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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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schleppen. Mich und mein zitterndes, ihre Angst und
ihre Thränen hinunterschluckendes Weibchen mochte
er schon los werden aus der Erinnerung an seinen
letzten Abend zu Hause; aber Herrn German Fell
nicht. Der blieb ihm darin! --

"Ich möchte doch heute Abend noch einmal
der Vorstellung da neben mir an beiwohnen. Wie
man doch Seinesgleichen, so was zu Einem gehört,
nur dadurch und dann kennen lernt, wenn es Einem
so im Gedränge den Ellbogen in die Seite setzt;
nicht wahr, Karl? Den Affenmenschen aus dem
Tivoli dürfte ich Ihnen doch wohl nicht als Freund,
Gast und Gastfreund mitbringen, gnädige Frau?
Also bitte, Kinder, laßt es dabei, daß wir einander
so wenig als möglich durch unser Vorhandensein in
dieser wimmelnden Welt geniren. In einer ge¬
schäftlichen Angelegenheit muß ich freilich auch vom
Deutschen Hofe aus Dich belästigen, lieber Carlos."

Ich fühlte den Arm meiner Frau immer mehr
an meiner Brust erzittern. Sie hielt in der heißen Hand
noch immer ihr armes Sträußchen erster Frühlings¬
blumen; jetzt aber entfiel es ihr und verstreute sich
auf dem schmutzigen, zerstampften Fußboden unter
Scherben von zerschlagenem Geschirr, Tapetenfetzen
und werthlosesten Trümmern von Hausgeräth.

"Komm Du mit nach Hause!" flüsterte sie.

ſchleppen. Mich und mein zitterndes, ihre Angſt und
ihre Thränen hinunterſchluckendes Weibchen mochte
er ſchon los werden aus der Erinnerung an ſeinen
letzten Abend zu Hauſe; aber Herrn German Fell
nicht. Der blieb ihm darin! —

„Ich möchte doch heute Abend noch einmal
der Vorſtellung da neben mir an beiwohnen. Wie
man doch Seinesgleichen, ſo was zu Einem gehört,
nur dadurch und dann kennen lernt, wenn es Einem
ſo im Gedränge den Ellbogen in die Seite ſetzt;
nicht wahr, Karl? Den Affenmenſchen aus dem
Tivoli dürfte ich Ihnen doch wohl nicht als Freund,
Gaſt und Gaſtfreund mitbringen, gnädige Frau?
Alſo bitte, Kinder, laßt es dabei, daß wir einander
ſo wenig als möglich durch unſer Vorhandenſein in
dieſer wimmelnden Welt geniren. In einer ge¬
ſchäftlichen Angelegenheit muß ich freilich auch vom
Deutſchen Hofe aus Dich beläſtigen, lieber Carlos.“

Ich fühlte den Arm meiner Frau immer mehr
an meiner Bruſt erzittern. Sie hielt in der heißen Hand
noch immer ihr armes Sträußchen erſter Frühlings¬
blumen; jetzt aber entfiel es ihr und verſtreute ſich
auf dem ſchmutzigen, zerſtampften Fußboden unter
Scherben von zerſchlagenem Geſchirr, Tapetenfetzen
und werthloſeſten Trümmern von Hausgeräth.

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[279/0289] ſchleppen. Mich und mein zitterndes, ihre Angſt und ihre Thränen hinunterſchluckendes Weibchen mochte er ſchon los werden aus der Erinnerung an ſeinen letzten Abend zu Hauſe; aber Herrn German Fell nicht. Der blieb ihm darin! — „Ich möchte doch heute Abend noch einmal der Vorſtellung da neben mir an beiwohnen. Wie man doch Seinesgleichen, ſo was zu Einem gehört, nur dadurch und dann kennen lernt, wenn es Einem ſo im Gedränge den Ellbogen in die Seite ſetzt; nicht wahr, Karl? Den Affenmenſchen aus dem Tivoli dürfte ich Ihnen doch wohl nicht als Freund, Gaſt und Gaſtfreund mitbringen, gnädige Frau? Alſo bitte, Kinder, laßt es dabei, daß wir einander ſo wenig als möglich durch unſer Vorhandenſein in dieſer wimmelnden Welt geniren. In einer ge¬ ſchäftlichen Angelegenheit muß ich freilich auch vom Deutſchen Hofe aus Dich beläſtigen, lieber Carlos.“ Ich fühlte den Arm meiner Frau immer mehr an meiner Bruſt erzittern. Sie hielt in der heißen Hand noch immer ihr armes Sträußchen erſter Frühlings¬ blumen; jetzt aber entfiel es ihr und verſtreute ſich auf dem ſchmutzigen, zerſtampften Fußboden unter Scherben von zerſchlagenem Geſchirr, Tapetenfetzen und werthloſeſten Trümmern von Hausgeräth. „Komm Du mit nach Hauſe!“ flüſterte ſie.

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/289>, abgerufen am 05.05.2024.