geht heute Keiner mehr Kienbaums Mörder an den Kragen als der Todtenrichter; und freilich, wer weiß, ob nicht gerade der uns Drei heute hierher bestellt hat zu seinen Schöffen und Beisitzern?"
"Heinrich, meines armen Vaters Tag- und Nachtgespenst --"
"Laß es noch einen Augenblick, Kind. Sieh in das wonnige Blau über uns, blicke in Eduards dürres, aber wohlwollendes, wenngleich auch etwas verlegen gespanntes Kafferngesicht, und bleib noch ein klein bischen in unserm Idyll. Erzähle ihm meinet- wegen auf Deine Weise unsere Liebesgeschichte. Ich gebe Dir mein Wort darauf: was das andere an- betrifft, so kommt es wahrhaftig nicht darauf an, ob Du das Genauere ein paar Minuten früher oder später erfährst. Dein Vater, unser Vater ist mit unserer Hülfe in Frieden beruhigt hinübergegangen, und Kienbaums Mörder wird die Mitwelt und die Nachwelt auch nichts mehr anhaben können, als mit dem ungewaschenen Maul. Und letzteres auch dann vielleicht nur, wenn ihr -- Du und Eduard -- morgen den Mund darüber nicht würdet halten können."
Die Frau schüttelte noch einmal über das bessere Wissen und Verstehen ihres Mannes den Kopf, dann legte sie die gefalteten Hände auf den Tisch und blieb ebenfalls noch bei ihrem und seinem Lebens- idyll, und es kam freilich, trotz aller Melancholie und der Aufregung und Spannung der Stunde, herzig und lieblich heraus, wie sie -- erzählte, ehe Stopf- kuchen das Geheimniß der rothen Schanze offenbarte.
geht heute Keiner mehr Kienbaums Mörder an den Kragen als der Todtenrichter; und freilich, wer weiß, ob nicht gerade der uns Drei heute hierher beſtellt hat zu ſeinen Schöffen und Beiſitzern?“
„Heinrich, meines armen Vaters Tag- und Nachtgeſpenſt —“
„Laß es noch einen Augenblick, Kind. Sieh in das wonnige Blau über uns, blicke in Eduards dürres, aber wohlwollendes, wenngleich auch etwas verlegen geſpanntes Kafferngeſicht, und bleib noch ein klein bischen in unſerm Idyll. Erzähle ihm meinet- wegen auf Deine Weiſe unſere Liebesgeſchichte. Ich gebe Dir mein Wort darauf: was das andere an- betrifft, ſo kommt es wahrhaftig nicht darauf an, ob Du das Genauere ein paar Minuten früher oder ſpäter erfährſt. Dein Vater, unſer Vater iſt mit unſerer Hülfe in Frieden beruhigt hinübergegangen, und Kienbaums Mörder wird die Mitwelt und die Nachwelt auch nichts mehr anhaben können, als mit dem ungewaſchenen Maul. Und letzteres auch dann vielleicht nur, wenn ihr — Du und Eduard — morgen den Mund darüber nicht würdet halten können.“
Die Frau ſchüttelte noch einmal über das beſſere Wiſſen und Verſtehen ihres Mannes den Kopf, dann legte ſie die gefalteten Hände auf den Tiſch und blieb ebenfalls noch bei ihrem und ſeinem Lebens- idyll, und es kam freilich, trotz aller Melancholie und der Aufregung und Spannung der Stunde, herzig und lieblich heraus, wie ſie — erzählte, ehe Stopf- kuchen das Geheimniß der rothen Schanze offenbarte.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0146"n="136"/>
geht heute Keiner mehr Kienbaums Mörder an den<lb/>
Kragen als der Todtenrichter; und freilich, wer weiß,<lb/>
ob nicht gerade der uns Drei heute hierher beſtellt hat<lb/>
zu ſeinen Schöffen und Beiſitzern?“</p><lb/><p>„Heinrich, meines armen Vaters Tag- und<lb/>
Nachtgeſpenſt —“</p><lb/><p>„Laß es noch einen Augenblick, Kind. Sieh in<lb/>
das wonnige Blau über uns, blicke in Eduards<lb/>
dürres, aber wohlwollendes, wenngleich auch etwas<lb/>
verlegen geſpanntes Kafferngeſicht, und bleib noch ein<lb/>
klein bischen in unſerm Idyll. Erzähle ihm meinet-<lb/>
wegen auf Deine Weiſe unſere Liebesgeſchichte. Ich<lb/>
gebe Dir mein Wort darauf: was das andere an-<lb/>
betrifft, ſo kommt es wahrhaftig nicht darauf an, ob<lb/>
Du das Genauere ein paar Minuten früher oder<lb/>ſpäter erfährſt. Dein Vater, unſer Vater iſt mit<lb/>
unſerer Hülfe in Frieden beruhigt hinübergegangen,<lb/>
und Kienbaums Mörder wird die Mitwelt und die<lb/>
Nachwelt auch nichts mehr anhaben können, als mit<lb/>
dem ungewaſchenen Maul. Und letzteres auch dann<lb/>
vielleicht nur, wenn ihr — Du und Eduard —<lb/>
morgen den Mund darüber nicht würdet halten können.“</p><lb/><p>Die Frau ſchüttelte noch einmal über das beſſere<lb/>
Wiſſen und Verſtehen ihres Mannes den Kopf,<lb/>
dann legte ſie die gefalteten Hände auf den Tiſch<lb/>
und blieb ebenfalls noch bei ihrem und ſeinem Lebens-<lb/>
idyll, und es kam freilich, trotz aller Melancholie und<lb/>
der Aufregung und Spannung der Stunde, herzig<lb/>
und lieblich heraus, wie ſie — erzählte, ehe Stopf-<lb/>
kuchen das Geheimniß der rothen Schanze offenbarte.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[136/0146]
geht heute Keiner mehr Kienbaums Mörder an den
Kragen als der Todtenrichter; und freilich, wer weiß,
ob nicht gerade der uns Drei heute hierher beſtellt hat
zu ſeinen Schöffen und Beiſitzern?“
„Heinrich, meines armen Vaters Tag- und
Nachtgeſpenſt —“
„Laß es noch einen Augenblick, Kind. Sieh in
das wonnige Blau über uns, blicke in Eduards
dürres, aber wohlwollendes, wenngleich auch etwas
verlegen geſpanntes Kafferngeſicht, und bleib noch ein
klein bischen in unſerm Idyll. Erzähle ihm meinet-
wegen auf Deine Weiſe unſere Liebesgeſchichte. Ich
gebe Dir mein Wort darauf: was das andere an-
betrifft, ſo kommt es wahrhaftig nicht darauf an, ob
Du das Genauere ein paar Minuten früher oder
ſpäter erfährſt. Dein Vater, unſer Vater iſt mit
unſerer Hülfe in Frieden beruhigt hinübergegangen,
und Kienbaums Mörder wird die Mitwelt und die
Nachwelt auch nichts mehr anhaben können, als mit
dem ungewaſchenen Maul. Und letzteres auch dann
vielleicht nur, wenn ihr — Du und Eduard —
morgen den Mund darüber nicht würdet halten können.“
Die Frau ſchüttelte noch einmal über das beſſere
Wiſſen und Verſtehen ihres Mannes den Kopf,
dann legte ſie die gefalteten Hände auf den Tiſch
und blieb ebenfalls noch bei ihrem und ſeinem Lebens-
idyll, und es kam freilich, trotz aller Melancholie und
der Aufregung und Spannung der Stunde, herzig
und lieblich heraus, wie ſie — erzählte, ehe Stopf-
kuchen das Geheimniß der rothen Schanze offenbarte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte" entstand ca. 1888/90. Der Text erschien zuerst 1891 in der Deutschen Roman-Zeitung (28. Jg., Nr. 1–6) und wurde für das Deutsche Textarchiv, gemäß den DTA-Leitlinien, nach der ersten selbstständigen Veröffentlichung digitalisiert.
Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/146>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.