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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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64. §.

Uebrigens, wenn man die Fehler der Componisten, von dem, was sie wirklich Gutes haben, absondert; so kann man den Italiänern überhaupt, die Geschiklichkeit im Spielen, die Einsicht in die Musik, die reiche Erfindung schöner Gedanken, und daß sie es im Singen zu einer größern Vollkommenheit gebracht haben, als irgend eine andere Nation, nicht absprechen. Nur Schade, daß seit einiger Zeit, die meisten ihrer Instrumentisten allzuweit von dem Geschmacke des Singens angegangen sind: wodurch sie nicht nur Viele, die ihnen nachzuahmen suchen, verführen, sondern auch so gar manchen Sänger verleiten, die gute Singart zu verlassen. Es ist daher nicht ohne Grund zu befürchten, daß der gute Geschmack in der Musik, welchen die Italiäner ehedem vor den meisten Völkern voraus gehabt haben, sich bey ihnen nach und nach wieder verlieren, und andern gänzlich zu Theile werden könne. Einige vernünftige, und von Vorurtheilen befreyete italiänische Musikverständige gestehen dieses selbst zu. Sie wollen noch darzu behaupten, daß solches, sowohl in Ansehung der Composition, als der Art zu spielen, bereits geschehen sey. Dem sey aber wie ihm wolle, so bleibt den Italiänern doch die gute Singart, welche sich auch sogar gewissermaßen bis auf ihre Gondelnführer ausbreitet, vor allen andern Völkern noch eigen.

65. §.

Bey den Franzosen findet sich das Gegentheil von dem, was ich von den Italiänern gesaget habe. Denn so wie die Italiäner in der Musik fast zu veränderlich sind; so sind die Franzosen darinne zu beständig, und zu sklavisch. Sie binden sich allzusehr an gewisse Charaktere, welche zwar zum Tanze und zu Trinkliedern, aber nicht zu ernsthaftern Stücken vortheilhaft sind: weswegen auch das Neue bey ihnen öfters alt zu seyn scheint. Die Instrumentisten pflegen sich zwar mit Ausführung großer Schwierigkeiten, und mit vielen Auszierungen im Adagio, nicht weit einzulassen; doch tragen sie ihre Sache mit vieler Deutlichkeit und Reinigkeit vor: womit sie zum wenigsten die guten Gedanken des Componisten nicht verderben. Wegen ihres deutlichen Vortrages, sind sie in einem Orchester, als Ripienisten, besser zu gebrauchen, als die Italiäner. Es ist daher einem jeden angehenden Instrumentisten, absonderlich Clavieristen zu rathen, daß er mit der französischen Art zu spielen den Anfang mache. Er wird dadurch nicht allein, die vorgeschriebenen Noten, und die kleinen Auszierungen, reinlich und deutlich vortragen lernen; sondern auch, mit der

64. §.

Uebrigens, wenn man die Fehler der Componisten, von dem, was sie wirklich Gutes haben, absondert; so kann man den Italiänern überhaupt, die Geschiklichkeit im Spielen, die Einsicht in die Musik, die reiche Erfindung schöner Gedanken, und daß sie es im Singen zu einer größern Vollkommenheit gebracht haben, als irgend eine andere Nation, nicht absprechen. Nur Schade, daß seit einiger Zeit, die meisten ihrer Instrumentisten allzuweit von dem Geschmacke des Singens angegangen sind: wodurch sie nicht nur Viele, die ihnen nachzuahmen suchen, verführen, sondern auch so gar manchen Sänger verleiten, die gute Singart zu verlassen. Es ist daher nicht ohne Grund zu befürchten, daß der gute Geschmack in der Musik, welchen die Italiäner ehedem vor den meisten Völkern voraus gehabt haben, sich bey ihnen nach und nach wieder verlieren, und andern gänzlich zu Theile werden könne. Einige vernünftige, und von Vorurtheilen befreyete italiänische Musikverständige gestehen dieses selbst zu. Sie wollen noch darzu behaupten, daß solches, sowohl in Ansehung der Composition, als der Art zu spielen, bereits geschehen sey. Dem sey aber wie ihm wolle, so bleibt den Italiänern doch die gute Singart, welche sich auch sogar gewissermaßen bis auf ihre Gondelnführer ausbreitet, vor allen andern Völkern noch eigen.

65. §.

Bey den Franzosen findet sich das Gegentheil von dem, was ich von den Italiänern gesaget habe. Denn so wie die Italiäner in der Musik fast zu veränderlich sind; so sind die Franzosen darinne zu beständig, und zu sklavisch. Sie binden sich allzusehr an gewisse Charaktere, welche zwar zum Tanze und zu Trinkliedern, aber nicht zu ernsthaftern Stücken vortheilhaft sind: weswegen auch das Neue bey ihnen öfters alt zu seyn scheint. Die Instrumentisten pflegen sich zwar mit Ausführung großer Schwierigkeiten, und mit vielen Auszierungen im Adagio, nicht weit einzulassen; doch tragen sie ihre Sache mit vieler Deutlichkeit und Reinigkeit vor: womit sie zum wenigsten die guten Gedanken des Componisten nicht verderben. Wegen ihres deutlichen Vortrages, sind sie in einem Orchester, als Ripienisten, besser zu gebrauchen, als die Italiäner. Es ist daher einem jeden angehenden Instrumentisten, absonderlich Clavieristen zu rathen, daß er mit der französischen Art zu spielen den Anfang mache. Er wird dadurch nicht allein, die vorgeschriebenen Noten, und die kleinen Auszierungen, reinlich und deutlich vortragen lernen; sondern auch, mit der

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[315/0329] 64. §. Uebrigens, wenn man die Fehler der Componisten, von dem, was sie wirklich Gutes haben, absondert; so kann man den Italiänern überhaupt, die Geschiklichkeit im Spielen, die Einsicht in die Musik, die reiche Erfindung schöner Gedanken, und daß sie es im Singen zu einer größern Vollkommenheit gebracht haben, als irgend eine andere Nation, nicht absprechen. Nur Schade, daß seit einiger Zeit, die meisten ihrer Instrumentisten allzuweit von dem Geschmacke des Singens angegangen sind: wodurch sie nicht nur Viele, die ihnen nachzuahmen suchen, verführen, sondern auch so gar manchen Sänger verleiten, die gute Singart zu verlassen. Es ist daher nicht ohne Grund zu befürchten, daß der gute Geschmack in der Musik, welchen die Italiäner ehedem vor den meisten Völkern voraus gehabt haben, sich bey ihnen nach und nach wieder verlieren, und andern gänzlich zu Theile werden könne. Einige vernünftige, und von Vorurtheilen befreyete italiänische Musikverständige gestehen dieses selbst zu. Sie wollen noch darzu behaupten, daß solches, sowohl in Ansehung der Composition, als der Art zu spielen, bereits geschehen sey. Dem sey aber wie ihm wolle, so bleibt den Italiänern doch die gute Singart, welche sich auch sogar gewissermaßen bis auf ihre Gondelnführer ausbreitet, vor allen andern Völkern noch eigen. 65. §. Bey den Franzosen findet sich das Gegentheil von dem, was ich von den Italiänern gesaget habe. Denn so wie die Italiäner in der Musik fast zu veränderlich sind; so sind die Franzosen darinne zu beständig, und zu sklavisch. Sie binden sich allzusehr an gewisse Charaktere, welche zwar zum Tanze und zu Trinkliedern, aber nicht zu ernsthaftern Stücken vortheilhaft sind: weswegen auch das Neue bey ihnen öfters alt zu seyn scheint. Die Instrumentisten pflegen sich zwar mit Ausführung großer Schwierigkeiten, und mit vielen Auszierungen im Adagio, nicht weit einzulassen; doch tragen sie ihre Sache mit vieler Deutlichkeit und Reinigkeit vor: womit sie zum wenigsten die guten Gedanken des Componisten nicht verderben. Wegen ihres deutlichen Vortrages, sind sie in einem Orchester, als Ripienisten, besser zu gebrauchen, als die Italiäner. Es ist daher einem jeden angehenden Instrumentisten, absonderlich Clavieristen zu rathen, daß er mit der französischen Art zu spielen den Anfang mache. Er wird dadurch nicht allein, die vorgeschriebenen Noten, und die kleinen Auszierungen, reinlich und deutlich vortragen lernen; sondern auch, mit der

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuchws_1752/329>, abgerufen am 25.11.2024.