Er hatte gewiß nicht nöthig, mich noch besonders aufmerksam zu machen. Die Verschönerungen mußten jedem der die Mördergrube auf der rothen Schanze ehedem in ihrer ärgsten Verwahrlosung gekannt hatte, auffallen.
"Sieh mal," sagte Stopfkuchen, "auf den Noah- kasten habe ich Dich bereits aufmerksam gemacht; jetzt schüttele einmal in der Phantasie eine andere Deiner Weihnachtsschachteln aus. Dorf oder Stadt -- steht auf dem Deckel derjenigen, die ich meine. Kippe dreist um auf den Tisch und suche mir mein Weih- nachtsmusterhaus heraus! Was? Hast Du's? Schön himmelblau die Mauern, schön zinnoberroth das Dach, Fenster und Thür kohlenpechrabenschwarz, nur der Schornstein schön weiß. Es gibt auch nette Paläste, Häuser und Hütten in anderen Farben in der Schachtel, aber ich habe Tinchens wegen ein helles Himmelblau gewählt. Dem sieht hoffentlich Niemand mehr Kienbaums Blut ab, sondern es sagt höchstens dann und wann Jemand: ,Dieser alte Schaumann auf der rothen Schanze ist doch ein ganz verrückter Hahn, und es ist nur zu hoffen, daß ihn seine brave Frau fest unter ihrer Kuratel hält'."
Die brave Frau auf dem Hausflur wendete sich auf dieses letzte Wort um und sagte lächelnd:
"Heinrich, ich bitte Dich! vor diesem Deinem Freunde brauchst Du Dich doch nicht ganz so närrisch wie vor den Anderen anzustellen."
"Aber immer doch ein bischen darf ich -- was alter Schatz?"
W. Raabe. Stopfkuchen. 7
Er hatte gewiß nicht nöthig, mich noch beſonders aufmerkſam zu machen. Die Verſchönerungen mußten jedem der die Mördergrube auf der rothen Schanze ehedem in ihrer ärgſten Verwahrloſung gekannt hatte, auffallen.
„Sieh mal,“ ſagte Stopfkuchen, „auf den Noah- kaſten habe ich Dich bereits aufmerkſam gemacht; jetzt ſchüttele einmal in der Phantaſie eine andere Deiner Weihnachtsſchachteln aus. Dorf oder Stadt — ſteht auf dem Deckel derjenigen, die ich meine. Kippe dreiſt um auf den Tiſch und ſuche mir mein Weih- nachtsmuſterhaus heraus! Was? Haſt Du's? Schön himmelblau die Mauern, ſchön zinnoberroth das Dach, Fenſter und Thür kohlenpechrabenſchwarz, nur der Schornſtein ſchön weiß. Es gibt auch nette Paläſte, Häuſer und Hütten in anderen Farben in der Schachtel, aber ich habe Tinchens wegen ein helles Himmelblau gewählt. Dem ſieht hoffentlich Niemand mehr Kienbaums Blut ab, ſondern es ſagt höchſtens dann und wann Jemand: ‚Dieſer alte Schaumann auf der rothen Schanze iſt doch ein ganz verrückter Hahn, und es iſt nur zu hoffen, daß ihn ſeine brave Frau feſt unter ihrer Kuratel hält‘.“
Die brave Frau auf dem Hausflur wendete ſich auf dieſes letzte Wort um und ſagte lächelnd:
„Heinrich, ich bitte Dich! vor dieſem Deinem Freunde brauchſt Du Dich doch nicht ganz ſo närriſch wie vor den Anderen anzuſtellen.“
„Aber immer doch ein bischen darf ich — was alter Schatz?“
W. Raabe. Stopfkuchen. 7
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Er hatte gewiß nicht nöthig, mich noch beſonders
aufmerkſam zu machen. Die Verſchönerungen mußten
jedem der die Mördergrube auf der rothen Schanze
ehedem in ihrer ärgſten Verwahrloſung gekannt hatte,
auffallen.
„Sieh mal,“ ſagte Stopfkuchen, „auf den Noah-
kaſten habe ich Dich bereits aufmerkſam gemacht; jetzt
ſchüttele einmal in der Phantaſie eine andere Deiner
Weihnachtsſchachteln aus. Dorf oder Stadt — ſteht
auf dem Deckel derjenigen, die ich meine. Kippe
dreiſt um auf den Tiſch und ſuche mir mein Weih-
nachtsmuſterhaus heraus! Was? Haſt Du's? Schön
himmelblau die Mauern, ſchön zinnoberroth das Dach,
Fenſter und Thür kohlenpechrabenſchwarz, nur der
Schornſtein ſchön weiß. Es gibt auch nette Paläſte,
Häuſer und Hütten in anderen Farben in der
Schachtel, aber ich habe Tinchens wegen ein helles
Himmelblau gewählt. Dem ſieht hoffentlich Niemand
mehr Kienbaums Blut ab, ſondern es ſagt höchſtens
dann und wann Jemand: ‚Dieſer alte Schaumann
auf der rothen Schanze iſt doch ein ganz verrückter
Hahn, und es iſt nur zu hoffen, daß ihn ſeine brave
Frau feſt unter ihrer Kuratel hält‘.“
Die brave Frau auf dem Hausflur wendete ſich
auf dieſes letzte Wort um und ſagte lächelnd:
„Heinrich, ich bitte Dich! vor dieſem Deinem
Freunde brauchſt Du Dich doch nicht ganz ſo närriſch
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„Aber immer doch ein bischen darf ich — was
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W. Raabe. Stopfkuchen. 7
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte" entstand ca. 1888/90. Der Text erschien zuerst 1891 in der Deutschen Roman-Zeitung (28. Jg., Nr. 1–6) und wurde für das Deutsche Textarchiv, gemäß den DTA-Leitlinien, nach der ersten selbstständigen Veröffentlichung digitalisiert.
Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/107>, abgerufen am 16.02.2025.
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