Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

gewundert habe, daß er mich auch Dieses noch bei
Lebenskräften und gesunden Verstandessinnen erleben
lassen will. Seine Zeit wollte es freilich haben,
bis ich mir aus dem gegenwärtigen Spuk meinen
alten lieben Sohn von damals herausgeholt hatte
und an ihn glauben konnte. Nicht daß er, mein
Velten, etwa wie ein Spuk ausgesehen hätte; nein,
ganz respektabel grau, nur mit ein bißchen zu viel
Haut und zu wenig Fleisch auf den Knochen und
müde, Herr Oberregierungsrath! Müde, müde! wie
Einer, der seit einem Menschenalter nicht von den
Füßen gekommen ist! Todtmüde von seinem Wege
durch sein junges Leben! Natürlich nöthige ich ihn
denn aufs Sofa und da sitzt er und sagt nichts,
aber lacht; und das, Herr, das Lachen hat meinem
letzten Zweifel ein Ende machen müssen. Menschen¬
möglich ist es ja nicht; aber Ihre Stube ist frei,
Velten,' habe ich gesagt. ,Soll ich nach Ihrem Ge¬
päck schicken, oder wollen Sie es selber holen -- ich
weiß nicht woher?, -- ,Ja, das weiß ich auch nicht!'
lacht er mich wieder an und reicht mir über den
Tisch da seine Brieftasche. ,Meine Papiere für die
Polizei und die Miethe wie schicklich pränumerando,
behalten Sie gleich den ganzen Bettel, ich gehe heute
früh zu Bette.' -- ,Und keine Wäsche? Und keine
Bücher?' -- ,Nichts!' -- ,O du lieber, lieber Gott, so

gewundert habe, daß er mich auch Dieſes noch bei
Lebenskräften und geſunden Verſtandesſinnen erleben
laſſen will. Seine Zeit wollte es freilich haben,
bis ich mir aus dem gegenwärtigen Spuk meinen
alten lieben Sohn von damals herausgeholt hatte
und an ihn glauben konnte. Nicht daß er, mein
Velten, etwa wie ein Spuk ausgeſehen hätte; nein,
ganz reſpektabel grau, nur mit ein bißchen zu viel
Haut und zu wenig Fleiſch auf den Knochen und
müde, Herr Oberregierungsrath! Müde, müde! wie
Einer, der ſeit einem Menſchenalter nicht von den
Füßen gekommen iſt! Todtmüde von ſeinem Wege
durch ſein junges Leben! Natürlich nöthige ich ihn
denn aufs Sofa und da ſitzt er und ſagt nichts,
aber lacht; und das, Herr, das Lachen hat meinem
letzten Zweifel ein Ende machen müſſen. Menſchen¬
möglich iſt es ja nicht; aber Ihre Stube iſt frei,
Velten,‘ habe ich geſagt. ‚Soll ich nach Ihrem Ge¬
päck ſchicken, oder wollen Sie es ſelber holen — ich
weiß nicht woher?, — ‚Ja, das weiß ich auch nicht!‘
lacht er mich wieder an und reicht mir über den
Tiſch da ſeine Brieftaſche. ‚Meine Papiere für die
Polizei und die Miethe wie ſchicklich pränumerando,
behalten Sie gleich den ganzen Bettel, ich gehe heute
früh zu Bette.‘ — ‚Und keine Wäſche? Und keine
Bücher?‛ — ‚Nichts!‘ — ‚O du lieber, lieber Gott, ſo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p xml:id="p-0303" next="p-0306"><pb facs="#f0304" n="294"/>
gewundert habe, daß er mich auch Die&#x017F;es noch bei<lb/>
Lebenskräften und ge&#x017F;unden Ver&#x017F;tandes&#x017F;innen erleben<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en will. Seine Zeit wollte es freilich haben,<lb/>
bis ich mir aus dem gegenwärtigen Spuk meinen<lb/>
alten lieben Sohn von damals herausgeholt hatte<lb/>
und an ihn glauben konnte. Nicht daß er, mein<lb/>
Velten, etwa wie ein Spuk ausge&#x017F;ehen hätte; nein,<lb/>
ganz re&#x017F;pektabel grau, nur mit ein bißchen zu viel<lb/>
Haut und zu wenig Flei&#x017F;ch auf den Knochen und<lb/>
müde, Herr Oberregierungsrath! Müde, müde! wie<lb/>
Einer, der &#x017F;eit einem Men&#x017F;chenalter nicht von den<lb/>
Füßen gekommen i&#x017F;t! Todtmüde von &#x017F;einem Wege<lb/>
durch &#x017F;ein junges Leben! Natürlich nöthige ich ihn<lb/>
denn aufs Sofa und da &#x017F;itzt er und &#x017F;agt nichts,<lb/>
aber lacht; und das, Herr, das Lachen hat meinem<lb/>
letzten Zweifel ein Ende machen mü&#x017F;&#x017F;en. Men&#x017F;chen¬<lb/>
möglich i&#x017F;t es ja nicht; aber Ihre Stube i&#x017F;t frei,<lb/>
Velten,&#x2018; habe ich ge&#x017F;agt. &#x201A;Soll ich nach Ihrem Ge¬<lb/>
päck &#x017F;chicken, oder wollen Sie es &#x017F;elber holen &#x2014; ich<lb/>
weiß nicht woher?, &#x2014; &#x201A;Ja, das weiß ich auch nicht!&#x2018;<lb/>
lacht er mich wieder an und reicht mir über den<lb/>
Ti&#x017F;ch da &#x017F;eine Briefta&#x017F;che. &#x201A;Meine Papiere für die<lb/>
Polizei und die Miethe wie &#x017F;chicklich pränumerando,<lb/>
behalten Sie gleich den ganzen Bettel, ich gehe heute<lb/>
früh zu Bette.&#x2018; &#x2014; &#x201A;Und keine Wä&#x017F;che? Und keine<lb/>
Bücher?&#x201B; &#x2014; &#x201A;Nichts!&#x2018; &#x2014; &#x201A;O du lieber, lieber Gott, &#x017F;o<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[294/0304] gewundert habe, daß er mich auch Dieſes noch bei Lebenskräften und geſunden Verſtandesſinnen erleben laſſen will. Seine Zeit wollte es freilich haben, bis ich mir aus dem gegenwärtigen Spuk meinen alten lieben Sohn von damals herausgeholt hatte und an ihn glauben konnte. Nicht daß er, mein Velten, etwa wie ein Spuk ausgeſehen hätte; nein, ganz reſpektabel grau, nur mit ein bißchen zu viel Haut und zu wenig Fleiſch auf den Knochen und müde, Herr Oberregierungsrath! Müde, müde! wie Einer, der ſeit einem Menſchenalter nicht von den Füßen gekommen iſt! Todtmüde von ſeinem Wege durch ſein junges Leben! Natürlich nöthige ich ihn denn aufs Sofa und da ſitzt er und ſagt nichts, aber lacht; und das, Herr, das Lachen hat meinem letzten Zweifel ein Ende machen müſſen. Menſchen¬ möglich iſt es ja nicht; aber Ihre Stube iſt frei, Velten,‘ habe ich geſagt. ‚Soll ich nach Ihrem Ge¬ päck ſchicken, oder wollen Sie es ſelber holen — ich weiß nicht woher?, — ‚Ja, das weiß ich auch nicht!‘ lacht er mich wieder an und reicht mir über den Tiſch da ſeine Brieftaſche. ‚Meine Papiere für die Polizei und die Miethe wie ſchicklich pränumerando, behalten Sie gleich den ganzen Bettel, ich gehe heute früh zu Bette.‘ — ‚Und keine Wäſche? Und keine Bücher?‛ — ‚Nichts!‘ — ‚O du lieber, lieber Gott, ſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/304
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/304>, abgerufen am 24.11.2024.