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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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kommen Sie zu der Fechtmeisterin Feucht zurück?' --
,So!' sagt er nur und reicht mir über den Tisch die
Hand, und ich fühle wohl, daß die ein bißchen
fieberisch ist; aber meine ist ja desto kälter und so
fasse ich fest zu und rufe: ,Ja, wenn das so ist, bleibst
Du natürlich bei mir. Es ist zwar spät am Tage für
mich; aber für Einen langt's wohl noch. Dich füttere
und flicke ich mit unseres Herrgotts Hilfe noch
heraus!' Ja, ja, Herr Oberregierungsrath, in dem
Augenblicke habe ich den Mann Du genannt, als hätte
ich ihn wie ein Kind auf dem Arme! Daß das nicht
so war, konnte ich damals ja noch nicht wissen. Aber
drüben sitzt die Frau auf seinem leeren Bett; ich
darf Sie wirklich nicht so lange aufhalten hier bei
mir, Herr Krumhardt, Sie sind nebenan wohl nöthiger.
Also kurz: er hat sein letztes halbes Jahr bei mir
zugebracht und ist bei mir gestorben. Mühe hat er
mir nicht gemacht und Unkosten auch nicht; aber (und
hier leuchteten die Augen der fast Neunzigjährigen
wie die eines greisen Feldherrn über ein Schlacht¬
feld) Freude hat er mir auch jetzt wieder gemacht:
er war doch der Närrischste, aber auch der Tapferste
von euch Allen. Schade, daß er zu feine Nerven
mitbekommen hatte und so, so, so sein Leben führen
und so, so zum Ende kommen mußte, wenn er nicht

kommen Sie zu der Fechtmeiſterin Feucht zurück?‘ —
‚So!‘ ſagt er nur und reicht mir über den Tiſch die
Hand, und ich fühle wohl, daß die ein bißchen
fieberiſch iſt; aber meine iſt ja deſto kälter und ſo
faſſe ich feſt zu und rufe: ‚Ja, wenn das ſo iſt, bleibſt
Du natürlich bei mir. Es iſt zwar ſpät am Tage für
mich; aber für Einen langt's wohl noch. Dich füttere
und flicke ich mit unſeres Herrgotts Hilfe noch
heraus!‘ Ja, ja, Herr Oberregierungsrath, in dem
Augenblicke habe ich den Mann Du genannt, als hätte
ich ihn wie ein Kind auf dem Arme! Daß das nicht
ſo war, konnte ich damals ja noch nicht wiſſen. Aber
drüben ſitzt die Frau auf ſeinem leeren Bett; ich
darf Sie wirklich nicht ſo lange aufhalten hier bei
mir, Herr Krumhardt, Sie ſind nebenan wohl nöthiger.
Alſo kurz: er hat ſein letztes halbes Jahr bei mir
zugebracht und iſt bei mir geſtorben. Mühe hat er
mir nicht gemacht und Unkoſten auch nicht; aber (und
hier leuchteten die Augen der faſt Neunzigjährigen
wie die eines greiſen Feldherrn über ein Schlacht¬
feld) Freude hat er mir auch jetzt wieder gemacht:
er war doch der Närriſchſte, aber auch der Tapferſte
von euch Allen. Schade, daß er zu feine Nerven
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[295/0305] kommen Sie zu der Fechtmeiſterin Feucht zurück?‘ — ‚So!‘ ſagt er nur und reicht mir über den Tiſch die Hand, und ich fühle wohl, daß die ein bißchen fieberiſch iſt; aber meine iſt ja deſto kälter und ſo faſſe ich feſt zu und rufe: ‚Ja, wenn das ſo iſt, bleibſt Du natürlich bei mir. Es iſt zwar ſpät am Tage für mich; aber für Einen langt's wohl noch. Dich füttere und flicke ich mit unſeres Herrgotts Hilfe noch heraus!‘ Ja, ja, Herr Oberregierungsrath, in dem Augenblicke habe ich den Mann Du genannt, als hätte ich ihn wie ein Kind auf dem Arme! Daß das nicht ſo war, konnte ich damals ja noch nicht wiſſen. Aber drüben ſitzt die Frau auf ſeinem leeren Bett; ich darf Sie wirklich nicht ſo lange aufhalten hier bei mir, Herr Krumhardt, Sie ſind nebenan wohl nöthiger. Alſo kurz: er hat ſein letztes halbes Jahr bei mir zugebracht und iſt bei mir geſtorben. Mühe hat er mir nicht gemacht und Unkoſten auch nicht; aber (und hier leuchteten die Augen der faſt Neunzigjährigen wie die eines greiſen Feldherrn über ein Schlacht¬ feld) Freude hat er mir auch jetzt wieder gemacht: er war doch der Närriſchſte, aber auch der Tapferſte von euch Allen. Schade, daß er zu feine Nerven mitbekommen hatte und ſo, ſo, ſo ſein Leben führen und ſo, ſo zum Ende kommen mußte, wenn er nicht

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/305>, abgerufen am 24.11.2024.