sonderbare, als wie die Klugen, die Weisen, sowohl am Tage wie bei Nacht.
Mamsell Selinde wurde auch im November 1761 abgeholt von ihrem todten Dragoner wie Lenore von ihrem Wilhelm. Es stand aber ein weißes Roß an der Mauer des Gemüsegartens, und der Himmel war hell¬ blau, die Sonne stand im Mittage, Wald, Feld und Wiesen waren grün, und es kam ein lustiges, frisches Windeswehen dazu her vom Hils, vom Ith, vom Vogler, über die alte Ringmauer der Cisterciensermönche von Kloster Amelungsborn. Lustige Musik von Nah und von Fern klang der Jungfer in's Ohr. Als ob es sich von selbst so verstünde, war sie in ihrem allerbesten Sonntagsstaat, mit Bändern und Reifrock und Stöckel¬ schuhen, mit Puder und Handschuhen -- eben noch in ihrer Kammer auf dem Bettrande und nun draußen im Garten, im blühenden Garten voll von Bienen und Buttervögeln. Ueber die Klosterringmauer sah der weiße Pferdekopf und winkte der junge lachende Reiter¬ lieutenant im himmelblauen Rock mit Silber der Dra¬ gons de Ferronays mit dem Federhut: Wir reiten, wir reiten, Mademoiselle! -- Ich wollt Ihm aber doch noch ein Zweiglein Rosmarin an die Kokarde stecken, Monsieur, sagte die Jungfer, hat Er es denn gar so eilig, Monsieur Seraphin? . . . . Die wilde Rose, la fleur d'eglantine, dort vom Busch, Mademoi¬ selle! wir reiten, wir reiten -- Sattel und Steig¬ bügel! -- unsere Zeit ist hin im deutschen Lande --
ſonderbare, als wie die Klugen, die Weiſen, ſowohl am Tage wie bei Nacht.
Mamſell Selinde wurde auch im November 1761 abgeholt von ihrem todten Dragoner wie Lenore von ihrem Wilhelm. Es ſtand aber ein weißes Roß an der Mauer des Gemüſegartens, und der Himmel war hell¬ blau, die Sonne ſtand im Mittage, Wald, Feld und Wieſen waren grün, und es kam ein luſtiges, friſches Windeswehen dazu her vom Hils, vom Ith, vom Vogler, über die alte Ringmauer der Ciſtercienſermönche von Kloſter Amelungsborn. Luſtige Muſik von Nah und von Fern klang der Jungfer in's Ohr. Als ob es ſich von ſelbſt ſo verſtünde, war ſie in ihrem allerbeſten Sonntagsſtaat, mit Bändern und Reifrock und Stöckel¬ ſchuhen, mit Puder und Handſchuhen — eben noch in ihrer Kammer auf dem Bettrande und nun draußen im Garten, im blühenden Garten voll von Bienen und Buttervögeln. Ueber die Kloſterringmauer ſah der weiße Pferdekopf und winkte der junge lachende Reiter¬ lieutenant im himmelblauen Rock mit Silber der Dra¬ gons de Ferronays mit dem Federhut: Wir reiten, wir reiten, Mademoiselle! — Ich wollt Ihm aber doch noch ein Zweiglein Rosmarin an die Kokarde ſtecken, Monsieur, ſagte die Jungfer, hat Er es denn gar ſo eilig, Monsieur Seraphin? . . . . Die wilde Roſe, la fleur d'eglantine, dort vom Buſch, Mademoi¬ selle! wir reiten, wir reiten — Sattel und Steig¬ bügel! — unſere Zeit iſt hin im deutſchen Lande —
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ſonderbare, als wie die Klugen, die Weiſen, ſowohl am
Tage wie bei Nacht.
Mamſell Selinde wurde auch im November 1761
abgeholt von ihrem todten Dragoner wie Lenore von ihrem
Wilhelm. Es ſtand aber ein weißes Roß an der
Mauer des Gemüſegartens, und der Himmel war hell¬
blau, die Sonne ſtand im Mittage, Wald, Feld und
Wieſen waren grün, und es kam ein luſtiges, friſches
Windeswehen dazu her vom Hils, vom Ith, vom Vogler,
über die alte Ringmauer der Ciſtercienſermönche von
Kloſter Amelungsborn. Luſtige Muſik von Nah und
von Fern klang der Jungfer in's Ohr. Als ob es ſich
von ſelbſt ſo verſtünde, war ſie in ihrem allerbeſten
Sonntagsſtaat, mit Bändern und Reifrock und Stöckel¬
ſchuhen, mit Puder und Handſchuhen — eben noch in
ihrer Kammer auf dem Bettrande und nun draußen
im Garten, im blühenden Garten voll von Bienen und
Buttervögeln. Ueber die Kloſterringmauer ſah der
weiße Pferdekopf und winkte der junge lachende Reiter¬
lieutenant im himmelblauen Rock mit Silber der Dra¬
gons de Ferronays mit dem Federhut: Wir reiten,
wir reiten, Mademoiselle! — Ich wollt Ihm aber
doch noch ein Zweiglein Rosmarin an die Kokarde
ſtecken, Monsieur, ſagte die Jungfer, hat Er es denn
gar ſo eilig, Monsieur Seraphin? . . . . Die wilde
Roſe, la fleur d'eglantine, dort vom Buſch, Mademoi¬
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Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/126>, abgerufen am 21.11.2024.
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