufgefuͤhrten Perſonen vorgeſtellt
wird; deſto wichtiger ſcheint uns die Aufwickelung.

Jch
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[84/0158] Trauerrede Eingeweide zu wuͤten. Man war ſehr ſorgfaͤltig, meine Tochter zu unterweiſen. Das erſte, was ſie von ihrer Mutterſprache lernte, war dieſes: Sie ſey ein artiges Kind, und wenn ſie fromm waͤre, ſo ſollte ſie auch einen huͤbſchen Mann bekommen. Dieſe wichtige Vermahnung war nicht ohne Nu- tzen. Die Hoffnung, einen Mann zu bekommen, hatte ſo vielen Nachdruck in dem Gemuͤthe dieſer Tochter, daß ſie alles faßte, was meine Frau fuͤr Tugenden ihres Geſchlechts hielt. Jm vierten Jahre verſtund ſie die Wirkung des Spiegels; im fuͤnften erlangte ſie einen Geſchmack von ſchoͤnen Kleidern; im ſechſten war ſie vermoͤgend, uͤber ihre Geſpielinnen zu ſpotten; im ſiebenten faßte ſie die Regeln des Lombers, und andern Zeitvertreibes; im achten unterwies man ſie in der Kunſt, zaͤrtlich zu blicken, und artig zu ſeufzen, und nunmehr war meine Frau eben im Begriffe, ihr eine kleine Kennt- niß von demjenigen beyzubringen, was der gemeine Mann Chriſtenthum und Wirthſchaft nennt, als eine unverhoffte Krankheit dieſe ſorgfaͤltige Mutter von ihrer hoffnungsvollen Tochter trennte. Jch komme itzt auf denjenigen Umſtand meiner Ehe, an welchen ich nicht ohne die empfindlichſte Ruͤhrung gedenken kann. Was bey einem Trauer- ſpiele die Aufwickelung des Knotens heißt, das iſt in dem Eheſtande der Tod unſrer Weiber. Je verwirrter, ie betruͤbter bey jenem das widrige Schickſal der aufgefuͤhrten Perſonen vorgeſtellt wird; deſto wichtiger ſcheint uns die Aufwickelung. Jch

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/158>, abgerufen am 24.11.2024.