arme Frau, "bester Heinrich, ich bitte Dich himmel- hoch, mach Dich nicht schlechter --"
"Gefräßiger willst Du sagen --"
"Meinetwegen auch! aber bitte, bitte, mach Dich doch in diesem schrecklichen Augenblick, wo mir alle Glieder beben von Deinem Worte über Kienbaum, mach Dich jetzt nicht gräßlicher als Du bist. Bist Du denn allein der Obstbäume und der Stachel- beeren wegen zu -- mir -- uns herausgekommen aus der Stadt?"
"Ganz gewiß nicht, Schatz. Die Speisekammer und die Milchkammer hatten auch ihre Reize. Nimm nur mal die frische Butter und das Bauernbrot an! Und Euren Käse! Für mich hatte die ganze klassische und moderne Welt nur deshalb geschrieben und drucken lassen, um das nöthige Einwickelpapier herzu- stellen. Nämlich, Eduard, ich stopfte mir nicht nur den Hals, sondern auch die Taschen voll."
"Er ist unverbesserlich!" seufzte die Frau, sich zu mir wendend. "Ich habe es eigentlich auch schon von unserer ersten Bekanntschaft an aufgegeben, ihn zu bessern und versuche es nur manchmal noch bloß des Anstandes wegen vor fremden Leuten und liebem Besuch. Aber jetzt im Ernst, o Gott ja, im herzbebenden Ernst, ich rede nun wohl selber zu Deinem Freunde ein Wort von unserm damaligen Verhältniß, wenn -- wenn Du uns nicht doch vorher sagen willst --"
"Nein, das will ich nicht. Wann etwas heute gottlob Zeit hat, so ist es das! Du hängst und köpfst ihn nicht mehr, Schatz. Es ist zu spät. Es
arme Frau, „beſter Heinrich, ich bitte Dich himmel- hoch, mach Dich nicht ſchlechter —“
„Gefräßiger willſt Du ſagen —“
„Meinetwegen auch! aber bitte, bitte, mach Dich doch in dieſem ſchrecklichen Augenblick, wo mir alle Glieder beben von Deinem Worte über Kienbaum, mach Dich jetzt nicht gräßlicher als Du biſt. Biſt Du denn allein der Obſtbäume und der Stachel- beeren wegen zu — mir — uns herausgekommen aus der Stadt?“
„Ganz gewiß nicht, Schatz. Die Speiſekammer und die Milchkammer hatten auch ihre Reize. Nimm nur mal die friſche Butter und das Bauernbrot an! Und Euren Käſe! Für mich hatte die ganze klaſſiſche und moderne Welt nur deshalb geſchrieben und drucken laſſen, um das nöthige Einwickelpapier herzu- ſtellen. Nämlich, Eduard, ich ſtopfte mir nicht nur den Hals, ſondern auch die Taſchen voll.“
„Er iſt unverbeſſerlich!“ ſeufzte die Frau, ſich zu mir wendend. „Ich habe es eigentlich auch ſchon von unſerer erſten Bekanntſchaft an aufgegeben, ihn zu beſſern und verſuche es nur manchmal noch bloß des Anſtandes wegen vor fremden Leuten und liebem Beſuch. Aber jetzt im Ernſt, o Gott ja, im herzbebenden Ernſt, ich rede nun wohl ſelber zu Deinem Freunde ein Wort von unſerm damaligen Verhältniß, wenn — wenn Du uns nicht doch vorher ſagen willſt —“
„Nein, das will ich nicht. Wann etwas heute gottlob Zeit hat, ſo iſt es das! Du hängſt und köpfſt ihn nicht mehr, Schatz. Es iſt zu ſpät. Es
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arme Frau, „beſter Heinrich, ich bitte Dich himmel-
hoch, mach Dich nicht ſchlechter —“
„Gefräßiger willſt Du ſagen —“
„Meinetwegen auch! aber bitte, bitte, mach Dich
doch in dieſem ſchrecklichen Augenblick, wo mir alle
Glieder beben von Deinem Worte über Kienbaum,
mach Dich jetzt nicht gräßlicher als Du biſt. Biſt
Du denn allein der Obſtbäume und der Stachel-
beeren wegen zu — mir — uns herausgekommen
aus der Stadt?“
„Ganz gewiß nicht, Schatz. Die Speiſekammer
und die Milchkammer hatten auch ihre Reize. Nimm
nur mal die friſche Butter und das Bauernbrot an!
Und Euren Käſe! Für mich hatte die ganze klaſſiſche
und moderne Welt nur deshalb geſchrieben und
drucken laſſen, um das nöthige Einwickelpapier herzu-
ſtellen. Nämlich, Eduard, ich ſtopfte mir nicht nur
den Hals, ſondern auch die Taſchen voll.“
„Er iſt unverbeſſerlich!“ ſeufzte die Frau, ſich zu
mir wendend. „Ich habe es eigentlich auch ſchon von
unſerer erſten Bekanntſchaft an aufgegeben, ihn zu
beſſern und verſuche es nur manchmal noch bloß des
Anſtandes wegen vor fremden Leuten und liebem Beſuch.
Aber jetzt im Ernſt, o Gott ja, im herzbebenden Ernſt,
ich rede nun wohl ſelber zu Deinem Freunde ein
Wort von unſerm damaligen Verhältniß, wenn —
wenn Du uns nicht doch vorher ſagen willſt —“
„Nein, das will ich nicht. Wann etwas heute
gottlob Zeit hat, ſo iſt es das! Du hängſt und
köpfſt ihn nicht mehr, Schatz. Es iſt zu ſpät. Es
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte" entstand ca. 1888/90. Der Text erschien zuerst 1891 in der Deutschen Roman-Zeitung (28. Jg., Nr. 1–6) und wurde für das Deutsche Textarchiv, gemäß den DTA-Leitlinien, nach der ersten selbstständigen Veröffentlichung digitalisiert.
Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/145>, abgerufen am 16.02.2025.
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