langem rothgriesen Bart und einer Kappe halb über die Augen. Und es war wohl mein Glück, daß er um die Zeit auch halb im Schlaf war und saß und mit dem Kopfe nickte. Ich hatte meine Barte bei mir, aber Gott der Herr hat mich davor bewahrt, daß ich sie nach dem Spuk warf. Als ich wieder hin sah, ist er weg gewesen."
"Nun guck Einer den dummen Kerl," rief der Junker von Münchhausen. "Mademoisell Selinde, wäre ich dabei gewesen, als Cavalier und irrender Ritter, ich hätte meiner Allerschönsten, meiner Allerliebsten und königlichen Prinzeß den Zwerg von der hohlen Burg an Händen und Füßen gebunden, über den Rücken gehängt mitgebracht nach dem Kloster und zu ihren Füßen geleget. Er ist doch nur ein Rindvieh, Schelze, so gute Freunde wir auch sonst sind, Heinrich."
"Das sagt Er wohl, Herr von Münchhausen," sagte Heinrich Schelze; doch Magister Buchius sprach, in seiner finstern Ecke wissenschaftlich melancholisch den Kopf schüttelnd: "Es ist wohl nur eine Phantasie, eine Phantasmagoria, eine Einbildung und Täuschung der Sinne gewesen, lieber Heinrich; aber, lieber Thedel, die Welt ist doch voll der Mirakel und Mysterien, und der Mensch, wie er in der Schwebe hängt zwischen Himmel und Erde, ja, zwischen Himmel und Hölle, so hänget er auch zwischen Dem, was er begreifet und Dem, was er nicht begreifet um sich her und in sich selber. Der Mensch sitzt in der finstern, schaudervollen Nacht in Heiterkeit und
langem rothgrieſen Bart und einer Kappe halb über die Augen. Und es war wohl mein Glück, daß er um die Zeit auch halb im Schlaf war und ſaß und mit dem Kopfe nickte. Ich hatte meine Barte bei mir, aber Gott der Herr hat mich davor bewahrt, daß ich ſie nach dem Spuk warf. Als ich wieder hin ſah, iſt er weg geweſen.“
„Nun guck Einer den dummen Kerl,“ rief der Junker von Münchhauſen. „Mademoiſell Selinde, wäre ich dabei geweſen, als Cavalier und irrender Ritter, ich hätte meiner Allerſchönſten, meiner Allerliebſten und königlichen Prinzeß den Zwerg von der hohlen Burg an Händen und Füßen gebunden, über den Rücken gehängt mitgebracht nach dem Kloſter und zu ihren Füßen geleget. Er iſt doch nur ein Rindvieh, Schelze, ſo gute Freunde wir auch ſonſt ſind, Heinrich.“
„Das ſagt Er wohl, Herr von Münchhauſen,“ ſagte Heinrich Schelze; doch Magiſter Buchius ſprach, in ſeiner finſtern Ecke wiſſenſchaftlich melancholiſch den Kopf ſchüttelnd: „Es iſt wohl nur eine Phantaſie, eine Phantasmagoria, eine Einbildung und Täuſchung der Sinne geweſen, lieber Heinrich; aber, lieber Thedel, die Welt iſt doch voll der Mirakel und Myſterien, und der Menſch, wie er in der Schwebe hängt zwiſchen Himmel und Erde, ja, zwiſchen Himmel und Hölle, ſo hänget er auch zwiſchen Dem, was er begreifet und Dem, was er nicht begreifet um ſich her und in ſich ſelber. Der Menſch ſitzt in der finſtern, ſchaudervollen Nacht in Heiterkeit und
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langem rothgrieſen Bart und einer Kappe halb über
die Augen. Und es war wohl mein Glück, daß er
um die Zeit auch halb im Schlaf war und ſaß und
mit dem Kopfe nickte. Ich hatte meine Barte bei mir,
aber Gott der Herr hat mich davor bewahrt, daß ich
ſie nach dem Spuk warf. Als ich wieder hin ſah, iſt
er weg geweſen.“
„Nun guck Einer den dummen Kerl,“ rief der
Junker von Münchhauſen. „Mademoiſell Selinde, wäre
ich dabei geweſen, als Cavalier und irrender Ritter, ich
hätte meiner Allerſchönſten, meiner Allerliebſten und
königlichen Prinzeß den Zwerg von der hohlen Burg
an Händen und Füßen gebunden, über den Rücken
gehängt mitgebracht nach dem Kloſter und zu ihren
Füßen geleget. Er iſt doch nur ein Rindvieh, Schelze,
ſo gute Freunde wir auch ſonſt ſind, Heinrich.“
„Das ſagt Er wohl, Herr von Münchhauſen,“ ſagte
Heinrich Schelze; doch Magiſter Buchius ſprach, in
ſeiner finſtern Ecke wiſſenſchaftlich melancholiſch den
Kopf ſchüttelnd: „Es iſt wohl nur eine Phantaſie,
eine Phantasmagoria, eine Einbildung und Täuſchung
der Sinne geweſen, lieber Heinrich; aber, lieber Thedel,
die Welt iſt doch voll der Mirakel und Myſterien, und
der Menſch, wie er in der Schwebe hängt zwiſchen
Himmel und Erde, ja, zwiſchen Himmel und Hölle, ſo hänget
er auch zwiſchen Dem, was er begreifet und Dem, was er
nicht begreifet um ſich her und in ſich ſelber. Der Menſch
ſitzt in der finſtern, ſchaudervollen Nacht in Heiterkeit und
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Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/226>, abgerufen am 24.11.2024.
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