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Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889.

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dens harmloser alberner Seele besser mit einander, als
es die meisten Geschichtsschreiber für möglich halten.
Und wenn die Leute auf der Letzteren Schrift doch
bauen und trauen und ihr auch gern nachgehen hau¬
fensweise, so ist das recht gut aus mehrfachen
Gründen.

Das gute Mädchen flog ebenfalls die ganze Nacht
durch. Von der Rabenschlacht hatte sie natürlich auch
vernommen und auch den Kämpfer aus derselben, den
Magister Buchius mit nach Hause brachte, betrachtet.
Sie hatte wie die meisten Andern ihrem Ekel über das
Unthier Worte verliehen, und nun rächte sich der Spuk,
so gut er konnte, und ließ sie im Traum erleben, was
der Justizamtmann Bürger zu Altengleichen im Calen¬
bergischen, zehn oder elf Jahre später, in die deutsche
Litteraturgeschichte als großer neuer Poet hineinsang:

Der Mond, der scheint so helle,
Die Todten reiten so schnelle:
Feines Liebchen, graut dir nicht?

Und an den an der Gartenmauer den ewigen Schlaf
schlafenden Königsdragoner Unterlieutenant Seraphin
hatte sie auch nicht ohne Gefährde beim Zubette¬
steigen gedacht. Sie hatte einen feinen Traum; und
man hebt einen Zipfel von der Decke vor dem großen
Mysterium der Welt, wenn man bedenkt und ganz
genau in Betrachtung zieht, daß die Dummen und
Armen im Geiste die allerwundervollsten und geist¬
reichsten Träume haben können; ebenso geistreiche und

dens harmloſer alberner Seele beſſer mit einander, als
es die meiſten Geſchichtsſchreiber für möglich halten.
Und wenn die Leute auf der Letzteren Schrift doch
bauen und trauen und ihr auch gern nachgehen hau¬
fensweiſe, ſo iſt das recht gut aus mehrfachen
Gründen.

Das gute Mädchen flog ebenfalls die ganze Nacht
durch. Von der Rabenſchlacht hatte ſie natürlich auch
vernommen und auch den Kämpfer aus derſelben, den
Magiſter Buchius mit nach Hauſe brachte, betrachtet.
Sie hatte wie die meiſten Andern ihrem Ekel über das
Unthier Worte verliehen, und nun rächte ſich der Spuk,
ſo gut er konnte, und ließ ſie im Traum erleben, was
der Juſtizamtmann Bürger zu Altengleichen im Calen¬
bergiſchen, zehn oder elf Jahre ſpäter, in die deutſche
Litteraturgeſchichte als großer neuer Poet hineinſang:

Der Mond, der ſcheint ſo helle,
Die Todten reiten ſo ſchnelle:
Feines Liebchen, graut dir nicht?

Und an den an der Gartenmauer den ewigen Schlaf
ſchlafenden Königsdragoner Unterlieutenant Seraphin
hatte ſie auch nicht ohne Gefährde beim Zubette¬
ſteigen gedacht. Sie hatte einen feinen Traum; und
man hebt einen Zipfel von der Decke vor dem großen
Myſterium der Welt, wenn man bedenkt und ganz
genau in Betrachtung zieht, daß die Dummen und
Armen im Geiſte die allerwundervollſten und geiſt¬
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[117/0125] dens harmloſer alberner Seele beſſer mit einander, als es die meiſten Geſchichtsſchreiber für möglich halten. Und wenn die Leute auf der Letzteren Schrift doch bauen und trauen und ihr auch gern nachgehen hau¬ fensweiſe, ſo iſt das recht gut aus mehrfachen Gründen. Das gute Mädchen flog ebenfalls die ganze Nacht durch. Von der Rabenſchlacht hatte ſie natürlich auch vernommen und auch den Kämpfer aus derſelben, den Magiſter Buchius mit nach Hauſe brachte, betrachtet. Sie hatte wie die meiſten Andern ihrem Ekel über das Unthier Worte verliehen, und nun rächte ſich der Spuk, ſo gut er konnte, und ließ ſie im Traum erleben, was der Juſtizamtmann Bürger zu Altengleichen im Calen¬ bergiſchen, zehn oder elf Jahre ſpäter, in die deutſche Litteraturgeſchichte als großer neuer Poet hineinſang: Der Mond, der ſcheint ſo helle, Die Todten reiten ſo ſchnelle: Feines Liebchen, graut dir nicht? Und an den an der Gartenmauer den ewigen Schlaf ſchlafenden Königsdragoner Unterlieutenant Seraphin hatte ſie auch nicht ohne Gefährde beim Zubette¬ ſteigen gedacht. Sie hatte einen feinen Traum; und man hebt einen Zipfel von der Decke vor dem großen Myſterium der Welt, wenn man bedenkt und ganz genau in Betrachtung zieht, daß die Dummen und Armen im Geiſte die allerwundervollſten und geiſt¬ reichſten Träume haben können; ebenſo geiſtreiche und

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/125>, abgerufen am 21.11.2024.