alte Mensch gewesen ist und ich von uns allen Dreien, Dir, Velten, Karlchen Krumhardt und mir die Einzige gewesen sei, die es ganz genau mußte, daß es Unrecht war, wenn wir ihn alle Tage halb zu Tode ärgerten! Ach Gott, was hätte ich noch Alles zu sagen! O küsse mich nur nicht, Tantchen Andres! oder doch, doch küsse mich nur -- es war ja zu schön, zu gut hier bei euch, und wenn Du es nicht weißt, was ich auf dem Herzen habe, so kann ich uns nicht helfen."
"Deine Mutter kann ich mir hierbei vorstellen, Velten," sagte ich.
"So? Ja, Du hast freilich immer mehr ge¬ konnt als ich; aber in dieser Hinsicht meine ich doch, daß Du Dich irrst. Du meinst, sie brüllte sich das Herz aus dem Leibe? Sie hätte die Kleine in Krämpfen hin und hergerissen? Nicht die Idee! Famos hielt sie sich, die alte Riesin, für meinen Geschmack in der tragischen Stunde beinahe zu ruhig. Aber am andern Morgen schon wußte ich natürlich, daß sie wieder mal das einzig Richtige getroffen hatte. Das weißt Du, wie oft sie auf uns hineingepredigt hat; aber so wie diesmal hat sie noch nie zu Einem von uns Dreien gesprochen: Gehe in Frieden! -- Das Kind ist an dem Abend in Frieden aus dem Vogelsang gegangen und hat an der Gartenthür leise hingeweint: ,Ja,
alte Menſch geweſen iſt und ich von uns allen Dreien, Dir, Velten, Karlchen Krumhardt und mir die Einzige geweſen ſei, die es ganz genau mußte, daß es Unrecht war, wenn wir ihn alle Tage halb zu Tode ärgerten! Ach Gott, was hätte ich noch Alles zu ſagen! O küſſe mich nur nicht, Tantchen Andres! oder doch, doch küſſe mich nur — es war ja zu ſchön, zu gut hier bei euch, und wenn Du es nicht weißt, was ich auf dem Herzen habe, ſo kann ich uns nicht helfen.“
„Deine Mutter kann ich mir hierbei vorſtellen, Velten,“ ſagte ich.
„So? Ja, Du haſt freilich immer mehr ge¬ konnt als ich; aber in dieſer Hinſicht meine ich doch, daß Du Dich irrſt. Du meinſt, ſie brüllte ſich das Herz aus dem Leibe? Sie hätte die Kleine in Krämpfen hin und hergeriſſen? Nicht die Idee! Famos hielt ſie ſich, die alte Rieſin, für meinen Geſchmack in der tragiſchen Stunde beinahe zu ruhig. Aber am andern Morgen ſchon wußte ich natürlich, daß ſie wieder mal das einzig Richtige getroffen hatte. Das weißt Du, wie oft ſie auf uns hineingepredigt hat; aber ſo wie diesmal hat ſie noch nie zu Einem von uns Dreien geſprochen: Gehe in Frieden! — Das Kind iſt an dem Abend in Frieden aus dem Vogelſang gegangen und hat an der Gartenthür leiſe hingeweint: ‚Ja,
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alte Menſch geweſen iſt und ich von uns allen Dreien,
Dir, Velten, Karlchen Krumhardt und mir die Einzige
geweſen ſei, die es ganz genau mußte, daß es Unrecht
war, wenn wir ihn alle Tage halb zu Tode ärgerten!
Ach Gott, was hätte ich noch Alles zu ſagen! O
küſſe mich nur nicht, Tantchen Andres! oder doch,
doch küſſe mich nur — es war ja zu ſchön, zu gut
hier bei euch, und wenn Du es nicht weißt, was
ich auf dem Herzen habe, ſo kann ich uns nicht
helfen.“
„Deine Mutter kann ich mir hierbei vorſtellen,
Velten,“ ſagte ich.
„So? Ja, Du haſt freilich immer mehr ge¬
konnt als ich; aber in dieſer Hinſicht meine ich doch,
daß Du Dich irrſt. Du meinſt, ſie brüllte ſich das
Herz aus dem Leibe? Sie hätte die Kleine in Krämpfen
hin und hergeriſſen? Nicht die Idee! Famos hielt ſie ſich,
die alte Rieſin, für meinen Geſchmack in der tragiſchen
Stunde beinahe zu ruhig. Aber am andern Morgen
ſchon wußte ich natürlich, daß ſie wieder mal das
einzig Richtige getroffen hatte. Das weißt Du, wie
oft ſie auf uns hineingepredigt hat; aber ſo wie
diesmal hat ſie noch nie zu Einem von uns Dreien
geſprochen: Gehe in Frieden! — Das Kind iſt an
dem Abend in Frieden aus dem Vogelſang gegangen
und hat an der Gartenthür leiſe hingeweint: ‚Ja,
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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/119>, abgerufen am 22.11.2024.
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