kommen Sie zu der Fechtmeisterin Feucht zurück?' -- ,So!' sagt er nur und reicht mir über den Tisch die Hand, und ich fühle wohl, daß die ein bißchen fieberisch ist; aber meine ist ja desto kälter und so fasse ich fest zu und rufe: ,Ja, wenn das so ist, bleibst Du natürlich bei mir. Es ist zwar spät am Tage für mich; aber für Einen langt's wohl noch. Dich füttere und flicke ich mit unseres Herrgotts Hilfe noch heraus!' Ja, ja, Herr Oberregierungsrath, in dem Augenblicke habe ich den Mann Du genannt, als hätte ich ihn wie ein Kind auf dem Arme! Daß das nicht so war, konnte ich damals ja noch nicht wissen. Aber drüben sitzt die Frau auf seinem leeren Bett; ich darf Sie wirklich nicht so lange aufhalten hier bei mir, Herr Krumhardt, Sie sind nebenan wohl nöthiger. Also kurz: er hat sein letztes halbes Jahr bei mir zugebracht und ist bei mir gestorben. Mühe hat er mir nicht gemacht und Unkosten auch nicht; aber (und hier leuchteten die Augen der fast Neunzigjährigen wie die eines greisen Feldherrn über ein Schlacht¬ feld) Freude hat er mir auch jetzt wieder gemacht: er war doch der Närrischste, aber auch der Tapferste von euch Allen. Schade, daß er zu feine Nerven mitbekommen hatte und so, so, so sein Leben führen und so, so zum Ende kommen mußte, wenn er nicht
kommen Sie zu der Fechtmeiſterin Feucht zurück?‘ — ‚So!‘ ſagt er nur und reicht mir über den Tiſch die Hand, und ich fühle wohl, daß die ein bißchen fieberiſch iſt; aber meine iſt ja deſto kälter und ſo faſſe ich feſt zu und rufe: ‚Ja, wenn das ſo iſt, bleibſt Du natürlich bei mir. Es iſt zwar ſpät am Tage für mich; aber für Einen langt's wohl noch. Dich füttere und flicke ich mit unſeres Herrgotts Hilfe noch heraus!‘ Ja, ja, Herr Oberregierungsrath, in dem Augenblicke habe ich den Mann Du genannt, als hätte ich ihn wie ein Kind auf dem Arme! Daß das nicht ſo war, konnte ich damals ja noch nicht wiſſen. Aber drüben ſitzt die Frau auf ſeinem leeren Bett; ich darf Sie wirklich nicht ſo lange aufhalten hier bei mir, Herr Krumhardt, Sie ſind nebenan wohl nöthiger. Alſo kurz: er hat ſein letztes halbes Jahr bei mir zugebracht und iſt bei mir geſtorben. Mühe hat er mir nicht gemacht und Unkoſten auch nicht; aber (und hier leuchteten die Augen der faſt Neunzigjährigen wie die eines greiſen Feldherrn über ein Schlacht¬ feld) Freude hat er mir auch jetzt wieder gemacht: er war doch der Närriſchſte, aber auch der Tapferſte von euch Allen. Schade, daß er zu feine Nerven mitbekommen hatte und ſo, ſo, ſo ſein Leben führen und ſo, ſo zum Ende kommen mußte, wenn er nicht
<TEI><text><body><pxml:id="p-0303"next="p-0306"><pbfacs="#f0305"n="295"/>
kommen Sie zu der Fechtmeiſterin Feucht zurück?‘—<lb/>‚So!‘ſagt er nur und reicht mir über den Tiſch die<lb/>
Hand, und ich fühle wohl, daß die ein bißchen<lb/>
fieberiſch iſt; aber meine iſt ja deſto kälter und ſo<lb/>
faſſe ich feſt zu und rufe: ‚Ja, wenn das ſo iſt, bleibſt<lb/>
Du natürlich bei mir. Es iſt zwar ſpät am Tage für<lb/>
mich; aber für Einen langt's wohl noch. Dich füttere<lb/>
und flicke ich mit unſeres Herrgotts Hilfe noch<lb/>
heraus!‘ Ja, ja, Herr Oberregierungsrath, in dem<lb/>
Augenblicke habe ich den Mann Du genannt, als hätte<lb/>
ich ihn wie ein Kind auf dem Arme! Daß das nicht<lb/>ſo war, konnte ich damals ja noch nicht wiſſen. Aber<lb/>
drüben ſitzt die Frau auf ſeinem leeren Bett; ich<lb/>
darf Sie wirklich nicht ſo lange aufhalten hier bei<lb/>
mir, Herr Krumhardt, Sie ſind nebenan wohl nöthiger.<lb/>
Alſo kurz: er hat ſein letztes halbes Jahr bei mir<lb/>
zugebracht und iſt bei mir geſtorben. Mühe hat er<lb/>
mir nicht gemacht und Unkoſten auch nicht; aber (und<lb/>
hier leuchteten die Augen der faſt Neunzigjährigen<lb/>
wie die eines greiſen Feldherrn über ein Schlacht¬<lb/>
feld) Freude hat er mir auch jetzt wieder gemacht:<lb/>
er war doch der Närriſchſte, aber auch der Tapferſte<lb/>
von euch Allen. Schade, daß er zu feine Nerven<lb/>
mitbekommen hatte und ſo, ſo, ſo ſein Leben führen<lb/>
und ſo, ſo zum Ende kommen mußte, wenn er nicht<lb/></p></body></text></TEI>
[295/0305]
kommen Sie zu der Fechtmeiſterin Feucht zurück?‘ —
‚So!‘ ſagt er nur und reicht mir über den Tiſch die
Hand, und ich fühle wohl, daß die ein bißchen
fieberiſch iſt; aber meine iſt ja deſto kälter und ſo
faſſe ich feſt zu und rufe: ‚Ja, wenn das ſo iſt, bleibſt
Du natürlich bei mir. Es iſt zwar ſpät am Tage für
mich; aber für Einen langt's wohl noch. Dich füttere
und flicke ich mit unſeres Herrgotts Hilfe noch
heraus!‘ Ja, ja, Herr Oberregierungsrath, in dem
Augenblicke habe ich den Mann Du genannt, als hätte
ich ihn wie ein Kind auf dem Arme! Daß das nicht
ſo war, konnte ich damals ja noch nicht wiſſen. Aber
drüben ſitzt die Frau auf ſeinem leeren Bett; ich
darf Sie wirklich nicht ſo lange aufhalten hier bei
mir, Herr Krumhardt, Sie ſind nebenan wohl nöthiger.
Alſo kurz: er hat ſein letztes halbes Jahr bei mir
zugebracht und iſt bei mir geſtorben. Mühe hat er
mir nicht gemacht und Unkoſten auch nicht; aber (und
hier leuchteten die Augen der faſt Neunzigjährigen
wie die eines greiſen Feldherrn über ein Schlacht¬
feld) Freude hat er mir auch jetzt wieder gemacht:
er war doch der Närriſchſte, aber auch der Tapferſte
von euch Allen. Schade, daß er zu feine Nerven
mitbekommen hatte und ſo, ſo, ſo ſein Leben führen
und ſo, ſo zum Ende kommen mußte, wenn er nicht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/305>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.