Einleitung .
Von den Eigenschaften , die von einem , der sich der Musik widmen will , erfodert werden .
1. §. Ehe ich noch meine Anweisung die Flöte zu spielen , und bey dieser Gelegenheit zugleich ein guter Musikus zu werden , anfange ; finde ich für nöthig , denen , die die Musik zu studiren , und durch dieselbe nützliche Mitglieder des gemeinen Wesens zu werden gedenken , zu Gefallen , eine Anleitung zu geben , nach welcher sie sich untersuchen können , ob sie auch mit allen , einem rechtschaffenen Musikus nöthigen Eigenschaften begabet sind : damit sie sich , in der
Wahl dieser Lebensart nicht irren ; und , wenn dieselbe übel getroffen worden , Schaden und Schande zu befürchten haben mögen .
2. §.
Ich rede aber hier nur von solchen , welche eigentlich die Musik zu ihrem Hauptwerke machen , und in derselben mit der Zeit vortrefflich werden wollen . Wer hingegen die Musik nur als ein Nebenwerk , zu seinem Vergnügen , treiben will , von dem wird zwar in diesem Stücke , nicht so viel , als von jenen , gefodert : doch , wofern er sich alles , was hier und in folgendem gesaget werden wird , zu Nutze machen kann und will ; wird es ihm desto mehr Ehre und Vergnügen bringen .
3. §.
Die Wahl der Lebensart , und der Entschluß , diese oder jene , und folglich auch die Musik zu ergreifen , muß mit großer Behutsamkeit angestellet werden . Die wenigsten Menschen haben das Glück derjenigen Wissenschaft oder Profeßion gewidmet zu werden , wozu sie von Natur am allermeisten ausgeleget sind . Oefters rühret dieses Uebel aus Mangel der Erkenntniß , von Seiten der Eltern oder Vorgesetzten , her . Diese zwingen nicht selten die Jugend zu dem , woran sie , die Vorgesetzten , selbst nur einen Gefallen haben ; oder sie glauben diese oder jene Wissenschaft oder Profeßion bringe mehr Ehre , oder größere Vortheile , als eine andere ; oder sie verlangen , daß die Kinder eben dasjenige erlernen sollen , wovon die Eltern Werk machen ; und zwingen sie also eine Sache zu ergreifen , wozu sie , die Kinder , weder Lust noch Geschicke haben . Man darf sich also nicht wundern , wenn die ausserordentlichen Gelehrten , und die besonders hervorragenden Künstler so rar sind . Gäbe man aber auf die Neigung junger Leute fleißig Achtung ; suchte man zu erforschen , womit sie sich aus eigenem Antriebe am allermeisten zu beschäftigen pflegen ; ließe man ihnen die Freyheit , selbst zu wählen , wozu sie die größte Lust zeigen : so würden sowohl mehr nützliche , als glückliche Leute in der Welt gefunden werden . Denn daß mancher sogenannter Gelehrter , oder Künstler , sich kaum zu einem gemeinen Handwerker geschicket hätte : mancher Handwerker hingegen , ein Gelehrter , oder geschikter Künstler hätte werden können , wenn anders bey beyden die rechte Wahl getroffen worden wäre ; bedarf wohl keines Beweises . Mir selbst ist ein Beyspiel von zween Tonkünstlern bekannt , die zugleicher Zeit , vor ohngefähr vierzig Jahren , bey einem Meister gelernet haben , und deren beyder Väter
Schmiede gewesen sind . Der eine wurde von seinem Vater , welcher Vermögen hatte , und nicht wollte , daß sein Sohn ein gemeiner Handwerker werden sollte , der Musik gewidmet . Von Seiten des Vaters wurden keine Kosten gesparet . Es wurden noch mehrere Meister gehalten , um den Sohn zugleich neben andern Instrumenten , auch in der Wissenschaft des Generalbasses , und in der Composition zu unterrichten . Ob nun der Lehrling gleich viel Lust zur Musik bezeigte , und allen Fleiß anwendete ; so blieb er doch nur ein ganz gemeiner Musikus , und würde sich zu seines Vaters Handwerke viel besser als zur Musik geschicket haben . Der andere wurde hingegen von seinem Vater , der nicht so viel Vermögen als jener hatte , dem Schmiedehandwerke bestimmet . Es würde auch solches unfehlbar erfüllet worden seyn , wenn er nicht durch das frühzeitige Absterben seines Vaters , die Freyheit erlanget hätte , sich selbst nach seinem eigenen Gefallen eine Lebensart zu erwählen . Zu dem Ende wurde ihm von seinen Anverwandten viererley vorgeschlagen , nämlich , ob er ein Schmidt , oder ein Schneider , oder ein Musikus werden wollte , oder ob er Lust zum Studiren hätte ; weil von jeder Art , unter seinen Anverwandten , sich einige befanden . Weil er aber zur Musik die größte Neigung bey sich verspürete , so ergriff er auch glücklicher Weise diese Wissenschaft , und kam zu obengemeldetem Meister in die Lehre . Was ihm hier an guter Anweisung , und am Vermögen andere Meister zu halten , abgieng ; das ersetzte sein Talent , Lust , Begierde und Fleiß , ingleichen die glückliche Gelegenheit , bald an solche Orte zu kommen , wo er viel gutes hören konnte , und des Umgangs vieler brafen Musikverständigen theihaftig theilhaftig wurde . Hätte sein Vater noch ein paar Jahre länger gelebet ; so hätte dieser Schmidtssohn auch ein Schmidt werden müssen : folglich würde sein Talent zur Musik seyn vergraben worden ; und seine nachher verfertigten musikalischen Werke , würden niemals das Licht erblicket haben . Ich geschweige vieler andern Exempel , da es nämlich Leute gegeben hat , welche zwar die Hälfte ihrer Lebensjahre auf die Musik gewendet , und Profeßion davon gemacht , sich aber erst , in ihrem männlichen Alter , auf eine andere Wissenschaft geleget haben ; in welcher es ihnen ohne sonderliche Anweisung besser gelungen ist , als in der Musik . Wären nun diese Leute gleich in der Jugend zu demjenigen angehalten worden , was sie nachhero erst ergriffen haben ; so hätten sie unfehlbar die größten Künstler werden müssen .
4. §.
Das erste was zu einem , der ein guter Musikus werden will , erfordert wird , ist : ein besonders gutes Talent , oder Naturgaben . Wer sich auf die Composition legen will , muß einen muntern und feurigen Geist , der mit einer zärtlichen Empfindung der Seele verknüpft ist ; eine gute Vermischung der sogenannten Temperamente , in welchen nicht zu viel Melancholie ist ; viel Einbildungs-Erfindungs-Beurtheilungs- und Entscheidungskraft ; ein gut Gedächtniß ; ein gutes und zartes Gehör ; ein scharfes und fertiges Gesicht ; und einen gelehrigen , alles bald und leicht fassenden Kopf , besitzen . Wer sich auf ein Instrument legen will , muß ausser vielen von obengemeldeten Gemüthskräften , auch nach eines jeden Instruments Eigenschaft , noch mit unterschiedenen Leibesgaben ausgerüstet seyn . Zum Exempel : ein Blasinstrument , und insonderheit die Flöte , erfordert : einen vollkommen gesunden Körper ; eine offene starke Brust ; einen langen Athem ; gleiche Zähne , die weder zu lang noch zu kurz sind ; nicht aufgeworfene und dicke , sondern dünne , glatte und feine Lippen , die weder zu viel noch zu wenig Fleisch haben , und den Mund ohne Zwang zuschließen können ; eine geläufige und geschikte Zunge ; wohlgestallte Finger , die weder zu lang , noch zu kurz , noch zu dickfleischig , noch zu spitzig , sondern die mit starken Nerven versehen sind ; und eine offene Nase , um den Athem sowohl leicht zu schöpfen , als von sich zu geben . Ein Sänger muß mit dem Blasinstrumentisten die starke Brust , den langen Athem und die fertige Zunge : ein Seyten- und Bogeninstrumentist aber , die geschikten Finger und starken Nerven gemein haben ; der erstere muß über dieses noch mit einer schönen Stimme , der letztere aber mit geläufigen Gelenken der Hände und Arme begabet seyn .
5. §.
Finden sich nun diese guten Eigenschaften bey einem Menschen ; so ist er zwar überhaupt zur Musik geschikt : allein , da die Naturgaben so verschieden sind , und selten alle , in so reichem Maaß , bey einem Menschen einzukehren pflegen ; so wird sich immer befinden , daß einer zu diesem , der andere zu jenem mehr aufgelegt ist . Z. E. Es kann einer ein gutes Naturell zur Composition haben ; zu Handhabung der Instrumente aber nicht geschikt seyn : ein anderer kann viel Geschiklichkeit zu Instrumenten besitzen ; zur Composition aber gar keine Fähigkeit haben : ein anderer hat mehr Naturell zu diesem , als zu jenem Instrumente : ein anderer hat zu allen Instrumenten ; ein anderer zu keinem einzigen Geschiklichkeit .
Wer aber sowohl zur Setzkunst , als zum Singen und den Instrumenten zugleich , das gehörige Talent hat ; von diesem kann man eigentlich , im genauesten Verstande sagen , daß er zur Musik gebohren sey .
6. §.
Nun wird erfodert , daß ein jeder , ehe er sich in der Musik zu etwas entschließet , recht erforsche , wozu sich sein Talent am meisten neiget . Geschähe dieses allezeit mit rechtem Bedacht ; so würde die Unvollkommenheit in der Musik nicht so groß seyn , als sie zur Zeit noch ist , und vielleicht noch ferner seyn wird . Denn wer sich in der Musik auf etwas leget , wozu er die Gaben nicht hat , der bleibt bey aller guten Anweisung und Bemühung doch nur immer ein mittelmäßiger Musikus .
7. §.
Zu einem geschikten und gelehrten Musikus wird nun , wie aus obengesagtem erhellet , ein besonder Talent erfodert . Unter dem Worte : geschikter Musikus , verstehe ich einen guten Sänger oder Instrumentisten : ein gelehrter Musikus hingegen heißt bey mir , einer der die Composition gründlich erlernet hat . Weil man aber nicht lauter Helden in der Musik nöthig hat ; und auch ein mittelmäßiger Musikus einen guten Ripienisten oder Ausführer der Ausfüllungsstimmen abgeben kann : so ist zu merken , daß zu einem , der auf nichts weiter sein Absehen gerichtet hat , als einen tüchtigen Ripienisten vorzustellen , ein so besonder Talent eben nicht erfodert werde : Denn wer einen gesunden Körper , und gerade und gesunde Gliedmaßen hat ; dabey aber nur nicht dumm , oder blödes Verstandes ist ; der kann das , was man in der Musik mechanisch nennet , und was eigentlich zu einem Ripienisten erfodert wird , durch vielen Fleiß erlernen . Alles was hierbey zu wissen nöthig ist , z. E. das Zeitmaaß ; die Geltung und Eintheilung der Noten , und was sonst mit diesen verknüpfet ist ; der Bogenstrich auf Seyteninstrumenten , und der Zungenstoß , Ansatz , und Fingerordnung auf blasenden Instrumenten , kann durch Regeln , welche man deutlich und vollständig erklären kann , begriffen werden . Daß es so viele giebt , die weder von dem einen noch von dem andern rechte Begriffe haben , ist der meisten eigene Schuld : und muß man sich daher wundern , wenn mancher Musikus das , was er in einer Zeit von zwey bis drey Jahren hätte fassen können , noch in seinem männlichen Alter schuldig bleibt ; ohngeachtet es ihm an Gelegenheit dazu zu gelangen nicht gemangelt hätte . Man wolle aber , aus dem was ich oben gesaget habe , keinesweges eine Geringschätzung guter Ripienisten zu erzwingen suchen .
Wie viele sind nicht unter diesen , welche Talent haben , fleißig sind , und sich vor andern hervorthun , auch öfters würdig und fähig wären , einem Orchester mit Nutzen vorzustehen ; dabey aber das Unglück empfinden müssen , aus Eifersucht , Geldbegierde , und unzähligen andern Ursachen unterdrücket und verhindert zu werden , daß ihr Talent zu keiner Reife gelangen kann . Nur diejenigen , welche bey ihrer Lust zur Musik , keine ausnehmenden Gaben dazu besitzen , können sich dieses zum Troste mercken , daß wenn ihnen auch die Natur nicht gestattet , grosse Lichter der Musik zu werden ; sie dennoch , wenn sie nur gute Ripienisten abzugeben sich bemühen , sehr nützliche Leute seyn können . Wem aber eine ganz hölzerne und unempfindliche Seele , ganz plumpe Finger , und gar kein gut musikalisch Gehör zu Theil worden ist , der thäte besser , wenn er anstatt der Musik eine andere Wissenschaft erlernete .
8. §.
Wer in der Musik vortrefflich werden will , muß ferner eine unermüdete unaufhörliche Lust , Liebe , und Begierde , weder Fleiß noch Mühe zu ersparen , und alle , bey dieser Lebensart vorkommenden Beschwerlichkeiten , standhaft zu ertragen , bey sich empfinden . Die Musik giebt selten solche Vortheile , als andere Wissenschaften geben : und sollte es auch noch einigen dabey glücken , so ist doch solches Glück mehrentheils der Unbeständigkeit unterworfen . Die Veränderung des Geschmacks , das Abnehmen der Kräfte des Leibes , die verfliegende Jugend , der Verlust eines Liebhabers von welchem das Glück vieler Musikverständigen abhänget , sind alle vermögend , den Wachsthum der Musik zu verhindern . Die Erfahrung bestätiget dieses zur Gnüge ; wenn man nur etwas über ein halbes Jahrhundert zurückdenket . Wie viele Veränderungen sind nicht in Deutschland in Ansehung der Musik vorgefallen ? An wie viel Höfen , in wie viel Städten ist nicht ehedem die Musik im Flor gewesen , so daß so gar daselbst eine gute Anzahl geschickter Leute erzogen worden ; wo in gegenwärtigen Zeiten in diesem Puncte nichts als Unwissenheit herrschet . An den meisten Höfen , welche ehemals noch , theils mit sehr berühmten , theils mit ziemlich geschikten Leuten versehen gewesen , nimmt es itziger Zeit leider überhand , daß die ersten Stellen in der Musik , mit solchen Menschen besetzet werden , die in einer guten Musik kaum die letzte Plätze verdieneten ; mit Leuten , denen das Amt zwar bey Unwissenden , die sich durch den Titel blenden lassen , einiges Ansehen zu wege bringt ; welche aber weder dem Amte Ehre machen , noch der Musik Vortheil schaffen ,
noch das Vergnügen derer , von denen ihr Glück abhängt , befördern . Die Musik , ob sie gleich eine unergründliche Wissenschaft ist , hat doch nicht das Glück , so wie andere , theils höhere , theils ihr gleiche Wissenschaften , öffentlich gelehret zu werden . Die finstern Köpfe unter den neuen Weltweisen halten es nicht , wie die Alten , für eine Nothwendigkeit , dieselbe zu wissen . Bemittelte Leute begeben sich selten dazu : und Arme haben nicht das Vermögen gleich Anfangs gute Meister zu halten , und an solche Orte zu reisen , wo Musik von gutem Geschmacke im Schwange geht . Jedoch , an einigen Orten hat die Musik schon angefangen wieder empor zu kommen . Sie hat daselbst schon wieder ihre hohen Kenner , Beschützer , und Beförderer erhalten . Ihre Ehre fängt schon an , durch diejenigen aufgeklärten Weltweisen , welche sie den schönen Wissenschaften wieder zuzählen , auch von dieser Seite hergestellet zu werden . Der Geschmack an diesen schönen Wissenschaften , wird in Deutschland absonderlich , immer mehr und mehr aufgeheitert und ausgebreitet . Wer was rechtschaffenes gelernet hat , findet allezeit sein Brod .
9. §.
Wer Talent und Lust zur Musik hat , muß um einen guten Meister in derselben bekümmert seyn . Es würde zu weitläuftig seyn , wenn ich von den Meistern in allen Arten der Musik hier handeln wollte . Deswegen werde ich mich nur , um ein Beyspiel zu geben , bey dem aufhalten , der zur Erlernung der Flöte erfodert wird . Es ist wahr , dieses Instrument ist seit dreyßig bis vierzig Jahren , absonderlich in Deutschland sehr üblich worden . Man leidet nicht mehr , wie anfangs , da es empor kam , an solchen Stücken Mangel , wodurch ein Scholar die gehörige Geschiklichkeit , so dieses Instrument , in Ansehung der Zunge , der Finger , des Ansatzes , erfodert , mit leichter Mühe erlangen könnte . Dem ungeachtet giebt es noch sehr wenige , die dasselbe nach seiner Eigenschaft , und rechten Art , zu spielen wissen . Scheint es nicht , als wenn die meisten der heutigen Flötenspieler , zwar Finger und Zungen , aber keine Köpfe hätten ? Es ist unumgänglich nöthig , daß derjenige , der auf diesem Instrumente etwas rechtschaffenes zu erlernen gedenket , einen guten Meister habe : und ich verlange denselben auch bey einem , der sich dieser meiner Anweisung bedienen will , noch ausdrücklich . Allein , wie viel giebt es denn derer , welchen man den Namen der Meister mit Rechte beylegen kann ? Sind nicht die meisten , wenn man sie genau betrachtet , in Ansehung der Wissenschaft , selbst noch Scholaren ? Wie können denn
diejenigen die Musik verbessern , die selbst noch in der Unwissenheit stecken ? Finden sich auch ja einige , die das Instrument gut , oder zum wenigsten leidlich spielen ; so fehlet es doch noch vielen an der Gabe , das , was sie selbst wissen , andern beyzubringen . Es ist möglich , daß einer , der zwar gut spielet , doch schlecht zu informiren wisse . Ein anderer kann vielleicht besser informiren als selbst spielen . Nun ist ein Scholar nicht fähig einen Meister zu beurtheilen , ob er gut oder schlecht unterrichte : deswegen ist es ein Glück , wenn er zufälliger Weise den besten erwählet . Wie aber ein Meister beschaffen seyn müsse , wenn er gute Scholaren ziehen soll , ist zwar schwer , ausführlich zu bestimmen ; doch wird man es aus folgendem Verzeichniße der Fehler , die er vermeiden muß , ohngefähr abnehmen können : und ein Anfänger thut wohl , wenn er sich bey unpartheyischen Leuten , die aber in die Musik Einsicht haben , deswegen Raths erholet . Ein Meister , der von der Harmonie nichts versteht , und nur ein blosser Instrumentist ist ; der seine Wissenschaft nicht gründlich , und durch richtige Grundsätze erlernet hat ; der von dem Ansatze , der Fingerordnung , dem Athemholen , und Zungenstoße , keinen richtigen Begriff hat ; der weder die Paßagien im Allegro , noch die kleinen Auszierungen und Feinigkeiten im Adagio deutlich und rund zu spielen weis ; der keinen annehmlichen und deutlichen Vortrag , und überhaupt keinen feinen Geschmack hat ; der , um die Flöte rein zu spielen , von dem Verhältniße der Töne keine Erkenntniß besitzet ; der das Zeitmaaß nicht in der äussersten Strenge zu beobachten weis ; der nicht die Einsicht hat , einen simpeln Gesang an einander hangend zu spielen , und die Vorschläge , pincemens , battemens , flattemens , doublez und Triller an gehörigen Orten anzubringen ; der bey einem Adagio , dessen Gesang trocken , das ist ohne Auszierungen , geschrieben ist , nicht , so wie es der Gesang und die Harmonie erfodert , die willkürlichen Manieren zuzusetzen , und nebst den Manieren , durch das abwechselnde forte und piano , Schatten und Licht zu unterhalten fähig ist ; Ein Meister , der nicht jede Sache , so dem Scholaren noch schwer zu begreiffen fällt , deutlich und gründlich zu erklären im Stande ist : sondern demselben nur alles nach dem Gehöre , und durch das Nachahmen , wie man etwa einen Vogel abzurichten pfleget , beyzubringen suchet ; Ein Meister , der dem Lehrlinge schmeichelt , und alle Fehler übersieht ; der nicht Gedult hat , dem Scholaren eine Sache öfters zu zeigen , und sie wiederholen zu lassen ; der nicht solche Stücke , die sich von Zeit zu Zeit für des Untergebenen Fähigkeit schicken , zu wählen , und
jedes Stück in seinem Geschmacke zu spielen weis ; der die Scholaren aufzuhalten suchet ; der nicht die Ehre dem Eigennutz , die Beschwerlichkeit der Bequemlichkeit , und den Dienst des Nächsten der Eifersucht und Misgunst vorzieht ; überhaupt , der nicht das Wachsthum der Musik zu seinem Endzwecke hat ; ein solcher Meister , sage ich , kann keine guten Scholaren ziehen . Findet man aber einen Meister , dessen Scholaren nicht nur reinlich und deutlich spielen , sondern auch im Zeitmaaße recht sicher sind : so hat man gegründete Ursache , sich von diesem Meister gute Hofnung zu machen .
10. §.
Ein großer Vortheil ist es für einen der sich mit Nutzen auf die Musik legen will , wenn er gleich im Anfange einem guten Meister in die Hände geräth . Einige haben das schädliche Vorurtheil , es sey nicht nöthig , zur Erlernung der Anfangsgründe gleich einen guten Meister zu haben . Sie nehmen öfters aus Sparsamkeit den wohlfeilsten , und folglich nicht selten einen solchen , der selbst noch nichts weis : da denn ein Blinder dem andern den Weg weiset . Ich rathe das Gegentheil an . Man nehme gleich beym Anfange den besten Meister , den man nur bekommen kann ; sollte man demselben auch zwey oder dreymal mehr bezahlen müssen , als andern . Es wird erstlich in der Folge nichts mehr kosten : zum andern ersparet man sowohl Zeit , als Mühe . Bey einem guten Meister kann man es in einem Jahre weiter bringen , als bey einem schlechten vielleicht in zehn Jahren .
11. §.
Ob nun zwar , wie hier gezeiget worden , an einem guten Meister , der seine Lehrlinge gründlich unterweisen kann , sehr vieles liegt : so kommt es doch fast noch mehr auf den Scholaren selbst an . Denn man hat Exempel , daß gute Meister oftmals schlechte Scholaren ; schlechte Meister hingegen gute Scholaren gezogen haben . Man weis , daß sich viele brafe Tonkünstler bekannt gemacht , die eigentlich keinen andern Meister gehabt haben , als ihr großes Naturell , und die Gelegenheit viel Gutes zu hören ; die aber durch Mühe , Fleiß , Begierde und beständiges Nachforschen weiter gekommen sind , als manche , die von mehr als einem Meister unterrichtet worden . Deswegen wird von einem Scholaren ferner : ein besonderer Fleiß und Aufmerksamkeit erfodert . Wem es hieran fehlet , dem ist zu rathen , sich mit der Musik gar nicht zu beschäftigen ; in sofern er sein Glück dadurch zu machen gedenket . Wer Faulheit , Müßiggang ,
oder andere unnütze Dinge mehr als die Musik liebet , der hat sich keinen besondern Fortgang zu versprechen . Viele , welche sich der Musik widmen , versehen es in diesem Stücke . Sie verabscheuen die damit verknüpften Beschwerlichkeiten . Sie möchten wohl gerne geschikt werden : den gehörigen Fleiß aber wollen sie nicht anwenden . Sie glauben die Musik führe nichts als lauter Vergnügen mit sich ; es sey nur ein Spielwerk dieselbe zu erlernen ; und brauche weder Kräfte des Leibes , noch der Seele ; es gehöre weder Wissenschaft noch Erfahrung dazu ; und komme nur blos auf die Lust und ein gutes Naturell an . Es ist wahr , Naturell und Lust sind die ersten Gründe , auf welche eine gründliche Wissenschaft gebauet werden muß . Allein um dieses Gebäude völlig aufzuführen , wird eine gründliche Anweisung , und von seiten des Lernenden viel Fleiß und Nachdenken unumgänglich erfordert . Hat ein Lehrbegieriger das Glück , gleich anfangs einen guten Meister angetroffen zu haben ; so muß er ein vollkommenes Vertrauen zu ihm fassen . Er muß nicht widerspenstig , sondern in allem folgsam seyn ; daß er das , was ihm sein Meister aufgiebt , nicht nur in währender Lection mit allem Eifer und Begierde auszuüben und nachzumachen suche : sondern er muß solches auch vor sich allein , mit vielem Fleiß oftmals wiederholen ; und sofern er etwas nicht recht begriffen , oder vergessen haben sollte , muß er den Meister bey der folgenden Lection darum befragen . Ein Lehrbegieriger muß sich nicht verdrießen lassen , wenn er wegen einerley Sache öfter ermahnet wird , sondern er muß solche Erinnerungen für ein übles Merckmaal seiner Unachtsamkeit , und für des Meisters Schuldigkeit ; den Meister selber aber , der ihn so öfters verbessert , für den besten halten . Er muß deswegen auf seine Fehler wohl Achtung geben : Denn wenn er solche zu erkennen anfängt , hat er schon halb gewonnen . Erfodert es aber die Nothwendigkeit , daß der Meister ihn über einerley Sache öfters verbessern muß ; so kann er gewiß versichert seyn , daß er es in der Musik nicht weit bringen wird : weil er darinne unzählige Dinge zu erlernen hat , die ihm kein Meister zeigen wird , noch zeigen kann ; sondern die er gleichsam abstehlen muß . Dieser erlaubte Diebstahl macht eigentlich die größten Meister . Dasjenige was ihm öfters verwiesen worden , muß er nicht eher verlassen , bis er es so spielen kann , wie es der Meister verlanget . Er muß dem Meister nicht vorschreiben , was für Stücke er ihm aufgeben soll : Denn der Meister muß am besten wissen , was dem Scholaren vortheilhaft seyn kann . Hat er , wie
ich voraus setze , das Glück gehabt , einen guten Meister zu treffen , muß er denselben so lange zu erhalten suchen , als er einer Unterweisung nöthig hat . Es ist nichts schädlicher , als wenn ein Scholar sich bald bey diesem bald bey jenem Meister in die Unterweisung begiebt . Denn wegen des verschiedenen Vortrages und der verschiedenen Art zu spielen , macht dieses bey einem Anfänger Verwirrung ; indem derselbe , so zu sagen allezeit von neuem wieder anfangen muß . Es sind zwar viele , die sich was besonderes draus machen , wenn sie , von vielen großen Meistern gelernet zu haben , sich rühmen können ; allein man findet selten , daß sie auch zugleich von denselben vieles profitiret haben . Denn wer von einem Meister zum andern läuft , dem gefällt es bey keinem ; und er hat zu keinem ein Vertrauen : zu wem man aber kein Vertrauen hat , dessen Lehrsätze pflegt man nicht gerne anzunehmen . Hat man aber einmal zu einem guten Meister ein rechtes Vertrauen gefasset , und läßt ihm die gehörige Zeit , seine Wissenschaft offenbar zu machen ; so wird man , wenn man dabey die wahre Begierde hat zu einer Vollkommenheit zu gelangen , von Zeit zu Zeit immer mehr Vortheile entdecken , die man vorher einzusehen nicht fähig gewesen ; die aber zu weiterm Nachforschen Gelegenheit geben .
12. §.
Dieses weitere Nachforschen muß sich auch ein angehender Musikus theuer empfohlen seyn lassen . Auch der Fleiß macht es noch nicht allein aus . Man kann ein gutes Naturell , gute Anweisung , großen Fleiß , gute Gelegenheit viel schönes zu hören , haben , und doch immer mittelmäßig bleiben . Man kann viel componiren , viel singen , und viel spielen , ohne in der Erkenntniß und Geschiklichkeit zuzunehmen . Denn alles was in der Musik ohne Nachdenken und ohne Ueberlegung , gleichsam nur zum Zeitvertreib geschieht , ist ohne Nutzen . Ein Fleiß also , der eine brennende Liebe und unersättliche Begierde zur Musik zum Grunde hat , muß mit einem beständigen und eifrigen Nachforschen , und reifem Nachdenken und Untersuchen verknüpfet werden . Es muß ein edler Eigensinn dabey herrschen , welcher nicht erlaubet , daß man sogleich in allen Stücken mit sich selbst zufrieden sey ; sondern immer vollkommener zu werden trachte . Denn wer die Musik nur auf das Gerathewohl , nicht als eine Wissenschaft , sondern nur als ein Handwerk treiben will , der wird lebenslang ein Stümper bleiben .
13. §.
Bey dem Bemühen weiter zu kommen , muß sich aber nicht etwan eine Ungedult einschleichen ; daß man Lust bekäme da anzufangen , wo andere aufhören . Einige begehen diesen Fehler . Sie erwählen entweder solche schwere Stücke zu ihrer Uebung , denen sie noch nicht gewachsen sind , und wodurch sie sich gewöhnen , die Noten zu überruscheln , und undeutlich vorzutragen : oder sie wollen vor der Zeit galant thun , und verfallen auf allzuleichte Stücke , welche weiter keinen Vortheil geben , als dem Gehöre zu schmeicheln : Diejenigen Stücke hingegen , die den musikalischen Verstand schärfen , die Einsicht in die Harmonie befördern , den Bogenstrich , Zungenstoß , Ansatz , und Finger geschikt machen ; die zum Notenlesen , Eintheilung der Noten , und zur Erlernung des Zeitmaaßes bequem sind ; die aber nicht sogleich die Sinne so kützeln wie jene ; solche Stücke , sage ich , verabsäumen sie , und halten sie wohl gar für einen Zeitverlust : ungeachtet man ohne solche Stücke , weder einen guten Vortrag , noch einen guten Geschmack in der Ausführung erlangen kann .
14. §.
Eine große Hinderniß des Fleißes und weitern Nachdenkens ist es , wenn man sich zu viel auf sein Talent verläßt . Die Erfahrung lehret , daß man unter denjenigen , welche besonders gute Naturgaben besitzen , mehr Unwißende antrifft , als unter denen , die ihrem mittelmäßigen Talente durch Fleiß und Nachdenken zu Hülfe gekommen sind . Manchen gereichet das besonders gute Naturell mehr zum Schaden als zum Vortheile . Wer davon Beweis verlanget , der betrachte nur die meisten Componisten nach der Mode , itziger Zeit . Wie viele findet man unter ihnen : die die Setzkunst nach den Regeln erlernet haben ? Sind nicht die meisten fast pure Naturalisten ? Wenn es hoch kömmt , so verstehen sie etwan den Generalbaß ; und glauben es sey in einer so tiefsinnigen Wissenschaft , als die Composition ist , nichts mehr zu wissen nöthig , als daß man nur so viel Einsicht besitze , verbothene Quinten und Octaven zu vermeiden , und etwan einen Trummelbaß , und zu demselben eine oder zwo magere Mittelstimmen dazu zu setzen : das übrige sey eine schädliche Pedanterey , die nur am guten Geschmacke und am guten Gesange hindere . Wenn keine Wissenschaft nöthig , und das pure Naturell hinlänglich wäre ; wie kömmt es denn , daß die Stücke von erfahrnen Componisten mehr Eindruck machen , allgemeiner werden , und sich länger im Credit erhalten , als die von selbst gewachsenen Naturalisten ; und daß eines jeden guten Componisten erstere
Ausarbeitungen , den letztern nicht beykommen ? Ist dieses dem puren Naturell , oder zugleich der Wissenschaft zuzuschreiben ? Das Naturell wird mit angebohren ; und die Wissenschaft wird durch gute Unterweisung , und durch fleißiges Nachforschen erlernet : beydes aber gehöret zu einem guten Componisten . Durch den Operstyl hat zwar der Geschmack zu , die Wissenschaft aber abgenommen . Denn weil man geglaubet hat , daß zu dieser Art Musik , mehr Genie und Erfindung , als Wissenschaft der Setzkunst erfodert würde ; auch weil dieselbe gemeiniglich bey den Musikliebhabern mehr Beyfall findet , als eine Kirchen- oder Instrumental-Musik : so haben sich mehrentheils die jungen und selbst gewachsenen Componisten in Italien damit am ersten beschäftiget ; um sowohl bald einen Credit zu erlangen , als auch in kurzer Zeit vor Meister , oder , nach ihrer Art , Maestri zu paßiren . Es hat aber die unzeitige Bemühung nach diesem Titel verursachet , daß die meisten Maestri niemals Scholaren gewesen : indem sie anfänglich keine richtigen Grundsätze erlernet haben , und nach erhaltenem Beyfall der Unverständigen , sich der Unterweisung nun schämen . Deswegen ahmet einer dem andern nach , schreibt seine Arbeit aus , oder giebt wohl gar fremde Arbeit für seine eigene aus , wie die Erfahrung lehret ; zumal wenn dergleichen Naturalisten sich genöthiget finden , ihr Glück in fremden Landen zu suchen ; und die Erfindungen nicht im Kopfe , sondern im Koffer mit sich führen . Haben sie auch allenfalls noch die Fähigkeit etwas aus ihrem Kopfe zu erfinden , ohne sich mit fremden Federn zu schmücken ; so wenden sie doch selten die gehörige Zeit an , die ein so weitläufiges Werk , als eine Oper ist , erfodert : sondern es wird oftmals für eine besondere Geschiklichkeit gehalten , wenn einer die Fähigkeit besitzet , in zehn oder zwölf Tagen ein ganz Singespiel hinzuschmieren ; und nur darauf bedacht ist , daß es , wenn es auch weder schön noch vernünftig seyn sollte , doch zum wenigsten etwas neues sey . Es läßt sich aber sehr leicht begreifen , was in solcher Eil für gutes hervorgebracht werden könne . Die Gedanken müssen ja , so zu sagen , nur in der Luft erschnappet werden , wie etwan ein Raubthier einen Vogel erhaschet . Wo bleibt da die Ordnung , der Zusammenhang , und die Säuberung der Gedanken ? Endlich ist es denn auch dahin gekommen , daß gegenwärtig in Italien nicht mehr so viel vortreffliche Componisten anzutreffen sind , als vormals . Fehlet es aber an erfahrnen Componisten : wie kann da der gute Geschmack erhalten , oder fortgepflanzet werden ? Wer da weis , was zu einer vollkommenen Oper gehöret , der wird gestehen
müssen , daß ein solches Werk nicht einen Anfänger , sondern einen erfahrnen Componisten , und mehr Zeit als wenig Tage erfordert . Allein die Componisten haben mehrentheils das Unglück , daß , wenn sie anfangen vernünftig zu schreiben , und das Wilde und Freche abzulegen , man sie beschuldigt , sie hätten das Feuer verlohren ; sie hätten sich erschöpfet ; sie dächten nicht mehr so sinnreich ; sie wären arm an Erfindung . Es kann seyn , daß solches bey vielen eintrifft : wollte man aber die Sache genau untersuchen , so würde man finden , daß dergleichen Unglück nur den oben beschriebenen Componisten wiederfährt , welche die Setzkunst niemals gründlich erlernet haben . Denn wo kein guter Grund vorhanden ist ; da kann auch das Gebäude nicht lange Bestand haben . Ist aber Talent , Wissenschaft und Erfahrung mit einander vereiniget , so wird daraus ein solcher Brunnen , der nicht leicht zu erschöpfen ist . Es wird ja in allen Handlungen , in allen Wissenschaften , und Profeßionen die Erfahrung so sehr geachtet : warum denn nicht auch in der Musik , und insonderheit in der Composition ? Wer da glaubet , daß es in derselben nur auf ein Gerathewohl und auf einen blinden Einfall ankomme , der irret sich sehr , und hat von dieser Sache nicht den geringsten Begriff . Die Erfindungen und Einfälle sind zwar zufällig , und können durch Anweisung nicht erlanget werden : die Säuberung und Reinigung , die Wahl und Vermischung der Gedanken aber , sind nicht zufällig ; sondern sie müssen durch Wissenschaft und Erfahrung erlernet werden : und diese sind eigentlich das Hauptwerk , wodurch sich der Meister vom Schüler unterscheidet , und woran es noch einer großen Anzahl von Componisten mangelt . Die Regeln der Composition , und was zum Satze gehöret , kann ein jeder erlernen ; ohne eben allzuviel Zeit darauf zu wenden . Der Contrapunct behält seine unveränderlichen Regeln , so lange als vielleicht Musik seyn wird : Die Säuberung , Reinigung , der Zusammenhang , die Ordnung , die Vermischung der Gedanken hingegen , erfodern fast bey einem jeden Stücke neue Regeln . Es pfleget also denenjenigen , die sich auf das Ausschreiben legen , oft fehl zu schlagen : so daß man bald merken kann , ob die Gedanken aus einem einzigen Kopfe ihren Ursprung haben ; oder ob sie nur auf eine mechanische Art zusammen gesetzet worden sind .
15. §.
In vorigen Zeiten wurde die Setzkunst nicht so gering geachtet , wie in gegenwärtigen : Es wurden aber auch nicht so viel Stümper in derselben
angetroffen , als itzo . Die Alten glaubeten nicht , daß man die Setzkunst ohne Unterweisung lernen könnte . Man hielte , den Generalbaß zu wissen , für nöthig , aber nicht für zulänglich , die Composition dadurch ohne weitere Anweisung , zu erlernen . Es waren nur wenige , die sich mit der Composition zu schaffen machten ; und die , so es unternahmen , bemüheten sich dieselbe gründlich zu erlernen . Heut zu Tage aber , will fast ein jeder , der nur etwas mittelmäßiges auf einem Instrumente zu spielen weis , zu gleicher Zeit auch die Composition erlernet haben . Hierdurch kommen eben so viele Misgeburten zur Welt ; so daß es kein Wunder seyn würde , wenn die Musik mehr ab , als zunähme . Denn , wenn die gelehrten und erfahrnen Componisten nach und nach abgehen ; wenn die neuern , wie itzo von vielen geschieht , sich auf das pure Naturell verlassen , und die Regeln der Setzkunst zu erlernen für überflüßig , oder wohl gar dem guten Geschmacke , und guten Gesange , für schädlich halten ; wenn der , an sich selbst vortreffliche , Opernstyl gemisbrauchet , und in Stücke eingemischet wird , wohin er nicht gehöret , so daß , wie in Welschland bereits geschieht , die Kirchen- und die Instrumentalmusiken nach demselben eingerichtet werden , und alles nach Opernarien schmecken muß : so hat man gegründete Ursachen zu befürchten , daß die Musik ihren vorigen Glanz nach und nach verlieren dörfte ; und daß es mit dieser Kunst bey den Deutschen , und bey andern Völkern , endlich ergehen möchte , wie es mit andern verlohrnen Künsten ergangen ist . Die Italiäner haben in vorigen Zeiten den Deutschen allezeit den Ruhm beygeleget , daß , wenn sie auch nicht so viel Geschmack besäßen , sie doch die Regeln der Setzkunst gründlicher verstünden , als ihre Nachbarn . Sollte nun die deutsche Nation , bey welcher der gute Geschmack in den Wissenschaften sich immer weiter ausbreitet , sich nicht bestreben , einem Vorwurfe , der ihr , wenn ihre angehenden Componisten die Unterweisung und ein fleißiges Nachforschen verabsäumen , und sich dem puren Naturelle ganz und gar anvertrauen , vielleicht mit der Zeit gemacht werden könnte , vorzubeugen ; und sollte sie sich nicht bemühen , den Ruhm ihrer Vorfahren zu erhalten ? denn nur dadurch , wenn ein hervorragendes Naturell , durch gründliche Anweisung , durch Fleiß , Mühe , und Nachforschen unterstützet wird ; nur dadurch , sage ich , kann ein besonderer Grad der Vollkommenheit erreichet werden .
16. §.
Es wolle niemand auf die Gedanken gerathen , als wenn ich verlangete , daß ein jedes musikalisches Stück nach den steifen Regeln des doppelten Contrapuncts , das ist , nach den Regeln , wie die Stimmen einzurichten sind , welche zugleich mit einander , auf eine wohlklingende Art , umgekehret , verwechselt , und versetzet werden sollen , abgemeßen werden müßte . Nein , dieses wäre eine verwerfliche Pedanterey . Ich behaupte nur , daß ein jeder Componist solche Regeln zu wissen schuldig sey ; die Künsteleyen aber da , wo es der gute Gesang erlaubet , so zu untermischen suchen müsse , daß weder am schönen Gesange , noch an der guten Ausnahme , irgend einiger Abbruch verspüret werde ; und daß der Zuhörer keinen ängstlichen Fleiß dabey bemerke : sondern daß überall die Natur hervorleuchte . Das Wort : Contrapunct , pfleget sonst bey denen , die nur dem bloßen Naturell zu folgen gedenken , mehrentheils einen widrigen Eindruck zu machen , und für überflüßige Schulfüchserey gehalten zu werden . Die Ursache ist , weil ihnen nur der Name , nicht aber die Eigenschaft und der Nutzen davon , bekannt ist . Hätten sie nur eine kleine Erkenntnis davon erlanget ; so würde ihnen dieses Wort nicht so fürchterlich klingen . Ich will eben keinen Lobredner aller Arten der doppelten Contrapuncte überhaupt abgeben : obgleich ein jeder davon , in gewisser Art , und zu rechter Zeit , seinen Nutzen haben kann . Doch kann ich auch nicht umhin , absonderlich dem Contrapunct all’ Ottava sein Recht wiederfahren zu lassen , und die genaue Kenntniß deßelben , als eine unentbehrliche Sache , einem jeden angehenden Componisten anzupreißen : weil dieser Contrapunct nicht nur bey Fugen und andern künstlichen Stücken höchst nöthig ist , sondern auch bey vielen galanten Nachahmungen und Verkehrungen der Stimmen treffliche Dienste thut . Daß aber die Alten in den musikalischen Künsteleyen sich zu sehr vertiefet haben , und zu weit darinne gegangen sind ; so daß sie darüber das Nothwendigste in der Musik , ich meyne das Rührende und Gefällige , fast verabsäumet haben ; ist an dem . Allein , was kann der Contrapunct dafür , wenn die Contrapunctisten mit demselben nicht recht umzugehen wissen , oder einen Misbrauch daraus machen ; und wenn die Liebhaber der Musik , aus Mangel der Erkenntniß , keinen Geschmack daran finden ? Haben es nicht alle übrigen Wissenschaften mit dem Contrapuncte gemein , daß man ohne die Kenntniß derselben , auch kein Vergnügen davon haben kann ? Z. E. Wer kann sagen , daß er an der Trigonometrie , oder der Algebra Geschmack finde , wenn
er gar nichts davon erlernet hat ? Mit der Erkenntniß und Einsicht aber , wächst auch die Achtung und Liebe zu einer Sache . Vornehme Personen laßen ihre Kinder wohl nicht allemal in der Absicht in vielerley Wissenschaften unterrichten , um Werk davon zu machen : sondern es geschieht vielmehr deswegen , daß sie in vielerley Wissenschaften eine Einsicht erlangen sollen , um bey Gelegenheit davon sprechen zu können . Wären nun alle Musikmeister auch zugleich Musikverständige ; wüßten sie ihren Untergebenen von einer künstlichen Musik richtige Begriffe beyzubringen ; ließen sie dieselben beyzeiten wohl ausgearbeitete Stücke spielen , und erkläreten ihnen den Inhalt davon : so würden sie die Liebhaber nicht nur nach und nach an solche Arten von Musik gewöhnen ; sondern die Liebhaber würden auch überhaupt mehr Einsicht in die Musik erlangen , und mehr Vergnügen daran finden . Die Musik würde dadurch in eine größere Achtung kommen , als sie nicht ist : und die wahren Tonkünstler würden für ihre Arbeit mehr Dank verdienen . Da aber die meisten Liebhaber die Musik nur mechanisch erlernen : so fällt dieser Vortheil weg ; und die Musik bleibt in desto größerer Unvollkommenheit : weil es sowohl an guten Meistern , als an folgsamen Scholaren fehlet .
17. §.
Will man wißen , was denn nun eigentlich der Gegenstand des weitern Nachforschens seyn soll ; so dienet zur Antwort : Wenn ein angehender Componist die Regeln der Harmonie , welche , ob es wohl vielen an der Kenntniß derselben fehlet , doch nur , wie gesagt , das wenigste und leichteste in der Composition sind , gründlich erlernet hat ; so muß er sich befleißigen , eine gute Wahl und Vermischung der Gedanken , nach der Absicht eines jeden Stückes , vom Anfange bis ans Ende deßelben , zu treffen ; die Gemüthsbewegungen gehörig auszudrücken ; einen fließenden Gesang zu erhalten ; in der Modulation zwar neu , doch natürlich , und im Metrum richtig zu seyn ; Licht und Schatten beständig zu unterhalten ; seine Erfindungen in eine gemäßigte Länge einzuschränken ; in Ansehung der Abschnitte , und der Wiederholungen der Gedanken , keinen Misbrauch zu begehen ; sowohl für die Stimme als Instrumente bequem zu setzen ; in der Singmusik nicht wider das Sylbenmaaß , noch weniger wider den Sinn der Worte zu schreiben ; und sowohl von der Singart , als von den Eigenschaften eines jeden Instruments , eine hinlängliche Erkenntniß zu erlangen . Ein Sänger oder Instrumentist aber muß sich angelegen seyn lassen , der Stimme oder des Instruments vollkommen mächtig
zu werden ; die Verhältniße der Töne kennen zu lernen ; in Haltung des Zeitmaaßes und im Notenlesen recht fest zu werden ; die Harmonie zu erlernen , und vornehmlich , alles was zu einem guten Vortrage erfordert wird , recht in Ausübung zu bringen .
18. §.
Wer sich in der Musik hervor zu thun wünschet ; der muß die Erlernung derselben nicht zu spät anfangen . Wer sich in solchen Jahren dazu begiebt , wenn die Gemüthskräfte nicht mehr im Wachsthume , oder wenn der Hals oder die Finger nicht mehr biegsam sind ; und also keine rechte Fertigkeit erlangen können , weder die Triller , und die kleinen feinen Auszierungen oder Propretäten , noch die Paßagien rund und deutlich zu machen : der wird nicht sonderlich weit kommen .
19. §.
Ein Musikus muß sich ferner nicht mit allzuvielen andern Dingen beschäftigen . Fast eine jede Wissenschaft erfodert ihren eigenen Mann . Es ist zwar hier keinesweges die Meynung , als ob es eine Unmöglichkeit sey , in mehr als einer Wissenschaft zugleich , vortrefflich zu seyn . Es wird aber ein gleichsam ausserordentliches Talent dazu erfodert , dergleichen die Natur nur selten hervorbringt . Viele versehen es hierinne . Einige haben die Begierde alles zu erlernen , und fallen , ihrer veränderlichen Gemüthsbeschaffenheit zufolge , von einer Sache auf die andere ; bald auf dieses , bald auf jenes Instrument ; bald auf die Composition ; bald auf andere Dinge ausser der Musik ; und erlernen , wegen ihrer Wankelmuth , weder eins noch das andere aus dem Grunde . Einige , die sich anfänglich etwa einer der höhern Wißenschaften widmen , treiben die Musik viele Jahre als ein Nebenwerk . Sie können nicht die gehörige Zeit , so die Musik erfodert , darauf wenden ; und haben weder Gelegenheit noch Mittel gute Meister zu halten , oder etwas gutes zu hören . Oefters lernen sie nichts mehr als etwa Noten lesen ; und durch einige Schwierigkeiten , ohne guten Vortrag und Geschmack , ihren Zuhörern einen blauen Dunst vor die Augen zu malen : und sofern sie das Glück haben , im Lande der Blinden einäugige Könige zu werden , und einigen Beyfall zu erhalten ; gerathen sie , aus Mangel der Erkenntniß , leicht auf den falschen Wahn , als ob sie wegen ihrer übrigen Wißenschaften , vor andern Tonkünstlern , die zwar nicht auf hohen Schulen studiret , aber doch mehr Musik als sie erlernet haben , einen Vorzug verdieneten . Einige treiben die Musik blos aus Mangel des Unterhalts , ohne den geringsten
Gefallen dran zu haben . Andere haben die Musik in ihrer Jugend mehr durch eigene Uebung , als durch richtige Grundsätze erlernet . Bey erwachsenen Jahren schämen sie sich des Unterrichts , oder glauben keiner Anweisung mehr benöthiget zu seyn . Deswegen lassen sie sich nicht gerne verbessern , sondern wollen vielmehr unter dem Namen der Liebhaber Lob verdienen . Füget es aber das Schicksal endlich nicht , daß sie durch ihre andern Wissenschaften zu einer Beförderung gelangen ; so ergreifen sie aus Noth die Musik ; mehrentheils aber bleiben sie , wegen des Verlusts der Zeit , die sie auf andere Wißenschaften haben wenden müssen ; aus Mangel des Talents , welches zu andern Wißenschaften nicht hinreichend gewesen , und nun vielleicht zur Musik noch weniger zulänglich ist ; oder aus Vorurtheil und falscher Einbildung , welche von andern keine Verbesserung ertragen kann , von der einen Seite nur halbe Gelehrte ; von der andern aber , kaum halbe Musikverständige . Denn wer zum Studiren keine hinlänglichen Naturgaben besitzt ; der hat deren vielleicht noch weniger zur Musik . Doch aber , hat ein solcher , der zugleich vom Studiren Werk machet , ein zureichendes Talent zur Musik ; und wendet bey dieser eben den Fleiß an , wie er bey jenem gethan hatte : so hat er nicht nur vor andern Tonkünstlern einen Vortheil voraus ; sondern er kann auch in der Musik überhaupt mehr Nutzen stiften , als andere : welches mit vielen Beyspielen dargethan werden kann . Denn wer da weis , wie viel Einfluß die Mathematik , sammt denen unter ihrem Bezirke stehenden Wißenschaften , die Weltweisheit , die Dichtkunst , und die Redekunst , in die Musik haben ; der wird gestehen müssen , daß die Musik nicht nur einen größern Umfang habe , als viele glauben : sondern auch , daß der bey den meisten Musikverständigen verspürte Mangel obenbemeldeter Wissenschaften , die das größte Hinderniß an weiterem Fortkommen , und die Ursache sey , warum die Musik noch nicht zu einer größern Vollkommenheit gebracht worden ist . Wie kann es aber anders seyn : da diejenigen , so die Theorie besitzen , selten in der Ausübung stark sind : und die , so sich in der Ausübung hervorthun , selten Meister in der Theorie abgeben können ? Ist es möglich die Musik , bey so gestallten Sachen zu einiger Vollkommenheit zu bringen ? Es ist demnach nöthig , jungen Leuten , die sich auf die Musik legen , ernstlich anzurathen , daß sie sich bemühen möchten , wenn ihn e n auch die Zeit nicht erlaubet , sich in allen Studien zu üben , dennoch in den obengemeldeten Wißenschaften , und hiernächst auch , in einigen der ausländischen Sprachen , keine Fremdlinge
zu bleiben . Und wer sich die Composition zu seinem Augenmerke erwählet ; dem wird eine gründliche Einsicht in die Schauspielkunst nicht undienlich seyn .
20. §.
Die Eigenliebe wohl zu ordnen und im Zaume zu halten , soll das letzte seyn , welches ich einem , der in der Musik weit zu kommen wünschet , anrathe . Ist eine unmäßige und übel geordnete Eigenliebe überhaupt sehr schädlich ; indem sie leichtlich den Verstand verdunkeln , und an der wahren Erkenntniß hinderlich seyn kann : so ist sie es gewiß auch bey der Musik ; und zwar dieses um so viel mehr , je mehr sie sich bey dieser einzuschleichen pfleget . Sie findet bey der Musik mehr Nahrung als bey andern Profeßionen , bey welchen man sich nicht , wie bey dieser , mit einem bloßen Bravo abspeisen , und aufgeblasen machen läßt . Wie viel Unordnungen hat sie nicht schon in der Musik angerichtet ? Man gefällt sich anfangs meistentheils selbst mehr , als andern . Man ist schon zufrieden , wenn man nur etwa zur Noth eine Stimme mitspielen kann ; Man läßt sich durch das unzeitige und überflüßige Loben verblenden ; und nimmt es wohl gar für einen verdienten Lohn an . Man will durchaus keinen Widerspruch , keine Erinnerungen oder Verbesserungen leiden . Sollte jemand sich dergleichen etwan aus Noth , wenn es geschehen muß , oder aus guter Meynung unterfangen : so hält man denjenigen , der so verwegen ist , augenbliklich für einen Feind . Man schmeichelt sich oftmals , bey einer sehr geringen Erkenntniß , doch sehr vieles zu wissen , und suchet sich wohl über solche zu erheben , von denen man noch lernen könnte . Ja , was noch mehr ist , man verachtet wohl gar dieselben , aus Eifersucht , Neid und Misgunst . Sollte es aber genau untersuchet werden , so bestehet solches vermeynte Wissen , bey vielen , nur aus einer Marktschreyerey , nämlich : daß man etwan einige Kunstwörter aus theoretischen Schriften ins Gedächtniß gefaßet hat ; oder daß man von den musikalischen Kunststücken zwar ein wenig zu reden , solche aber nicht zu machen weis . Hierdurch kann man sich nun zwar bey Unwissenden einiges Ansehen erwerben ; bey Musikverständigen aber , steht man in Gefahr , lächerlich zu werden : weil man denen Handwerkern gleichet , die zwar das Handwerkszeug zu nennen , aber schlecht zu gebrauchen wissen . Wie es denn verschiedene Menschen giebt , welche von einer Kunst oder Wissenschaft zwar vieles zu reden im Stande sind : in der That aber , viel weniger in der Ausübung zeigen können , als vielleicht andere ,
andere , welche weit weniger mit Worten davon pralen . Hat man es vielleicht endlich noch durch eine gute Anweisung dahin gebracht , daß man einigen Beyfall verdienet ; so rechnet man sich sogleich unter die Anzahl der Virtuosen ; und glaubet schon die erste Stufe des Parnasses überstiegen zu haben . Man schämet sich dahero eines fernern Unterrichts ; oder hält denselben für unnöthig . Man verläßt den Meister in der besten Zeit , oder in der Blüte des Wachsthums . Man suchet nicht das Urtheil erfahrner Leute sich zu Nutzen zu machen : sondern man bleibt lieber in der Unwissenheit stecken , als daß man sich ein wenig herablaßen wollte , um noch Lehren anzunehmen . Und wenn man auch allenfalls noch jemanden um diesen oder jenen Zweifel befraget : so geschieht es doch oft mehr in der Absicht gelobet zu werden , als die Wahrheit zu hören . Wer wollte endlich alle das Unheil erzählen , welches eine verkehrte Eigenliebe anrichten kann . Es sey mir genug , dargethan zu haben , daß sie , ob sie auch gleich eine falsche Zufriedenheit wirket , dennoch eine der größten Hindernisse am Wachsthum in der Musik sey .
21. §.
Zum Beschluße muß ich noch einigen , die sich durch das Vorurtheil , als ob das Blasen auf der Flöte der Brust oder Lunge schädlich sey , zur Nachricht sagen : daß solches nicht nur nicht schädlich , sondern vielmehr zuträglich und vortheilhaft sey . Die Brust wird dadurch mehr und mehr eröfnet und stärker gemachet . Ich könnte , wenn es nöthig wäre , mit Exempeln beweisen , daß einige junge Leute , die einen sehr kurzen Athem hatten , und kaum fähig waren ein paar Tacte in einem Athem zu spielen , es endlich durch das Blasen der Flöte , in einigen Jahren , dahin gebracht haben , daß sie mehr als zwanzig Tacte in einem Athem zu spielen vermögend worden . Es ist also daraus zu schließen , daß das Blasen auf der Flöte der Lunge eben so wenig schade , als das Reuten , Fechten , Tanzen und Laufen . Man muß es nur nicht misbrauchen ; und weder bald nach der Mahlzeit blasen , noch sogleich aufs Blasen , wenn die Lunge noch in einer starken Bewegung ist , einen kalten Trunk thun . Daß die Trompete eine stärkere Lunge , und noch weit mehr Kräfte des Leibes erfordere , als die Flöte ; wird niemand in Abrede seyn . Dem ungeachtet zeiget die Erfahrung , daß Leute , so sich mit der Trompete abgeben , mehrentheis ein sehr hohes Alter erreichen . Ich weis mich selbst , von meiner Jugend an , zu erinnern , daß ein junger Mensch , von sehr schwacher Leibesbeschaffenheit , ein Trompeter worden ;
und aus diesem Instrumente , nicht nur sich sehr fleißig geübet , sondern es auch ziemlich weit gebracht hat . Dieser ist nicht nur bis itzo noch am Leben ; sondern befindet sich auch wohl , und bey guten Kräften . Daß aber die Ausübung der Flöte , oder der Trompete , so wie die vorhin erwähnten Leibesübungen , einen gesunden Cörper erfodere , und keinen , der schon die Schwindsucht hat , weder heile , noch ihm sonst anzurathen sey : wird auch nicht geläugnet . Ich habe schon oben angeführet , daß zu einem jeden Musikus überhaupt , er spiele welches Instrument er wolle , kein schwacher oder siecher , sondern ein vollkommen gesunder Körper , und ein munterer und aufgeweckter Geist erfordert werde : weil beyde gemeinschaftlich wirken müssen .
Das IV. Hauptstück .
Von dem Ansatze ,
( Embouchure. )
1. §.
Die Structur der Flöte hat eine Aehnlichkeit mit der Luftröhre ; und die Bildung des Tones in der Flöte , ist der Bildung des Tones in der menschlichen Luftröhre ähnlich . Die Menschenstimme wird durch das Herausstoßen der Luft aus der Lunge , und durch die Bewegung des Kopfes der Luftröhre gewirket . Die verschiedene Stellung der Theile des Mundes , als des Gaumen , des Zapfens , der Wangen , der Zähne , der Lippen , ingleichen auch der Nase , machet , daß der Ton auf verschiedene Art , entweder gut oder schlecht , hervorgebracht wird . Wenn man die Oeffnung der Luftröhre , vermittelst der dazu gehörigen Muskeln erweitert , und also die fünf Knorpel , aus welchen der Kopf der Luftröhre besteht , unterwärts zieht ; wobey gedachter Kopf zugleich etwas kürzer wird : wenn man ferner dabey die Luft etwas langsam aus der Lunge heraus stößt : so entsteht daraus ein tiefer Ton ; welcher desto tiefer ist , je mehr sich die Oeffnung der Luftröhre erweitern läßt . Wenn man hingegen die Oeffnung der Luftröhre durch Hülfe anderer hierzu bestimmter Muskeln zusammen zieht , und die oben gedachten fünf Knorpel des Kopfes derselben sich folglich in die Höhe geben , wodurch die Luftröhre etwas enger und länger wird ; wenn man zugleich die Luft mit mehrerer Geschwindigkeit aus der Lunge heraus treibt : so entsteht daraus ein hoher Ton : und je enger diese Oeffnung wird , je höher ist der Ton . Wenn man die Zunge an den Gaumen drücket ; oder wenn man die Zähne einbeißet , daß der Mund nicht genug geöffnet ist : so wird dadurch der Ton verhindert , und nehmen daher die Hauptfehler des Singens , nämlich die sogenannte Gurgel- und Nasenstimme ihren Ursprung .
2. §.
Auf der der Flöte wird der Ton durch die Bewegung der Lippen , nachdem man dieselben , bey der Herausstoßung des Windes in das Mundloch
der Flöte , mehr oder weniger zusammen zieht , gebildet . Der Mund und seine Theile aber können ebenfalls den Ton auf vielerley Art verändern . Man hat sich also dabey ebenfalls , von allen hier möglichen Fehlern , welche weiter unten angezeiget werden sollen , zu hüten ; damit man nicht auch die obengemeldeten Fehler einiger Menschenstimmen nachahme .
3. §.
Ueberhaupt ist auf der Flöte der Ton ( sonus ) der allergefälligste , welcher mehr einem Contralt als Sopran ; oder welcher denen Tönen , die man bey dem Menschen die Bruststimme nennet , ähnlich ist . Man muß sich , so viel als möglich ist , bemühen , den Ton derjenigen Flötenspieler zu erreichen , welche einen hellen , schneidenden , dicken , runden , männlichen , doch dabey angenehmen Ton , aus der Flöte zu ziehen wissen .
4. §.
Vieles kömmt dabey auf das Instrument selbst an ; ob solches auch wegen des Tones die gehörige Aehnlichkeit mit der Menschenstimme in sich hat . Fehlet es hieran ; so ist kein Mensch vermögend , durch die Geschicklichkeit der Lippen , den Ton zu verbessern : so wenig ein guter Sänger seine von Natur schlechte Stimme schön machen kann . Einige Flöten geben einen starken und dicken ; andere einen schwachen und dünnen Ton von sich . Die Stärke und Helligkeit des Tones rühret von der Beschaffenheit des Holzes , wenn es nämlich dicht oder compact , hart und schwer ist . Der dicke und männliche Ton rühret von der inwendigen Weite der Flöte , und von der proportionirlichen Dicke des Holzes her . Der dünne schwache Ton entspringt von dem Gegentheile ; wenn nämlich das Holz porös und leicht , der inwendige Bau der Flöte enge , und die Flöte schwach von Holze ist . Die Reinigkeit der Octaven rühret nur allein von dem inwendigen Baue her , welcher jedoch auch zur Schönheit und Annehmlichkeit des Tones viel beyträgt . Wenn die Flöte zu sehr verjünget zugeht : so werden die hohen Töne gegen die tiefen zu hoch . Ist aber die inwendige Weite zu wenig verjünget : so werden die hohen Töne gegen die tiefen zu tief . Das Mundloch muß ebenfalls gut geschnitten seyn . Die reine Stimmung von einem Tone zum andern , kömmt auf einen festen und sichern Ansatz , und auf ein gut musikalisch Gehör an ; auch daß man die Verhältniß der Töne wohl verstehe . Wer bey dieser Erkenntniß die Flöte auch zugleich gut spielet , der ist im Stande , eine gute und reingestimmte Flöte zu machen . Weil aber dieses den meisten Flötenmachern fehlet ; so
ist es nicht nur was rares , einer guten Flöte habhaft zu werden ; sondern auch dadurch , bey öfterm Spielen , ein gutes Gehör zu erlangen . Es ist demnach ein großer Vortheil für einen Flötenspieler , wenn derselbe die Einsicht selbst Flöten zu verfertigen , oder wenigstens abzustimmen , besitzt . Eine neue Flöte schwindet durch das Blasen zusammen , und verändert sich mehrentheils an ihrem inwendigen Baue ; folglich muß sie wieder nachgebohret werden , um die Reinigkeit der Octaven zu erhalten . Man hat vor alten Zeiten , eine irrige Meynung gehabt , wenn man geglaubet , daß nur ein schlechter , nicht aber ein guter Spieler ein Instrument verderben , oder durch das Blasen falsch machen könne : da doch das Holz sowohl bey dem einen , als bey dem andern sich verändert ; man mag stark oder schwach , die Töne rein oder falsch spielen . Ueberhaupt hat eine ausgespielte Flöte , in so fern sie an sich gut , und rein abgestimmet ist , allezeit einen Vorzug vor einer neuen . Hat nun jemand eine Flöte von allen hier erzählten guten Eigenschaften ; so ist er glücklich : denn ein gutes und rein gestimmtes Instrument ist halb gespielet .
5. §.
Oefters aber liegt es dem ungeachtet mehr am Spieler , als am Instrumente . Wenn viele Personen , einer nach dem andern , auf eben demselben Instrumente spielen ; so wird man finden , daß ein jeder einen besondern Ton , so sich von andern unterscheidet , hervorbringt . Dieses aber rühret alsdenn nicht von dem Instrumente , sondern von dem der es spielet , her . Mancher besitzt die Gabe sowohl die Stimme als auch die Sprache anderer Menschen nachzumachen . Wenn man es aber genau untersuchet , so findet man dennoch , daß es nicht die Stimme selbst sondern nur eine Nachahmung ist . Hieraus folget , daß sowohl eine besondere Stimme , als auch ein besonderer Ton auf Instrumenten , in einem jeden Menschen von Natur liegen müsse , welche er nicht gänzlich verändern kann . Ich will nicht in Abrede seyn , daß man durch vielen Fleiß , und genaues Aufmerken , den Ton ändern , und die Aehnlichkeit mit dem Tone eines andern in etwas erlangen könne ; zumal wenn es gleich vom Anfange geschieht ; Doch weis ich aus eigener Erfahrung , daß wenn auch zwo Personen viele Jahre mit einander spielen , dennoch des einen sein Ton von dem andern immmer etwas unterschieden bleibt . Solches zeiget sich nicht nur bey der Flöte allein ; nicht nur bey allen Instrumenten deren Ton durch den Ansatz und den Bogenstrich hervorgebracht , wird :
sondern auch sogar der Clavicymbal und die Laute sind davon nicht ausgeschlossen .
6. §.
Es wird ein jeder erfahren , daß man den Ansatz auf der Flöte nicht allezeit überein , und gleich gut hat ; sondern daß der Ton immer einmal heller und angenehmer ist , als das anderemal . Bisweilen ändert sich der Ton in währendem Spielen , wenn die Schärfe des Randes von dem Mundloche , auf der Lippe , einen tiefern Eindruck gemachet hat ; bisweilen ändert er sich nicht . Dieses rühret also von der Beschaffenheit der Lippen her . Die Witterung , gewisse Speisen und Getränke , eine innerliche Hitze , und andere Zufälle mehr , können sehr leicht die Lippen auf eine Zeitlang verderben ; daß sie entweder zu hart , oder zu weich , oder auch aufgeschwollen sind . Bey diesen Umständen ist weiter nichts als die Geduld , und Vermeidung derer Dinge , so hierinne schädlich seyn können , anzurathen .
7. §.
Man kann also hieraus abnehmen , daß es keine leichte Sache sey , vom Ansatze gewiße und bestimmte Regeln zu geben . Mancher bekömmt solchen durch eine natürliche Fähigkeit ganz leicht ; mancher mit vieler Mühe ; mancher fast gar nicht . Auf die natürliche Beschaffenheit und das Gewächs der Lippen und Zähne kömmt hierbey viel an . Wenn die Lippen sehr dick , die Zähne aber kurz und ungleich sind ; so verursachet solches viel Schwierigkeit . Dem ungeachtet will ich mich bemühen davon so viel zu sagen , als möglich ist .
8. §.
Wenn man die Flöte an den Mund setzet , so ziehe man erst die Backen ein , damit die Lippen glatt werden . Hierauf setze man die Oberlippe über das Mundloch , an den Rand desselben . Die Unterlippe drücke man an die obere ; und ziehe die untere alsdenn von oben an dem Mundloche herunter , bis man fühlet , daß der unterste Rand des Mundloches fast mitten auf dem Rothen der Unterlippe sich befindet ; und das Loch , nachdem die Flöte vorher von der Oberlippe etwas abgewendet worden , von der Unterlippe halb bedecket wird . Die Luft muß , im Blasen , halb in das Mundloch , und halb über daßelbe weggehen ; damit die Schärfe des Mundloches dieselbe zerschneide : denn eben hierdurch wird der Klang verursachet . Wenn aber das Loch zu weit offen bleibt ; so wird der Ton zwar stark , aber dabey unangenehm und hölzern ; bedecket
man es hingegen mit der Unterlippe zu viel , und hält den Kopf dabey nicht in die Höhe ; so wird der Ton zu schwach , und nicht hell genug . Das allzufeste Zusammendrücken der Lippen und Zähne machet den Ton zischend ; durch das überflüßige Ausdehnen des Mundes und der Kehle wird er dumpfig .
9. §.
Das Kinn und die Lippen müssen sich im Blasen beständig , nach dem Verhalte der steigenden und fallenden Noten , vor- oder rückwärts bewegen . Von dem zweygestrichenen D an , bis an das eingestrichene D , müßen die Lippen nach und nach zurück an die Zähne gezogen , und der Lippen Oeffnung etwas länger und weiter gemachet werden : damit man in der Tiefe einen dicken und schneidenden Ton heraus bringen könne . Von dem zweygestrichenen D bis in das dreygestrichene D , muß das Kinn und beyde Lippen , nach und nach , vorwärts von den Zähnen abgeschoben werden ; doch so , daß die Unterlippe gegen der obern ein wenig vorstehe , und die Oeffnung der Lippen etwas schmaler und enger werde . Man drücke die Lippen aber nicht zu fest auf einander ; damit das Zischen der Luft nicht gehöret werde .
10. §.
Wer sehr dicke Lippen hat , der thut wohl , wenn er den Ansatz um ein klein wenig mehr auf der linken Seite suchet ; nicht aber ganz mitten auf den Lippen : denn der Wind bekömmt alsdenn mehr Schärfe , wenn er zur linken des Mundloches in den Winkel gebracht wird ; wie solches die Erfahrung besser , als man es beschreiben kann , zeiget .
11. §.
Ich will eine Richtschnur geben , wie viel man bey einer jeden Octave , das Kinn und die Lippen zurück zu ziehen , oder vorwärts zu schieben hat . Man betrachte das abgezeichnete Mundloch ( Embouchure ) s. Tab. II. Fig. 2. welches zugleich die gehörige Größe , so es auf der Flöte haben muß , darstellet . In demselben wird man vier Querlinien erblicken . Die zweyte Linie von unten zeiget die Mitte , und wie weit das Mundloch , zu dem zweygestrichenen D , mit der Lippe bedecket werden müsse . Die unterste Linie weiset , wie weit man beyde Lippen auf dem Mundloche zurück ziehen müsse , wenn man das eingestrichene D angeben will . Die dritte Linie zeiget , wie weit man die Lippen zu dem dreygestrichenen D vorwärts zu schieben habe . Und die vierte Linie , wo der Zwischenraum nur halb so viel beträgt , lehret , wie weit man die Lippen
zu dem dreygestrichenen G noch weiter vorwärts schieben müsse , als es sonst zum dreygestrichenen D nöthig ist . Die Oeffnung des Mundloches bleibt alsdenn nicht größer , als hier der Raum zwischen der vierten Linie und dem Cirkel ausweiset . Weil die Bewegung der Lippen durch eine Octave keine größere Weite einnimmt , als der Raum zwischen den hier befindlichen Linien ausmachet : so ist auch nicht möglich , die dazwischen vorkommenden sechs Töne , mit eigenen Linien zu bezeichnen . Man muß solche vielmehr durch die Beurtheilungskraft , und das Gehör zu treffen bemühet seyn .
12. §.
Wenn man nun anfangen will sich den Ansatz zu machen , und obengedachtermaßen die Flöte so an die Lippen gesetzet hat , daß das Mundloch bis an die zweyte Linie , das ist halb , bedecket ist : so blase man auf solche Art , ohne die Finger auf die Löcher zu setzen , so lange in demselben Ansatze , bis die Unterlippe so zu sagen müde wird ; und der unterste Rand des Mundloches einen Eindruck auf derselben gemachet hat . Diesen Eindruck von der Schärfe des Randes verändere man weder seitwärts , noch in gerader Linie : damit man das Gefühl bekomme , denselben Ort gleich wieder zu finden ; um den Ton , ohne viel Mühe , bald angeben zu können . Auf diese Art wird sich das zweygestrichene D hören laßen . Man spiele hierauf , in der ersten Octave , die Töne nach einander unterwärts , bis in das eingestrichene D , und ziehe die Lippen nebst dem Kinn , bey jedem Tone , nach oben angezeigtem Verhalt , zurück , bis an die unterste Linie . Alsdenn kehre man es um , und spiele dieselben Töne wieder nach einander aufwärts , bis an das vorige zweygestrichene D ; und schiebe die Lippen nebst dem Kinn eben so vorwärts , wie man solche vorher zurück gezogen hatte . Mit dieser Uebung unterhalte man sich so lange , bis man diese Töne alle , nacheinander , sicher heraus bringen kann .
13. §.
Von da an spiele man die folgenden hohen Töne , bis in das dreygestrichene D ; und schiebe dabey das Kinn und die Lippen vorwärts , von den Zähnen ab , bis an die dritte Linie ; in eben dem Verhalt , wie in der tiefen Octave , bis an die zweyte Linie , geschehen . Ferner schiebe man das Kinn und die Lippen von der dritten Linie noch weiter vorwärts , bis an die vierte Linie : so werden die dreygestrichenen Töne , bis an das G , ganz gemächlich zur Ansprache gebracht werden können . Doch
kann dieses letztere nicht eher verlanget werden , als bis man die ersten zwo Octaven , schon mit einer Leichtigkeit , heraus zu bringen fähig ist .
14. §.
Bey denen im vorigen § gemeldeten Tönen darf der Wind keinesweges verstärket oder verdoppelt werden : wie Mr. Vaucanson , in seinem mechanischen Flötenspieler , irrig lehret ; indem er vorgiebt , daß man die Octaven , auf der Flöte traversiere , nicht anders als auf solche Art , heraus bringen könne . Sie müßen vielmehr durch das Zusammenpressen der Luft in dem Mundloche der Flöte , welches aus dem Vorwärtsschieben des Kinns und der Lippen entsteht , gewirket werden : und ist jenes also eine ganz falsche und schädliche Meynung . Das Gegentheil erhellet auch daraus , weil man in der Höhe mit dem Athem länger aushalten kann , als in der Tiefe ; und also unmöglich mehr Wind drauf gehen kann . Ich gebe zu , daß die Art des Herrn Vaucanson , bey einer Flöte , so durch eine Maschine gespielet wird , nöthig sey : weil hier die Bewegungen der Lippen eingeschränket sind . Ich weis aber auch aus der Erfahrung , daß bey solchen mechanischen Flötenspielern , die Regel , daß die tiefen Töne stark , und die hohen hingegen schwach gespielet werden müssen , nicht beobachtet wird . Sollten nun die Octaven durch die Stärke und Verdoppelung des Windes herausgebracht werden ; so würde folgen , daß die hohen Töne stärker , als die tiefen angeblasen werden müßten : welches aber wider die Eigenschaft der Flöte ist , und die hohen Töne überaus rauh und unangenehm machet . Man muß sich also dadurch auf keinen Irrweg verführen laßen .
15. §.
Es ist wahr ; es giebt viele Flötenspieler , so wider diese Regeln handeln . Dieses fließt aus dem schlechten Ansatze , den sie haben : daß sie nämlich das Mundloch nicht bis an die Hälfte mit der Lippe bedecken ; sondern daßelbe zu weit offen laßen : wodurch sie des Vortheils beraubet werden , in den tiefen Tönen die Lippen zurück zu ziehen , und in den hohen Tönen dieselben genugsam vorwärts zu schieben . Weil also das Mundloch zu weit offen ist : so müssen sie die hohen Töne , aus Noth , durch stärkeres Blasen heraus zwingen . Sie wißen auch nichts von der nöthigen Bewegung des Kinns und der Lippen ; sondern lassen dieselben beständig unbeweglich stehen : da doch das Reinspielen der Flöte von dieser Bewegung großen Theils abhängt . Durch mehrere oder wenigere Oeffnung des Mundloches , kann man die Flöte , einen Viertheil , einen
halben , oder auch wohl einen ganzen Ton tiefer und höher spielen : und in der Flöte muß der innerliche Bau so beschaffen seyn , daß die Octaven etwas über sich schweben ; damit man , wenn man selbige nach dem Gehöre rein spielen will , verbunden sey , die tiefen Töne stärker , die höhern aber schwächer anzublasen ; um die über sich schwebenden Octaven , zu ihrer vollkommenen Reinigkeit zu bringen : welches aber auf keine andere Art , als durch die Bewegung des Kinns und der Lippen geschehen kann . Wird das Mundloch mit der Unterlippe so viel bedecket , als zu den hohen Tonen nöthig ist : so kann man die tiefen weder stark noch rein spielen . Zieht man aber die Lippe so weit zurück , als es die tiefen Tone erfordern ; und spielet ohne Bewegung des Kinns und der Lippen in den hohen Tönen : so fällt man in den oben schon angezeigten Fehler , nämlich den Ton pfuschend , dumpfig , und überhaupt für dieses Instrument zu stark , und zu unangenehm zu machen .
16. §.
Weil diese Regeln von den wenigsten Flötenspielern gehörig beobachtet werden ; so sind viele der Meynung , es liege am Instrumente selbst : welches doch nicht ist . Es ist zwar wahr , daß die Flöte , in einigen chromatischen Tonarten , gewisse Unvollkommenheiten an sich hat . Besitzt der Spieler aber einen guten Ansatz , ein gutes musikalisches Gehör , eine richtige Fingerordnung , und eine hinlängliche Erkenntniß des Verhalts der Töne : so kann diesem Fehler leicht abgeholfen werden .
17. §.
Es ist oben gesaget worden , daß die Octaven auf der Flöte nicht durch die Stärke und Verdoppelung des Windes ; sondern durch das Vorwärtsschieben des Kinns und der Lippen hervorgebracht werden müssen . Die Flöte hat auch hierinne mit der Menschenstimme einige Aehnlichkeit . Die Stimme besteht aus zweyerley Arten , aus der Bruststimme , und aus dem Falset , oder Fistel . Durch die letztere Art , bey welcher der Kopf der Luftröhre noch mehr zusammen gedrücket wird , kann man , ohne sich Gewalt anzuthun , in der Höhe einige Töne mehr , als mit der Bruststimme möglich ist , herausbringen . Die Italiäner , und einige andere Nationen vereinigen dieses Falset mit der Bruststimme , und bedienen sich dessen , bey dem Singen , mit großem Vortheile ; Bey den Franzosen aber ist es nicht üblich : weswegen sich dieser ihr Singen , in den hohen Tönen , öfters in ein unangenehmes Schreyen verwandelt : und eben die Wirkung thut , als wenn man auf der Flöte das Mundloch
nicht genugsam bedecket , und die hohen Töne durch stärkeres Blasen herauszwingen will . Die Bruststimme ist die natürliche ; deren man sich auch im Reden bedienet . Das Falset aber ist gekünstelt , und wird nur im Singen gebrauchet . Es nimmt allda seinen Anfang , wo die Bruststimme ihr Ende hat : Obwohl der Kopf der Luftröhre , auch bey der Bruststimme , wenn man in die Höhe geht , bey jedem Grade etwas enger und länger wird : so wird er doch bey dem Falset , um ein merkliches mehr zusammengezogen , und dabey so in die Höhe gehalten . Die Luft wird zwar nicht stärker , doch etwas geschwinder aus der Lunge herausgetrieben . Der Ton aber wird etwas weniges schwächer , als bey der natürlichen Stimme .
Aus diesem Grunde haben erfahrne Componisten zu einer Regel festgesetzet , daß man nicht ohne Noth , oder andere besondere Umstände , in Arien , noch weniger aber im Recitativ , dem Sänger außer der Bruststimme Worte auszusprechen gebe : besonders wenn die Selbstlauter u oder i darinne vorkommen . Denn die Stellung des Mundes , bey Aussprechung dieser beyden Selbstlauter , kann bey den meisten Sängern , mit der Stellung der Luftröhre bey dem Gebrauche des Falsets , sich nicht anders , als mit gewisser Unbequemlichkeit , vergleichen .
18. §.
Wie nun bey den Falsettönen die Oeffnung der Luftröhre enge wird : so wird auf der Flöte durch das Vorwärtsschieben der Lippen und des Kinns , das Mundloch enger : so daß dadurch , wenn man einen tiefen Ton vorher angegeben hat , die hohe Octave alsdenn , ohne mit der Zunge anzustoßen , anspricht . Man könnte die tiefe Octave der Flöte mit der Bruststimme ; die hohe aber mit dem Falset vergleichen . Ueberhaupt kömmt also die Flöte auch hierinne mit der Menschenstimme überein , daß , so wie bey dieser , die Oeffnung der Luftröhre , wenn man die Töne auf- oder unterwärts singt , nach Proportion der Intervalle entweder zusammen gedrücket , oder auseinander gedehnet werden muß : also auch bey jener , bey steigenden Tönen , durch das Vorwärtsschieben und Zusammendrücken der Lippen und des Kinns , die Oeffnung des Mundloches enger ; bey fallenden Tönen aber , durch das Zurück- und Auseinanderziehen der Lippen , weiter gemacht wird . Denn ohne diese Bewegung werden die hohen Töne zu stark , die tiefen zu schwach , und die Octaven unrein .
19. §.
Will man eine Uebung machen , um die Octaven auf der Flöte rein angeben zu lernen : so setze man die Flöte an den Mund , daß das
Mundloch von der Lippe bis an die zweyte Linie bedecket wird ; und ziehe hernach die Lippen und das Kinn bis an die unterste Linie zurück , und stoße das eingestrichene D an . Man blase mit einerley Stärke ; und indem man den 1. Finger zu dem zweygestrichenen D aufmachen will , schiebe man die Lippen und das Kinn zugleich vorwärts bis an die zweyte Linie : so wird man finden , daß das zweygestrichene D von sich selbst anspricht . Dieses wiederhole man so oft , bis man fühlen lernet , wie weit man die Lippen und das Kinn vorwärts schieben müße . Bey der D-Octave läßt es sich am leichtesten ausüben : weil die Oeffnung des ersten Fingers es in etwas erleichtert . Man versuche es daher um einen Ton höher , nämlich von dem eingestrichenen E zum zweygestrichenen . Hier müssen die Lippen nebst dem Kinn etwas weniger als bis an die unterste Linie gezogen , und zu der Octave etwas über die zweyte Linie vorwärts geschoben werden . Nach diesem Verhalte , der im 11. §. gelehret worden , verfahre man mit allen Tönen , so noch eine Octave über sich haben . Das Exempel Tab. II. Fig. 3. kann hierbey zum Muster dienen , und durch die Versetzung in allen Tonarten gebrauchet werden .
20. §.
Das dreygestrichene E ist eigentlich der höchste brauchbare Ton , welchen man zu allen Zeiten angeben kann . Bey den übrigen noch höhern kömmt es auf einen besonders guten Ansatz an . Wer dünne und schmahle Lippen hat , dem wird die Höhe desto leichter . Mit dicken Lippen hingegen , hat man in der Tiefe einen Vortheil . Weis man aber nur , die gehörige Weite der Fortschiebung der Lippen auf dem Mundloche , welche die gegebenen Regeln mit den Linien zeigen , sicher zu finden ; so wird es nicht mehr schwer fallen , alle Töne , sowohl in der Höhe als Tiefe , anzugeben .
21. §.
Es versteht sich also von sich selbst , daß die Lippen , bey Tönen , die stufenweise auf- oder absteigen , sich nur nach und nach bewegen ; bey springenden Noten aber , sich , nachdem es die Sprünge mit sich bringen , mehr oder weniger bewegen müßen : damit sie jederzeit , den jedem Tone auf dem Mundloche bestimmten Ort , sicher treffen mögen . Besonders merke man , daß die Töne in der tiefen Octave allezeit stärker , als die in der hohen gespielet werden müßen . Dieses ist bey springenden Paßagien absonderlich wohl zu beobachten .
22. §.
Um die Octaven anzugeben , ist also keine Verstärkung des Windes nöthig . Will man aber einen Ton , es sey in der Höhe oder Tiefe , stärker oder schwächer angeben ; so merke man , daß die Verstärkung des Windes , und das Zurückziehen der Lippen , von dem Orte , den sie bey jedem Tone auf dem Mundloche einzunehmen haben , den Ton höher ; die Mäßigung des Windes , und das Vorschieben der Lippen hingegen , den Ton tiefer mache . Will man demnach eine lange Note schwach angeben , und sie darauf in der Stärke des Tones wachsen lassen : so muß man anfangs die Lippen um so viel zurück ziehen , oder die Flöte auswärts drehen , daß der Ton , mit den andern Instrumenten , in einerley Stimmung bleibt . In währendem stärker Blasen , schiebe man die Lippen vorwärts , oder drehe die Flöte einwärts : widrigenfalls würde der Ton anfänglich zu tief , und zuletzt zu hoch werden . Will man aber eben denselben Ton wieder schwach endigen : so muß man auch die Lippen , in gehörigem Verhalte wieder zurück ziehen ; oder die Flöte auswärts drehen .
23. §.
Die Flöte hat den Naturfehler , daß einige mit Kreuzen bezeichnete Töne , nicht ganz rein , sondern daß etliche davon ein wenig zu tief , etliche ein wenig zu hoch sind . Denn bey Abstimmung der Flöte hat man darauf zu sehen , daß hauptsächlich die natürlichen Töne nach ihrer Verhältniß rein gestimmet werden . Man muß also , so viel als möglich ist , suchen , durch Hülfe des Ansatzes , und nach dem Gehöre , die mangelhaften rein zu spielen . Es ist zwar schon im vorigen Hauptstücke etwas davon erwähnet worden : damit man aber wiße , auf welche man am meisten Achtung zu geben habe ; so will ich solche hier namhaft machen .
Das ein- und zweygestrichene E mit dem Kreuze ; das ein- und zweygestrichene außerordentliche Fis ; ingleichen das zweygestrichene Gis und As , sind zu hoch . Deswegen muß man den Wind mäßigen , und die Flöte einwärts drehen .
Das ein- und zweigestrichene ordentliche Fis , ist zu tief ; muß also durch das Auswärtsdrehen , oder die Verstärkung des Windes erhöhet werden .
Das zweygestrichene D und C mit dem Erniedrigungszeichen sind zu tief . Hierbey muß man die Flöte um ein merkliches auswärts drehen .
Zu dem tiefen F , welches der schwächste Ton auf der Flöte , und auf den meisten Flöten wegen eines unvermeidlichen Mangels ihrer innerlichen
Structur zu hoch ist , muß man die Flöte einwärts drehen , und die Oberlippe ein wenig vorwärts schieben .
Wenn man in einem Stücke wechselsweise sachte und stark spielet ; so muß man zu dem erstern die Flöte so viel auswärts , und zu dem letztern um so viel einwärts drehen , als das Schwachblasen erniedriget , und das Starkblasen erhöhet .
24. §.
Wenn man nun diese Erinnerungen alle wohl in Acht nimmt ; so wird man niemals weder zu hoch noch zu tief spielen ; sondern die Flöte wird allezeit rein seyn ; welches aber außer dem nicht geschehen kann . Und so fern man sich die großen Terzen , so etwas über sich schweben müssen , im Gehöre recht bekannt machet ; so kann man sehr leicht hinter diese Vortheile kommen .
25. §.
Mit Bewegung der Brust kann man dem Tone in der Flöte auch viel helfen . Sie muß aber nicht mit einer Heftigkeit , nämlich zitternd ; sondern mit Gelaßenheit geschehen . Thäte man das Gegentheil , so würde der Ton zu rauschend werden . Eine proportionirliche Oeffnung der Zähne und des Mundes , und Ausdehnung der Kehle , verursachen einen dicken , runden , und männlichen Ton . Das Hin- und wiederziehen der Lippen machet den Ton zugleich schwebend und annehmlich . Man hüte sich , in der zweyten Octave , die Oberlippe der untern vorzuschieben .
26. §.
Endlich ist noch zu merken , daß , wenn man die Flöte mäßigen , und etwas schwächer spielen will , wie es im Adagio erfodert wird , man das Mundloch ein wenig mehr , als oben gelehret worden , mit der Lippe bedecken müße . Weil aber die Flöte hierdurch etwas tiefer wird : so ist eben nöthig daß man , an dem in dem Kopfstücke befindlichen Propfe , eine Schraube habe ; vermittelst welcher man denselben , um die Flöte so viel zu erhöhen , als das schwächer Spielen , und die mehrere Bedeckung des Loches austrägt , aus seiner ordentlichen Lage , um einen guten Meßerrücken breit , tiefer in die Flöte hinein drücken könne : s. den 10. 11. 12. §. des I. Hauptstücks . Hierdurch wird die Flöte um so viel verkürzet , und folglich höher : und man kann auf solche Art , mit den übrigen Instrumenten , allezeit in einerley Stimmung bleiben .
Das X. Hauptstück .
Was ein Anfänger , bey seiner besondern Uebung , zu beobachten hat .
1. §.
Ich habe bereits gesaget , und wiederhole es hier noch einmal , daß ein Anfänger , der die Flöte traversiere gründlich zu erlernen gedenket , neben dieser meiner Anweisung , noch des mündlichen Unterrichts eines guten Meisters nöthig habe . Die schriftliche Anweisung zeiget wohl einen richtigen Weg , wie man eine Sache erlernen soll ; sie verbessert aber die Fehler nicht , welche bey der Ausübung , absonderlich im Anfange , häufig begangen werden . Der Anfänger selbst wird deren nicht allezeit gewahr : und wenn sie nicht von dem Meister beständig angemerket werden ; so werden sie bey dem Lernenden zur Gewohnheit , und endlich zur andern Natur . Es kostet alsdenn in der Folge mehr Mühe und Fleiß , sich des Bösen wieder zu entschlagen , als das Gute anzunehmen . Weis aber ein Lehrbegieriger sich bey seiner besondern Uebung nicht zu helfen ; hat er das , so ihn sein Meister gelehret , entweder nicht recht begriffen , oder gar wieder vergessen ; wären etwan , zum Unglücke , gar die Grundsätze seines Meisters nicht richtig : so kann er sich durch gegenwärtige Anweisung aus seinem Irthume reissen , und auf dem rechten Wege bleiben . Zu dem sind in einer jeden Wissenschaft , die nicht pur mit dem Verstande allein gefasset werden muß , sondern zu der auch die äusserlichen Sinne , und die Glieder , das ihrige beytragen müssen , einige sogenannte Handgriffe höchst nöthig .
2. §.
Ich will erstlich das nothwendigste von dem , was ich größten Theils in den vorigen Hauptstücken weitläuftig erkläret habe , hier in der Kürze wiederholen :
damit man solches mit desto größerer Bequemlichkeit beysammen finden , öfter überlesen , und also desto leichter ins Gedächtniß fassen könne .
3. §.
Ein Anfänger muß des linken Daumen eingedenk seyn , um die Flöte damit fest zu halten . Die Flöte muß er fest an den Mund drücken . Er muß sich hüten , daß er den kleinen Finger , sowohl beym tiefen , als beym mittelsten E und F , auf der Klappe nicht liegen lasse . Er gewöhne sich nicht , aus Nachläßigkeit , einen oder den andern Finger der rechten Hand , bey denen Tönen , welche die linke allein greift , auf den Löchern liegen zu lassen .
Die Finger muß er weder ungleich , noch gar zu hoch aufheben . Ob man es hierinne recht mache , kann man am besten bemerken , wenn man bey Ausübung der Passagien , wo beyde Hände wechselsweise zu thun haben , sich vor den Spiegel stellet . Doch dürfen die Finger auch nicht gar zu nahe über die Löcher gehalten werden : sonst werden die Töne nicht nur zu tief und unrein ; sondern ihr Klang wird auch pfuschend .
Die Flöte muß nicht bald ein- bald auswärts gedrehet werden : sonst wird der Ton entweder tiefer , oder höher , als er seyn soll .
Den Kopf darf man in währendem Spielen nicht vorwärts herunter hengen ; als wodurch das Mundloch gar zu sehr bedecket , und der Wind im Steigen verhindert wird .
Die Arme müssen ein wenig vom Leibe ab , und in die Höhe gehalten werden .
Ein Anfänger muß sich hüten , daß er mit dem Kopfe , Leibe , oder Armen keine unnöthigen und ängstlichen Geberden mache : als welches , ob es gleich zur Hauptsache nicht gehöret , dennoch bey den Zuhörern einen Ekel verursachen kann .
Die Töne muß er , nach der Fingerordnung , sowohl rein greifen , als auch rein anblasen .
Auf die Bewegung des Kinns und der Lippen , bey steigenden und fallenden Noten , muß er wohl Acht haben .
Er muß die Flöte in den hohen Tönen , nach gehörigem Verhalte schwach , und in den tiefen , besonders bey springenden Passagien , stark anblasen .
In Ansehung der Stärke des Tones , muß er sich überhaupt in Acht nehmen , daß er niemals ein Stück in der äussersten Stärke oder Schwäche spiele : damit er allezeit den Vortheil behalte , wenn es erfodert wird ,
bey dem Forte noch ein Fortissimo , und bey dem Piano noch ein Pianissimo ausdrücken zu können . Dieses kann durch nichts anders , als durch die Verstärkung oder Mäßigung des Windes geschehen . Immer in einerlei Farbe zu spielen , würde endlich einen Ekel verursachen .
Die Bewegung der Brust oder Lunge muß er nicht faul gewöhnen ; sondern den Wind , durch eine abwechselnde Verstärkung und Mäßigung , immer in Lebhaftigkeit zu unterhalten suchen : zumal im Allegro .
Mit dem Athemholen muß er niemals bis aufs äußerste warten ; noch weniger zur unrechten Zeit Athem nehmen . Widrigenfalls würde er jeden Gesang , der an einander hängen soll , zertrennen , und unverständlich machen .
Mit dem Fuße muß er allezeit den Tact markiren , nämlich in langsamen Stücken die Achttheile , und in geschwinden die Viertheile .
Die Zunge muß immer mit den Fingern übereinkommen , und ja nicht faul oder schläfrig gewöhnet werden . Denn hiervon hängt die Lebhaftigkeit und Deutlichkeit des Vortrages ab . Deswegen muß die Zunge , mir ti am meisten geübet werden .
In den Passagien muß er nicht nur auf die Noten , sondern auch insonderheit auf die dazu gehörigen Finger denken ; damit er nicht die Finger in der Zeit aufhebe , wenn er die Löcher bedecken soll . Wenn man noch nicht genug im Notenlesen und im Tacte geübet ist , fällt man leicht in diesen Fehler .
Er muß niemals ein Stück geschwinder spielen , als er im Stande ist , solches in einerley Tempo auszuführen ; sondern die Noten deutlich ausdrücken , und was die Finger nicht gleich machen können , öfters wiederholen .
4. §.
Auf alle die hier angeführten Dinge muß auch der Meister , währender Lection , insbesondere fleißig Achtung geben ; damit er dem Scholaren nichts übersehe , und dieser sich nicht dergleichen Fehler angewöhne . Deswegen muß sich der Meister , dem Scholaren , im Spielen , zur rechten Hand setzen , um alles desto leichter bemerken zu können .
5. §.
Für einen Anfänger ist nöthig , daß er zur Uebung des Ansatzes , der Zunge , und der Finger , erstlich ganz kleine und leichte Stücke erwähle : damit das Gedächtniß nicht mehr beschweret werde , als die Zunge , und die Finger . Solche Stücke können aus leichten Tönen , als :
G dur , C dur , A moll , F dur , H moll , D dur , und E moll gesetzet seyn . Hat er aber Ansatz , Zunge und Finger zu einiger Fähigkeit gebracht ; so kann er alsdenn unternehmen aus schwereren Tönen zu spielen : Z. E. aus dem A dur , E dur , H dur , Cis moll , B dur , G moll , C moll , Dis dur , F moll , B moll , und As dur . Diese Töne werden zwar einem Anfänger etwas schwer zu seyn scheinen : er wird es aber doch nicht so sehr empfinden , weil ihm noch alles schwer vorkömmt ; als wenn er erst nach langer Zeit , wenn er schon eine Fertigkeit im Spielen erlanget hat , aus gedachten Tönen zu spielen unternehmen wollte : indem er sich alsdenn einer neuen Schwierigkeit , die ihn vielleicht auf lange Zeit davon abhalten dürfte , unterwerfen muß .
6. §.
Um die einfache Zunge mit ti zu egalen Stößen zu gewöhnen , sind solche Stücke am leichtesten , die in einerley Art von springenden Noten bestehen , es mögen Achttheile oder Sechzehntheile , im geraden , oder im Sechsachttheil- oder Zwölfachttheiltacte , wie in Giquen vorkömmt , seyn .
7. §.
Zur Zunge mit tiri schicken sich hingegen die punctirten Noten besser , als die voll gleicher Geltung : wie die Exempel bey dem II. Abschnitte des VI. Hauptstücks bezeigen . Man muß also dergleichen Stücke , sowohl im geraden als ungeraden Tacte , auch Giquen , und Canarieen , zur Uebung vornehmen .
8. §.
Wenn ein Anfänger nun , sowohl in den Fingern , als auch im Notenlesen zu einiger Fertigkeit gelanget ist , so kann er hierauf die Doppelzunge mit did’ ll desto mehr treiben : um solche , nach den schon gegebenen Regeln , durch einige schwerere und längere Passagien , zu mehrerer Vollkommenheit zu bringen . Hierzu muß er sich anfangs leichte Passagien , so mehr stufenweise als springend gesetzet sind , aus Solo und Concerten aussuchen , und selbige erst langsam , hernach aber immer etwas geschwinder spielen ; um die Zunge und Finger mit einander zu vereinigen .
9. §.
Um aber zu verhüten , daß die Zunge , ihrer natürlichen Neigung nach , nicht vor den Fingern voraus gehe , muß die Note , worzu bey der Doppelzunge das di kömmt , allezeit ein wenig angehalten , und markiret werden. s. VI. Hauptstück , III. Abschnitt , 5. und 15. §. Man markire
also , im gemeinen geraden Tacte : die erste von vier Sechzehntheilen ; bey Triolen : die erste Note von dreyen ; bey Zwey und dreyßigtheilen : die erste von achten ; im Allabreve : die erste von vier Achttheilen ; im Tripeltacte , die Noten mögen Achttheile oder Sechzehntheile seyn : die erste im Niederschlage . Dieses ist nicht nur das Mittel die Zunge in Ordnung zu erhalten : sondern es dienet auch dazu , daß man sich nicht angewöhne zu eilen ; welches im Spielen ein großer Fehler ist : und wodurch öfters verursachet wird , daß die Hauptnoten des Gesanges , nicht wie sie sollen , in die gehörige Zeit der dazu gesetzeten Grundnote treffen : welches , wie leicht zu erachten , eine sehr üble Wirkung thun muß .
10. §.
Damit die Zunge und die Finger zu rechter Fertigkeit gelangen mögen , muß ein Anfänger , eine geraume Zeit , nichts anders als solche Stücke spielen , die in lauter schweren , springenden und rollenden Passagien bestehen ; sowohl aus Moll- als aus Durtönen . Die Triller muß er durch alle Töne täglich üben , um sie jedem Finger geläufig zu machen . Wofern er diese beyden Stücke unterläßt , wird er niemals in den Stand kommen , ein Adagio reinlich und nett zu spielen . Denn zu den kleinen Manieren wird eine größere Geschwindigkeit erfodert , als zu den Passagien selbst .
11. §.
Es ist keinem Anfänger zu rathen , sich vor der Zeit mit galanten Stücken , oder gar mit dem Adagio einzulassen . Die wenigsten Liebhaber der Musik erkennen dieses ; sondern die meisten haben eine Begierde da anzufangen , wo andere aufhören , nämlich mit Concerten und Solo , worinn das Adagio mit vielen Manieren , welche sie doch noch nicht begreifen , ausgezieret wird . Sie halten wohl denjenigen Meister , welcher hierinne freygebiger ist als ein anderer , für den besten . Sie gehen aber hierdurch eher hinter sich , als vor sich ; und müssen öfters , wenn sie sich schon viele Jahre gemartert haben , wieder von vorn , nämlich die ersten Gründe zu erlernen , anfangen . Hätten sie anfänglich die gehörige Geduld , welche zu dieser Wissenschaft erfodert wird ; so würden sie in ein paar Jahren weiter kommen , als sonst in vielen .
12. §.
Es ist deswegen auch übel gethan , wenn ein Anfänger , ehe er sich noch eine Sicherheit im Tacte und im Notenlesen zuwege gebracht hat , sich öffentlich will hören lassen . Denn , durch die Furcht , welche aus der
Ungewißheit entsteht , wird er sich viele Fehler angewöhnen , wovon er sich nicht so leicht wieder befreyen kann .
13. §.
Nachdem sich nun ein Anfänger eine geraume Zeit , auf die oben beschriebene Art , mit der Zunge , den Fingern , und im Tacte geübet hat ; so nehme er solche Stücke vor , die mehr singend sind , als die obengedachten , und wo sich sowohl Vorschläge als Triller anbringen lassen : damit er einen Gesang cantabel und nourissant , das ist mit unterhaltener Melodie , spielen lerne . Hierzu sind die französischen , oder die in diesem Geschmacke gesetzeten Stücke viel vortheilhafter , als die italiänischen . Denn die Stücke im französischen Geschmacke sind meistentheils charakterisiret , auch mit Vorschlägen und Trillern so gesetzet , daß fast nichts mehr , als was der Componist geschrieben hat , angebracht werden kann . Bey der Musik nach italiänischem Geschmacke aber , wird vieles der Willkühr und Fähigkeit dessen der spielet , überlassen . In diesem Betrachte ist auch die französische Musik , wie sie in ihrem simpeln Gesange mit Manieren geschrieben ist , wenn man nur die Passagien ausnimmt , sklavischer und schwerer auszuführen , als nach itziger Schreibart die italiänische . Jedoch da zur Ausführung der französischen , weder die Wissenschaft des Generalbasses , noch eine Einsicht in die Composition erfodert wird ; da im Gegentheil dieselbe zur italiänischen höchst nöthig ist : und zwar wegen gewisser Gänge , welche in der letztern mit Fleiß sehr simpel und trocken gesetzet werden , um dem Ausführer die Freyheit zu lassen , sie nach seiner Einsicht und Gefallen mehr als einmal verändern zu können , um die Zuhörer immer durch neue Erfindungen zu überraschen : so ist auch dieser Ursachen wegen , einem Anfänger nicht zu rathen , sich vor der Zeit , ehe er noch einige Begriffe von der Harmonie erlanget hat , mit Solo nach dem italiänischen Geschmacke einzulassen ; wofern er sich nicht selbst an seinem Wachsthume hinderlich seyn will .
14. §.
Er nehme also , nach der im vorigen §. gegebenen Anweisung , wohl ausgearbeitete , und von gründlichen Meistern verfertigte Duetten und Trio , worinne Fugen vorkommen , zur Uebung vor , und halte sich eine geraume Zeit dabey auf . Es wird ihm zum Notenlesen , zu Haltung des Tactes , und zum Pausiren sehr dienlich seyn . Vorzüglich will ich Telemanns , im französischen Geschmacke gesetzte Trio , deren er viele schon vor dreyßig und mehrern Jahren verfertiget hat , wofern man ihrer , weil
sie nicht in Kupfer gestochen sind , habhaft werden kann , zu dieser Uebung vorschlagen . Es scheint zwar die sogenannte gearbeitete Musik , und besonders die Fugen , itziger Zeit , sowohl bey den meisten Tonkünstlern , als Liebhabern , gleichsam als eine Pedanterey in die Acht erkläret zu seyn : vielleicht weil nur wenige den Werth und den Nutzen derselben einsehen . Ein Lehrbegieriger aber muß sich durch Vorurtheile nicht davon abschrecken lassen ; er kann vielmehr versichert seyn , daß ihm diese Bemühung zu seinem größten Vortheile gereichen werde . Denn kein vernünftiger Musikus wird läugnen , daß die gute sogenannte gearbeitete Musik eines von den Hauptmitteln sey , welches sowohl zur Einsicht in die Harmonie , als zur Wissenschaft , einen natürlichen und an sich guten Gesang gut vorzutragen , und noch schöner zu machen , den Weg bahne . Man lernet auch hierdurch beym ersten Anblicke treffen , oder wie man saget , vom Blatte ( à livre ouvert ) spielen : wozu ein anderer , durch bloße einfache melodiöse Stücke , so das Gedächtniß leicht fassen kann , nicht so bald gelangen , sondern lange Zeit ein Sklave des Auswendiglernens verbleiben wird . Ein Flötenist hat zumal weniger Gelegenheit vom Blatte spielen zu lernen , als ein anderer Instrumentist : denn die Flöte wird , wie bekannt , mehr zum Solo , und zu concertirenden , als zu Ripienstimmen gebrauchet . Es ist ihm also zu rathen , wofern er die Gelegenheit darzu haben kann , auch bey öffentlichen Musiken die Ripienstimmen mit zu spielen .
15. §.
Bey Ausübung der Duetten , Trio , u. d. gl. wird einem Anfänger sehr nützlich seyn , wenn er wechselweise bald die erste , bald die zweyte Stimme spielet . Durch die zweyte Stimme lernet er nicht nur , wegen der Imitationen , dem Vortrag seines Meisters am besten nachzuahmen ; sondern er gewöhnet sich auch nicht an das Auswendiglernen , welches am Notenlesen hinderlich ist . Er muß das Gehör beständig , auf die so mit ihm spielen , besonders auf die Grundstimme richten : wodurch er die Harmonie , den Tact , und das Reinspielen der Töne desto leichter wird erlernen können . Wofern er aber dieses verabsäumet , bleibt sein Spielen allezeit mangelhaft .
16. §.
Es wird einem Anfänger ein großer Vortheil zuwachsen , wenn er sich , in den Passagien die Arten der Transpositionen , in welchen ein Tact mit dem andern eine Aehnlichkeit hat , wohl bekannt machet . Denn hierdurch kann man öfters eine Fortsetzung derselben , von etlichen Tacten , voraus
aus wissen , ohne jede Note besonders anzusehen : welches bey einer großen Geschwindigkeit nicht allezeit möglich ist .
17. §.
Hat sich nun ein Anfänger eine geraume Zeit mit Passagien , und gearbeiteten Stücken geübet ; die Zunge und die Finger geläufig , und das , was ich bisher gelehret habe , sich so bekannt gemacht , daß es ihm gleichsam zur andern Natur geworden : so kan er alsdenn einige im italiänischen Geschmacke gesetzete Solo und Concerten vornehmen ; doch solche , in denen das Adagio nicht gar zu langsam geht , und die Allegro mit kurzen und leichten Passagien gesetzet sind . Er suche den simpeln Gesang im Adagio , mit Vorschlägen , Trillern , und kleinen Manieren , so wie in den beyden vorigen Hauptstücken gelehret worden , auszuzieren ; und fahre damit so lange fort , bis ihm der Gebrauch davon geläufig wird , und er im Stande ist einen simpeln Gesang , ohne vielen willkührlichen Zusatz , proper und gefällig zu spielen . Scheint ihm aber diese Art der Auszierung , bey manchem Adagio , das etwan sehr platt und trocken gesetzet ist , nicht zulänglich zu seyn ; so will ich ihm auf das XIII. und XIV. Hauptstück , von den willkührlichen Veränderungen , und von der Art das Adagio zu spielen , verwiesen haben , woraus er sich mehrern Rath wird erholen können .
18. §.
Hierbey wird er zu desto größerer Vollkommenheit gelangen , wenn er nebst der Flöte , wo nicht die Setzkunst , doch zum wenigsten die Wissenschaft des Generalbasses erlernet . Hat er Gelegenheit die Singkunst entweder vor , oder wenigstens gleich mit der Flöte zu erlernen : so will ich ihm dieses besonders anrathen . Er wird dadurch desto leichter einen guten Vortrag im Spielen erlangen ; und bey vernünftiger Auszierung eines Adagio , wird ihm die Einsicht in die Singkunst besonders großen Vortheil geben . Er wird also nicht ein purer Flötenspieler allein bleiben ; sondern dadurch sich auch den Weg bahnen , mit der Zeit ein Musikus , in eigentlichem Verstande , zu werden .
19. §.
Damit aber ein Anfänger auch von dem Unterschiede des Geschmackes in der Musik einen allgemeinen Begriff erlangen möge , ist nicht genug , daß er nur Stücke , so für die Flöte gesetzet sind , in Uebung bringe : er muß sich vielmehr auch verschiedener Nationen und Provinzen ihre charakterisirten Stücke bekannt machen ; und jedes davon in seiner Art
spielen lernen . Dieses wird ihm mit der Zeit mehr Vortheil schaffen , als er gleich im Anfange einzusehen vermögend ist . Die Verschiedenheit der charakterisirten Stücke findet sich bey der französischen und deutschen Musik mehr , als bey der italiänischen , und einigen andern . Die italiänische Musik ist weniger als alle andere , die französische aber fast gar zu viel eingeschränket : woraus vielleicht fließet , daß in der französischen Musik das Neue mit dem Alten öfters eine Aehnlichkeit zu haben scheinet . Doch ist die französische Art im Spielen nicht zu verachten : sondern einem Anfänger vielmehr anzurathen , ihre Propretät und Deutlichkeit , mit der italiänischen Dunkelheit im Spielen , welche mehrentheils durch den Bogenstrich , und den überflüßigen Zusatz von Manieren , worinne die italiänischen Instrumentisten zu viel , die Franzosen überhaupt aber zu wenig thun , verursachet wird , zu vermischen . Sein Geschmack wird dadurch allgemeiner werden . Der allgemeine gute Geschmack aber ist nicht bey einer einzelnen Nation , wie zwar jede sich desselben schmeichelt , anzutreffen : man muß ihn vielmehr durch die Vermischung , und durch eine vernünftige Wahl guter Gedanken , und guter Arten zu spielen , von verschiedenen Nationen zusammen tragen , und bilden . Jede Nation hat in ihrer musikalischen Denkart sowohl etwas angenehmes , und gefalliges , als auch etwas widerwärtiges . Wer nun das Beste zu wählen weiß ; den wird das Gemeine , Niedrige und Schlechte nicht irre machen . Im XVIII. Hauptstücke werde ich hiervon weitläuftiger handeln .
20. §.
Ein Anfänger muß deswegen auch suchen , so viel gute Musiken , welche einen allgemeinen Beyfall finden , anzuhören , als er nur immer kann . Hierdurch wird er sich den Weg zum guten Geschmacke in der Musik , sehr erleichtern . Er muß suchen nicht allein von einem jeden guten Instrumentisten , sondern auch von guten Sängern zu profitiren . Er muß sich deswegen erstlich die Töne wohl ins Gedächtniß fassen ; und wenn er z. E. jemanden auf der Flöte spielen höret , muß er sogleich den Hauptton , woraus gespielet wird , bemerken ; um die folgenden desto leichter beurtheilen zu können . Um zu wissen ob er den Ton errathen habe , kann er zuweilen auf die Finger des Spielenden sehen . Es wird ihm dieses Errathen jeder Töne noch leichter werden , wenn er sich zuweilen , von seinem Meister , ganz kleine und kurze Passagien vorspielen läßt ; um solche , ohne auf desselben Finger zu sehen , nachzumachen : und hiermit muß er so lange fortfahren , bis er im Stande ist , alles was er höret gleich nachzuspielen .
Auf diese Art wird er also das Gute , so er von einem und dem andern höret , nachahmen , und sich zu Nutze machen können . Noch leichter wird ihm dieses werden , wenn er zugleich von dem Claviere und der Violine etwas versteht : weil doch selten eine Musik ohne die gedachten Instrumente aufgeführet wird .
21. §.
Von guten musikalischen Stücken sammle sich ein Anfänger so viel , als er nur immer haben kann , und nehme sie zu seiner täglichen Uebung vor : so wird sich auch dadurch sein Geschmack , nach und nach , auf eine gute Art bilden ; und er wird das Böse vom Guten unterscheiden lernen . Wie jedes Stück , wenn es gut seyn soll , beschaffen seyn müsse , davon wird man im XVIII. Hauptstücke dieser Anweisung die nöthigsten Nachrichten finden . Ein Anfänger thut wohl , wenn er lauter Stücke zu seiner Uebung erwählet , die dem Instrumente gemäß , und von solchen Meistern verfertiget worden sind , deren Verdienste man an mehr als einem Orte kennet . Er darf sich nicht daran kehren , ob ein Stück ganz neu , oder schon etwas alt ist . Es sey ihm genug , wenn es nur gut ist . Denn nicht alles , was neu ist , ist deswegen auch zugleich schön . Er hüte sich vornehmlich für den Stücken der selbst gewachsenen Componisten , welche die Setzkunst weder durch mündliche , noch durch schriftliche Anweisung erlernet haben : denn darinne kann weder ein Zusammenhang der Melodie , noch richtige Harmonie anzutreffen seyn . Die meisten laufen auf einen Mischmasch von entlehnten und zusammen gestickten Gedanken hinaus . Viele von diesen selbst gewachsenen Componisten machen nur die Oberstimme selbst , die übrigen lassen sie sich von andern dazu setzen . Es ist demnach leicht zu erachten , daß weder eine ordentliche Verbindung der Gedanken , noch eine ordentliche Modulation beobachtet worden sey ; und daß folglich die übrigen Stimmen , an vielen Orten , haben hinein gezwungen werden müssen . Auch den Stücken der neuangehenden Componisten ist in diesem Punkte nicht allzuviel zu trauen . Hat aber einer die Setzkunst ordentlich , und zwar von einem solchen , der die Fähigkeit hat andere zu unterweisen , erlernet , und versteht vierstimmig rein zu setzen , so kann man zu seinen Arbeiten ein besseres Vertrauen fassen .
22. §.
Ein Anfänger muß sich besonders befleißigen , daß er alles was er spielet , es mögen geschwinde Paßagien im Allegro , oder Manieren im Adagio , oder noch andere Noten seyn , deutlich , und rund spielen lerne .
Hierunter wird verstanden : daß man nicht über die Noten weg stolpere ; und etwan anstatt eines Fingers , deren zweene oder drey zugleich aufhebe oder niederlege ; und also etliche Noten verschlucke : sondern daß jede Note durch das ganze Stück , nach ihrer wahren Geltung , und nach dem rechten Zeitmaaße gespielet werde . Kurz , er muß sich bemühen einen guten Vortrag , wovon in den folgenden Hauptstücken weitläufiger gehandelt werden wird , zu erlangen . Dieser gute Vortrag ist das Nöthigste , aber auch das Schwerste im Spielen . Fehlet es hieran , so bleibt das Spielen , es mag auch so künstlich und verwundernswürdig scheinen , als es immer will , doch allezeit mangelhaft ; und der Spieler erlanget niemals den Beyfall der Kenner . Deswegen muß ein Anfänger sein Spielen mit einer beständigen Aufmerksamkeit verknüpfen , und Acht haben , ob er auch jede Note so höre , wie er sie mir den Augen sieht , und wie ihre Geltung und Ausdruck erfodert . Das Singen der Seele , oder die innerliche Empfindung , giebt hierbey einen großen Vortheil . Ein Anfänger muß demnach suchen , nach und nach diese Empfindung bey sich zu erwecken . Denn sofern er von dem was er spielet nicht selbst gerühret wird ; so hat er nicht allein von seiner Bemühung keinen Nutzen zu hoffen ; sondern er wird auch niemals iemand andern durch sein Spielen bewegen : welches doch eigentlich der Entzweck seyn soll . Nun kann zwar dieses von keinem Anfänger in einer Vollkommenheit gefodert werden ; weil derselbe noch zu viel auf die Finger , die Zunge , und den Ansatz zu denken hat : auch mehr Zeit als ein paar Jahre dazu gehören . Dem ungeachtet muß doch ein Anfänger sich bey Zeiten bemühen daran zu gedenken ; um in keine Kaltsinnigkeit zu verfallen . Er muß sich bey seinen Uebungen immer vorstellen , er habe solche Zuhörer vor sich , diesem Glück befördern können .
23. §.
Die Zeit , wie lange ein Anfänger täglich zu spielen nöthig hat , ist eigentlich nicht zu bestimmen . Einer begreift eine Sache leichter , als ein anderer . Es muß sich also hierinne ein jeder nach seiner Fähigkeit , und nach seinem Naturelle richten . Doch ist zu glauben , daß man auch hierinne entweder zu viel , oder zu wenig thun könne . Wollte einer , um bald zu seinem Zwecke zu gelangen , den ganzen Tag spielen : so könnte es nicht nur seiner Gesundheit nachtheilig seyn ; sondern er würde auch , vor der Zeit , sowohl die Nerven als die Sinne abnutzen . Wollte er es aber bey einer Stunde des Tages bewenden lassen : so möchte der Nutzen sehr spät erfolgen . Ich halte dafür , daß es weder zu viel , noch zu wenig sey , wenn
ein Anfänger zwo Stunden Vormittags , und eben so viele Nachmittags , zu seiner Uebung aussetzete : aber auch unter währender Uebung , immer ein wenig ausruhete . Wer es aber endlich dahin gebracht hat , daß er alle vorkommende Passagien , ohne Mühe , reinlich und deutlich heraus bringen kann : für den ist zu seinen besondern Uebungen eine Stunde des Tages zulänglich ; um den Ansatz , die Zunge , und die Finger in gehöriger Ordnung zu erhalten . Denn durch das überflüßige Spielen , zumal wenn man schon gewiße Jahre erreichet hat , entkräftet man den Leib ; man nutzet die Sinne ab ; und verliehret die Lust und Begierde eine Sache mit rechtem Eifer auszuführen . Durch das allzulange anhaltende Schlagen der Triller , werden die Nerven der Finger steif : so wie ein Messer scharticht wird , wenn man es immerfort schleift , ohne zuweilen damit zu schneiden . Wer sich nun in allem diesem zu mäßigen weis , der genießet den Vortheil , die Flöte einige Jahre länger , als sonst , zu spielen .
Das XIII. Hauptstück .
Von den willkührlichen Veränderungen über die simpeln Intervalle .
1. §.
Der Unterschied zwischen einer nach dem italiänischen , und einer nach dem französischen Geschmacke gesetzten Melodie , ist , so weit dieser Unterschied sich aus die Auszierungen des Gesanges erstrecket , im X. Hauptstücke beyläufig gezeiget worden . Man wird daraus ersehen , das die Melodie , bey denen , so nach dem italienischen Geschmacke componiren , nicht wie bey den französischen Componisten geschieht , mit allen Manieren dergestalt ausgeführet ist , daß nicht noch etwas könne darzu gesetzet , und verbessert werden : und daß es folglich ausser denen im VIII. und IX. Hauptstücke gelehreten wesentlichen Manieren , noch andere Auszierungen giebt , welche von der Geschiklichkeit und dem freyen Willen des Ausführers abhängen .
2. §.
Fast niemand der , zumal ausserhalb Frankreichs , die Musik zu erlernen sich befleißiget , begnüget sich mit Ausführung der wesentlichen Manieren allein ; sondern der größte Theil empfindet bey sich eine Begierde , die ihn Veränderungen oder willkührliche Auszierungen zu machen antreibt . Diese Begierde ist nun zwar an sich selbst nicht zu tadeln : doch kann sie , ohne die Composition oder wenigstens den Generalbaß zu verstehen , nicht erfüllet werden . Weil es aber den meisten an der dazu gehörigen Anweisung fehlet : so geht folglich die Sache sehr langsam zu ; und es kommen dadurch viele unrichtige und ungeschikte Gedanken zum Vorscheine : so daß es öfters besser seyn würde , die Melodie so , wie sie der Componist gesetzet hat , zu spielen , als sie mehrentheils durch dergleichen schlechte Veränderungen zu verderben .
3. §.
Diesem Misbrauche nun in etwas abzuhelfen , will ich denen , so es an der hierzu nöthigen Erkenntniß noch mangelt , eine Anleitung geben , wie man bey den meisten und allgemeinen Intervallen über simple Noten , auf vielerley Art , ohne wieder die Harmonie der Grundstimme zu handeln , Veränderungen machen könne .
4. §.
Zu dem Ende habe ich die meisten Arten der Intervalle , nebst dem darzu gehörigen Basse , in eine Tabelle gebracht ; s. Tab. VIII. ; auch die Harmonie dazu , über dem Basse beziffert : da man denn , nach den dabey befindlichen Numern oder Figuren , in der Folge der Tabelle , die daraus natürlich fließenden Veränderungen , ganz deutlich wird ersehen , und solche nachgehends , in alle Tonarten , daraus man zu spielen hat , leichtlich versetzen können .
5. §.
Doch begehre ich nicht , durch diese wenigen Exempel , alle Veränderungen , so über die Intervalle zu finden möglich ist , erschöpfet zu haben : sondern ich gebe solches nur vor eine Anleitung für die Unwissenden aus . Wer so weit ist , daß er selbige gehörig anzubringen weis , dem wird alsdenn nicht schwer fallen , mehrere dergleichen zu erfinden .
6. §.
Weil aber diese Exempel , um Weitläuftigkeit zu vermeiden , nur mehrentheils in die Durtöne gesetzet , nichts desto weniger aber ebenfalls in den Molltönen zu gebrauchen sind : so ist nöthig , daß man diejenige Tonart , worinne moduliret wird , sich wohl bekannt mache ; um sich die nöthigen ♭ , oder Kreuze , welche nach Beschaffenheit der Tonart , vorgesetzet seyn müßten , gleich einbilden zu können : damit man bey den Versetzungen , nicht ganze Töne vor halbe , und halbe vor ganze nehme , und folglich wider die Verhältnisse der Tonarten verstoße . Man muß auch auf den Baß wohl Achtung geben ; ob über der Grundnote die große oder kleine Terze statt finde : und wenn derselbe , die Sexte gegen die Oberstimme hat , ob selbige groß oder klein sey ; welches in Tab. XIII. bey Fig. 13. und in Tab. XIV. bey Fig. 14. mit mehrern zu ersehen ist .
Die Exempel , so bey jeder Figur unter einen Bogen eingeschränket sind , erfodern einerley Veränderungen ; weil solche eben denselben Baß zum Grunde haben . Ausgenommen , wenn der Baß durch ein Kreuz erhöhet wird ; denn alsdenn muß die Oberstimme dergleichen thun .
Man muß Achtung geben , ob die Bewegungen der Noten , im Einklange stehen bleiben ; oder ob die Intervalle eine Secunde , Terze , Quarte , Quinte , Sexte , Septime , über oder unter sich machen ; welches bey dem ersten Tacte eines jeden Exempels zu ersehen ist ; daß also die Intervalle , die Ursachen zu den Veränderungen geben .
7. §.
Ueberhaupt muß man bey den Veränderungen allezeit darauf sehen , daß die Hauptnoten , worüber man die Veränderungen machet , nicht verdunkelt werden . Wenn Veränderungen über Viertheilnoten angebracht werden : so muß auch mehrentheils die erste Note der zugesetzten eben so heißen wie die simple : und so verfährt man bey allen Arten , sie mögen mehr oder weniger gelten , als ein Viertheil . Man kann auch wohl eine andre Note , aus der Harmonie des Basses erwählen , wenn nur die Hauptnote gleich wieder darauf gehöret wird .
8. §.
Lustige und freche Veränderungen , müssen in keine traurige und modeste Melodie eingemenget werden : oder man müßte suchen , solche durch den Vortrag angenehm zu machen ; welches alsdenn nicht zu verwerfen ist .
9. §.
Die Veränderungen müssen nur allezeit erst unternommen werden , wenn der simple Gesang schon gehöret worden ist : sonst kann der Zuhörer nicht wissen , ob es Veränderungen seyn . Auch muß man keine wohlgesetzte Melodie , welche alles zureichende Gefällige schon in sich hat , verändern : es sey denn , daß man glaubete , sie noch zu verbessern . Wenn man was verändern will , so muß es auf eine solche Art geschehen , daß der Zusatz im Singenden noch gefälliger , und in den Passagien noch brillanter sey , als er an sich selbst geschrieben steht . Hierzu aber gehöret nicht wenig Einsicht und Erfahrung . Ohne die Setzkunst zu verstehen , kann man nicht einmal dazu gelangen . Wem es nun hieran fehlet , der thut immer besser , wenn er die Erfindung des Componisten seinen eigenen Einfällen vorzieht . Mit vielen auf einander folgenden geschwinden Noten ist es nicht allezeit ausgerichtet . Sie können wohl Verwunderung verursachen , aber nicht so leicht , wie die simpeln , das Herz rühren : welches doch der wahre Endzweck , und das schwereste in der Musik ist . Gleichwohl ist hierinne ein großer Misbrauch eingeschlichen . Deswegen rathe ich , sich in den Veränderungen nicht zu sehr zu vertiefen : sondern vielmehr sich zu befleißigen , einen simpeln Gesang , nobel , reinlich und nett
zu spielen . Hängt man vor der Zeit , ehe man noch einigen Geschmack in der Musik erlanget hat , der Veränderungssucht allzusehr nach , so gewöhnet man die Seele dadurch so sehr an die vielen bunten Noten , daß sie endlich keinen simpeln Gesang mehr leiden kann . Es geht derselben in diesem Falle wie der Zunge . Wenn man diese einmal an stark gewürzte Speisen gewöhnet hat , so schmecket ihr keine sonst gesunde einfache Speise mehr . Wenn aber der noble simple Gesang denjenigen , so ihn vorträgt , selbst nicht rühret ; so kann er auch bey den Zuhörern wenig Eindruck machen .
10. §.
Ungeachtet ich nun glaube , daß die meisten der in den hierzugehörigen Tabellen gegebenen Exempel deutlich genug sind , zu beweisen , wie vielfältig die Intervalle können verändert werden : so soll doch noch zum Ueberflusse , ein jedes Exempel nach seiner Art , in der Kürze , um es den Lehrbegierigen nützlicher und begreiflicher zu machen , besonders erkläret werden .
11. §.
Man nehme also die Exempel der Veränderungen , nebst dem darzu gehörigen Basse , aus den Tabellen , nach ihrer Ordnung zur Hand ; um gleich nachzusehen , wie solche sowohl zu verstehen , als zu gebrauchen sind . Bey einem jeden Abschnitte , weisen die Numern auf die Exempel der simpeln Gänge , aus dem Anfange der Tabelle , so aus Viertheilnoten , und worüber verändert wird , bestehen . Die doppelt über einander gesetzeten Noten ohne Strich , zeigen den Accord einer jeden zu verändernden Note ; was selbige vor Intervalle , sowohl unter als über sich hat , und woraus die Veränderungen ihren Ursprung nehmen . Die Noten mit einem Striche in die Höhe , so sich in der Mitte der Accorde finden , sind die Hauptnoten des simpeln Gesanges . Die übrigen Noten , worüber die Buchstaben stehen , sind eigentlich die Veränderungen , über die Viertheilnoten zu Anfange eines jeden Exempels , wie folgendermaßen zu ersehen ist .
Man merke hierbei , daß wenn ich , in Beschreibung der Hauptnoten des Accordes , die Intervalle , welche derselbe in sich hat , anführe ; ich solche nicht nach dem Generalbasse von der Grundnote aus , rechne ; sondern von der in der Oberstimme zu verändernden Note , entweder über oder unter sich , abzähle . Diejenigen , welche von der Harmonie und dem Generalbasse gar nichts verstehen , und nur nach dem Gehöre verändern müssen , als denen hauptsächlich zu Gefallen ich hier etwas weitläuftig bin , können sich die Intervalle auf der XVI. Tab. bey Fig. 27. 28. bekannt machen , damit sie solche zum wenigsten nach dem Gesichte finden können . Sie können solche aus der Distanz der Noten , die entweder auf der Linie , oder dem Zwischenraume stehen , und wie weit die Sprünge gehen ,
ersehen . Von einem Zwischenraume auf den andern , ist eine Terze ; vom Raume auf die zweyte Linie eine Quarte ; bis auf den dritten Raum eine Quinte ; vom Raume bis auf die dritte Linie eine Sexte ; bis auf den vierten Raum eine Septime ; vom Raume bis auf die vierte Linie eine Octave . Um sich diese Exempel recht einzudrücken , thut man wohl , wenn man dieselben einen Ton höher oder tiefer transponiret : da denn die Noten , so hier auf dem Raume stehen , alsdenn auf die Linien , und umgekehrt , die auf den Linien , auf den Raum kommen . Hier durch kann man sich die Intervalle einer jeden Art leicht bekannt machen . Doch ist allezeit besser dieselben vermittelst Erlernung des Generalbasses kennen zu lernen .
12. §.
Tab. IX. Fig. 1 . Der Einklang leidet , wie hier zu sehen ist , keine andern Veränderungen , als die , welche im Accorde liegen ; wenn nämlich der Baß auf der Grundnote stehen bleibt , oder stufenweise unterwärts geht . Hat aber der Baß melodiöse Noten , welche entweder springend oder stufenweise durch Achttheile oder Sechzehntheile , über oder unterwärts gehen : so kann von diesen Veränderungen keine andere gebrauchet werden , als ( a ) ( h ) ( s ) ( t ) ( u ) um nicht übellautende Klänge zu verursachen .
13. §.
Fig. 2 . Von diesen drey Noten , welche aus dem Grundtone C durch die Secunde D in die Terze E aufwärts gehen , hat die erste , in ihrem Accorde , die Terze und Quinte über , und die Quarte und Sexte unter sich , ( welches letzte nur eine Wiederholung der Terze und Quinte ist . ) Und weil der Accord aus dreyen Tönen , nämlich aus der Terze und Quinte über den Grundtone besteht ; so geschieht die Wiederholung durch die Octave , entweder tiefer oder höher : welches ich ein vor allemal erinnert haben will . Die zweyte Note D , hat die Terze und Quinte , ( welche Quinte die Grundnote des Basses ist , ) unter , die Quarte und Sexte aber , über sich . Die dritte Note E , ( als die Terze über dem Basse ) hat Terze und Sexte sowohl über , als unter sich ; und werden auf diese Art , die Veränderungen gemacht , wie (n ) die obersten , und ( z ) die untersten Intervalle des Accords , zeigen .
14. §.
Fig. 3 . Bey diesen dreyen unter sich gehenden Noten , hat es nicht gleiche Bewandtniß ; weil selbige in der Quinte über dem Basse anfangen , und stufenweise in die Terze gehen ; da denn die erste Note D die Terze und Quinte , ( welche Quinte die Grundnote im Basse ist , ) unter , die Quarte und Sexte aber über sich hat . Die zweyte Note C hat die Terze ,
kleine Quinte , und Septime ( welche letzte die Grundnote des Basses ist , ) unter , die übermäßige Quarte , und Sexte aber , über sich . Die dritte Note H ( als Terze über dem Basse , ) hat die Terze und Sexte sowohl über , als unter sich . ( v ) s. Tab. X. zeiget die obersten , und ( w ) die untersten Intervalle des Accords an .
15. §.
Tab. X. Fig. 4 . Ob gleich diese vier Noten , den dreyen , bey Fig. 2. ähnlich zu seyn scheinen : so machet doch der darunter befindliche Baß einen Unterschied ; weil diese in der Terze , jene aber im Grundtone anfangen ; allwo das Intervall bey der ersten Note , die Quarte unter sich , s. in Fig. 2. ( e ) , dieses aber bey jeder Note , die Terze sowohl unter , als über sich hat , s. ( a ) ( b ) ; weswegen bey beyden nicht einerley Veränderungen statt finden . Die erste Note E hat also zu ihrem Accorde , sowohl die Terze und Sexte unter , als über sich . Die zweyte Note F hat die Terze und kleine Quinte unter , die übermäßige Quarte und Sexte über sich . Die dritte Note G hat die Terze und Quinte unter , die Quarte und Sexte über sich . Die vierte Note A hat die Terze über , die Terze , Quinte und Sexte unter sich : weil das Intervall von A ins H unterwärts eine Septime ausmachet , wovon bey Fig. 13 , ein mehreres berichtet werden soll .
16. §.
Fig. 5 . Diese fünf unterwärts gehenden Noten , haben eben so wenig Gleichheit mit den dreyen bey Fig. 3 , als die vorigen bey Fig. 4. mit denen bey Fig. 2. Obschon die erste A , über der Baßnote F , die Terze ist ; so muß doch selbige als eine Sexte vom Grundtone C angesehen werden ; weil dieser Gang in der Tonart C , und nicht im F moduliret : da sonst anstatt der durchgehenden Note H , zwischen A und C , müßte B genommen werden . Die erste Note A , hat zu ihrem Accorde sowohl die Terze und Sexte unter , als über sich . Die zweyte Note G , hat die Terze und Quinte unter , die Quarte und Sexte über sich . Die dritte Note F , hat die Terze und kleine Quinte unter , die übermäßige Quarte und Sexte über sich . Die vierte Note E , hat die Terze und Sexte sowohl unter , als über sich . Die fünfte Note D , hat die Terze und Quinte unter , die Quarte und Sexte über sich ; und ist bey ( l ) der zu jeder Note gehörige Accord durch Sechzehntheile ausgedrücket zu finden .
17. §.
Tab. XI. Fig. 6 . Diese drey Noten müssen mit denen von Fig. 4. ebenfalls nicht verwechselt werden . Ob sie schon beyde ihren Anfang in der Terze nehmen , und stufenweise aufwärts gehen : so ist doch der Unterschied , daß jene in ihrem natürlichen Tone moduliren , diese aber durch das Fis , als die übermäßige Quarte , in die Tonart G ausweichen . Und weil der Baß , indem die Oberstimme aus der Terze in die Quarte geht , auf demselben Tone stehen bleibt ; so kann anstatt der Quarte , sowohl die Sexte als Secunde über dem Basse , es sey in der Tiefe oder Höhe , genommen werden : weil selbige zu der Harmonie über dem Basse gehören , s. ( h ) ( ll ) . Die erste Note im Basse , kann sowohl den puren Accord , als Quinte und Sexte in der Harmonie , ohne Nachtheil der Veränderungen , über sich haben : und hat alsdenn die erste Note E die Terze , Quinte und Sexte unter , und die Terze , Quarte und Sexte über sich . Die zweyte Note Fis , hat sowohl die Terze und Sexte unter , als über sich . Die dritte Note G , hat die Quarte und Sexte unter , die Terze und Quinte aber über sich . Die zwo Noten G und A , welche in dem Accorde der ersten Note E stecken , machen im Generalbasse Quinte und Sexte , und folglich eine Dissonanz , so man auf einem blasenden Instrumente nicht anders als mit gebrochenen Noten ausdrücken kann , s. (m ) ( q ) ; da bey (m ) die zweyte Note G die Quinte , die vierte Note A die Sexte ; bey ( q ) hingegen die dritte Note die Sexte , und die vierte die Quinte über dem Basse ist .
18. §.
Weil die übermaßige Quarte , ( vom Basse zu rechnen ) gemeiniglich die Secunde nebst der Sexte zur Gesellschaft hat : so können dergleichen Veränderungen wie über diesem Fis zu finden , bey allen vorfallenden ähnlichen Gelegenheiten , wenn man nur auf den Baß sieht , ob selbiger mehr oder weniger als eine Viertheilnote zu machen hat , angebracht werden . Hiernach muß man sich denn mit den Veränderungen richten ; daß dieselben entweder geschwinder oder langsamer gespielet , oder wo sichs thun läßt , die Noten auch wohl wiederholet werden : worzu die bey ( c ) ( f ) ( g ) ( l ) ( t ) ( u ) ( v ) dieser Figur sich schicken .
19. §.
Um diese drey Noten , als : Secunde , Quarte und Sexte von der Harmonie , leicht zu kennen , ist als eine Erleichterung vor die Anfänger zu merken , daß selbige entweder auf , oder zwischen den Linien stehen ,
weil es Terzensprünge sind . Was nun in der Höhe auf der Linie steht , das kömmt ordentlicher Weise , in der Octavc tiefer , zwischen die Linien ; welches man , bey den unter einander gesetzten Noten , deutlich sehen kann . Diese Noten machen an , und vor sich , ohne den Baß dazu , einen reinen Accord , mit dem Basse aber eine Dissonanz ; weil solcher um einen Ton tiefer , als der Accord steht . Deswegen muß derselbe unter , die Oberstimme aber über sich resolviret werden .
20. §.
Fig. 7 . Von diesen zwo Noten , hat die erste E sowohl die Terze und Sexte unter , als über sich . Die zweyte Note D hat die Terze und Quinte unter , die Quarte und Sexte über sich ; und kann die Veränderung der ersten mit gebrochenen Noten ausgedrücket werden , wie bey ( c ) ( e ) zu sehen ist . Bleibt die Harmonie zu dem E länger , als die Zeit einer Viertheilnote beträgt , stehen ; so können die Veränderungen , nach Belieben , entweder langsamer gemacht , oder auch wiederholet werden . Ist das erstere nöthig , so darf man sich nur vorstellen , als wenn die Noten einmal weniger geschwänzet wären . Bey der Wiederholung können die bey ( a ) ( b ) ( c ) ( e ) ( f ) ( g ) ( h ) ( i ) ( k ) ( l ) ( ll ) (m ) (n ) ( o ) ( u ) dienen .
21. §.
Tab. XII. Fig. 8. Obgleich die Sprünge in diesen unter einen Bogen eingeschränketen Exempeln , aus dreyerley verschiedenen Intervallen , als Quinte , Septime , und Octave bestehen : so haben doch selbige alle einerley Baßnoten zum Grunde , folglich auch einerley Accorde ; wie die zweymal übereinander gesetzeten Noten zeigen : ausgenommen der Sprung in die Septime , als welche bey Endigung der Manier , vor der Resolution in die Terze , besonders muß gehöret werden , um solche von dem Octavensprunge zu unterscheiden . Ausser diesen können die hier befindlichen Veränderungen , so wohl über dem einen , als über dem andern Intervalle gebrauchet werden . Um der Ordnung willen habe ich einem jeden Exempel sechs Veränderungen beygefüget ; da denn über den Sprung in die Quinte , die bey ( a ) ( b ) ( c ) ( d ) ( e ) ( f ) ; über den in die Septime , die bey ( g ) ( h ) ( i ) ( k ) ( l ) ( ll ) ; und über den in die Octave , die bey (m ) (n ) ( o ) ( p ) ( q ) (r ) gehören . Sollte bey diesen dreyen Exempeln , anstatt der ersten Note G , eine Pause stehen , so behält doch die zweyte Note von jedem , als D , F , G , eben denselben Accord : und kann man alsdenn die Veränderungen über die Note , an deren statt die
Pause steht , weglassen , und die über das zweyte Viertheil gehörigen , nach Beschaffenheit der Intervalle ; wie nicht weniger folgende , nämlich die bey ( s ) ( t ) ( u ) ( v ) ( w ) ( x ) über D ins E , die bey (y ) ( z ) ( aa ) ( bb ) ( cc ) ( dd ) über F ins E , und die bey ( ee ) ( ff ) ( gg ) ( hh ) ( ii ) ( kk ) über G ins E gebrauchen .
22. §.
Fig. 9 . Die zwo ersten Noten , haben einerley Accord , weil der Baß darunter auf einem Tone stehen bleibt , und die Bewegung der Oberstimme aus dem Grundtone in die Terze aufwärts geht . Die erste Note davon hat die Quarte und Sexte unter , und die Terze und Quinte über sich . Die zweyte Note E , als Terze über dem Basse , hat so wohl die Terze und Sexte unter als über sich , und ist wegen der Veränderungen mit Fig. 7. gleicher Art .
23. §.
Tab. XIII. Fig. 10 . Diese zwo ersten Noten , liegen in der Tonart F ; haben auch einerley Baß : und weil die erste die Quinte über dem Basse ist ; so hat selbige die Terze und Quinte unter , und die Quarte und Sexte über sich . Die zweyte hat die Quarte und Sexte unter , die Terze und Quinte über sich . Die dritte als Terze vom C hat so wohl die Terze und Sexte unter , als über sich .
24. §.
Fig. 11 . Bey diesen dreyen Noten hat es nicht gleiche Bewandtniß : weil das erste Intervall eine Quinte auf- , und das andere eine Terze unterwärts machet . Und weil solches aus dem Grundtone fließet , so können beyde Noten nicht einerley Baß haben ; sondern die zweyte Note G , welche einen Terzensprung ins E wieder zurück machet , muß , über dem Basse , ordentlicher Weise die Sexte , und die folgende Note E die Terze seyn . Aus den Accorden ist zu sehen , daß das C die Quarte und Sexte unter , und die Terze und Quinte über sich ; das G , die Quarte und Sexte unter , die Terze und Quinte über sich ; das E so wohl die Terze und Sexte unter , als über sich hat . Diese zwo letzten Noten , G E sind mit denen im dritten Exempel bey Fig. 8 , wenn anstatt der ersten Note eine Pause vorkömmt , von gleicher Eigenschaft , und leiden auch einerley Veränderungen .
25. §.
Fig. 12 . Von diesen zwo Noten , welche einen Sextensprung unterwärts machen , ist die erste die Quinte über dem Basse ; folglich hat
dieselbe in ihrem Accorde , die Terze und Quinte unter , die Quarte und Sexte aber über sich . Die zweyte , als Terze über dem Basse , hat so wohl die Terze und Sexte unter , als über sich . Wo bey diesen Intervallen die erste Note steht , es sey auf dem Zwischenraume oder der Linie , so kommen die dazu gehörigen Hauptnoten auf eben solchen Ort , s. ( b ) . Will man dieses Intervall mir mehrern Noten ausfüllen , so sind die Noten auf den Linien , nämlich F D durchgehende , s . ( c ) . Soll die Ausfüllung durch zwo Triolen geschehen , so können die zwo Arten bey ( i ) (n ) zum Beyspiele dienen .
26. §.
Fig. 13 . Zu diesen Noten A H , welche in die Septime unterwärts springen , hat der Baß ordentlicher Weise die Terze , welche mehrentheils mit Quinte und Sexte , wie in der VIII. Tabelle zu sehen , beziffert wird . Die zwo Noten machen Terzen gegen die Grundnoten ; die erste hat in ihrem Accorde die Terze über , die Terze , Quinte , Sexte und Octave unter sich ; die zweyte hat die Terze und Sexte so wohl über , als unter sich . Hierbey ist zu erinnern , daß öfters die Baßnote durch ein Kreuz erhöhet wird : wornach die Oberstimme sich richten muß , um nicht F mit Fis zu vermischen : welches sonst einen widrigen Klang verursachen würde . Man nehme die zwo Veränderungen bey (m ) (n ) da die eine F , die andere Fis in sich hat , deswegen zum Muster . Wenn bey diesem Intervalle die Noten entweder auf dem Zwischenraume , oder auf der Linie stehen , so kommen die , so zum Accorde gehören , ( wie bey Fig. 12. ) auf eben solchen Ort , wie die erste , ( a ) ( c ) . Zu Ausfüllung dieses Intervalls gehören sechs , stufenweise nach einander gehende Noten , s. ( k ) ; welches auch mit zwo Triolen geschehen kann , s. ( ll ) ; ingleichen mit acht Noten so wohl stufenweise , s. ( f ) ( g ) , als auch mit Terzensprüngen , s . ( i ) .
27. §.
Tab. XIV. Fig. 14 . Dieses Exempel , ist wegen der Intervalle , mit Fig. 13. einerley : nur daß jenes im Dur , und dieses im Moll moduliret . Und weil zu den ersten zwey Intervallen einerley Baß ist ; so können selbige auch einerley Veränderungen haben . Bey dem dritten von diesen dreyen Intervallen , allwo der Baß durch ein Kreuz erhöhet , s. ( t ) , und die Oberstimme folglich aus der großen zur kleinen Sexte wird , muß in derselben so wohl das G in Gis , als das B in H verwandelt werden , s. ( u ) . Um nun überhaupt dieses Intervall , welches vor den Einschnitten
sehr öfters vorkommt , sich recht bekannt zu machen , nehme man das gegenwärtige und vorhergehende Exempel zum Muster . Wenn nämlich solche zwo Noten , so einen Terzensprung unterwärts machen , auf den Linien stehen ; so kommen die Hauptnoten der Manieren ebenfalls auf die Linien : stehen sie auf dem Zwischenraume , so kommen die Hauptnoten auch auf denselben . Zur ersten Note hat der Baß ordentlicher Weise die Sexte zur Harmonie . Ist es die große Sexte , und der Baß geht einen ganzen Ton überwärts : so hat die Oberstimme die kleine Terze über sich , und kann auch um eine Manier zu machen , noch eine Terze höher gehen , welche von der ersten Note an , eine Quinte ausmacht . Diese Quinte ist die Terze über dem Basse : und wenn die Terze klein ist , muß die Quinte auch klein seyn , s. (m ) . Ist aber in der Harmonie die kleine Sexte vorhanden , und der Baß , welcher in diesem Exempel durch ein Kreuz erhöhet worden , geht nur durch einen halben Ton überwärts ; so muß diese erwähnte kleine Quinte ebenfalls erhöhet , und in die vollkommene Quinte verwandelt werden , s. (n ) . Diese verschiedenen Arten kommen nur in Molltönen vor . Bey den Durtönen gehöret zu der Auszierung der Note in der Oberstime Oberstimme allezeit die große Terze und reine Quinte .
28. §.
Fig. 15 . Bey den Ligaturen , oder Bindungen , wo der Baß durch die Septime bindet , und entweder in die Sexte oder Terze , welches in Ansehung der Oberstimme einerley ist , sich auflöset , kann nach der gebundenen Note , die erste Bewegung gemeiniglich einen Quartensprung , welches die Terze über dem Basse ist , in die Höhe machen ; solches auch wohl zweymal so fortsetzen : das drittemal aber , muß anstatt der Quarte die Sexte genommen werden , s. ( a ) . Man kann auch , anstatt der Quarte , die Septime , oder Quinte von unten nehmen , s. ( e ) ( k ) ; und je öfter man mit diesen Intervallen , von oben oder unten , wechselsweise verfährt , je angenehmer ist es dem Gehöre . Man kann auch bey diesen simpeln Intervallen der Manier , den zwischen denselben liegenden Raum , nach Belieben , mit Noten ausfüllen . Die übrigen Veränderungen , können willkührlich angebracht werden .
29. §.
Fig. 16 . Dieser Gang , welcher mit Quinte und Sexte abwechselt , würde dem Gehöre , ohne etwas zuzusetzen , in die Länge verdrüßlich fallen . Deswegen können diese Veränderungen von ( a ) bis ( e ) zum Muster dienen . Man wird hierbey zugleich sehen , daß die Veränderungen
in der Folge nicht allezeit von einerley Art seyn müssen ; welches hauptsächlich bey Wiederholung der Gedanken zu beobachten ist : damit man zum zweytenmale , entweder etwas zusetze , oder abnehme . Wenn z. E. die zweene Tacte bey ( f ) zu wiederholen wären , und man solche zum zweytenmale eben so spielete , wie sie geschrieben sind ; so würde der Zuhörer dadurch nicht so befriediget werden , als wenn man , anstatt des simpeln Gesanges , eine von den folgenden Veränderungen , unter ( g ) ( h ) ( i ) ( k ) erwählete . Denn wenn das Thema , oder der Hauptsatz , durch die Transposition verlängert wird ; so müssen die Veränderungen nicht in einerley Art Noten fortgesetzet werden : sondern man muß davon bald abgehen , und in der Folge etwas zu machen suchen , welches dem Vorigen nicht ähnlich ist . Denn das Ohr wird mit dem , was es schon im Voraus vermuthet hat , nicht gerne befriediget , sondern will immerfort betrogen seyn .
30. §.
Tab. XV. Fig. 17 . Wenn im Langsamen etliche geschwänzte Noten stufenweise auf- oder unterwärts gehen , selbige aber bey gewissen Gelegenheiten nicht cantabel genug zu seyn scheinen , so kann man nach der ersten und dritten Note , eine kleine zusetzen , um den Gesang desto angenehmer zu machen , s. ( a ) ( c ) ; und müssen solche mit dem Zusatze ausgedrücket werden , wie bey ( b ) ( d ) zu sehen ist ; ( e ) ( f ) sind Veränderungen über diesen Gang . Mit den unter sich gehenden Noten , hat es gleiche Bewandtniß , und müssen die bey ( g ) ( i ) wie bey ( h ) ( k ) gespielet werden . ( l ) ( ll ) (m ) sind Veränderungen über diese fallenden Noten .
31. §.
Fig. 18 . Bestehen dergleichen Noten aus fallenden , s. ( a ) , oder steigenden Terzensprüngen , s . ( i ) ; so kann man nach einer jeden Note , eine kleine , welche man auf französisch port de voix nennet , zusetzen , s. ( b ) und ( k ) . Vom ( c ) bis ( h ) sind andere Manieren über die fallenden ; und von ( l ) bis ( p ) über die steigenden Terzensprünge . Diese Art Noten mögen mehr oder weniger geschwänzet seyn ; wenn sie nur cantabel sind , so kann man doch allezeit solcher Veränderungen sich darüber bedienen . Meine Absicht ist nur wegen der Intervalle welche in cantabeln Stücken am meisten vorzukommen pflegen . Wenn dergleichen viele auf einander folgen , und man setzet nicht etwas zu , so wird der Zuhörer leicht ermüdet . Die zwo Noten bey ( q ) sind mir den zwo letzten Sechzehntheilen bey ( a ) einerley : folglich können auch die Veränderungen , so über
die Zeit des zweyten Achttheils von ( a ) biß ( h ) gehören , darüber gemacht werden . Die zwo Noten bey (r ) haben mit denen von ( i ) biß ( p ) gleiche Bewandtniß .
32. §.
Fig. 19 . Wenn im Langsamen etliche Triolen stufenweise auf- oder unterwärts gehen ; da die dritte Note von der einen , und die erste Note von der folgenden Triole , entweder auf eben demselben Tone , oder die erste der folgenden Triole , um einen Ton höher , als die vorhergehende steht ; so kann man vor die erste allezeit einen Vorschlag machen , s. ( a ) . Gehen aber deren viele nacheinander unterwärts ; so kann über der ersten allezeit ein halber Triller ohne Nachschlag , ( da der Finger nur zweymal niederschlägt ) gemacht , und die zwo folgenden Noten daran geschleifet werden , s. ( b ) . Will man die Triolen in geschwindere Noten verwandeln ; so stelle man sich die bey ( c ) vor , als wenn es , anstatt Zweyviertheiltactes , Sechsachttheiltact wäre , und setze zu einem jeden Achttheile noch eine Note zu , wie die Sechzehntheile bey ( d ) zeigen . Also kann man bey verschiedenen Arten der Triolen , nachdem es die Intervalle leiden , verfahren .
33. §.
Bey Noten , die nicht beständig nach einander stufenweise unter oder über sich gehen , sondern wo deren zwo auf einerley Tone sich befinden , und die erste davon im Aufheben des Tactes steht , kann man vor die zweyte , im Niederschlage , entweder einen Vorschlag , s. ( e ) ( g ) , oder über dieselbe einen Triller machen , und die folgende Note anschleifen , s. ( f ) ( h ) . Wenn aber deren etliche stufenweise unterwärts gehen ; kann vor einer jeden ein Vorschlag , s . ( i ) , oder über der im Niederschlage ein Triller , s. ( k ) , gemachet werden .
34. §.
Fig. 20 . Wenn das Intervall in die Quarte über sich im Aufheben des Tactes anfängt , und im Langsamen , da der Baß pausiret , vorkömmt ; so können die Veränderungen bey ( a ) ( b ) ( c ) ( d ) ( e ) darüber gemacht werden . Findet die kleine Terze in der Tonart statt ; so kann man sich der halben Töne bedienen , s. ( f ) ( g ) . Wenn zwo Noten , im Langsamen , stufenweise nach einander hinauf oder herunter gehen , sie mögen eine Pause , oder eine Note von mehrerer Geltung vor sich haben ; auch mag die dritte Note , mit oder ohne Punct , unter- oder aufwärts gehen : so kann man allezeit eine kleine Note zwischen beyde setzen ,
welche bey dem Heruntergehen , s. ( h ) , eine Stufe höher , bey dem Hinaufsteigen aber , s . ( i ) , zwo Stufen höher kömmt .
35. §.
Fig. 21 . Bey den Einschnitten , im Langsamen , wo der Gesang durch eine Pause unterbrochen wird , und welche aus einer , s. ( a ) , oder zwo Noten , s. ( b ) , welche letztern einen Terzensprung unterwärts machen , ( es mag die große oder kleine Terze , im Aufheben oder Niederschlagen des Tactes seyn ) , bestehen , ist zu merken , daß die einzelne Note , s. ( a ) , nebst dem Vorschlage einen Triller verlanget . Bey dem Terzensprunge , s. ( b ) , verfährt man auf gleiche Weise : doch muß man den Triller ohne Nachschlag machen , und kann , an dessen statt , die dazwischen fehlende Note dem Triller angeschleifet werden . Diesen Terzensprung muß man fast allezeit so betrachten , als wenn die kleine Note dazwischen stünde : wie denn auch die itzigen Componisten es mehrentheils so zu setzen pflegen : weil dieser Sprung an sich selbst , im Langsamen , nicht singend genug ist .
36. §.
Steht über der Pause ein Bogen mit dem Puncte , welches eine Fermate , Pausa generalis , oder ad libitum genennet wird , auch so wohl im Allegro , als Adagio vorkömmt : so kann der Triller , nach Belieben , etwas lange geschlagen werden ; doch nothwendig ohne Nachschlag , weil es die folgenden Noten nicht erlauben : indem solche in einer gelassenen und schmeichelnden Art , geendiget werden müssen , s . ( c ) . Da aber solches in der Ausübung schwerer ist , als es dem Auge nach scheint , auch nicht ein jeder die gehörige Einsicht hat , wie es eigentlich , nach der von vielen Zeiten her eingeführten Regel soll gespielet werden ; so finde ich vor vor allem nöthig , solches erstlich mit Noten auszudrücken , s . ( d ) , und hernach durch einige Anmerkungen zu erklären . Diese sind folgende : Man nehme die zwey kleinen Sechzehntheile , vor der weißen Note worüber der Triller steht , in gleicher Geschwindigkeit des Trillers ; lasse den Ton , unter währendem Triller , nach und nach zu- und abnehmen ; und stelle sich die Zeit des Trillers von vier langsamen Achttheilen vor . Wenn nun solche verflossen , so lasse man den Finger , mit welchem geschlagen wird , unter Verlierung des Tones liegen , aber auch nicht länger , als es die Zeit der dreymal geschwänzten Note erfodert , welches alsdenn die zweyte von den folgenden vier Zwey und dreyßigtheilen machet . Bey dem Vorschlage vor der dritten Note , gebe man einen kleinen Druck oder Hauch mit der
Brust , und endige die übrigen zwo Noten mit einem verlierenden Piano . Zu den übrigen Einschnitten , bey ( e ) ( f ) ( g ) ( h ) welche sonst mehrentheils nur Vorschläge oder Triller verlangen , können auch die folgenden Exempel unter Fig. 22. 23. 24 , so über die Intervalle in die Terze , Quarte und Quinte unter sich gerichtet sind , im Langsamen , als Veränderungen angewendet werden .
37. §.
Fig. 22 . Obgleich diese zwo simpeln Noten E C aus Viertheilen bestehen ; so kann man doch die folgenden Veränderungen auch über den Einschnitt bey ( e ) aus Fig. 21. welcher aus Achttheilen besteht , gebrauchen . Man muß sich nur vorstellen , als ob die Noten der Veränderungen noch einmal mehr geschwänzt wären . Ueber den Einschnitt bey ( f ) aus demselben Exempel , wo das Intervall nur einen Ton unter sich geht , finden gleichfalls diese Veränderungen statt , ausgenommen die bey ( a ) ( b ) ( f ) ( o ) ; und wird alsdenn nur die simple Note C in D verwandelt . Will man sich auch allenfalls der zwo Veränderungen bey ( f ) ( o ) bedienen , so muß man anstatt der letzten Note D das darüber befindliche F nehmen .
38. §.
Tab. XVI. Fig. 23 . Diese Veränderungen , können über dem Einschnitte bey ( g ) Fig. 21. auf gleiche Art angebracht werden : weil der Baß mehrentheils in der Harmonie der ersten Note F stehen bleibt .
39. §.
Fig. 24 . Diese Veränderungen über den Quintensprung , kann man über dem Einschnitte bey ( h ) Fig. 21. machen . Finden sich die zwo ersten Noten aus diesen dreyen Exempeln , als : E C , F C , G C , in einer Melodie nacheinander : so kann man aus einem jeden Exempel solche Veränderungen darüber aufsuchen , die von einerley Art sind , und mit denselben abwechseln . Da nun die zweyte Note C in diesen dreyen Exempeln keine Veränderungen hat : so kann man alsdenn , wenn es nöthig ist , die Noten der über dem vorigen Tone gemachten Veränderung , ( doch die erste Note davon ausgenommen ) , wiederholen . Z. E. Man wollte die Veränderungen bey ( e ) aus Fig. 22. anbringen , da die ersten Noten E G E heißen ; so mache man aus der Viertheilnote C ein Achttheil , und wiederhole die zwey Sechzehntheile G E. Bey ( e ) aus Fig. 23 , mache man es eben so ; und bey ( d ) aus Fig. 24 , wiederhole man die drey letzten Sechzehntheile nach der Note C , ( welches C ebenfalls zum Sechzehntheile
wird , ) so behält dieser veränderte Gesang einen Zusammenhang . Auf solche Art , kann man sich alle diese Veränderungen zu Nutze machen , wenn man nur die Arten der Noten , so sich auf einander schicken , beobachtet ; aus jedem Exempel dasjenige erwählet , was man zu der Stelle , die man auszieren will , das füglichste zu seyn glaubet ; und also , wie die Bienen , von verschiedenen Blumen den Honig zusammen trägt .
40. §.
Fig. 25 . Sehr langsame Sechzehntheile mit Puncten , können dem Gehöre leicht verdrüßlich fallen ; besonders wenn solche aus lauter Consonanzen bestehen , als aus : Terze , Quinte , Sexte , Octave , welche die Leidenschaften zwar in Ruhe setzen , durch die Länge aber einen Ekel verursachen ; so ferne nicht dann und wann einige Dissonanzen , als : Secunde , Quarte , Septime , None , aus welchen die Vorschläge ihren Ursprung haben , und die zuweilen mit halben Trillern oder Mordanten zu endigen sind , mit untermischet werden . Aus diesem Exempel ist zu sehen , auf was Art die punctirten Noten , welche sonst mehr zur Pracht und Ernsthaftigkeit , als zum Cantabeln sich schicken , können angenehm gespielet werden . Man muß nämlich die Note , hinter welcher ein Punct steht , und welche folglich am längsten gehöret wird , an der Stärke wachsen lassen ; unter dem Puncte aber den Athem mäßigen . Die Note nach dem Puncte muß allezeit sehr kurz seyn . Steht ein Vorschlag davor ; so muß man mit demselben verfahren , wie itzt von der langen Note gesaget worden : weil er anstatt der Note , wovor er steht , gehalten wird . Die Note selbst bekömmt alsdenn die Zeit von dem Puncte ; und muß also schwächer seyn , als der Vorschlag , s. ( a ) . Von den drey kleinen Noten bey ( b ) welche ein Mordant sind , muß die erste mit dem Puncte so lange gehalten werden , als es die Zeit der darauf folgenden großen Note erfodert . Die übrigen zwo kleinen , nebst der großen Note , kommen alsdenn in die Zeit des Punctes , und geschieht solches in der Geschwindigkeit , durch zweymaliges Auf- und Zumachen des Fingers . Es muß auch , unter dieser Bewegung , der Athem gemäßiget werden . Die vier kleinen Noten , s . ( c ) , machen einen Doppelschlag , und kömmt die letzte davon in die Zeit des Punctes , muß auch anstatt dessen gehalten werden . Die Mäßigung des Athems muß ebenfalls unter den kleinen Noten geschehen . Mit den übrigen von ( d ) bis ( ll ) hat es gleiche Bewandtniß ; ausgenommen , daß die kleinen Noten bey ( c ) und ( f ) halbe Triller machen .
Die Noten bey (m ) (n ) kommen öfters bey Cadenzen vor , allwo die Doppelschläge sich sehr wohl hinschicken .
41. §.
Fig. 26 . Diese zwo kleinen Noten , s. ( a ) ( b ) ( c ) ( d ) ( e ) ( f ) ( g ) so aus Terzensprüngen bestehen , nennet man den Anschlag , und bedienen sich dessen , bey weitläuftigen Sprüngen , die Sänger , um den hohen Ton sicher zu fassen . Solcher kann bey den steigenden Intervallen , als in die Secunde , Terze , Quarte , Quinte , Sexte , Septime , und Octave , vor langen Noten , so wohl im Aufheben als Niederschlagen , wo man sonst keine Manieren machen will , angebracht werden . Er muß aber sehr geschwind , jedoch schwach , mit der Note verbunden werden . Die Note selbst muß etwas stärker als die zwo kleinen seyn . Der in die Secunde , Quarte und Septime , s. ( a ) ( c ) ( f ) , ist gefälliger , als der bey den übrigen Intervallen ; und thut es also bessere Wirkung , wenn die erste kleine gegen die folgende Hauptnote , nicht einen ganzen , sondern halben Ton ausmacht , s . ( c ) ( f ) . Ob nun wohl dieser Anschlag , im Singen und Spielen , einen zärtlichen , seufzenden , und gefälligen Affect ausdrücket : so rathe ich doch nicht , daß man mit demselben allzuverschwenderisch umgehe ; sondern daß man ihn vielmehr selten anbringe : weil das , was dem Gehöre sehr gefällig ist , dem Gedächtnisse desto eher bekannt wird ; der Ueberfluß in einer Sache aber , wie schön sie auch immer seyn mag , in die Länge einen Ekel verursachen kann .
42. §.
Fig. 27 . Wenn lange Noten in Sprüngen stehen , und man sonst keine Veränderung machen will ; so können dieselben durch die , zwischen diesen Sprüngen liegenden Haupt- und durchgehenden Noten , ausgefüllet werden . Die kleinen geschwänzten Noten deuten bey ( a ) die durchgehenden , und die Viertheile , die zum Accorde gehörigen Hauptnoten , an ; wie denn die erstern in die Zeit der vorhergehenden gehören , auch selbigen kurz angeschleifet werden müssen . Bey ( b ) bis ( g ) sind so wohl die durchgehenden , als die Hauptnoten , in ihrer Geltung , wie solche in den Tact eingetheilet werden müssen , ausgedrücket . Die zwey Intervalle : Terze , und Quarte , haben keine Hauptnoten aus dem Accorde zwischen sich , sondern nur durchgehende .
43. §.
Fig. 28 . Bey den unter sich fallenden Intervallen , hat es mit den durchgehenden und Hauptnoten die Bewandtniß , daß die kleinen oder durchgehenden Nötchen in die Zeit der folgenden gehören , und auch an dieselben geschleifet werden müssen . Die aber zwischen den Quartensprüngen , gehören so wohl bey den steigenden als fallenden , in die Zeit der vorhergehenden . Die vorhaltenden kleinen Noten gehen bey dieser Art von Intervallen , wo kein Aufenthalt noch Triller statt findet , von den im VIII. Hauptstücke enthaltenen Regeln ab : und wie jene die Hälfte der folgenden Note gelten ; so müssen diese hingegen sehr kurz gemachet werden .
44. §.
Alle diese von den Veränderungen gegebenen Regeln nun , sind zwar hauptsächlich nur auf das Adagio gerichtet , weil man in demselben die meiste Zeit und Gelegenheit zu verändern hat . Dessen ungeachtet wird man doch auch viele davon im Allegro brauchen können . Die im Allegro überlasse ich eines jeden seinem eigenen Nachdenken . Wie aber einige von den obbeschriebenen Veränderungen in einem Adagio anzuwenden sind ; solches zeige ich im Hauptstücke vom Adagio , in einem besonders darzu verfertigten Exempel . Was für eine Art des Vortrages , absonderlich in Ansehung der Verstärkung oder Schwächung des Tones , bey Ausführung aller dieser , bey jeder Figur gezeigter Veränderungen , Statt habe : wird man am Ende des Hauptstücks vom Adagio , vom 25. bis zum 43. §. beysammen finden können .
Das XIV. Hauptstück .
Von der Art das Adagio zu spielen .
1. §.
Das Adagio machet gemeiniglich den bloßen Liebhaben Liebhabern der Musik das wenigste Vergnügen , und sind so wohl die meisten Liebhaber , als auch oft gar die Ausführer der Musik selbst , wofern es ihnen an der gehörigen Empfindung und Einsicht fehlet , froh , wenn das Adagio in einem Stücke zu Ende ist . Ein wahrer Musikus aber kann sich im Adagio sehr hervor thun , und Kennern seine Wissenschaft zeigen . Weil es aber nichts destoweniger ein Stein des Anstoßes bleibt , so werden kluge Tonkünstler ohne mein Anrathen sich nach ihren Zuhörern und Liebhabern bequemen ; um hierdurch so viel leichter , nicht nur die ihren Wissenschaften zukommende Achtung zu erwerben , sondern auch ihre Person beliebt zu machen .
2. §.
Man kann das Adagio , in Ansehung der Art dasselbe zu spielen , und wie es nöthig ist , mit Manieren auszuzieren , auf zweyerley Art betrachten ; entweder im französischen , oder im italiänischen Geschmacke . Die erste Art erfodert einen netten und an einander hangenden Vortrag des Gesanges , und eine Auszierung desselben mit den wesentlichen Manieren , als Vorschlägen , ganzen und halben Trillern , Mordanten , Doppelschlägen , battemens , flattemens , u. d. gl. ; sonst aber keine weitläuftigen Passagien , oder großen Zusatz willkührlicher Verzierungen . Wer das Exempel Tab. VI. Fig. 26. langsam spielet , der hat daran ein Muster dieser Art zu spielen . Die zweyte , nämlich die italiänische Art besteht darinne , daß man in einem Adagio , so wohl diese kleinen französischen Auszierungen , als auch weitläuftige , doch mit der Harmonie übereinkommende gekünstelte Manieren anzubringen suchet . Das Exempel Tab. XVII. XVIII . XIX. wo diese willkührlichen Auszierungen alle mit
Noten ausgedrücket sind , und wovon wir weiter unten weitläuftiger handeln werden , kann hierbey zum Muster dienen . Will man den simpeln Gesang davon pur mit dem Zusatze der wesentlichen , schon öfters genenneten Manieren spielen , so hat man noch ein Beyspiel der französischen Spielart . Man wird aber zugleich gewahr werden , daß sie bey einem so gesetzeten Adagio nicht hinreichend ist .
3. §.
Die französische Art das Adagio auszuzieren , kann man durch gute Anweisung , ohne die Harmonie zu verstehen , erlernen . Zur italiänischen hingegen wird die Wissenschaft der Harmonie unumgänglich erfodert : oder man müßte , wie die meisten Sänger nach der Mode , beständig einen Meister zur Hand haben , von dem man die Veränderungen über ein jedes Adagio erlernete ; wodurch man aber niemals selbst ein Meister werden , sondern Zeitlebens ein Scholar verbleiben würde . Ehe man sich aber mit der letztern Art einläßt ; muß man die erste schon wissen . Denn wer die kleinen Manieren weder am rechten Orte anzubringen , noch gut vorzutragen weis ; der wird auch mit den großen Auszierungen wenig ausrichten . Aus einer solchen Vermischung aber von kleinen und großen Auszierungen , entsteht denn endlich der vernünftige und gute Geschmack im Singen und Spielen , welcher jedermann gefällt , und allgemein ist ,
4. §.
Daß die französischen Componisten die Auszierungen mehrentheils mit hin schreiben ; und der Ausführer also auf nichts weiter zu denken habe , als sie gut vorzutragen , ist schon gesaget worden . Im italiänischen Geschmacke wurden , in vorigen Zeiten , gar keine Auszierungen darzu gesetzet ; sondern alles der Willkühr des Ausführers überlassen : da denn ein Adagio ohngefähr also aussah , wie der simple Gesang bey dem Exempel Tab. XVII. XVIII . XIX. Seit einigen Zeiten aber , haben die , welche sich nach der italiänischen Art richten , auch angefangen , die nothwendigsten Manieren anzudeuten . Vermuthlich deswegen , weil man gefunden hat , daß das Adagio von manchem unerfahrnen Ausführer sehr verstümmelt worden ; und die Componisten dadurch wenig Ehre erlanget haben . Wie denn nicht zu läugnen ist , daß in der italiänischen Musik fast eben so viel auf den Ausführer , als auf den Componisten ; in der französischen aber , auf den Componisten weit mehr als auf den Ausführer ankomme , wenn das Stück seine vollkommene Wirkung thun soll .
5. §.
Um nun ein Adagio gut zu spielen , muß man sich , so viel als möglich ist , in einen gelassenen und fast traurigen Affect setzen , damit man dasjenige , so man zu spielen hat , in eben solcher Gemütsverfassung vortrage , in welcher es der Componist gesetzet hat . Ein wahres Adagio muß einer schmeichelnden Bittschrift ähnlich seyn . Denn so wenig als einer , der von jemanden , welchem er eine besondere Ehrfurcht schuldig ist , mit frechen und unverschämten Geberden etwas erbitten wollte , zu seinem Zwecke kommen würde : eben so wenig wird man hier mit einer frechen und bizarren Art zu spielen den Zuhörer einnehmen , erweichen , und zärtlich machen . Denn was nicht vom Herzen kömmt , geht auch nicht leichtlich wieder zum Herzen .
6. §.
Die Arten der langsamen Stücke sind unterschieden . Einige sind sehr langsam und traurig : andere aber etwas lebhafter , und deswegen mehr gefällig und angenehm . Zu beyden Arten trägt die Tonart , in welcher sie gesetzet sind , sehr viel bey . A moll , C moll , Dis dur , und F moll , drücken den traurigen Affect viel mehr aus , als andere Molltöne : weswegen sich denn auch die Componisten mehrentheils , zu dieser Absicht , gedachter Tonarten zu bedienen pflegen . Hingegen werden die übrigen Moll- und Durtöne , zu den gefälligen , singenden , und ariosen Stücken gebrauchet .
Wegen der , gewissen Tonarten , sie mögen Dur oder Moll seyn , besonders eigenen Wirkungen , ist man nicht einig . Die Alten waren der Meynung , daß eine jede Tonart ihre besondere Eigenschaft , und ihren besondern Ausdruck der Affecten hatte . Weil die Tonleitern ihrer Tonarten nicht alle einander gleich waren , da nämlich zum Exempel die Dorische und Phrygische , als zwo Tonarten mit der kleinen Terze , sich dergestalt unterschieden , daß jene die große Secunde und große Sexte , diese aber die kleine Secunde und kleine Sexte in ihrem Bezirke hatte ; weil folglich fast jede Tonart ihre besondern Arten zu cadenziren hatte : so war diese Meynung hinlänglich gegründet . In den neuern Zeiten aber , da die Tonleitern aller großen , und die Tonleitern aller kleinen Tonarten einander ähnlich sind , ist die Frage , ob es sich mit den Eigenschaften der Tonarten noch so verhalte . Einige pflichten der Meynung der Alten noch bey : andere hingegen verwerfen dieselbe ; und wollen behaupten , daß jede Leidenschaft in einer Tonart so gut als in der andern ausgedrücket werden könnte , wenn nur der Componist die Fähigkeit dazu besäße . Es ist wahr , man hat Exempel davon aufzuweisen ; man hat Proben , daß mancher eine Leidenschaft , in einer Tonart , die eben nicht die bequemste dazu scheint , sehr gut ausgedrücket hat . Allein wer weis , ob dasselbe
Stück nicht eine noch bessere Wirkung thun würde , wenn es in einer andern und zu der Sache bequemem Tonart gesetzet wäre ? Zu dem können außerordentliche Fälle keine allgemeinen Regeln abgeben . Es würde zu weitläuftig seyn , wenn ich diese Frage hier aus dem Grunde zu entscheiden suchen wollte . Ich will aber eine Probe vorschlagen , welche sich sowohl auf die Erfahrung , als auf die eigene Empfindung gründet . Man transponire z.E. ein wohlgerathenes im F moll gesetzetes Stück ins G , A , E , und D moll ; oder ein anderes in E dur gesetzetes Stück ins F , G , Dis , D , und C dur . Thun nun diese zwey Stücke in einer jeden Tonart einerley Wirkung : so haben die Nachfolger der Alten Unrecht . Findet man aber , daß dieselben Stücke in einer jeden Tonart auch eine verschiedene Wirkung hervorbringen ; so suche man sich diese Erfahrung vielmehr zu Nutzen zu machen , als sie zu bestreiten . Ich will inzwischen meiner Erfahrung , welche mich der unterschiedenen Wirkungen unterschiedener Tonarten versichert , so lange trauen , bis ich des Gegentheils werde überführet werden können .
7. §.
Im Spielen muß man sich folglich ebenfalls nach dem herrschenden Affecte richten , damit man nicht ein sehr trauriges Adagio zu geschwind , und hingegen ein cantabeles zu langsam spiele . Also müssen diese Arten von langsamen Stücken : Cantabile , Arioso , Affettuoso , Andante , Andantino , Largo , Larghetto , u. s. w. von einem pathetischen Adagio , sehr unterschieden werden . Was jedes Stück vor ein Tempo oder Zeitmaaß erfodere , muß man aus seinem Zusammenhange wohl beurtheilen . Die Tonart , und die Art des Tactes , ob solcher gerade oder ungerade ist , geben hierzu einiges Licht . Dem obengesagten zu Folge müssen langsame Sätze aus dem G moll , A moll , C moll , Dis dur und F moll , trauriger , und folglich langsamer gespielet werden , als die aus andern Dur- und Molltönen . Ein langsames Stück im Zweyviertheil- oder Sechsachttheiltacte , spielet man etwas geschwinder , und eines im Allabreve- oder Dreyzweytheiltacte , langsamer , als im schlechten oder Dreyviertheiltacte .
8. §.
Ist das Adagio sehr traurig gesetzet , wobey gemeiniglich die Worte ; Adagio di motto oder Lento assai stehen , so muß solches im Spielen , mehr mit schleifenden Noten , als mit weitläuftigen Sprüngen oder Trillern ausgezieret werden ; indem die letztern mehr zur Frölichkeit aufmuntern , als zur Traurigkeit bewegen . Doch muß man die Triller nicht ganz und gar vermeiden , damit der Zuhörer nicht eingeschläfert werde ; sondern man muß immer eine geschickte Abwechselung treffen , um die Traurigkeit bald etwas mehr zu erregen , bald wieder in etwas zu dämpfen .
9. §.
Hierzu kann auch das abwechselnde Piano und Forte sehr Vieles beytragen , als welches nebst dem , von kleinen und großen Manieren vermischten , geschikt abwechselnden Zusatze , hier , das durch den Spieler auszudrückende musikalische Licht und Schatten , und von der äußersten Nothwendigkeit ist . Jedoch muß solches mit vieler Beurtheilung gebrauchet werden , damit man nicht mit allzugroßer Heftigkeit von dem einen zum andern gehe , sondern unvermerkt zu- und abnehme .
10. §.
Hat man eine lange Note entweder von einem halben oder ganzen Tacte zu halten , welches die Italiäner messa di voce nennen ; so muß man dieselbe vors erste mit der Zunge weich anstoßen , und fast nur hauchen ; alsdenn ganz piano anfangen , die Stärke des Tones bis in die Mitte der Note wachsen lassen ; und von da eben wieder so abnehmen , bis an das Ende der Note : auch neben dem nächsten offenen Loche , mit dem Finger eine Bebung machen . Damit aber der Ton in währendem Zu- und Abnehmen nicht höher oder tiefer werde , ( welcher Fehler aus der Eigenschaft der Flöte entspringen könnte ; ) so muß man hier die im 22. §. des IV . Hauptstücks gegebene Regel in Uebung bringen : so wird der Ton mit den begleitenden Instrumenten in beständig gleicher Stimmung erhalten , man blase stark oder schwach .
11. §.
Die auf eine lange Note folgenden singenden Noten , können etwas erhabener gespielet werden . Doch muß eine jede Note , sie sey ein Viertheil , oder Achttheil , oder Sechzehntheil , ihr Piano und Forte in sich haben , nachdem es die Zeit leidet . Finden sich aber einige nach einander gehende Noten , wo es die Zeit nicht erlaubet , eine jede besonders , in der Verstärkung des Tones , wachsend zu machen ; so kann man doch , unter währenden solchen Noten , mit dem Tone zu und abnehmen ; so daß etliche stärker , etliche wieder etwas schwächer klingen . Und diese Bewegung der Stärke des Tones , muß mit der Brust , nämlich durch das Hauchen geschehen .
12. §.
Ferner ist zu beobachten , daß der Gesang beständig unterhalten werde , und man nicht zur Unzeit Athem hole . Besonders muß man bey den vorkommenden Pausen , den Ton nicht sogleich verlassen , sondern die letzte Note lieber etwas länger halten , als es das Zeitmaaß derselben erfodert :
Es wäre denn , daß der Baß unterdessen einige cantabele Noten hätte , welche dem Gehöre das ersetzeten , was es durch das Schweigen der Oberstimme verlöhre . Nichts destoweniger thut es gute Wirkung , wenn die Oberstimme den letzten Ton , durch ein verlierendes Piano verzieht , und endiget ; und alsdenn die folgenden mit erhabener Kraft wieder anfängt , und nach oben erwähnter Art fortsetzet , bis wieder ein neuer Einschnitt oder Endigung des Gedankens vorfällt .
13. §.
Im Adagio müssen alle Noten , so zu sagen , caressiret und geschmeichelt , aber niemals mit der Zunge hart angestoßen werden : Es sey denn , daß der Componist einige Noten wollte kurz gestoßen haben , damit der Zuhörer , welcher vorher eingeschläfert zu seyn scheint , wieder ermuntert werde .
14. §.
Wenn das Adagio sehr platt , und mehr harmoniös , als melodiös gesetzt ist , und man hier und da in der Melodie einige Noten zusetzen will : so muß solches niemals im Ueberflusse geschehen : damit die Hauptnoten nicht verdunkelt , und der simple Gesang unkenntbar werde . Man muß vielmehr den Hauptsatz gleich Anfangs so spielen , wie er geschrieben ist . Kömmt er öfters wieder vor : so kann man zum erstenmale ein paar Noten , zum zweytenmale noch mehrere , entweder durch eine nacheinander laufende , oder durch eine , durch die Harmonie gebrochene Passagie , zusetzen . Zum drittenmale muß man hiervon wieder abgehen , und fast nichts zusetzen : um den Zuhörer in beständiger Aufmerksamkeit zu erhalten .
15. §.
Auf diese Art kann man auch mit dem übrigen Gesange verfahren ; daß man schläfrige , nahe an einander liegende Töne , mit erhabenen , durch die Harmonie gebrochenen , weiter von einander liegenden Tönen , abwechsele . Und so ein Gedanke in eben demselben Tone zu wiederholen wäre ; und man sogleich keine Veränderung darüber finden könnte : kann man diesen Mangel sowohl durch das Piano , als durch geschleifte Noten , ersetzen .
16. §.
Mit den Manieren muß man sich im Zeitmaaße nicht übereilen ; sondern dieselben mit vielem Fleiße und Gelassenheit endigen : weil durch die Uebereilung die schönsten Gedanken unvollkommen werden . Deswegen
ist sehr nöthig , auf die Bewegung der begleitenden Stimmen wohl Achtung zu geben , und sich von denselben lieber forttreiben zu lassen , als daß man ihnen zuvor komme .
17. §.
Ein Grave , da der Gesang aus punctirten Noten besteht , muß etwas erhaben und lebhaft gespielet , auch bisweilen , mit , durch die Harmonie gebrochenen , Passagien , ausgezieret werden . Die Noten mit den Puncten , muß man bis an den Punct immer verstärken ; und die darauf folgenden , wenn das Intervall nicht allzugroß ist , an die vorhergehende lange Note , kurz und schwach anschleifen : bey sehr weiten Sprüngen aber , muß eine jede Note besonders angestoßen werden . Gehen dergleichen Noten stufenweise auf- oder unterwärts ; so kann man vor die langen Noten , welche mehrentheils Consonanzen sind , und dem Gehöre in die Länge misfallen dürften , Vorschläge machen .
18. §.
Ein Adagio spiritoso wird mehrentheils im Tripeltacte , mit punctirten Noten , auch öfters mit vielen Einschnitten gesetzet ; welches im Spielen noch mehr Lebhaftigkeit , als vom vorigen gesaget worden , erfodert . Deswegen müssen die Noten mehr gestoßen als geschleifet , auch weniger Manieren angebracht werden : und können also , die durch halbe Triller geendigten Vorschläge , hierzu besonders angewendet werden . Sollten aber , außer dieser Art , einige cantable Gedanken , so wie es der ins feine gebrachte Geschmack in der Setzkunst erfodert , mit untergemischet seyn ; so muß man sich alsdenn im Spielen auch darnach richten , und das Ernsthafte mit dem Schmeichelnden abwechseln .
19. §.
Daß diese und die übrigen Arten von langsamen Stücken , als : Cantabile , Arioso , Andante , Andantino , Affettuoso , Largo , Larghetto , u. s. w. von einem traurigen und pathetischen Adagio , im Spielen sehr zu unterscheiden sind , ist , weil es schon oben gesaget worden , hier nicht nöthig zu wiederholen .
20. §.
Sind in einem Cantabile oder Arioso im Dreyachtheiltacte , viele Sechzehntheile , so stufenweise auf- oder unterwärts einander folgen , befindlich ; und der Baß geht in beständiger Bewegung , von einem Tone zum andern fort ; so kann man nicht , wie bey einem platten Gesange , viel zusetzen : sondern man muß solche Art Noten , auf eine simple und
schmeichelnde Art , mit abwechselndem Piano und Forte vorzutragen suchen . Finden sich springende Achttheile mit darunter , wodurch der Gesang trocken , und nicht unterhalten wird : so können die Terzensprünge mit Vorschlägen oder Triolen ausgefüllet werden . Bleibt aber der Baß bisweilen , mit einerley Noten , Tactweise , auf einerley Tone und Harmonie : so bekömmt die Oberstimme die Freyheit , mehrere Manieren zu machen ; doch müssen solche niemals von der Art , in welcher man zu spielen hat , abweichen .
21. §.
Ein Andante oder Larghetto im Dreyviertheiltacte , in welchem der Gesang aus springenden Viertheilen besteht , und von dem Basse , mit Achttheilen , deren mehrentheils sechs auf einerley Tone oder Harmonie bleiben , begleitet wird , kann man etwas ernsthafter , und mit mehrern Manieren spielen , als ein Arioso . Geht aber der Baß stufenweise hin und her ; so muß man sich schon mehr mit den Manieren in Acht nehmen : um nicht verbothene Quinten und Octaven gegen die Grundstimme zu machen .
22. §.
Ein alla Siciliana im Zwölfachttheiltacte , mit punctirten Noten untermischet , muß sehr simpel und fast ohne Triller , auch nicht gar zu langsam gespielet werden . Es lassen sich hierbey wenig Manieren , ausgenommen einige schleifende Sechzehntheile und Vorschläge anbringen : weil es eine Nachahmung eines sicilianischen Hirtentanzes ist . Diese Regel kann auch bey den französischen Müsetten und Bergerieen statt finden .
23. §.
Sollte diese Beschreibung nicht einem jeden genug seyn , um daraus begreifen zu können , auf was Art ein Adagio mit Manieren könne ausgezieret werden : so kann das in der XVII , XVIII , und XIX Tabelle befindliche Exempel diese Beschreibung noch mehr erläutern . Ich habe aus den Tabellen , von IX. bis XVI. diejenigen Veränderungen heraus genommen , die sich zu dem hier befindlichen simpeln Gesange am besten schicketen ; und daraus eine an einander hangende ausgezierte Melodie verfertiget . Man kann daran ein Beyspiel nehmen , wie diese einzelnen Veränderungen zusammen gesetzet werden können . Der simple Gesang steht auf der ersten , und der mit den Veränderungen auf der zweyten Zeile . Die Ziffern so unten stehen , zeigen die Numern oder Figuren der Exempel aus den vorhergehenden Tabellen ; und die darüber befindlichen Buchstaben ,
den Ort der Veränderungen , an . Unter diesen sind etliche nicht auf eben denselben Tönen , wie sie in den Tabellen stehen , sondern entweder höher oder niedriger gesetzet : um zu weisen , daß wie oben bereits gemeldet worden , die Veränderungen , so wohl in Modulationen mit der großen , als mit der kleinen Terze versetzet werden können .
24. §.
Diese Art zu verändern will ich nun zwar keinem puren Anfänger , der noch nicht einmal den simpeln Gesang recht zu spielen weis , zumuthen : sondern ich gebe solche nur den schon Geübten , welchen es aber , an der wahren Anführung gefehlet hat , zum Nachforschen ; um sich hierdurch immer mehr und mehr vollkommener zu machen . Ich verlange such nicht , daß man alle Adagio , wie dieses einrichten , und so mit Manieren überhäufen solle : sondern es ist dergleichen nur da , wo es der platte Gesang , wie hier , erfodert , anzubringen . Ich bleibe im übrigen bey der Meynung , wie ich schon vorher gemeldet habe : je simpler und properer ein Adagio mit Affecte gespielet wird ; jemehr nimmt es den Zuhörer ein : und je weniger werden des Componisten seine guten Gedanken , so er mit Fleiß und Nachsinnen erfunden , verdunkelt oder vernichtet . Denn es ist etwas rares , so gleich im Spielen etwas bessers , als ein anderer , der vielleicht lange darauf gedacht hat , zu erfinden .
25. §.
Ich muß nun auch noch zeigen , wie jede Note in diesem Exempel , absonderlich in Ansehung des abwechselnden Forte und Piano , gut vorzutragen sey . Ich gebe hierdurch die im 14. §. des XI . Hauptstücks versprochene Erläuterung der Mannigfaltigkeit des guten Vortrages : und weil ich glaube , daß es den Liebhabern dieses guten Vortrages nicht zuwider seyn wird ; so will ich alle die Veränderungen , die ich über die simpeln Intervalle gegeben habe , auf diese Art durchgehen , und was durch Worte auszudrücken möglich ist , dabey bemerken : das übrige aber der Beurtheilungskraft , und der eigenen Empfindung eines aufmerksamen Ausführers überlassen . Die Ziffern weisen auf die Tabellen , und auf die Hauptexempel oder Figuren bey jedem Intervalle : die Buchstaben aber auf die darinn befindlichen Gänge , wovon die Rede seyn wird . Im Voraus erinnere ich noch , daß , so lange nichts vom Allegro gemeldet wird , allezeit das langsame Zeitmaaß dabey verstanden werde . Die abgekürzeten Worte sind folgender Gestalt zu verstehen : wa . wachsend , oder mit zunehmender Stärke des Tones ; abn. abnehmend , oder mit
abnehmender Stärke des Tones ; sta . starck ; stä . stärker ; schwa . schwach . Bey den Worten : stark und schwach , muß man sich in der Ausübung mit dem Zungenstoße oder Bogenstriche darnach richten , um jede Note entweder mehr , oder weniger zu markiren . Man muß auch eben diese Worte nicht jederzeit im äußersten Grade nehmen : sondern man muß hierbey wie in der Malerey verfahren ; allwo man um Licht und Schatten auszudrücken , sich der sogenannten mezze tinte oder Zwischenfarben bedienet , wodurch das Dunkle mit dem Lichten unvermerkt vereiniget wird . Im Singen und Spielen muß man also gleichergestalt sich des verlierenden Piano , und der wachsenden Stärke des Tones , als der Zwischenfarben bedienen : weil diese Mannigfaltigkeit , zum guten Vortrage in der Musik , unentbehrlich ist . Nun zur Sache .
26. §.
Tab. IX. Fig. 1. Bey ( a ) die drey geschwänzten Noten schwa . die Viertheilnoten C , C , C , wa . Bey ( b ) das C mit dem Puncte wa . die folgenden kurzen Noten und das erste C , schw. das folgende sta . das Viertheil wa . Bey ( c ) in derselben Art. Bey ( e ) die Hauptnoten wa . die kleinen schwa . Bey ( h ) der Triller sta . der Nachschlag schwa . Bey ( l ) C , wa . F , E , abn. E , sta. G , schwa . H , sta. C , schwa . Bey ( ll ) C , E , wa. F , schwa . G , E , C , wa . Die kleinen Noten schwa . Bey ( o ) C , wa . unter dem Laufe abn. C , C , C , sta . Bey ( p ) die erste sta . die folgenden drey schwa . G , sta . F , E , D , schwa . C , wa . Bey ( r ) die erste sta . die zweyte und dritte schwa . und so die übrigen Triolen .
27. §
Tab. IX. Fig. 2. Bey ( b ) können diese Art Noten so aus dreyen bestehen , allezeit zum Muster dienen , daß sie auf eine schmeichelnde Art vorgetragen werden müssen , nämlich : die erste wa . der Punct abn. die zwo folgenden geschwind und schw. angeschleifet . Bey ( c ) die erste und dritte wa . die zweyte und vierte schwa . und die bey ( d ) in derselben Art. Bey ( f ) die mit dem Puncte wa . die vier geschwinden schwa . Bey ( g ) C , wa . die vier geschwinden schwa . E , sta . und so die übrigen . Bey ( l ) die erste sta . die Triole schwa . und egal . Bey ( ll ) die Triolen sta . die Sechzehntheile schwa . Bey ( m ) die erste sta . die fünf folgenden schw. Bey ( o ) die erste sta. D , E , D , abn. C , schwa . und so die übrigen . Bey ( p ) die erste sta . die geschwinden schwa . Bey ( q ) C , wa . E , schw. und sehr kurz , der Vorschlag wa. D , schwa . F , sta.
E , schwa . Die Art Noten bey ( r ) können allezeit zum Muster dienen , nämlich : die ersten zwo schwa . und präcipitiret ; die Note mit dem Puncte wa . Die bey ( s ) können in der Art so wohl im Geschwinden , als Langsamen zum Muster dienen , nämlich die ersten sehr kurz und etwas sta . die mit dem Puncte abn. und angehalten . Die bey ( v ) gehören mehr zum Geschwinden , als Langsamen , und muß alsdenn die erste von vieren markiret werden . Die bey ( y ) auf gleiche Art .
28. §.
Tab. IX. Fig. 3. Bey ( b ) D , wa . der Punct nebst G , E , abn. D , wa . der C-Triller abn. C , wa . H , abn. Bey ( d ) D , wa . E , Fis , G , schwa . A , sta. C , schwa . Bey ( f ) D , sta. C , H , schwa . und so die folgenden . Bey ( g ) der Triller sta . der Punct nebst den zwo Noten abn. Tab. X. Fig. 3. Bey ( l ) D , sta . H , und D nach der Pause schwa . und so die folgenden . Bey ( n ) D , sta. H , schwa . C , D , wa . die folgenden eben so . Bey ( o ) die erste sta . die zweyte schwa . und so die folgenden . Bey ( p ) D , sta . G , Fis , G , schwa . D , wa . und so die folgenden . Bey ( q ) die erste von einer jeden Triole sta . die zweyte und dritte schwa . Bey ( t ) D , sta . die vier geschwinden schwa . und so die folgenden .
29. §.
Tab. X. Fig. 4. Bey ( e ) E , sta. F , schwa . und wa . G , A , auf gleiche Art. C , schwa . Bey ( f ) E , schwa . und bis an den Punct wa . F , G , schwa . und wa . A , C , schwa . Diese beyden Exempel sind eine Art vom Tempo rubato , welche zu mehrerem Nachdenken Anlaß geben können . Im ersten wird anstatt der Terze , die Quarte gegen die Grundstimme vorausgenommen , und im zweyten , die None anstatt der Terze zurück gehalten , und in dieselbe aufgelöset ; s. Tab. VIII. Fig. 4. Bey ( m ) die erste sta . die vier folgenden abn. und so die übrigen . Bey ( n ) die erste bis an den Punct wa . die drey folgenden schwa . und so die übrigen .
30. §.
Tab. X. Fig. 5 . Mit diesen beyden Exempeln bey ( a ) ( b ) hat es gleiche Bewandtniß , wie mit dem bey Fig. 4. ( e ) ( f ) ; jene sind steigend , und diese fallend . Bey ( a ) wird anstatt der Terze , die Secunde vorausgenommen , und durch die Grundstimme in die Terze aufgelöset ; und bey ( b ) die Quarte anstatt der Terze zurück gehalten , und in dieselbe aufgelöset ; s. Tab. VIII. Fig. 5 . Der Vortrag ist mit jenem ebenfalls einerley .
Bey ( e ) die erste sta . die drey folgenden schwa . und so die übrigen . Bey ( l ) die erste und vierte sta . die zweyte und dritte schwa . Spielet man dieselben Noten geschwind , so muß die dritte , weil sie am tiefsten herunter fällt , stärker markiret werden , als die andern . Bey ( n ) die die erste sta . die zweyte und dritte schwa . die vierte sta . Im Geschwinden , muß die erste ein wenig angehalten , und die vierte sehr kurz gestoßen werden ; Bey ( p ) die erste sta . die zweyte schwa . die kleine Note schwa : und die übrigen wie die ersten zwo . Bey ( q ) die erste Triole sta . die zweyte schwa . und so die übrigen .
31. §.
Tab. XI. Fig. 6. Bey ( a ) E , wa . Fis , schwa . und kurz angeschleifet . der Fis-Triller sta . G , schwa . Bey ( b ) E , sta. C , schwa . der Fis-Triller sta . G , schwa . Bey ( d ) und ( e ) die vier Sechzehntheile egal an einander gezogen ; der Fis-Triller schwa . G , stä . Bey ( h ) der Triller sta. D , C , H , schwa . A , Fis , sta . Der Vorschlag mit einem pincé ins G geendiget . Bey ( i ) die mit dem Puncte wa . die kurzen schwa . Bey ( ll ) E , sta . das hohe E , D , schwa . gezogen , Fis sta. G , schwa . Bey ( q ) E , sta. C , A , schwa . G , Fis , sta. A , D , schwa . Fis , G , stärker .
32. §.
Tab. XI. Fig. 7. Bey ( a ) E , wa . G , E , schwa . Bey ( b ) E , sta . G , F , G , schwa . E , stä . Bey ( c ) E , sta. G , C , schwa . E , sta . Bey ( d ) E , schwa . Fis sta . und wa . G , E , ganz schwa . Bey ( n ) der Triller sta. D , C , schwa . G , sta. E , schwa . Bey ( p ) die ersten drey sta . die übrigen schwa . Bey ( q ) auf eben die Art. Bey ( t ) E , wa . die übrigen schwach .
33. §.
Tab. XII. Fig. 8. Bey ( c ) G , F , G , A , sta . H , A , H , C , schwa . D , sta . und kurz ; D , sta . E , F , wa . Bey ( d ) die drey geschwänzten sta . das Achttheil schwa . und so die übrigen . Bey ( l ) G , markiret , G , F , E , schwa . und so die übrigen . Bey ( m ) G , G , wa. F , schwa . Bey ( o ) G , sta . von D , bis G , schwa . F , sta . Bey ( r ) G , A , H , sta. C , D , E , F , abn. G , A , H , C , wa. D , H , G , F , schwa . und gezogen . Bey ( s ) D , sta. G , schwa . und kurz , F , wa . E , abn. Bey ( t ) D , E , D , wa . E , sta. F , schwa . Nach den Manieren bey ( v ) ( w ) ( x ) (y ) ( z ) ( aa ) kann man den Vorschlag , dann und wann , um einen halben Ton durch ein Kreuz erhöhen , wie bey ( v ) zu sehen . Bey ( gg ) G , wa. der F-Triller schwa . E , F , abnehmend .
34. §.
Tab. XII. Fig. 9. Bey ( a ) ( b ) ( c ) ( d ) können die Terzensprünge unterwärts mit kleinen Noten ausgefüllet werden ; die Hauptnoten aber wa . Bey ( e ) C , wa . E , abn. E , wa . G , abn. der E-Triller wa . und abn. Bey ( g ) (m ) die Hauptnoten sta . die durchgehenden schwach .
35. §.
Tab. XIII. Fig. 10. Bey ( b ) ( d ) können die Terzensprünge mit kleinen Noten ausgefüllet werden . Bey ( e ) die ersten fünf Noten sta . die drey letzten schwa . Bey ( f ) C , A , schwa . G , F , sta . A , F , wa . Bey ( g ) C , sta. D , E , F , G , A , B , abn. C , sta . A , G , F , schwa . Bey ( h ) der C-Triller mit dem Nachschlage sta . F , schwa . A , sta. F , schwa . Bey ( i ) die erste und dritte wa . die zweyte und vierte schwa . und so die übrigen .
36. §.
Tab. XIII. Fig. 11. Bey ( a ) eine jede Note wa . Bey ( c ) C , wa. D , E , F , G , abn. G , sta. D , F , schwa . Bey ( h ) C , D , E , F , gezogen , G , G , G , kurz und egal , D , schwa . G , F , schwa . Bey ( k ) C , H , C , sta . G , G , wa . G , A , G , F , schwa . auch kurz und egal gestoßen .
37. §.
Tab. XIII. Fig. 12. Bey ( a ) G , wa . A , sehr schwa . Bey ( b ) G , sta. E , C , schwa . Bey ( c ) G , sta . F , E , D , C , schwa . Bey ( f ) G , sta . F , E , schwa . F , E , sta. D , C , schwa . D , stark .
38. §.
Tab. XIII. Fig. 13. Bey ( a ) A , sta. F , D , schwa . und gezogen ; Bey ( b ) A , schwa . D , wa. C , schwa . Bey ( f ) ( g ) viere sta . und viere schwa . ob es die ersten oder letzten sind , gilt gleich viel . Bey ( l ) die ersten fünfe schwa . C , stark .
39. §
Tab. XIV. Fig. 14. Bey ( d ) B , wa . A , B , C , B , abn. G , E , sta . Bey ( g ) die ersten fünfe sta . die letzten drey schwa . Bey ( l ) E , sta . B , G , schwa . E , sta . Bey ( ll ) E , wa . F , E , sta. B , schwa . D , schwa . Bey ( n ) E , F , schwa . Fis , G , sta . B , G , E , D , schwa . Bey ( o ) E , G , B , A , gezogen und sta . B , D , schwa . Bey ( s ) E , G , sta . B , A , G , schwa . F , E , D , wachsend .
40. §.
Die übrigen Exempel , und was ich hier übergangen habe , sind entweder schon in dem Hauptstücke von den willkührlichen Veränderungen
erkläret worden , oder kommen noch in dem folgenden Exempel vom Adagio vor ; welches in den Tabellen XVII. XVIII. und XIX. befindlich ist . Man suche also in Tab. XVII. bey der zweyten Zeile , worauf die Veränderungen stehen , die Buchstaben über den Noten , und die Ziffern unter denselben , welche anzeigen , aus welcher Figur die Veränderungen genommen sind , auf .
41. §.
Tab. XVII . Die erste Note G , wa . Bey ( c ) ( 26 ) , die zwo kleinen Noten schwa . C , sta . und wa . Bey ( ll ) ( 9 ) E mit dem Triller sta . und abn. D , C , schwa . Bey ( d ) ( 28 ) D , sta. C , schwa . H , sta . A , G mit dem Triller , schwa . Bey ( i ) ( 8 ) G , schwa. H , D , sta . Bey ( f ) ( 26 ) die zwo kleinen Noten schwa . F , F , wa . Bey ( aa ) ( 8 ) A , G , schwa . F , E , D , stä . Bey ( b ) ( 26 ) die zwo kleinen Noten schwa . Bey ( b ) ( 28 ) E , sta. D , schwa . C , sta . und abn. E , wa . Bey ( a ) ( 3 ) D , wa . F , E , schwa . D , wa. C , mit dem Triller und Nachschlage , schwa . der Vorschlag C , sta. H , schwa . Bey ( f ) ( 7 ) E , sta. C , schwa . G , sta. E , schwa . Bey ( k ) ( 3 ) D , sta . G , wa. D , C , schwa . A , wa. C , schwa . die kleine Note C , wa . H , mit dem Triller abn . Bey ( v ) ( 8 ) D , wa. C , H , C , D , schwa . Bey ( c ) ( 6 ) E , wa . Fis , G , schwa . Bey ( g ) ( 6 ) Fis , sta. D , E , schwa . Fis , sta . G , A , schwa . Bey ( b ) ( 23 ) G mit dem Triller sta . Fis , E , schwa . D , sta . Bey ( f ) ( 8 ) D , sta. E , D , E , schwa . F , sta . Bey ( v ) ( 6 ) F , sta. E , schwa. C , A , E , abn. E , sta . Fis , schwa. D , A , Fis , abn . Fis , sta. G , schwa . Bey ( d ) ( 20 ) G , H , A , wa . G , A , H , abn. C , wa . Bey ( ll ) ( 25 ) die vier kleinen Noten schwa . Bey ( m ) ( 25 ) A und H , sta . und hart gestoßen , die vier kleinen Noten schwa . C , sta . und hart gestoßen , H , schwa . A , mit dem Triller , wa. G , schwa . Bey ( g ) ( 20 ) G , wa . die vier kleinen Noten abn . Bey ( g ) ( 20 ) A , B , H , C , Cis , wa . Bey ( b ) ( 2 ) D , schwa . und wa . E , F , schwa . Bey ( k ) ( 2 ) E , sta . G , F , schwa . E , sta . F , G , schwa . F , mit dem Triller sta . E , schwa . F , wa . G , sta . Bey ( b ) ( 23 ) der Triller sta . und abn. G , F , schwa . Bey ( l ) ( 14 ) E , sta . B , G , E , schwa . D , wa . der Cis-Triller abn . Bey ( x ) ( 8 ) E , wa. D , Cis , H , Cis , A , abn. F , A , wa . Bey ( c ) ( 13 ) A , sta . G , F , E , schwa . D , sta. C , schwa . der Vorschlag C , wa . H mit dem Triller abn. Bey ( p ) ( 18 ) D , kurz und sta. D , E , F , schwa. der E-Triller sta. D , E , schwa . Bey ( c ) ( 5 ) F , sta. D , wa. F , schwa . E , sta. C , wa . E , schwach .
42. §.
Tab. XVIII. Bey ( e ) ( 22 ) der E-Triller sta . G , E , schwa . D , sta . Bey ( z ) ( 8 ) D , wa. C , D , H , abn. die Vorschläge schwa. C , A , wa . Bey ( e ) ( 14 ) F , D , F , E , schwa . D , C , H , A , sta . A mit dem Triller sta . Gis , schwa . Bey ( a ) ( 8 ) E , Gis , H , wa. C , D , schwa . der C-Triller sta . H , schwa . A , sta . und abn. Bey ( k ) ( 8 ) E , sta . Gis , H , Gis , schwa . D , Gis , H , A , Gis , sta . F , E , D , schwa . der C-Triller sta . H , schwa . A , sta . Bey ( ff ) ( 8 ) A , wa . G , F , E , schwa . der Vorschlag E , wa. F , schwa. E , D , E , C , sta . Bey ( p ) ( 14 ) die sechs Noten schwa . und schmeichelnd ; der Gis-Triller sta . Bey ( i ) ( 19 ) F , F , E , E , D , ganz schwa . Bey ( e ) ( 3 ) die zwo Triolen nebst dem H-Triller sta . A , abn. Bey ( e ) ( 11 ) die vier Triolen nebst dem F-Triller , und die folgenden zwo Noten ganz schw. und ohne große Bewegung der Brust . Bey ( q ) ( 8 ) die acht Sechzehntheile , nebst dem E-Triller , bis ins C , sta . doch eine jede Note wa . G , wa . die vier kleinen Noten schwa . Bey ( c ) ( 5 ) A , sta . H. C , schwa . G , sta. H , C , schwa . Bey ( d ) ( 5 ) F , wa . A , G , F , schwa. E , C , wa . Bey ( c ) ( 25 ) D , wa . die vier kleinen Noten abn. E , F , sta . die kleinen Noten schwa . G , sta . Bey ( m ) ( 13 ) A , sta . F , F , E , schwa . Bey ( n ) ( 13 ) D , Fis , A , sta. C. schwa. Bey ( d ) ( 21 ) wie in dem XIII. Hauptstücke , 36. §. bey Fig. 21 . ( d ) ausführlich ist erkläret worden , welches man , um hier keine unnöthige Wiederholung zu machen , allda nachlesen kann . Bey ( c ) ( 20 ) G , wa . die übrigen abn . Bey ( l ) ( 9 ) C , sta. D , E , schwa . E , F , G , sta . E , F , G , schwa. E , D , C , sta . Bey ( o ) ( 24 ) bis G mit dem Triller sta . Bey ( f ) ( 27 ) G , wa . die übrigen abnehmend .
43. §.
Tab. XIX . Die Triolen bey ( s ) ( 1 ) und ( cc ) ( 8 ) schwa . D , sta. F , schwa. der E-Triller und C , sta . A , wa . Bey ( c ) ( 15 ) A , H , C , D , sta. G , schwa . und wa. C , H , C , E , G , F , schwa . und wa . H , D , F , sta. E , schwa . und wa . G , F , E , schwa . Bey ( kk ) ( 8 ) D , und die folgenden geschwinden Noten sta . F , und die folgenden geschwinden Noten schwa . A , sta. C , schwa . Bey ( h ) ( 4 ) der H-Triller nebst A , G , sta . Bey ( m ) ( 25 ) vom C , nebst den folgenden Noten und dem Triller bis C , sta . das folgende C , schwa . H , wa. C , D , schwa . Bey ( o ) ( 14 ) G , H , D , C , sta . D. F , schwa. der E-Triller , F , G , sta. C , und bey ( m ) ( 23 ) C nebst beyden Triolen schwa . Bey ( ll ) ( 8 ) die acht Noten bis in den E-Triller sta . Bey ( b ) ( 20 ) G , A , G , F , G , wa. H , C , schwa . und bis
bey ( d ) ( 16 ) C , D , C , wa. H , C , A , abn. D , wa . Bey ( c ) ( 16 ) H , C , D , sta . Bey ( e ) ( 26 ) D , F , E , schwa . und wa . Bey (a) ( 16 ) G , F , E , schwa . F , F , wa . A , G , F , sta . Bey ( hh ) ( 8 ) G , sta. D , wa. F , schwa. der E-Triller nebst D , E , sta . Bey (m ) ( 5 ) die acht Noten schwa . Bey (n ) ( 22 ) F , E , schwa. C , G , E , D , sta . G , und die folgenden Sechzehntheile nebst den Vorschlägen bey ( a ) ( 18 ) schwa . und schmeichelnd . Bey ( o ) ( 5 ) die vier Triolen sta . und gezogen . Und so fährt man fort bis an die Cadenz , und endiget die letzte Note , durch ein verlierendes Piano .
Das XV. Hauptstück .
Von den Cadenzen .
1. §.
Ich verstehe unter dem Worte Cadenz hier nicht die Schlüsse oder Absätze in der Melodie ; noch weniger den Triller , welchen einige Franzosen cadence nennen . Ich handele hier von derjenigen willkührlichen Auszierung , welche von einer concertirenden Stimme , beym Schlusse des Stücks , über der vorletzten Note der Grundstimme , nämlich über der Quinte der Tonart woraus das Stück geht , nach dem freyen Sinne und Gefallen des Ausführers , gemachet wird .
2. §.
Es ist vielleicht noch kein halbes Jahrhundert her , daß diese Cadenzen bey den Italiänern aufgekommen , nachher aber von den Deutschen , und von andern , welche sich beflissen haben im italiänischen Geschmacke zu singen und zu spielen , nachgemachet worden sind . Die Franzosen haben sich ihrer noch immer enthalten . Die Cadenzen müssen zu der Zeit , da Lülly Welschland verlassen hat , vermuthlich noch nicht Mode gewe- gewesen seyn : denn wer weis ob er diesen Zierrath sonst nicht auch bey den Franzosen eingeführet hätte . Es ist vielmehr zu glauben , daß die Cadenzen erst nach der Zeit , da Corelli seine in Kupfer gestochenen 12 Solo vor die
Violine herausgegeben hat , in den Brauch gekommen sind . * Die sicherste Nachricht die man vom Ursprunge der Cadenzen geben könnte , ist diese , daß man einige Jahre vor dem Ende des vorigen Jahrhunderts , und die ersten zehn Jahre des itzigen , den Schluß einer concertirenden Stimme , durch eine kleine Passagie , über dem fortgehenden Basse , und durch einen daran gehengeten guten Triller gemacht hat : daß aber ohngefähr zwischen 1710 . und 1716 . die itzo üblichen Cadenzen , bey denen sich der Baß aufhalten muß , Mode geworden sind . Die Fermaten , oder sogenannten Aufhaltungen ad Libitum in der Mitte eines Stücks aber , mögen wohl etwas ältern Ursprunges seyn .
Bald nach der ersten Ausgabe erschienen diese Sonaten , unter des Urhebers Namen von neuem in Kupfer , und bey den zwölf Adagio der ersten sechs Sonaten befanden sich die Veränderungen dabey gestochen . Es war aber keine einige einzige Cadenz ad libitum dabey . Kurze Zeit darauf setzete der ehemals in Oesterreichischen Diensten gestandene , berühmte Violinist , Nicola Mattei noch andere Manieren zu eben diesen zwölf Adagio . Dieser hat zwar etwas mehr gethan , als Corelli selbst , indem er dieselben mit einer Art von kurzer Auszierung beschlossen . Sie sind aber noch keine Cadenzen ad libitum , wie man itziger Zeit machet , sondern sie gehen nach der Strenge des Tactes , ohne Aufhalten des Basses fort . Beyde Exemplare habe ich schon seit dreyßig und mehr Jahren in Händen .
3. §.
Ob die Cadenzen , mit ihrer Geburth , zugleich auch Regeln , worinn sie eigentlich bestehen sollen , mitgebracht haben ; oder ob sie nur , von einigen geschikten Leuten , willkührlich und ohne Regeln erfunden worden sind , ist mir unbekannt . Doch glaube ich das letztere . Denn schon vor etlichen und zwanzig Jahren eiferten die Componisten in Italien , wider den Misbrauch , der in diesem Puncte , in Opern , so häufig von den mittelmäßigen Sängern begangen wurde . Die Componisten beschlossen deswegen , um den ungeschickten Sängern die Gelegenheit zum Cadenziren zu benehmen , die meisten Arien mit Baßmäßigen Gängen , im Unison .
4. §.
Der Misbrauch der Cadenzen besteht nicht allein darinne , wenn sie , wie gemeiniglich geschieht , an sich selbst nicht viel taugen : sondern auch wenn sie bey der Instrumentalmusik , bey solchen Stücken angebracht werden , wohin sich gar keine schicken ; z. E. bey lustigen und geschwinden Stücken die im 2/4 , 3/4 , 3/8 , 12/8 und 6/8 Tacte gesetzet sind . Sie finden
nur nur in pathetischen und langsamen , oder in ernsthaften geschwinden Stücken statt .
5. §.
Die Absicht der Cadenz ist keine andere , als die Zuhörer noch einmal bey dem Ende unvermuthet zu überraschen , und noch einen besonderen Eindruck in ihrem Gemüthe zurück zu lassen . Deswegen würde , dieser Absicht gemäß , in einem Stücke eine einzige Cadenz genug seyn . Es ist folglich wohl als ein Misbrauch anzusehen , wenn ein Sänger im ersten Theile der Arie zwo , und im zweyten Theile auch noch eine Cadenz machet : denn auf diese Art kommen , wegen des Da Capo , fünf Cadenzen in eine Arie . Ein solcher Ueberfluß kann nicht nur den Zuhörer leicht ermüden ; zumal wenn die Cadenzen , wie sehr oft geschieht , einander immer ähnlich sehen : sondern er giebt auch einem an Erfindung nicht gar zu reichen Sänger Gelegenheit , sich desto eher zu erschöpfen . Machet aber der Sänger nur beym Hauptschlusse eine Cadenz ; so bleibt er im Vortheile , und der Zuhörer bey Appetite .
6. §.
Es ist zwar nicht zu läugnen , daß die Cadenzen , wenn sie so gerathen , wie es die Sache erfodert , und am rechten Orte angebracht werden , zu einer Zierde dienen . Man wird aber auch einräumen , daß sie , da sie selten von rechter Art sind , gleichsam , und zumal beym Singen , nur zu einem nothwendigen Uebel gediehen sind . Wenn keine gemachet werden , so hält man es für einen großen Mangel . Mancher aber würde sein Stück mit mehr Ehre beschließen , wenn er gar keine Cadenz machete . Indessen will oder muß ein jeder , der sich mit Singen oder Solospielen abgiebt , Cadenzen machen . Weil aber nicht allen die Vortheile und die rechte Art derselben bekannt sind : so fällt diese Mode dem größten Theile zur Last .
7. §.
Regeln von Cadenzen sind , wie ich schon gesaget habe , noch niemals gegeben worden . Es würde auch schwer fallen , Gedanken , die willkührlich sind , die keine förmliche Melodie ausmachen sollen , zu welchen keine Grundstimme statt findet , deren Umfang , in Ansehung der Tonarten welche man berühren darf , sehr klein ist , und die überhaupt nur als ein Ohngefähr klingen sollen , in Regeln einzuschließen . Doch giebt es einige aus der Setzkunst fließende Vortheile , deren man sich bedienen kann , wenn man nicht , wie Viele thun , die Cadenzen nur nach dem Gehöre ,
wir die Vögel ihren Gesang lernen , ohne zu wissen , worinn sie bestehen , und wohin sie sich schicken , auswendig lernen , und bisweilen in einem traurigen Stücke etwan eine lustige , oder in einem lustigen wieder eine traurige Cadenz hören lassen will .
8. §.
Die Cadenzen müssen aus dem Hauptaffecte des Stückes fließen , und eine kurze Wiederholung oder Nachahmung der gefälligsten Clauseln , die in dem Stücke enthalten sind , in sich fassen . Zuweilen trifft sichs , daß man wegen Zerstreunng der Gedanken nicht sogleich etwas neues zu erfinden weis . Hier ist nun kein besser Mittel , als daß man sich , aus dem Vorhergehenden , eine von den gefälligsten Clauseln erwähle , und die Cadenz daraus bilde . Hierdurch kann man nicht nur zu allen Zeiten den Mangel der Erfindung ersetzen ; sondern man wird auch jederzeit der herrschenden Leidenschaft des Stückes eine Gnüge thun . Dieses will ich einem jeden , als einen nicht gar zu bekannten Vortheil , empfohlen haben .
9. §.
Die Cadenzen sind entweder ein- oder zweystimmig . Die einstimmigen vornemlich sind , wie oben schon gesaget worden , willkührlich . Sie müssen kurz und neu seyn , und den Zuhörer überraschen , wie ein bon mot . Folglich müssen sie so klingen , als wenn sie in dem Augenblicke , da man sie machet , erst gebohren würden . Man gehe demnach nicht zu verschwenderisch , sondern als ein guter Wirth damit um ; besonders wenn man öfters einerley Zuhörer vor sich hat .
10. §.
Weil der Umfang sehr klein , und leicht zu erschöpfen ist : so fällt es schwer die Aehnlichkeit zu vermeiden . Man darf deswegen in einer Cadenz nicht zu vielerley Gedanken anbringen .
11. §.
Weder die Figuren , noch die simpeln Intervalle , womit man die Cadenz anfangt und endiget , dürfen in der Transposition mehr als zweymal wiederholet werden ; sonst werden sie zum Ekel . Ich will hierüber zwo Cadenzen , in einerley Art , zum Muster geben ; s. Tab. XX. Fig. 1. und Fig. 2. In der ersten finden sich zwar zweyerley Figuren . Weil aber eine jede Figur viermal gehöret wird : so empfindet das Gehör einen Verdruß darüber . In der zweyten hingegen werden die Figuren nur einmal wiederholet , und wieder durch neue Figuren unterbrochen . Sie ist
deswegen der erstern vorzuziehen . Denn ie mehr man das Ohr durch neue Erfindungen betriegen kann ; ie angenehmer fällt es demselben . Es müssen folglich die Figuren immer in verschiedener Art mit einander abwechseln . In der erstern Cadenz findet sich über dem noch der Fehler , daß sie vom Anfange bis zum Ende immer aus einerley Tactart , und Eintheilung der Noten besteht , welches gleichfalls wider die Eigenschaft der Cadenzen läuft . Will man aus der zweyten Cadenz simple Intervalle machen ; so darf man nur von jeder Figur die erste Note nehmen , s. Fig. 3. da sich denn diese zum Adagio , jene aber zum Allegro schicket .
12. §.
Da man in der Transposition die Figuren oder Clauseln nicht zu oft wiederholen darf : so darf man solches noch weniger auf einerley Tone thun . Man muß bey den Cadenzen überhaupt sich hüten , die Töne womit sich die Clauseln anfangen , als welche sich dem Gehöre mehr , als die andern eindrücken , nicht zu oft hören zu lassen : besonders am Ende , wo man sich in der Sexte oder Quarte vom Grundtone an gerechnet , immer ein wenig aufzuhalten pfleget . Denn dieses würde dem Ohre eben so widerwärtig vorkommen , als wenn man in einer Rede verschiedene Perioden nach einander immer mit demselben Worte anfangen oder endigen wollte .
13. §.
Ob die Cadenzen gleich willkührlich sind : so müssen doch die Intervalle darinne ihre richtige Auflösung bekommen : besonders wenn man durch Dissonanzen in fremde Tonarten ausweicht ; welches durch die Sprünge in die falsche Quinte , oder in die übermäßige Quarte geschehen kann , s. Tab. XX. Fig. 4.
14. §.
In den Tonarten muß man nicht gar zu weit ausschweifen , und keine Töne berühren , die mit dem Haupttone gar keine Verwandtschaft haben . Eine kurze Cadenz muß gar nicht aus ihrer Tonart weichen . Eine etwas längere kann am natürlichsten in die Quarte ; und eine noch längere in die Quarte und Quinte ausweichen . In Durtönen geschieht die Ausweichung in die Quarte durch die kleine Septime , s. Fig. 5. das Dis unter dem Buchstaben ( a ) ; die Ausweichung in die Quinte geschieht durch die übermäßige Quarte , s. das H unter dem Buchstaben ( b ) ; und die Rückkehr in den Hauptton durch die ordentliche Quarte , s. das B unter dem Buchstaben ( c ) . In Molltönen geschieht die Ausweichung
in die Quarte vermittelst der großen Terze , s. Fig. 6. das H unter dem Buchstaben ( a ) ; die Ausweichung in die Quinte , und die Rückkehr in den Hauptton aber , geschehen eben so wie bey der größern Tonart , s. Cis und C unter den Buchstaben ( b ) und ( c ) . Aus der größern Tonart kann man wohl in die kleinere gehen ; doch muß es nur in der Kürze , und mit vieler Behutsamkeit geschehen : damit man mit guter Art wieder in die Hauptnote kommen möge . In den kleinern Tonarten kann man durch halbe Töne , stufenweise , auf oder niederwärts gehen : doch müssen deren über drey bis viere nicht nach einander folgen , sonst können sie , wie alle andere sich ähnliche Clauseln , zum Ekel werden .
15. §
Wie eine lustige Cadenz aus weitläuftigen Sprüngen , lustigen Clauseln , untermischten Triolen und Trillern u. d. gl. gebildet wird , s. Tab. XX. Fig. 7 ; so besteht hingegen eine traurige fast aus lauter nahe an einander liegenden , mit Dissonanzen vermischten Intervallen , s. Fig. 8. Die erste davon schicket sich zu einem muntern , die andere hingegen zu einem sehr traurigen Stücke . Man muß sich hierbey wohl in Acht nehmen ; damit man nicht in ungereimte Mengereyen und Verwechselungen des Lustigen und Traurigen verfalle .
16. §.
Eine ordentliche Tactart wird selten beobachtet ; ja sie darf nicht einmal beobachtet werden . Denn die Cadenzen sollen nicht aus einer an einander hängenden Melodie , sondern vielmehr aus abgebrochenen Gedanken bestehen ; wenn sie nur dem vorhergehenden Ausdrucke der Leidenschaften gemäß sind .
17. §
Die Cadenzen für eine Singstimme , oder ein Blasinstrument müssen so beschaffen seyn , daß sie in einem Athem gemachet werden können . Ein Seyteninstrumentist kann sie so lang machen , als ihm beliebet ; sofern er anders reich an Erfindung ist . Doch erlanget er mehr Vortheil durch eine billige Kürze , als durch eine verdrüßliche Lange .
18. §.
Ich gebe die hier befindlichen Exempel nicht für vollkommene und ausgearbeitete Cadenzen aus ; sondern nur für Muster , wodurch man einiger maaßen die Ausweichungen der Tonarten , die Zurückkehrungen in den Hauptton , die Vermischungen der Figuren , und überhaupt die Eigenschaften der Cadenz begreifen lerne . Vielleicht möchte mancher
wünschen , daß ich eine Anzahl von ausgearbeiteten Cadenzen beygefüget hätte . Allein weil man nicht vermögend ist , alle Cadenzen so zu schreiben , wie sie gespielet werden müssen : so würden auch alle Exempel von ausgearbeiteten Cadenzen nicht hinreichend seyn , einen vollständigen Begriff davon zu geben . Man muß also , die Art gute Cadenzen zu machen , vielen geschikten Leuten abzuhören suchen . Hat man nun zuvor einige Erkenntniß von der Cadenzen Eigenschaften , so wie ich sie hier mitzutheilen mich bemühe ; so kann man das , was man von andern höret , desto besser prüfen : um das Gute zum eigenen Vortheile anzuwenden , das Böse aber zu vermeiden . Oefters werden , auch von sehr geschikten Tonkünstlern , in Ansehung der Cadenzen , Schwachheiten begangen ; entweder aus übel aufgeräumter Gemüthsbeschaffenheit , oder aus allzuvieler Lebhaftigkeit , oder aus Kaltsinnigkeit und Nachläßigkeit , oder aus Trockenheit der Erfindung , oder aus Geringschätzung der Zuhörer , oder aus allzuvieler Künsteley , oder noch aus andern Ursachen , die man nicht alle bestimmen kann . Man muß sich demnach nicht durch das Vorurtheil verblenden lassen , als ob ein guter Musikus nicht auch dann und wann eine schlechte , ein mittelmäßiger hingegen eine gute Cadenz hervorbringen könnte . Die Cadenzen erfodern , wegen ihrer geschwinden Erfindung , mehr Fertigkeit des Witzes , als Gelehrsamkeit . Ihre größte Schönheit besteht darinn , daß sie als etwas unerwartetes den Zuhörer in eine neue und rührende Verwunderung setzen , und die gesuchte Erregung der Leidenschaften gleichsam aufs höchste treiben sollen . Man darf aber nicht glauben , daß eine Menge geschwinder Passagien solches allein zu bewerkstelligen vermögend sey . Nein , die Leidenschaften können viel eher durch etliche simple Intervalle , und geschickt darunter vermischete Dissonanzen , als durch viele bunte Figuren erreget werden .
19. §
Die zweystimmigen Cadenzen sind nicht so willkührlich , als die einstimmigen . Die Regeln der Setzkunst haben noch einen größern Einfluß darein : folglich müssen diejenigen , so sich mit Cadenzen dieser Art abgeben wollen , zum wenigsten die Vorbereitung und Auflösung der Dissonanzen , und die Gesetze der Nachahmungen verstehen ; sonst können sie unmöglich was gescheides hervorbringen . Von den Sängern werden die meisten von dergleichen Cadenzen vorher studiret , und auswendig gelernet : denn es ist eine große Seltenheit zweene Sänger zusammen anzutreffen , die etwas von der Harmonie oder der Setzkunst verstehen .
Die meisten geben , aus einem fortgepflanzeten Vorurtheile , welches die Faulheit zur Mutter , und zur Ernährerinn hat , vor , daß dergleichen Bemühung der Stimme nachtheilig sey . Unter den Instrumentisten findet man noch eher einige , welchen es an dieser Erkenntniß nicht fehlet .
20. §.
Die zweystimmigen Cadenzen können etwas länger gemacht werden , als die einstimmigen : weil die darinne enthaltene Harmonie dem Gehöre nicht so leicht verdrüßlich fällt ; auch alsdenn das Athemholen erlaubt ist .
21. §.
Diejenigen , welche nicht viel von der Harmonie wissen , behelfen sich mehrentheils nur mit Terzen- und Sexten-Gängen . Allein diese sind nicht hinlänglich den Zuhörer in Verwunderung zu setzen .
22. §.
So leicht aber die gedoppelten Cadenzen zu erfinden , und auf das Papier zu schreiben sind ; so schwer sind sie hingegen ohne Verabredung zu machen : weil keiner des andern Gedanken im Voraus wissen kann . Hat man aber die Vortheile , welche die Imitationen und der Gebrauch der Dissonanzen an die Hand geben , nur in etwas inne ; so ist diese Schwierigkeit leicht zu überwinden . Die Erfindung der Cadenzen aus dem Stegreife ist hier hauptsächlich mein Augenmerk . Ich will deswegen einige Exempel zum Muster beyfügen , welche man als einen Grundriß zu betrachten hat , worinne man die verschiedenen Arten der Nachahmungen , wie auch der Vorbereitungen und Auflösungen der Dissonanzen , welche hierzu dienen sollen , entworfen findet . Die Auszierungen aber , welche aus der Erfindungskraft fließen , und nicht in etliche wenige Exempel eingeschränket werden können , überlasse ich eines jeden seiner eigenen Erfindung und Geschmacke .
23. §.
Ausser den in gerader Bewegung mit einander fortgehenden Terzen und Sextengängen , bestehen die zweystimmigen Cadenzen überhaupt aus Imitationen , daß eine Stimme vorträgt , und die andere nachahmet . An diesen Imitationen haben die Bindungen großen Theil . Man bindet nämlich entweder die Secunde aus der Terze , und löset sie in die Terze oder Sexte auf : oder man kehret dieses um ; so daß aus der Sexte die Septime gebunden , und in die Sexte oder Terze aufgelöset wird . Oder man geht aus der Terze in die übermäßige Quarte , und umgekehrt ,
aus der Sexte in die falsche Quinte . Oder man verzögert auf der falschen Quinte in der Oberstimme die Auflösung in die Terze , woraus die ordentliche Quarte entsteht , die sich nachhero in die Terze auflöset . Wenn nun zwo Personen diese Vortheile inne haben , so können sie ohne Verabredung , und ohne die Regeln der Setzkunst zu überschreiten , von einer Dissonanz zur andern gehen .
24. §.
Bey einem Sextengange , wo man keine Dissonanzen berühren will , muß eine der beyden Stimmen eine Note voraus nehmen , es sey im Steigen , oder im Fallen ; damit die andere sich darnach richten könne ; s. Tab. XX. Fig. 9. allwo die unterste Stimme die Bewegung hat , und zu erkennen giebt , daß die Oberstimme im ersten Tacte steigen , und hernach wieder unterwärts gehen solle . Bey Fig. 10. machet die Oberstimme die Bewegung , und die unterste folget derselben . Wenn man in diesen beyden Gängen die oberste Stimme in die unterste , und die unterste in die oberste verwandelt ; so findet man die Art des Terzenganges .
25. §.
Der mit der Septime vermischete Sextengang ist von zweyerley Art , nämlich steigend und fallend . Bey dem steigenden geht die Oberstimme in die Octave , und die Unterstimme aus der Sexte in die Septime ; s. Tab. XX. Fig. 11. Bey dem fallenden Septimengange bindet die unterste Stimme , und die oberste resolviret : auch kann die unterste binden und auflösen , wie im zweyten Tacte des Exempels Fig. 12. zu ersehen ist . Wenn man bey den beyden vorigen Exempeln die erste Stimme zur zweyten , und die zweyte zur ersten machet ; so hat man den Terzengang , wo aus der Terze die Secunde gebunden , und in die Terze oder Sexte aufgelöset wird .
26. §.
Die erste Stimme , welche gemeiniglich den Vortrag thut , muß der zweyten nicht nur Gelegenheit zu antworten geben , und auf dieselbe warten ; sondern sie muß auch öfters , unter der Antwort , ein solches Intervall , welches zu einer neuen Bindung Anlaß giebt , zu wählen wissen : damit die Bindungen nicht alle auf einerley Art hinaus laufen . In dem Exempel bey Fig. 13. besteht die erste Bindung aus der kleinen Secunde ; die folgende aus der mangelhaften Septime : und indem die zweyte Stimme die Figur der ersten nachmachet , bereitet sich die erste durch das H zur folgenden Septime , und löset diese in die Sexte auf .
Die zweyte Stimme bindet hierauf vermittelst des H die Septime noch einmal ; durch das Cis gegen das G , als durch die falsche Quinte , geht sie zur Bindung , der Quarte D , u. s. w. wodurch das Ohr auf verschiedene Weise betrogen wird .
27. §.
Die Cadenzen können auch nach Art eines Canons eingerichtet werden , wie Tab. XX. bey Fig. 14. zu ersehen . Diese machet die Nachahmung in der Quarte tiefer . Die auf Tab. XXI. Fig. 1. imitiret durch Quinte und Sexte ; die bey Fig. 2. durch die übersteigende , in die Terze sich auflösende Secunde . Die bey Fig. 3. imitiret wechselsweis durch die übermäßige Quarte und falsche Quinte , wie auch durch die Quinte und Sexte . Die bey Fig. 4. bindet aus der Terze die Secunde , und aus der Sexte die Septime . Die erstere löset sich in die Sexte , und die zweyte in die Terze auf . Es kann aber dieser Gang , wegen des Quartensprunges , in der Transposition nicht über zweymal angebracht werden .
28. §.
In den hier angeführten Exempeln nun , sind die meisten Gänge enthalten , wodurch eine Stimme der andern , ohne Verabredung nachahmen kann . Nur ist dabey noch zu merken , daß es auf die erste Stimme , welche ordentlicher Weise den Antrag machet , hauptsächlich ankomme , die Gänge so einzurichten , daß es die zweyte , so wohl wegen der Deutlichkeit , als auch insonderheit wegen der Tiefe und Höhe der Töne , nachmachen könne . Versteht aber der erste nichts von den hier erfoderlichen Regeln , so kann auch des zweyten seine Wissenschaft hier nichts weiter helfen . Er muß nur suchen , so gut als möglich , dem ersten in puren Terzen und Sexten nachzugehen , und die Dissonanzen zu vermeiden : weil es eine sehr üble Wirkung thut , Dissonanzen ohne Auflösung zu hören .
29. §.
Wegen der Rückkehr zum Schlusse der Cadenz ist zu merken , daß die Quarte vom Endigungstone , oder die Septime von der Grundnote der Cadenz , welches einerley ist , die Endigung der Cadenz andeute . Sie kömmt mehrentheils in der obersten Stimme vor ; wenn nämlich die Cadenz durch die Terze im Einklange schließt . Die zweyte Stimme hat sich sodann hiernach zu richten , und muß unter dieser Quarte die falsche Quinte von der obern Stimme herunter gerechnet , anzubringen suchen ;
um durch die Auflösung in die Terze sich zum Schlusse zu bereiten : wie bey den oben beschriebenen Exempeln beobachtet worden . Bey Fig. 11. Tab. XX. im vorletzten Tacte kündiget die gebundene Note C in der ersten , s. ( a ) und Fis in der zweyten Stimme , s. ( b ) , das Ende an . Bey Fig. 12. thut es F mit der Septime G , s . ( c ) ( d ) ; bey Fig. 13. und 14. D mit Gis , s. ( e ) ( f ) , ( g ) ( h ) ; Tab. XXI. bey Fig. 1. Es mit A , s . ( i ) ( k ) ; bey Fig. 2. G mit Cis , s . ( l ) (m ) ; bey Fig. 3. F mit H , s. (n ) ( o ) ; und bey Fig. 4. C mit Fis , und B mit E , s. ( p ) ( q ) (r ) ( s ) : worauf allemal die Triller folgen . Wenn aber die Cadenz durch die Sexte in die Octave schließt : so kömmt die Quarte des Haupttones alsdenn in die zweyte Stimme , und die übermäßige Quarte von der untersten Stimme herauf gerechnet , als die umgekehrte falsche Quinte , in die erste Stimme .
30. §.
Bey den Vorträgen und Nachahmungen , ingleichen bey den Vorbereitungen und Auflösungen der Bindungen , kann man die Figuren , oder Auszierungen , nach Belieben verlängern oder verkürzen . Man betrachte Tab. XXI. Fig. 5. und 6. da die eine lang , und die andere kurz ist . Beyde Exempel sind aus dem bey Fig. 2. genommen . Das bey Fig. 5. ist durch die Figuren verlängert , und das bey Fig. 6. durch Verlassung derselben verkürzet worden . Auf solche Art kann man mit den übrigen verfahren : so daß , durch die Veränderung und Vermischung der Figuren , eben dieselben Gänge immer wieder fremd und neu werden .
31. §.
Man hat nicht nöthig , sich bey den Doppelcadenzen immer , wie zwar bey obigen Exempeln geschehen , an eine ordentliche Tactart zu binden ; ausgenommen in denen Figuren , welche der eine vorgemacht hat : denn diese müssen in eben demselben Zeitmaaße , und in eben der Anzahl der Noten , von dem andern nachgemachet werden . Je weniger Ordnung man im übrigen in den Cadenzen beobachtet , ie besser ist es : weil dadurch zugleich der Schein , als ob dieselben vorher ausgesonnen wären , vermieden wird . Doch wolle man hierunter nicht verstehen , als müßten die Cadenzen überhaupt blos aus einem undeutlichen Gewirre der Einfälle bestehen , und gar nichts melodisches in sich haben . Dieses würde den Zuhörern wenig Vergnügen erwecken . Meine Meynung ist nur , wie oben schon bey Gelegenheit der einfachen Cadenzen ist berühret worden , daß die Cadenzen nicht aus einer förmlich an einander hangenden Melodie , als
ein Arioso , sondern aus zwar unterbrochenen , doch gefälligen Clauseln bestehen sollen ; welche Clauseln so wohl mit dem geraden als ungeraden Tacte eine Aehnlichkeit haben können . Nur muß man nicht zu lange bey einerley Art bleiben , sondern beständig aus eine angenehme Abwechselung bedacht seyn .
32. §.
Nun ist noch übrig , die halbe Cadenz , bey welcher die Oberstimme durch die Grundstimme vermittelst der großen Septime gebunden , und durch die Sexte in die Octave , * aufgelöset wird , zu betrachten . Diese halbe Cadenz pfleget in der Mitte oder am Ende eines langsamen Stückes aus der kleinern Tonart vorzukommen , s. Tab. XXI. Fig. 7. Sie wurde im vorigen Zeiten besonders im Kirchenstyle bis zum Ekel getrieben , und ist deswegen fast aus der Mode gekommen . Doch kann sie auch noch in itzigen Zeiten eine gute Wirkung thun ; wenn sie nur selten und an ihrem rechten Orte angebracht wird .
Diese Octave ist die Quinte der Tonart , aus welcher das Stück geht , und erfodert immer die große Terze in ihrem Accorde .
33. §.
Die Auszierungen welche über eine solche halbe Cadenz , wenn sie einfach ist , angebracht werden können , haben einen sehr kleinen Umfang . Die Hauptnoten müssen aus dem Accorde der Septime , von der Grundnote an gerechnet , genommen werden , und bestehen aus der Terze und Quinte , welche über der gebundenen Septime in der Oberstimme eine Quarte und Sexte ausmachen . Man kann diese Noten so wohl von unten , als von oben nehmen ; s. Tab. XXI. Fig. 8 . Nur kömmt es darauf an , ob man die Auszierung lang oder kurz machen will . Soll sie kurz seyn , so kann man nur die Quarte aufwärts berühren , ( s. die Note G unter dem Buchstaben ( c ) dieser Figur , ) und von da zum Schlusse gehen . Soll sie etwas länger seyn , so kann man die Quarte und Sexte nach einander berühren , s. unter dem Buchstaben ( a ) und ( b ) . Will man sie aber noch mehr verlängern , so kann man bis in die Septime herunter steigen , wie bey dieser 8. Figur , welche die Hauptnoten zeiget , zu ersehen ist . Die Hauptnoten aber können durch Figuren von Noten , auf verschiedene Art verändert und vermehret werden .
34. §.
Doppelt kömmt diese halbe Cadenz oftmals im Trio vor . Ihre Zierrathen bestehen aus eben den Intervallen , wie bey der einfachen . Nur ist zu merken , daß diejenige Stimme , gegen welche die Grundstimme die Septime bindet , den Antrag zu machen hat : die andere hingegen muß auf der Terze so lange warten , bis die erste ihre Figur geendiget hat , und auf der Sexte den Triller schlägt . Alsdenn kann die zweyte Stimme , dieselbe Figur , welche die erste hatte hören lassen , in der Quinte tiefer nachmachen ; wie das Exempel bey Fig. 9. auf der XXI. Tabelle zeiget . Wenn aber die Septime in der zweyten Stimme liegt ; so muß auch die zweyte Stimme den Vortrag thun , und die erste , in der Quarte höher ihr nachahmen . Man setze in dem Exempel bey Fig. 9. die zweyte Stimme eine Octave höher , und mache sie zur ersten Stimme ; so wird man davon ein Muster haben .
35. §.
Von der Fermate oder der Aufhaltung ad libitum , welche zuweilen in Singsachen , beym Anfange einer Arie , in der Singstimme , sehr selten aber bey einer concertirenden Instrumentalstimme , etwan im Adagio eines Concerts , vorkömmt , ist auch noch etwas zu bemerken . Sie besteht mehrentheils aus zwoen , einen Quintensprung unter sich machenden Noten , über deren ersterer ein Bogen mit dem Puncte steht , s. Tab. XXI. Fig. 10 ; und wird deswegen gesetzet , damit der Sänger , welcher ein zweysylbiges , mit einem bequemen langen Selbstlauter versehenes Wort , als vado , parto , u. s. w. darunter auszusprechen hat , Gelegenheit haben möge , eine Auszierung dabey anzubringen . Diese Auszierung muß nur aus solchen Hauptnoten bestehen , welche im Accorde der Grundstimme statt finden , und erlaubet keine Ausweichung in andere Tonarten . Das Exempel Tab. XXI. Fig. 11. kann zum Muster dienen . Ein Sänger kann sich vorstellen , als wenn es in dem seiner Stimme eigenen Schlüssel geschrieben wäre . Die erste Note unter dem Bogen mit einem Puncte , kann als eine Haltung , ( messa di voce ) so lange als es der Athem erlaubet , mit Zu- und Abnehmen des Tones gehalten werden ; doch so , daß man noch so viel Athem übrig behalte , als nöthig ist , die folgende Auszierung in demselben Athem zu endigen . Will man die Figuren , woraus dieser ganze Zierrath besteht , zergliedern ; so kann solcher in verschiedene Theile getheilet , und immer um eine Figur verkürzet werden ; wie die darüben befindlichen Buchstaben zeigen . Z. E. Man
kann entweder die Figuren unter den Buchstaben ( b ) ( c ) , oder die unter ( a ) ( b ) ( c ) ( d ) , oder die unter ( a ) ( b ) ( c ) ( d ) ( e ) , oder die unter ( a ) ( b ) ) ( c ) ( d ) ( e ) ( f ) weglassen , ohne daß es aufhöret eine Auszierung zu bleiben . Wie nun hier die Intervalle durch den Accord in die Höhe steigen ; so kann man auch durch denselben Accord in die Tiefe gehen ; wenn man nur die Figuren so einrichtet , daß man zum wenigsten , bey Endigung des Zierraths , die Anfangsnote wieder berühre ; und nicht von unten , sondern von oben in die letzte Figur mit dem Triller , falle : weil dieser Triller über der Terze , nicht von unten , sondern von oben seinen Ursprung haben muß . Nach diesem Triller muß kein Nachschlag gemacht werden : und wenn solches auch von den größten Sängern begangen würde , so ist und bleibt es dennoch ein Fehler . Es muß vielmehr dieser Schluß so gesungen oder gespielet werden , wie hier in Noten ausgedrücket ist . Im Hauptstücke von den willkührlichen Veränderungen , im 36. § . , ist hiervon weitläuftiger gehandelt morden .
36. §.
Der Schlußtriller der Cadenzen , in Stücken , die aus der kleinern Tonart gehen , wird zuweilen , doch mehrentheils nur beym Singen , anstatt auf der Quinte , auf der Sexte geschlagen . Man verfährt damit wie im XIII. Hauptstücke , 36. §. Tab. XV. Fig. 21 . ( d ) von dem Einschnitte in die Terze ist gelehret worden . Ob nun wohl diese Art die Cadenz zu beschließen , wenn sie zu rechter Zeit , und mit guter Art angebracht wird , eben keine üble Wirkung thut ; so ist doch nicht zu rathen , damit allzuverschwenderisch umzugehen : wie es einige Sänger zu machen pflegen , wenn sie fast allezeit im zweyten Theile der Arie , wenn solcher in der kleinern Tonart schließt , den Schlußtriller auf die obenbeschriebene Art machen . Am Ende eines Stücks klingt ein dergleichen Triller etwas einfältig ; und so gebräuchlich der im 36. §. des XIII. Hauptst. beschriebene , in der Mitte des Stücks itzo noch ist , so sehr ist dieser beym Ende desselben hingegen , fast aus der Mode gekommen , und verräth folglich das Alterthum . Die Hauptursache aber warum man ihn nur bey sehr seltenen Fällen brauchen muß , ist , weil hierzu die Sexte und Quarte im Accompagnement erfodert würde . Weil nun ordentlicher Weise vor dem Schlusse eines Stücks die große Terze und reine Quinte angeschlagen werden muß ; welcher Accord aber mit dem Triller auf der Sexte keinen Verhalt hat : so würde dieses am Ende des Stückes einen Uebelklang zurück lassen , und folglich dem Gehöre mehr Verdruß als Vergnügen erwecken .
Das XVIII. Hauptstück .
Wie ein Musikus und eine Musik zu beurtheilen sey .
1. §.
Es ist wohl keine Wissenschaft jedermanns Urtheile so sehr unterworfen , als die Musik . Es scheint als ob nichts leichter wäre , als dieselbe zu beurtheilen . Nicht nur ein jeder Musikus , sondern auch ein jeder der sich für einen Liebhaber derselben ausgiebt , will zugleich für einen Richter dessen , was er höret , angesehen seyn .
2. §.
Man begnüget sich nicht allemal , wenn ein jeder von denen , welche sich hören lassen , das , was in seinen Kräften steht , hervor zu bringen bemühet ist : sondern man verlanget oftmals mehr zu hören , als man selbst niemals zu hören gewohnt gewesen ist . Singen oder spielen in einer Versammlung nicht alle in gleicher Vollkommenheit : so leget man oftmals nur einem allen Vorzug bey , und hält alle andern für gering ; ohne zu bedenken , daß der eine in dieser , der andere in jener Art , z. E. einer im Adagio , der andere im Allegro , seine Verdienste haben könne . Man erwägt nicht , daß die Annehmlichkeit der Musik , nicht in der Gleichheit oder Aehnlichkeit , sondern in der Verschiedenheit bestehe . Wenn es möglich wäre , daß alle Tonkünstler , in gleicher Stärke , und in gleichem Geschmacke singen oder spielen könnten ; so würde , wegen Mangels einer angenehmen Abwechselung , der größte Theil des Vergnügens an der Musik nicht empfunden werden .
3. §.
Man richtet sich selten nach seiner eigenen Empfindung ; welches doch noch das sicherste wäre : sondern man ist nur gleich begierig zu vernehmen ,
welcher von denen , die da singen oder spielen , der stärkste sey : gleich als ob es möglich wäre , die Wissenschaft verschiedener Personen auf einmal zu übersehen , und abzumessen ; wie etwan gewisse Dinge , die nur ihren Werth und Vorzug auf der Wagschaale erhalten . Dem nun , der auf solche Art für den stärksten ausgegeben wird , höret man allein zu . Ein , öfters mit Fleiß , von ihm nachläßig genug ausgeführtes , noch darzu nicht selten sehr schlechtes Stück , wird als ein Wunderwerk ausposaunet : da hingegen ein anderer , bey seinem möglichsten Fleiße , mit welchem er ein auserlesenes Stück auszuführen sich bemühet , kaum einiger Augenblicke von Aufmerksamkeit gewürdiget wird .
4. §.
Man gönnet selten einen Musikus die gehörige Zeit , seine Stärke oder Schwäche zu zeigen . Man bedenket auch nicht , daß ein Musikus nicht jederzeit im Stande ist , das was er versteht hören zu lassen : und daß öfters der geringste Umstand ihn leicht aus aller seiner Gelassenheit setzen kann : daß es folglich die Billigkeit erfodert , ihn mehr als einmal zu hören , bevor man sein Urtheil über ihn fällen will . Mancher Musikus ist verwegen ; und hat vielleicht ein Paar Stücke , worinn er seine ganze Fähigkeit zeigen kann , und so zu sagen seine ganze Wissenschaft auf einmal ausschüttet : daß man ihn also ein für allemal gehöret hat . Ein anderer hingegen , der nicht so verwegen ist , und dessen Wissenschaft sich auch nicht , wie bey jenem , in ein Paar Stücke einschränken laßt , hat nicht denselben Vortheil . Denn die meisten Zuhörer übereilen sich leicht in der Beurtheilung , und lassen sich durch das , was sie zum erstenmale hören , gar zu sehr einnehmen . Hätten sie aber die Geduld und die Gelegenheit einen jeden öfter zu hören : so würde es nicht allezeit einer großen Einsicht brauchen ; sondern man dürfte nur ohne Vorurtheil auf sein eigenes Gefühl Achtung geben , und sehen , welcher in der Folge das meiste Vergnügen machte .
5. §.
In Ansehung der Composition geht es nicht besser . Man will nicht gern für unwissend angesehen seyn ; und doch fühlet man wohl , daß man nicht allezeit recht zu entscheiden fähig seyn möchte . Deswegen pfleget gemeiniglich die erste Frage diese zu seyn : von wem das Stück verfertiget sey ; um sich mit der Beurtheilung darnach richten zu können . Ist nun das Stück von einem solchen , dem man schon im Voraus seinen Beyfall gewidmet hat ; so wird es sogleich ohne Bedenken für schön erkläret .
Fndet Findet sich aber das Gegentheil , oder man hat vielleicht wider die Person des Verfassers etwas einzuwenden : so taugt auch das ganze Stück nichts . Wollte sich jemand hiervon handgreiflich überzeugen ; so dürfte er nur zwey Stücke , von gleicher Güte , unter andern Namen , da der eine im Credit , und der andere im Miscredit steht , ausgegeben . Die Unwissenheit vieler Beurtheiler würde sich gewiß bald entdecken .
6. §.
Diejenigen Zuhörer , welche bescheidener sind , und sich doch selbst nicht die Einsicht zutrauen , eine Sache beurtheilen zu können , nehmen oftmals ihre Zuflucht zu einem Musikus ; und glauben dessen Worten , als einer unumstößlichen Wahrheit . Es ist wahr , durch das Anhören vieler guter Musiken , und durch das Urtheil , welches erfahrne , aufrichtige und gelehrte Tonkünstler davon fällen , kann man einige Erkenntniß erlangen : zumal wenn man zugleich nach den Ursachen , warum das Stück gut oder schlecht sey , fraget . Dieses würde also eines der gewissesten Mittel seyn , um nicht zu fehlen . Allein sind denn alle die , so von der Musik Werk machen , auch zugleich Musikverständige , oder Musikgelehrte ? Haben nicht so viele darunter ihre Wissenschaft nur als ein Handwerk erlernet ? Es kann also leicht geschehen , daß man sich mit seinen Fragen an den unrechten wendet , und daß der Musikus eben sowohl , als mancher Liebhaber , aus Unwissenheit , aus Eifersucht , oder aus Vorurtheil und Schmeicheley entscheidet . Ein solcher Ausspruch geht denn , wie ein Lauffeuer , gleich weiter , und nimmt die Unwissenden , welche sich auf ein solches vermeyntes Orakel berufen , dergestalt ein , daß endlich ein Vorurtheil daraus erwächst , welches nicht leicht wieder auszutilgen ist . Ueber dieses kann auch nicht einmal ein jeder Musikus fähig seyn , alles was in der Musik vorkommen kann , zu beurtheilen . Das Singen erfodert seine besondere Einsicht . Die Verschiedenheit der Instrumente ist so groß ; daß eines Menschen Kräfte und Lebenszeit nicht zureichend seyn würden , alle ihre Eigenschaften einsehen zu lernen . Ich geschweige so vieler Dinge , welche man bey richtiger Beurtheilung der Composition zu verstehen und zu beobachten hat . Ein Liebhaber der Musik muß also , ehe er sich dem Urtheile eines Tonkünstlers anvertrauet , zuvor wohl prüfen , ob derselbe auch wirklich im Stande sey , richtig zu urtheilen . Bey einem der seine Wissenschaft gründlich erlernet hat , geht man sicherer , als bey einem , der nur seinem guten Naturelle gefolget ist : wiewohl das letztere auch eben nicht ganz zu verwerfen ist . Weil auch
nicht leicht jemand von Affecten so frey ist , daß er nicht dann und wann so gar wider seine eigene Erkenntniß urtheilen sollte : so muß sich ein Liebhaber der Musik auch in diesem Stücke , bey dem Urtheile eines Tonkünstlers , in Acht nehmen . Es giebt einige , denen fast nichts gefällt , als was sie selbst gemachet haben . Wehe also allen andern Stücken , die nicht ihrer berühmten Feder ihr Daseyn zu danken haben . Wenn sie ja Schande halber sich genöthiget finden , eine Sache zu loben : so geschieht es doch wohl mit einer solchen Art , wodurch sie sich verrathen , daß ihnen das Loben schwer falle . Andere hingegen loben alles ohne Unterschied : um es mit niemanden zu verderben ; sondern sich jedermann gefällig zu machen . Mancher neu angehender Musikus hält nichts für schön , als was aus seines Meisters Erfindung geflossen ist . Mancher Componist suchet seine Ehre in lauter fremden Modulationen , in dunkeln Melodieen , u. d. gl. Alles soll bey ihm ausserordentlich und ungewöhnlich seyn . Er hat sich auch wohl , theils durch seine übrigen wirklichen Verdienste Beyfall erworben , theils auch durch andere Mittel Anhänger erschlichen . Wer wollte diesem , und denen die ihn blindlings verehren , zumuthen , etwas schön zu heissen , was nicht mit dieser Denkart übereinstimmet ? Die Alten klagen über die melodischen Ausschweifungen der Neuern , und die Neuern verlachen das trockene Wesen der Alten . Es giebt aber dessen ungeachtet auch noch dann und wann solche Tonkünstler , die eine Sache , ohne Vorurtheil , und nach ihrem wahren Werthe einsehen ; die das , was zu loben ist , loben , und das , was zu verwerfen ist , verwerfen . Solchen Musikgelehrten kann man am sichersten trauen . Ein rechtschaffen gelehrter und geschikter Musikus aber , hat sich folglich sehr zu hüten , daß er aus Affecten keine Ungerechtigkeit begehe ; und sich nicht etwan gar den Professionsneid einnehmen lasse : denn sein Urtheil kann zwar das richtigste , aber auch zugleich , wegen des Credits worinne er steht , das gefährlichste seyn .
7. §.
Da nun die Musik eine solche Wissenschaft ist , die nicht nach eigener Phantasey , sondern eben sowohl als andere schöne Wissenschaften , nach einem , durch gewisse Regeln , und durch viele Erfahrung und große Uebung erlangten und gereinigten guten Geschmacke , beurtheilet werden muß ; da derjenige , welcher einen andern beurtheilen will , wo nicht mehr , doch eben so viel als der andere verstehen sollte ; da diese Eigenschaften bey denen , die sich mit Beurtheilung der Musik abgeben , selten
anzutreffen sind ; weil vielmehr der größte Theil von ihnen , durch Unwissenheit , Vorurtheile und Affecten , welche einer richtigen Beurtheilung sehr hinderlich sind , beherrschet wird : so thäte mancher viel besser , wenn er sein Urtheil bey sich behalten , und mit mehrerer Aufmerksamkeit zuhören wollte ; wofern er anders noch Gefallen an der Musik hat . Wenn er mehr , um den Ausführer , da wo es nicht nöthig ist , zu beurtheilen , als um an der Musik Vergnügen zu haben , zuhöret : so beraubet er sich freywillig des größten Theiles der Lust , die er sonst davon empfinden könnte . Wenn er wohl gar , ehe der Musikus sein Stück geendiget hat , schon bemühet ist , seine falschen Meynungen seinen Nachbarn aufzudringen , so setzet er nicht nur den Musikus dadurch aus seiner Gelasenheit Gelassenheit , sondern auch ausser Stand , sein Stück mit guten Herzen zu endigen , und seine Fähigkeit , so wie er sonst wohl könnte , zu zeigen . Denn wer wird wohl so unempfindlich seyn , und gelassen bleiben können , wenn man hier und da , bey den Zuhörern , misfälliger Minen gewahr wird ? Der unzeitige Beurtheiler aber steht immer in Gefahr , gegen andere , die nicht seiner Meynung sind , und vielleicht mehr als er verstehen , seine Unwissenheit zu verrathen ; und hat also von seinem Urtheile keinen Nutzen zu gewarten . Man kann hieraus schlüßen , wie schwer es vollends sey , das Amt eines musikalischen Kunstrichters über sich zu nehmen , und demselben mit Ehren vorzustehen .
8. §.
Bey der musikalischen Beurtheilung , wenn sie anders der Vernunft und der Billigkeit gemäß seyn soll , hat man allezeit vornehmlich auf dreyerley Stücke sein Augenmerk zu richten , nämlich : auf das Stück selbst ; auf den Ausführer desselben ; und auf die Zuhörer . Eine schöne Composition kann durch eine schlechte Ausführung verstümmelt werden ; eine schlechte Composition aber benimmt dem Ausführer seinen Vortheil : folglich muß man erst untersuchen , ob der Ausführer oder die Composition an der guten oder schlechten Wirkung schuld sey . In Ansehung der Zuhörer kömmt , so wie in Ansehung des Musikus , sehr vieles auf die verschiedenen Gemüthsbeschaffenheiten derselben an . Mancher liebet das Prächtige und Lebhafte ; mancher das Traurige und Tiefsinnige ; mancher das Zärtliche und Lustige ; so wie einen jeden seine Neigungen lenken . Mancher besitzt mehrere Erkenntniß , die hingegen einem andern wieder fehlet . Man ist nicht allemal gleich aufgeräumt , wenn man ein oder anderes Stück das erstemal höret . Es kann öfters geschehen , daß uns
heute ein Stück gefällt , welches wir morgen , wenn wir uns in einer andern Fassung des Gemüthes befinden , kaum ausstehen können : und im Gegentheile kann uns heute ein Stück zuwider seyn , woran wir morgen viele Schönheiten entdecken . Es kann ein Stück gut gesetzet seyn , und gut ausgeführet werden , es gefällt dessen ungeachtet nicht einem jeden . Ein schlechtes Stück mit einer mittelmäßigen Ausführung kann vielen misfallen ; doch kann es auch wieder noch einige Liebhaber finden . Der Ort wo eine Musik aufgeführet wird , kann der richtigen Beurtheilung sehr viele Hindernisse in den Weg legen . Man höret z. E. eine und eben dieselbe Musik heute in der Nähe , und morgen vom Weiten . Beydemale wird man einen Unterschied dabey bemerken . Wir können ein Stück , das für einen weitläuftigen Ort , und für ein zahlreiches Orchester bestimmet ist , am gehörigen Orte aufführen hören . Es wird uns ungemein gefallen . Hören wir aber dasselbe Stück ein andermal in einem Zimmer , mit einer schwachen Begleitung von Instrumenten , vielleicht auch von andern Personen ausführen : es wird die Hälfte seiner Schönheit verlohren haben . Ein Stück das uns in der Kammer fast bezaubert hatte ; kann uns hingegen , wenn man es auf dem Theater hören sollte , kaum mehr kenntlich seyn . Wollte man ein im französischen Geschmacke gesetzetes langsames Stück , so wie ein italiänisches Adagio , mit vielen willkührlichen Manieren auszieren ; wollte man hingegen ein italiänisches Adagio fein erbar und trocken , mit schönen lieblichen Trillern , im französischen Geschmacke , ausführen : so würde das erstere ganz unkenntbar werden ; das letztere hingegen würde sehr platt und mager klingen ; und beyde würden folglich weder den Franzosen noch den Italiänern gefallen . Es muß also ein jedes Stück in seiner gehörigen Art gespielet werden : und wenn dieses nicht geschieht ; so findet auch keine Beurtheilung statt . Gesetzt auch , daß ein jedes Stück in diesen beyden Arten , nach dem ihm eigenen Geschmacke gespielet würde : so kann doch das französische von keinem Italiäner , und das italiänische von keinem Franzosen beurtheilet werden ; weil sie beyde von Vorurtheilen für ihr Land , und für ihre Nationalmusik , eingenommen sind .
9. §.
Ich glaube , daß mir nun ein jeder einräumen wird , daß zu richtiger und billiger Beurtheilung eines musikalischen Stücks , nicht wenig Einsicht , sondern fast der höchste Grad der musikalischen Wissenschaft erfodert werde ; daß weit mehr dazu gehöre , als nur selbst etwas singen oder spielen zu können ; daß man folglich , wenn man beurtheilen will , sorgfältig um
die Kenntniß derjenigen Regeln bemühet seyn müsse , welche die Vernunft , der gute Geschmack , und die Kunst an die Hand geben . Es wird mir weiter hoffentlich niemand abstreiten wollen , daß , weil nicht ein jeder , der sich doch nicht selten zu einem Beurtheiler der Musik aufwirft , mit dieser Erkenntniß ausgerüstet ist , folglich dadurch der Musik , den Tonkünstlern , und den Liebhabern der Musik , welche dadurch in einer beständigen Ungewißheit erhalten werden , großer Nachtheil erwachsen müsse .
10. §.
Ich will mich bemühen , die vornehmsten Eigenschaften eines vollkommenen Tonkünstlers , und einer wohlgesetzeten Musik , durch gewisse Merkmaale kennbar zu machen : damit sowohl Tonkünstler , als Liebhaber der Musik , zum wenigsten eine Anleitung haben mögen , nach welcher sie ihre Beurtheilungen anstellen , und welchem Musikus , oder welchem musikalischen Stücke sie ihren Beyfall mit Rechte geben können . Ein jeder , der beurtheilen will , suche dasselbe dabey immer ohne Vorurtheile , ohne Affecten , und hingegen mit Billigkeit zu unternehmen . Man gehe behutsam und übereile sich nicht . Man sehe auf die Sache selbst , und lasse sich nicht durch gewisse Nebendinge , die gar nicht dazu gehören , blenden : z. E. ob einer von dieser oder jener Nation sey ; ob er in fremden Ländern gewesen sey oder nicht ; ob er sich von einem berühmten Meister einen Scholaren nenne ; ob er bey einem großen , oder kleinen Herrn , oder bey gar keinem in Diensten stehe ; ob er einen musikalischen Charakter , oder keinen habe ; ob er Freund oder Feind , jung oder alt sey ; u. s. w. Ueberhaupt wird die Billigkeit nicht leicht überschritten werden , wenn man , anstatt von einem Musikus , oder von einem Stücke zu sagen : es tauget nichts , nur sagen wollte : es gefällt mir nicht . Das letztere hat ein jeder Macht zu sagen : weil man niemanden zwingen kann , daß ihm eine Sache gefallen müsse . Das erstere aber sollte man billig nur den wirklichen Musikverständigen , welche allenfalls den Grund ihres Urtheils zu beweisen schuldig sind , allein überlassen .
11. §.
Von einem guten Sänger wird erfodert : daß er hauptsächlich eine gute , helle , reine , und von der Tiefe bis in die Höhe durchgehends egale Stimme habe , welche ohne die , aus der Nase und der Gurgel oder dem Halse ( gola ) entspringenden Hauptfehler , und weder heischer noch dumpfich sey . Die Stimme und der Gebrauch der Worte ist das einzige , wodurch die Sänger vor den Instrumentisten einen Vorzug erlangen .
Es wird ferner erfodert : daß ein guter Sänger das Falset mit der Bruststimme so zu vereinigen wisse , damit man nicht bemerken könne , wo die letzte aufhöret , und das erstere anfängt ; daß er ein gutes Gehör , und eine reine Intonation habe , um alle Töne in ihren Verhältnissen rein angeben zu können ; daß er das Tragen der Stimme , ( il portamento di voce ) und die Haltungen auf einer langen Note , ( le messe di voce ) auf eine angenehme Art zu machen wisse ; daß er folglich dabey eine Fertigkeit und Sicherheit der Stimme besitze , und nicht , bey einer nur mäßig langen Aushaltung , entweder damit anfange zu zittern , oder aber , wenn er den Ton verstärken will , den angenehmen Klang einer Menschenstimme , in das unangenehme Kreischen einer Rohrpfeife verwandele : welches absonderlich einigen zur Geschwindigkeit aufgelegten Sängern nicht selten begegnet . Von einem guten Sänger wird weiter erfodert : daß er einen guten Triller schlage , der nicht meckert , auch weder zu langsam , noch zu geschwind ist ; daß er die gehörige Weite des Trillers wohl beobachte , und unterscheide , ob derselbe aus ganzen oder halben Tönen bestehen solle . Ein guter Sänger muß ferner : eine gute Aussprache haben . Die Worte muß er deutlich vortragen , und die Selbstlauter a e und o in den Passagien nicht auf einerley Art aussprechen , und unverständlich machen . Wenn er über einem Selbstlauter eine Manier machet , muß man immer bis zum Ende , denselben , und keinen andern Selbstlauter mit darunter vernehmen . Auch beym Aussprechen der Wörter muß er sich hüten , die Selbstlauter mit einander zu verwechseln , und etwan das e in a und das o in u zu verwandeln ; damit er nicht z. E. im Italiänischen etwan genit u r a anstatt genit o r e ausspreche , und diejenigen , welche die Sprache verstehen , zum Lachen verleite . Bey dem i und u darf die Stimme nicht abfallen : über diesen beyden Selbstlautern darf man in der Tiefe keine weitläuftigen , und in der Höhe gar keine Manieren machen . Ein guter Sänger muß eine Fertigkeit im Notenlesen und im Treffen haben , und die Regeln des Generalbasses verstehen . Die Töne in der Höhe darf er weder mit einem harten Anschlage , noch mit einem heftigen Hauche der Brust ausdrücken ; noch weniger aber heraus heulen : als wodurch die Anmuth sich in eine Brutalität verwandelt . Wo die Worte erfodern gewisse Leidenschaften auszudrücken , muß er die Stimme zu rechter Zeit , doch ohne Affectation , zu erheben und zu mäßigen wissen . In einem traurigen Stücke darf er nicht so viele Triller und laufende Manieren anbringen , als in einem cantabeln und lustigen : denn
hierdurch wird oftmals die Schönheit der Melodie verdunkelt und vernichtet . Er muß vielmehr ein Adagio rührend , ausdrückend , schmeichelnd , anmuthig , an einander hangend , unterhalten , mit Licht und Schatten , so wohl durch das Piano und Forte , als durch einen , den Worten und der Melodie gemäßen , vernünftigen Zusatz der Manieren , singen . Das Allegro muß er lebhaft , brillant , und mit Leichtigkeit ausführen . Die Passagien muß er rund heraus bringen , solche auch weder gar zu hart stoßen , noch auf eine lahme und faule Art schleifen . Von der Tiefe bis in die Höhe muß er seine Stimme zu mäßigen , und dabey zwischen Theater und Kammer , auch zwischen einem starken und schwachen Acompagnement , einen Unterschied zu machen wissen : damit sich das Singen in den hohen Tönen nicht in ein Schreyen verwandele . Im Zeitmaaße muß er sicher seyn , und nicht bisweilen eilen , bisweilen und absonderlich in den Passagien , zögern . Den Athem muß er zu rechter Zeit , und geschwind nehmen . Sollte ihm auch derselbe etwas sauer zu nehmen werden ; so muß er solches doch , so viel möglich , zu verbergen suchen ; durchaus aber nicht sich dadurch aus dem Tacte bringen lassen . Endlich muß er das , was er von Auszierungen zusetzet , aus sich selbst , und nicht , wie die Meisten , als ein Papagey , durch das Gehör von andern zu erlernen suchen . Ein Sopranist und Tenorist können sich weitläuftiger in die Auszierungen einlassen , als ein Altist und Bassist . Die beyden letztern kleidet eine edle Einfalt , das Tragen der Stimme , und der Gebrauch der Bruststimme viel besser , als die äußerste Höhe , und der überflüssige Zusatz von Manieren . Echte Sänger haben dieses zu allen Zeiten als eine Regel angesehen , und ausgeübet .
12. §.
Finden sich nun alle diese hier angeführten möglichen guten Eigenschaften bey einem Sänger beysammen : so kann man dreist sagen , daß er nicht allein sehr gut singe , und den Namen eines Virtuosen mit Rechte verdiene ; sondern auch , daß er bey nahe ein Wunder der Natur sey . Es sollte und könnte zwar ein jeder , der den Nahmen eines ausnehmenden Sängers mit Rechte führen will , auf die oben beschriebene Weise beschaffen seyn : allein so selten man einen mit allen Tugenden zugleich ausgezierten Menschen findet ; eben so selten findet man einen mit allen diesen Vorzügen zusammen prangenden Sänger . Man kann deswegen bey diesen , nicht so , wie bey den Instrumentisten , mit der Beurtheilung nach der Strenge verfahren : sondern man muß sich vielmehr begnügen ,
wenn man , neben verschiedenen Mängeln , nur einige von den oben erzähleten guten Haupteigenschaften bey einem Sänger antrifft : um ihm den gewöhnlichen Titel eines Virtuosen nicht zu versagen .
13. §.
Um einen Instrumentisten beurtheilen zu können , wird erfodert , daß man , vor allen Dingen , die Eigenschaften , und die damit verknüpften Schwierigkeiten der Instrumente verstehe : damit man nicht das Schwere für leicht , und das Leichte für schwer halte . Viele Dinge , so auf einigen Instrumenten schwer , und oftmals unmöglich sind , gehen hingen auf andern ganz leicht an . Es kann deswegen nicht ein jeder Instrumentist von eines andern seinen Verdiensten ein Urtheil fällen ; wofern er nicht eben dasselbe Instrument spielet . Es wird sonst mehrentheils nur das , was ihm auf seinem Instrumente schwer vorkömmt , an dem andern bewundern ; und hingegen das , was ihm selbst leicht fällt , bey dem andern für nichts halten . Man betrachte aber nur einmal den Unterschied , der sich zwischen gewissen Instrumenten , welche doch in einigen Stücken einander ähnlich sind , befindet . Man erwäge z. E. den Unterschied zwischen einer Violine und Viole d'amour ; zwischen der Bratsche , dem Violoncell , der Viola da Gamba , und dem Contraviolon ; zwischen dem Hoboe und dem Basson ; zwischen der Laute , der Theorbe , und dem Mandolin ; zwischen der Flöte traversiere und der Flöte a bec ; zwischen der Trompete und dem Waldhorne ; zwischen dem Clavichord , dem Clavicymbal , dem Pianoforte , und der Orgel . Man wird finden , daß , ungeachtet der Aehnlichkeit die sich dazwischen befindet , doch ein jedes , auf eine besondere und ihm eigene Art , tractiret werden müsse . Wie viel größer muß nun der Unterschied des Tractaments bey denen Instrumenten seyn , die gar keine Aehnlichkeit mit einander haben .
14. §.
Um dieses zu beweisen , will ich nur zwey Instrumente gegen einander anführen ; woraus man hinlänglich wird abnehmen können , wie ein jedes Instrument sowohl seine besondere Leichtigkeit als Schwierigkeit habe . Die , welche ich hier zum Beyspiele nehme , sind die Violine , und die Flöte traversiere . Auf der Violine sind die Harpeggien , und die gebrochenen Passagien ganz leicht ; auf der Flöte hingegen sind sie nicht nur sehr schwer , sondern sogar meistentheils unbrauchbar : weil bey der ersten oft nur der Bogen allein ; bey der letztern aber Finger , Zunge , und Lippen zugleich , in einerley Fertigkeit , zu wirken haben . Auf der Violine kann man
viele Passagien , durch die Transposition von einem Tone zum andern , auf- oder unterwärts , von der Tiefe bis in die äußerste Höhe , mit eben denselben Fingern , ohne Schwierigkeit spielen ; wenn man nur die Hand dabey versetzet , s. z. E. Tab. XXIII. Fig. 12 : auf der Flöte hingegen muß man bey einer jeden Transposition andere Finger nehmen . In manchen Tonarten gehen sie gar nicht an . Wenn ein Violinist nur einen einzigen guten Finger zum Triller hat ; so kann er , durch Versetzung der Hand , bey dem Triller die übrigen Finger vermeiden : ein Flötenist kann keinen Finger vermeiden , sondern muß mit allen Fingern den Triller egal zu schlagen fähig seyn . Auf der Violine kann man den Ton , wenn man auch in langer Zeit nicht gespielt hätte , doch immer heraus bringen : auf der Flöte hingegen darf man , wegen des Ansatzes , nicht etliche Tage aussetzen , wenn der Ton nicht darunter leiden soll : zu geschweigen , daß eine widrige Witterung , Kälte oder Hitze , auch gewisse Speisen und Getränke , die Lippen leicht außer Stand setzen ; so daß man wenig oder gar nichts spielen kann . Der Bogenstrich auf der Violine , und der Zungenstoß auf der Flöte , thun einerley Wirkung : der erstere aber ist leichter zu erlangen als der letztere . Der Violinist findet bey der Verschiedenheit der chromatischen Tonarten , sie mögen mit Kreuzen oder b geschrieben werden , wenn auch deren gleich viele vorkommen , wenig Schwierigkeit ; der Flötenist aber desto mehr . Wenn der Violinist ein gutes musikalisches Gehör hat , und die Verhältnisse der Töne versteht ; so kann er sein Instrument , ohne sonderliche Mühe , rein spielen . Wenn aber gleich der Flötenist dasselbe Gehör auch besitzet ; so bleiben ihm doch , in Ansehung des Reinspielens , noch große Schwierigkeiten übrig . Passagien in der äußersten Höhe zu spielen , ist auf der Violine was allgemeines : auf der Flöte aber , sowohl wegen der Finger , als wegen des Ansatzes , eine besondere Seltenheit . Doch giebt es im Gegentheile auch wieder einige Gänge , die auf der Violine fast nicht heraus zu bringen , auf der Flöte aber leicht sind ; z. E. gebrochene Accorde , in welchen Sprünge in die falsche Quinte und in die übermäßige Quarte vorkommen ; Sprünge welche die Decime übersteigen , und in der Geschwindigkeit öfters wiederholet werden , u. d. m. s. Tab. XXIII. Fig. 13 . und 14 . Sollte nun ein Violinist einen Flötenisten , oder dieser jenen beurtheilen ; und beyde verstünden nur die Eigenschaften von ihrem eigenen Instrumente : so würden sie , wenn sie auch gleich beyde einen hohen Grad der musikalischen Wissenschaft erlanget hätten , zwar von dem Geschmacke und der
Einsicht in die Musik , keinesweges aber von den Verdiensten , die ein jeder auf seinem Instrumente hätte , ein richtiges Urtheil fällen können .
15. §.
Was also allen denen , die eine Einsicht in die Musik haben , an einem Instrumentisten zusammen zu beurtheilen übrig bleibt , besteht nur in solchen allgemeinen Dingen , die die meisten Instrumentisten mit einander gemein haben . Die Beurtheiler können Achtung geben : ob der Instrumentist sein Instrument rein spiele , und einen guten Ton heraus zu bringen wisse ; ob er das Instrument mit gehöriger Gelassenheit und Anmuth spiele , oder ob er es auf eine rauschende Art im Tone übertreibe ; ob er einen guten Bogenstrich oder Zungenstoß , auch Fertigkeit in den Fingern , und egale gute Triller habe ; ob er im Zeitmaaße sicher sey , oder ob er die Passagien welche ihm schwer fallen , langsamer , und die leichten geschwinder spiele , folglich das Stück nicht so endige wie er es angefangen hat , und ihm die Accompagnisten deswegen nachgeben müssen ; ob er ein jedes Stück in seinem gehörigen Zeitmaaße zu spielen wisse , oder ob er alles was Allegro heißt in einerley Geschwindigkeit spiele ; ob sein Spielen nur aus Schwierigkeiten , oder auch zugleich aus Cantabelm bestehe ; ob er nur Verwunderung zu erwecken , oder auch zu gefallen und zu rühren suche ; ob er ausdrückend oder kaltsinnig spiele ; ob sein Vortrag deutlich sey ; ob er dadurch einer schlechten Composition aufzuhelfen , und sie zu verbessern wisse , oder ob er durch allzuvieles Künsteln und Verziehen der Noten eine gute Sache verdunkele , und den Gesang unbegreiflich mache : welches letztere man am besten bemerken kann , wenn man dasselbe Stück von mehr als einer Person ausführen höret . Man beobachte ferner : ob ein Instrumentist das Allegro mit Lebhaftigkeit und Fertigkeit , nett , reinlich , und die Passagien darinne rund und deutlich spiele ; oder ob er die Noten nur überruschele , und wohl gar einige auslasse ; ob er das Adagio unterhalten und gezogen , oder ob er es trocken und platt spiele ; ob er ein jedes Adagio mit solchen Manieren auszuzieren wisse , die dem Affecte , und dem Stück gemäß sind ; ob er dabey Licht und Schatten beobachte , oder ob er alles ohne Unterschied mit Manieren überhäufe , und in einerley Farbe spiele ; ob er die Harmonie verstehe , um die Manieren darnach einzurichten , oder ob er nur aus dem Gehöre nach Gutdünken spiele ; ob ihm alles was er unternimmt gerathe , und sowohl mit der Harmonie als mit dem Zeitmaaße zutreffe , oder ob er nur auf ein Gerathewohl spiele , und eine Manier gut anfange , aber
schlecht endige . Das Spielen großer Schwierigkeiten trifft man häufig , auch so gar bey ganz jungen Leuten an : das meisterhafte Spielen des Adagio aber , welches eine gründliche Einsicht in die Harmonie , und viele Beurtheilung erfodert , findet man nur bey geübten und erfahrnen Tonkünstlern . Man untersuche ferner an einem Instrumentisten , ob er in einem vermischten , oder nur in einem Nationalgeschmacke spiele ; ob er aus dem Stegreife , oder nur das was er studiret hat , zu spielen wisse ; ob er die Setzkunst verstehe , oder ob er sich nur mit fremden Stücken behelfe ; ob er alle Arten von Stücken gut spiele , oder nur diejenigen die er selbst gesetzet hat , oder die für ihn gesetzet worden sind ; endlich ob er bey den Zuhörern eine beständige Aufmerksamkeit zu unterhalten , und ein Verlangen ihn öfter zu hören zu erwecken wisse . Alle diese vortheilhaften Kennzeichen , wenn sie sich beysammen finden , verdienen Lob , die entgegen gesetzeten aber , Mitleiden . Will man wissen welches Instrument vor andern leichter zu erlernen sey ; so nehme man zu einem nicht ganz unsichern Kennzeichen , daß dasjenige , auf welchem man viele berühmte Leute zählen kann , leichter zu erlernen sey , als das , worauf zwar auch viele spielen , wenige aber glücklich fortkommen .
16. §.
Die Composition , und die Ausführung einer Musik im Ganzen richtig zu beurtheilen , ist noch weit schwerer als das vorige . Hierzu wird nicht nur erfodert , daß man einen vollkommen guten Geschmack besitze , und die Regeln der Setzkunst verstehe : sondern man muß auch von der Art und Eigenschaft eines jeden Stückes , es sey im Geschmacke dieser oder jener Nation , zu dieser oder jener Absicht verfertiget , eine hinlängliche Einsicht haben ; damit man nicht eine Sache mit der andern verwirre . Die Absichten , worinne jedes Stück gesetzet worden , können sehr verschieden seyn ; weswegen ein Stück zu einer Absicht gut , zu einer andern aber schlecht seyn kann .
17. §.
Ein jedes Stück , nach allen seinen Eigenschaften , insbesondere zu untersuchen , würde hier viel zu weitläuftig seyn . Ich muß mich also bemühen , hier nur die vornehmsten davon in der Kürze zu berühren .
18. §.
Die Musik ist entweder Vocal- oder Instrumentalmusik . Nur wenige Stücke aber sind den Singstimmen allein gewidmet ; vielmehr hat die Instrumentalmusik an den meisten Singstücken zugleich
auch ihren Theil , und ist damit verbunden . Beyde Arten aber sind nicht nur überhaupt , in ihren Absichten , und folglich auch in ihrer Einrichtung , gar sehr von einander unterschieden : sondern auch jede Untereintheilung derselben , hat wieder ihre besondern Gesetze , und erfodert ihre besondere Schreibart . Die Vocalmusik ist entweder der Kirche , oder dem Theater , oder der Kammer gewidmet . Die Instrumentalmusik findet an allen diesen drey Orten auch ihren Platz .
19. §.
Die Kirchenmusik muß man auf zweyerley Art betrachten , nämlich : als die römischkatholische , und als die protestantische . In der römischen Kirche kommen vor : die Messe , die Vesperpsalmen , das Te Deum laudamus , die Bußpsalmen , die Requiem oder Seelenmessen , einige Hymni , die Moteten , die Oratoria , Concerte , Sinfonien , Pastoralen , u. d. m. Jedes von diesen Stücken hat wieder seine besondern Theile in sich , und muß nach seinem Entzwecke , und nach seinen Worten , eingerichtet seyn : damit nicht ein Requiem oder Miserere einem Te Deum , oder einer Auferstehungsmusik , oder in der Messe das Kyrie dem Gloria , oder ein Motet einer lustigen Opernarie , ähnlich sey . Ein Oratorium , oder eine dramatisch abgehandelte geistliche Geschichte , unterscheidet sich nur mehrentheils durch den Inhalt , und einigermaßen durch das Recitativ , von einer theatralischen Musik . Ueberhaupt aber wird in der Kirchenmusik der Katholischen mehr Lebhaftigkeit anzubringen erlaubet , als in der Protestanten ihrer . Doch sind die Ausschweifungen , die zuweilen hierbey begangen werden , vielleicht niemanden als den Componisten beyzumessen .
Die Moteten von der alten Art , welche aus vielstimmig , und ohne Instrumente , im Capellstyl , gesetzeten biblischen Sprüchen , bey denen zuweilen der Cantus firmus eines Choralgesanges mit eingeflochten ist , bestehen , sind in der römischkatholischen Kirche wenig , oder gar nicht mehr gebräuchlich . Die Franzosen nennen alle ihre Kirchenstücke , ohne Unterschied : des Motets . Von beyden Arten ist hier die Rede nicht . In Italien benennet man , heutiges Tages , eine lateinische geistliche Solocantate , welche aus zwoen Arien und zweyen Recitativen besteht , und sich mit einem Halleluja schließt , und welche unter der Messe , nach dem Credo , gemeiniglich von einem der besten Sänger gesungen wird , mit diesem Namen . Diese verstehe ich hier .
20. §.
Bey der Kirchenmusik der Protestanten kommen von oben erzählten Stücken noch vor : Ein Theil von der Messe , nämlich das Kyrie und das Gloria , das Magnificat , das Te Deum , einige Psalmen , und die Oratoria , mit welchen die , aus dem prosaischen biblischen Texte , mit untermischeten Arien und einigen poetischen Recitativen , bestehenden Passionsmusiken einige Verwandtschaft haben . Das übrige besteht aus Musiken über willkührliche Texte , die meistens im Cantatenstyle , mit untermischeten biblischen Sprüchen welche nach Art der Psalmen ausgearbeitet werden , gesetzet sind . Der Text hiervon ist entweder auf die Sonn- und Festtagsevangelien , oder auf gewisse besondere Umstände , als Trauer- und Trauungsmusiken , gerichtet . Die Anthems der Engländer werden gemeiniglich nach Art der Psalmen ausgearbeitet ; weil sie größtentheils aus biblischen Worten bestehen .
21. §.
Ueberhaupt wird zur Kirchenmusik , sie möge bestehen worinn sie wolle , eine ernsthafte und andächtige Art der Composition , und der Ausführung , erfodert . Sie muß vom Opernstyle sehr unterschieden seyn . Es wäre zu wünschen , daß solches , um den dabey gesucheten Entzweck zu erreichen , allemal , besonders von den Componisten gehörig beobachtet würde . Bey Beurtheilung einer Kirchenmusik , welche entweder zum Lobe des Allerhöchsten aufmuntern , oder zur Andacht erwecken , oder zur Traurigkeit bewegen soll , muß man Acht haben , ob die Absicht , vom Anfange bis zum Ende beobachtet , der Charakter einer jeden Art unterhalten , und nichts , was demselben zuwider ist , mit eingemischet worden sey . Hier hat ein Componist Gelegenheit , seine Stärke sowohl in der sogenannten arbeitsamen , als in der rührenden und einnehmenden Schreibart , ( diese ist aber der höchste Grad der musikalischen Wissenschaft , ) zu zeigen .
22. §.
Man wolle nicht glauben , daß bey der Kirchenmusik lauter sogenannte Pedanterey vorkommen müsse . Die Leidenschaften , ob gleich ihre Gegenstände unterschieden sind , müssen hier sowohl , ja noch sorgfältiger als auf dem Theater , erreget werden . Die Andacht setzet ihnen nur hier die Gränzen . Ein Componist , der in der Kirche nicht rühren kann , wo er eingeschränkter ist , wird dasselbe auf dem Theater , wo er
mehrere Freyheit hat , gewiß noch weniger zu thun vermögend seyn . Wer aber ungeachtet einiges Zwanges schon zu rühren weis , von dem kann man sich , wenn er völlige Freyheit hat , noch viel ein Mehreres versprechen . Würde also wohl die schlechte Ausführung der Kirchenmusiken , an vielen Orten , ein hinreichender Bewegungsgrund seyn können , so gleich alle Kirchenmusiken als etwas ungefälliges zu verwerfen ?
23. §.
Die theatralische Musik besteht entweder aus Opern , oder Pastoralen , ( Schäferspielen , ) oder Zwischenspielen , ( Intermezzen. ) Die Opern sind entweder wirkliche Trauerspiele , oder Trauerspiele mit einem frölichen Ende , welche den Tragikomödien ähnlich sind . Ob wohl eine jede Gattung der theatralischen Stücke ihre eigene und besondere Schreibart erfodert : so bedienen sich doch die Componisten mehrentheils , um ihren Einfällen völlig den Zügel zu lassen , hierinn vieler Freyheit ; welche sie aber dessen ungeachtet nicht von den Pflichten , sich sowohl an die Worte , als an die Eigenschaften und den Zusammenhang der Sache zu binden , frey sprechen kann .
24. §.
Wer die Musik einer Oper gründlich beurtheilen will , muß untersuchen : ob die Sinfonie entweder mit dem Inhalte des ganzen Stückes , oder mit dem ersten Acte , oder zum wenigsten mit der ersten Scene einen Verhalt habe , und die Zuhörer in den Affect , welchen die erste Handlung in sich hat , er sey zärtlich , oder traurig , oder lustig , oder heroisch , oder wütend , u. d. m. zu versetzen vermögend sey s. hiervon mit Mehrerm den 43. §. dieses Hauptstücks . Es ist zu beobachten : ob das Recitativ natürlich , sprechend , ausdrückend , und für die Sänger weder zu tief , noch zu hoch gesetzet sey ; ob die Arien mit solchen Ritornellen versehen seyn , die singend und ausdrückend sind , um von der Folge , in der Kürze , einen Vorschmack zu geben ; nicht aber nach dem allgemeinen Schlentrian der welschen Alltagscomponisten , wo das Ritornell von einem , und das übrige von einem andern gemacht zu seyn scheint . Man gebe bey Beurtheilung einer Oper ferner Acht : ob die Arien singbar seyn , und dabey den Sängern Gelegenheit geben , ihre Fähigkeit zu zeigen ; ob der Componist die Leidenschaften , so wie es die Materie erfodert , ausgedrücket , eine jede von der andern wohl unterschieden , und an ihren gehörigen Ort gebracht habe ; ob er einen jeden Sänger , vom ersten bis zum letzten , ohne Partheylichkeit , nach seiner Rolle , Stimme , und Fähigkeit eingekleidet habe ; ob er das Sylbenmaaß ,
so wie es die Poesie und die Aussprache erfodert , gehörig beobachtet habe , oder ob er nur , wie es viele machen , ohne Noth , willkührlich damit verfahren sey , und zuweilen lange Sylben in kurze , und kurze in lange verwandelt habe : wodurch die Worte nicht nur verstümmelt werden , sondern auch wohl gar eine andere Bedeutung bekommen . Diesen Fehler findet man öfters bey solchen , von welchen man es am wenigsten vermuthen sollte . Er entsteht entweder aus Nachläßigkeit ; oder weil dem Componisten nicht gleich , in der Eil , eine bequemere und den Worten gemäßere Melodie hat einfallen wollen ; oder weil derselbe die Sprache nicht verstanden hat . Bey Beurtheilung einer Oper hat man weiter zu beobachten : ob der Componist die Einschnitte der Rede , in den Arien , und absonderlich in den Recitativen wohl beobachtet habe ; ob er sich bey den Versetzungen gewisser Wörter wohl gehütet habe , den Verstand derselben zu verdunkeln , oder gar das Gegentheil davon zu sagen ; ob die Arien , deren Text gewisse Actionen erfodert , ausdrückend , und so gesetzet seyn , daß die Sänger Zeit und Gelegenheit haben , ihre Actionen mit Gemächlichkeit anzubringen ; ob die Sänger aber auch nicht in mancher Arie , die einen heftigen Affect in sich hält , entweder durch allzugeschwindes Aussprechen der Worte , wie ehedem bey den Deutschen üblich war , zum Schnattern verleitet , oder durch allzulange , über jede Sylbe gesetzete , Noten , am lebhaften Vortrage der Worte , und an der Action gehindert werden ; ob in dergleichen sprechenden Arien , die Passagien der Singstimme , welche gar nicht dahin gehören , und das Feuer der Action hemmen , vermieden worden . Man suche endlich zu erforschen : ob der Componist , in Ansehung des Zusammenhanges der ganzen Sache überhaupt , eine jede Arie an ihren rechten Ort gesetzet , und , damit nicht etliche Arien in einerley Tone oder Tactart gleich auf einander folgen möchten , die verschiedenen Ton- und Tactarten , den Worten gemäß , zu vermischen gesuchet habe ; ob er den Hauptcharakter des Stückes , vom Anfange bis zum Ende unterhalten , auch eine proportionirliche Länge dabey beobachtet habe ; ob zuletzt die meisten Zuhörer durch die Musik gerühret , und in die im Schauspiele vorgestelleten Leidenschaften versetzet werden , so daß sie endlich , mit einer Begierde die Oper öfters zu hören , den Schauplatz verlassen . Finden sich alle bisher erzählten guten Eigenschaften in einer Oper beysammen : so kann eine solche Oper für ein Meisterstück gehalten werden .
s . hiervon mit Mehrerm den 43. §. dieses Hauptstücks .
Unter andern findet man in einer gewissen Serenate : la trionfo Vittoria d’ Imeneo benennet , welche 1750 , in Italien neu ist aufgeführet worden , so wie in den übrigen Werken ihres Verfassers , bewundernswürdige Beyspiele dieses Fehlers ; und zwar von der Feder eines Welschen , der entweder seiner eigenen Muttersprache nicht mächtig zu seyn , oder zum wenigsten auf den Sinn der Wörter , und auf dessen Ausdruck , gar selten Acht zu haben scheint . 25. §.
Bey Beurtheilung der Arien ins besondere aber , wird sich dessen ungeachtet doch noch Mancher betrügen können : weil die Meisten immer nur nach ihrer eigenen Empfindung urtheilen , und allein diejenigen Arien für die besten halten , welche ihnen vorzüglich gefallen . Die Einrichtung einer Oper erfodert aber , daß um des Zusammenhanges des Ganzen willen , nicht alle Arien von gleicher Beschaffenheit oder Stärke , sondern von verschiedener Art und Natur seyn müssen . Die ersten von den recitirenden Personen müssen , nicht nur in Ansehung der Poesie , sondern auch der Musik , vor den letztern einigen Vorzug behalten . Denn gleich wie ein Gemälde , welches aus lauter gleichförmigen schönen Figuren besteht , das Auge nicht so einnimmt und reizet , als wenn etliche Figuren von geringerer Schönheit mit darunter vorkommen : so bekömmt auch oftmals eine Hauptarie nur alsdenn erst ihren rechten Glanz , wenn sie zwischen zwo geringere eingeflochten wird . Nachdem die Gemüthsbeschaffenheiten der Zuhörer unterschieden sind , nachdem wird auch ihr Geschmack an den Arien unterschieden seyn . Einem wird diese , einem andern jene Arie am besten gefallen . Man darf sich also gar nicht wundern , wenn dem einem dasjenige gefällt , woran der andere gar nichts angenehmes findet ; und wenn folglich die Beurtheilung eines Stückes , und besonders einer Oper , so verschieden und ungewiß ausschlägt .
26. §.
Wenn man eine Singmusik , welche zu gewissen Absichten , entweder für die Kirche , oder für das Theater verfertiget worden ist , und nun in der Kammer aufgeführt wird , beurtheilen will ; hat man großer Behutsamkeit von nöthen . Die Umstände , welche damit an dem Orte ihrer Bestimmung verknüpfet gewesen sind , die verschiedene Art des Vortrages und der Ausführung , sowohl in Ansehung der Sänger , als der Instrumentisten , ingleichen , ob man das ganze Werk in seinem vollkommenen Zusammenhange , oder nur stückweise etwas davon höret , tragen sowohl zu einem guten , als zu einem schlechten Erfolge , sehr viel bey . Eine
Arie mit Action , welche auf dem Theater einen besondern Eindruck gemachet hat , wird in der Kammer bey Weitem nicht so gefallen , als auf dem Theater : denn hier mangelt eines der wesentlichen Stücke derselben , nämlich die Action , und die damit verbundenen Ursachen derselben : es wäre denn , daß man durch Erinnerung dieser Dinge , sich noch eine lebhafte Vorstellung davon zu machen wüßte . Eine andere Arie hingegen , deren Worte eben nichts besonders ausdrücken , die aber doch einen gefälligen , und für den Sänger vortheilhaften Gesang in sich hat , auch von demselben auf eine gute Art vorgetragen wird , ist vermögend , die vorerwähnte Arie , in der Kammer , zu unterdrücken , und bey den Zuhörern einen Vorzug zu erhalten . Hierbey kann man nun wohl sagen , daß die letztere mehr als die erstere gefalle ; nicht aber daß sie deswegen besser sey . Denn bey den Arien muß man nicht sowohl auf den Gesang allein , als vielmehr auch auf die Worte , und derselben Ausdruck sehen . Eine Arie mit starker Action muß über dieses mehr sprechend als singend seyn , und erfodert folglich einen guten Sänger der zugleich ein guter Acteur ist ; wie nicht weniger auch einen erfahrenen Componisten .
27. §.
Wird aber eine Serenate oder Cantate ausdrücklich für die Kammer gesetzet : so pfleget dieser Kammerstyl so wohl vom Kirchen- als vom Theatralstyle unterschieden zu werden . Der Unterschied besteht darinne , daß der Kammerstyl mehr Lebhaftigkeit und Freyheit der Gedanken erfodert , als der Kirchenstyl ; und weil keine Action dabey statt findet , mehr Ausarbeitung und Kunst erlaubet , als der Theatralstyl . Die Madrigale , welche , nach Art der Psalmen , mit vielen Singstimmen , mehrentheils ohne Instrumente , arbeitsam ausgeführte Singstücke sind , haben auch in der Kammer ihren Platz . Nichtweniger gehören hierher die Duetten und Terzetten ohne Instrumente , und die Solocantaten .
28. §.
Wenn man eine Instrumentalmusik recht beurtheilen will ; muß man nicht nur von den Eigenschaften eines jeden Stücks , welches dabey vorkömmt , sondern auch von den Instrumenten selbst , wie schon oben gesaget worden , eine genaue Kenntniß haben . Es kann ein Stück , an und für sich , sowohl dem guten Geschmacke , als den Regeln der Composition gemäß , und also gut gesetzet seyn ; dem Instrumente aber zuwider laufen . Im Gegentheile kann ein Stück dem Instrumente zwar gemäß ,
an sich selbst aber nichts nütze seyn . Die Singmusik hat gewisse Vortheile , deren die Instrumentalmusik entbehren muß . Bey jener gereichen die Worte , und die Menschenstimme , den Componisten , sowohl in Ansehung der Erfindung , als der Ausnahme , zum größten Vortheile . Die Erfahrung giebt dieses handgreiflich ; wenn man Arien , in Ermangelung der Menschenstimme , auf einem Instrumente spielen höret . Die Instrumentalmusik soll ohne Worte , und ohne Menschenstimmen , eben sowohl gewisse Leidenschaften ausdrücken , und die Zuhörer aus eine in die andere versetzen , als die Vocalmusik . Soll aber dieses gehörig bewerkstelliget werden , so dürfen , um den Mangel der Worte und der Menschenstimme zu ersetzen , weder der Componist , noch der Ausführer hölzerne Seelen haben .
29. §.
Die vornehmsten Stücke der Instrumentalmusik , wobey die Singstimmen nichts zu thun haben , sind : das Concert , die Ouvertüre , die Sinfonie , das Quatuor , das Trio , und das Solo . Unter diesen giebt es immer zweyerley Arten , des Concerts , des Trio und des Solo . Man hat Concerti grossi , und Concerti da camera . Die Trio sind entweder , wie man sagt , gearbeitet , oder galant . Eben so verhält es sich mit den Solo .
30. §.
Die Concerten haben ihren Ursprung von den Italiänern . Torelli soll die ersten gemacht haben . Ein Concerto grosso besteht aus einer Vermischung verschiedener concertirender Instrumente , allwo immer zwey oder mehrere Instrumente , deren Anzahl sich zuweilen wohl auf acht oder noch drüber erstrecket , mit einander concertiren . Bey einem Kammerconcert hingegen befindet sich nur ein einziges concertirendes Instrument .
31. §.
Die Eigenschaften eines Concerto grosso erfodern , in einem jeden Satze desselben : 1 ) ein prächtiges Ritornell zum Anfange , welches mehr harmonisch als melodisch , mehr ernsthaft als scherzhaft , und mit Unison vermischet sey ; 2 ) eine geschikte Vermischung der Nachahmungen in den concertirenden Stimmen ; so daß das Ohr bald durch diese , bald durch jene Instrumente , unvermuthet überraschet werde . 3 ) Diese Nachahmungen müssen aus kurzen und gefälligen Gedanken bestehen . 4 ) Das Brillante muß mit dem Schmeichelnden immer abwechseln . 5 ) Die mittelsten
Tuttisätze müssen kurz gefasset seyn. 6 ) Die Abwechselungen der concertirenden Instrumente müssen dergestalt eingetheilet seyn , daß nicht eines zu viel , und das andere zu wenig gehöret werde . 7 ) Dann und wann muß nach einem Trio , ein kurzes Solo , von einem und dem andern Instrumente , mit eingeflochten werden . 8 ) Vor dem Schlusse müssen die Instrumente eine kurze Wiederholung dessen , so sie Anfangs gehabt haben , machen , und das letzte Tutti muß 9 ) mit den erhabensten und prächtigsten Gedanken aus dem ersten Ritornell , sich endigen . Ein solches Concert erfodert ein zahlreiches Accompagnement , einen großen Ort , eine ernsthafte Ausführung , und eine mäßige Geschwindigkeit .
32. §.
Der Concerte mit einem concertirenden Instrumente , oder der sogenannten Kammerconcerte , giebt es gleichfalls zwo Gattungen . Einige verlangen , so wie das Concerto grosso , ein starkes , die andern aber ein schwaches Accompagnement . Wird solches nicht beobachtet , so thut weder eins noch das andere seine gehörige Wirkung . Aus dem ersten Ritornell kann man abnehmen , von was für einer Gattung das Concert sey . Alles was ernsthaft , prächtig , und mehr harmonisch als melodisch gesetzet , auch mit vielem Unison untermischet ist ; wobey die Harmonie sich nicht zu Achttheilen oder Viertheilen , sondern zu halben oder ganzen Tacten verändert ; dessen Accompagnement muß stark besetzet werden . Was aber aus einer flüchtigen , scherzhaften , lustigen oder singenden Melodie besteht , und geschwinde Veränderungen der Harmonie machet ; thut mit einem schwach besetzeten Accompagnement bessere Wirkung , als mit einem starken .
33. §.
Ein ernsthaftes , oder für das Große gesetzetes einfaches Concert verlanget im ersten Satze : 1 ) ein prächtiges und mit allen Stimmen wohl ausgearbeitetes Ritornell ; 2 ) einen gefälligen und begreiflichen Gesang ; 3 ) richtige Imitationen. 4 ) Die besten Gedanken des Ritornells können zergliedert , und unter oder zwischen die Solo vermischet werden . 5 ) die Grundstimme muß wohlklingend , und baßmäßig seyn. 6 ) Man mache nicht mehr Mittelstimmen , als es die Hauptstimme erlaubet : denn es thut oftmals bessere Wirkung , wenn man die Hauptstimmen verdoppelt ; als wenn man die Mittelstimmen hinein zwingt . 7 ) Die Bewegungen der Grundstimme und der Mittelstimmen dürfen die Hauptstimme , weder an ihrer Lebhaftigkeit verhindern ,
noch sie übertäuben oder unterdrücken . 8 ) Im Ritornell muß man eine proportionirliche Länge beobachten . Es muß dasselbe wenigstens aus zweenen Haupttheilen bestehen . Der zweyte Theil davon , muß , weil man ihn am Ende des Satzes wiederholet , und damit schließet , mit den schönsten und prächtigsten Gedanken ausgekleidet werden . 9 ) Sofern der Anfangsgedanke vom Ritornell nicht singend , noch zum Solo bequem genug ist : so muß man einen neuen Gedanken , welcher jenem ganz entgegen ist , einführen , und mit den Anfangsgedanken dergestalt verbinden , daß man nicht bemerken könne , ob solches aus Noth , oder mit gutem Bedachte geschehen sey . 10 ) Die Solosätze müssen theils singend seyn , theils muß das Schmeichelnde mit brillanten , melodischen , und harmonischen , dem Instrumente aber gemäßen Passagien , untermischet , auch , um das Feuer bis ans Ende zu unterhalten , mit kurzen , lebhaften , und prächtigen Tuttisätzen abgewechselt werden . 11 ) Die concertirenden oder Solosätze dürfen nicht zu kurz , die mittelsten Tutti hingegen , nicht zu lang seyn. 12 ) Das Accompagnement unter dem Solo muß nicht solche Bewegungen haben , welche die concertirende Stimme verdunkeln könnten ; es muß vielmehr immer wechselweise bald aus vielen , bald aus wenigen Stimmen bestehen : damit die Hauptstimme dann und wann Luft bekomme , sich mit mehrerer Freyheit hervor zu thun . Licht und Schatten muß überhaupt immer unterhalten werden . Wenn es die Passagien leiden , oder man sie solchergestalt zu erfinden weis , daß die begleitenden Stimmen darunter etwas bekanntes aus dem Ritornell anbringen können : so thut es eine gute Wirkung. 13 ) Man muß immer eine richtige und natürliche Modulation beobachten , und keine allzufremde Tonart , welche das Gehör beleidigen könnte , berühren. 14 ) Das Metrum , auf welches man in der Setzkunst überhaupt ein genaues Augenmerk zu richten hat , muß auch hier genau beobachtet werden . Die Cäsur , oder die Einschnitte der Melodie , dürfen im gemeinen geraden Tacte nicht auf das zweyte oder vierte Viertheil , und im Tripeltacte nicht auf den dritten oder fünften Tact fallen . Man muß das Metrum , so wie man es angefangen hat , es sey zu ganzen oder halben Tacten , oder im Tripeltacte zu zween , vier , oder acht Tacten , zu unterhalten suchen : weil ausserdem die künstlichste Composition mangelhaft wird . Im Tripeltacte wird , bey einem Arioso , wenn in demselben die Melodie öftere Abschnitte leidet , die Cäsur zu drey und zween Tacten nach einander zugelassen . 15 ) Die Passagien darf man durch die Transposition , nicht
in einerley Art bis zum Ekel verfolgen : man muß vielmehr zu rechter Zeit unvermerkt abbrechen , und sie verkürzen. 16 ) Am Ende darf man sich nicht übereilen , oder zu kurz abschnappen : man muß dasselbe vielmehr wohl zu befestigen suchen . Man darf nicht mit lauter neuen Gedanken schließen : man muß vielmehr die gefälligsten Gedanken von dem , was vorher gehöret worden , im letzten Solosatze wiederholen . 17 ) Endlich muß man im letzten Tutti , mit dem zweyten Theile vom ersten Ritornell , das Allegro , so kurz als möglich ist , beschließen .
34. §.
Zu dem ersten Satze eines prächtigen Concerts , schicken sich nicht alle Tactarten . Soll derselbe lebhaft seyn ; so kann man den gemeinen geraden Tact , wo die geschwindesten Noten aus Sechzehntheilen bestehen , darzu nehmen ; und die Cäsur auf den zweyten Theil des Tactes fallen lassen . Soll gedachter erster Theil zugleich prächtig seyn : so erwähle man ein längeres Metrum , dessen Cäsur allemal einen ganzen Tact einnimmt , und nur auf den Niederschlag des Tactes fällt . Soll ein dergleichen erster Satz aber ernsthaft und prächtig seyn : so kann man , in der gemeinen geraden Tactart , eine Bewegung von mäßigerer Geschwindigkeit , wo die geschwindesten Noten aus Zwey und dreyßigtheilen bestehen können , und die Cäsur auf den zweyten Theil des Tactes fällt , dazu erwählen . Die zweygeschwänzeten punctireten Noten werden hier zur Pracht des Ritornells ein Vieles beytragen . Mit dem Worte : Allegretto , kann man die Bewegung bestimmen . Diese Art Noten kann man auch im gemäßigten Allebrevetacte schreiben . Man muß nur die Achttheile in Viertheile , die Sechzehntheile in Achttheile , und die Zweyund dreyßigtheile in Sechzehntheile verwandeln . Die Cäsur aber kann alsdenn allemal auf den Anfang eines jeden Tactes fallen . Der ordentliche Allabrevetact , dessen geschwindeste Noten aus Achttheilen bestehen , ist wie der Zweyviertheiltact anzusehen , und schicket sich deswegen besser zum letzten , als zum ersten Satze : weil er , wenn man nicht immer gebunden und vollstimmig darinne arbeitet , mehr Gefälliges als Prächtiges ausdrücket . Der Tripeltact wird überhaupt wenig zum ersten Satze gebrauchet : es wäre denn der Dreyviertheiltact , mit Sechzehntheilen vermischet ; wobey die Bewegungen der Mittelstimmen und der Grundstimme aus Achttheilen bestünden , und die Harmonie sich mehrentheils nur zu ganzen Tacten änderte .
35. §.
Das Adagio muß sich überhaupt , im musikalischen Reimgebäude , in der Tactart , und in der Tonart , vom ersten Allegro unterscheiden . Geht das Allegro aus einer der größern Tonarten , z. E. aus dem C dur : so kann das Adagio , nach Belieben , aus dem C moll , E moll , A moll , F dur , G dur , oder auch G moll gesetzet werden . Geht aber das erste Allegro aus einer der kleinern Tonarten , z. E. aus dem C moll : so kann das Adagio entweder aus dem Es dur , oder F moll , oder G moll , oder As dur gesetzet werden . Diese Folgen der Tonarten auf einander sind die natürlichsten . Das Gehör wird dadurch niemals beleidiget ; und dieser Verhalt gilt bey allen Tonarten , sie mögen Namen haben sie wollen . Wer aber den Zuhörer auf eine empfindliche und unangenehme Art überraschen will : dem steht es frey , außer diesen Tonarten , solche zu wählen , die ihm nur allein Vergnügen machen können . Zum wenigsten wird große Behutsamkeit dabey erfodert .
36. §.
Um die Leidenschaften zu erregen , und wieder zu stillen , giebt das Adagio mehr Gelegenheit an die Hand , als das Allegro . In vorigen Zeiten wurde das Adagio mehrentheils sehr trocken und platt , und mehr harmonisch als melodisch gesetzet . Die Componisten überließen den Ausführern das , was von ihnen erfodert wurde , nämlich die Melodie singbar zu machen : welches aber , ohne vielen Zusatz von Manieren , nicht wohl angieng . Es war also damals viel leichter ein Adagio zu setzen , als zu spielen . Wie nun leicht zu erachten ist , daß ein solches Adagio nicht allemal das Glück gehabt hat , in geschikte Hände zu fallen ; und daß die Ausführung selten so gelungen ist , als es der Verfasser hätte wünschen mögen : so ist aus solchem Uebel das Gute geflossen , daß man seit einigen Zeiten angefangen hat , das Adagio mehr singend zu setzen . Hierdurch erlanget der Componist mehr Ehre : und der Ausführer brauchet weniger Kopfbrechens : das Adagio selbst aber kann nicht auf so vielerley Art , wie ehedem oft geschah , verstellet oder verstümmelt werden .
37. §.
Weil aber das Adagio , unter den der Musik nicht kundigen Zuhörern , gemeiniglich nicht so viele Liebhaber findet , als das Allegro : so muß der Componist solches , auch denen in der Musik nicht erfahrenen Zuhörern , auf alle mögliche Weise gefällig zu machen suchen . Er hat vornehmlich folgende Regeln dabey wohl zu beobachten . Er muß sich 1 ) sowohl in den
Ritornellen , als in den Solosätzen , der möglichsten Kürze befleißigen . 2 ) Das Ritornell muß melodisch , harmoniös und ausdrückend gesetzet seyn. 3 ) Die Hauptstimme muß einen solchen Gesang haben , der zwar einigen Zusatz von Manieren leidet ; doch aber auch ohne denselben gefallen kann . 4 ) Der Gesang von der Hauptstimme muß , mit den dazwischen vermischten Tuttisätzen , concertiren . 5 ) Dieser Gesang muß eben so rührend und ausdrückend gesetzet werden , als wenn Worte darunter gehöreten . 6 ) Dann und wann muß etwas vom Ritornell angebracht werden . 7 ) Man darf nicht in allzuviele Tonarten ausweichen ; als welches an der Verkürzung am meisten hinderlich ist . 8 ) Das Accompagnement unter dem Solo muß mehr platt , als figuriret seyn : damit die Hauptstimme nicht gehindert werde , Auszierungen zu machen ; sondern völlige Freyheit behalte , mit Beurtheilung , und auf eine vernünftige Art , viel oder wenig Manieren anzubringen . Endlich muß man 9 ) das Adagio durch ein solches Beywort zu charakterisiren suchen , welches den darinne enthaltenen Affect deutlich ausdrücket : damit man das erfoderliche Tempo leicht errathen könne .
38. §.
Das letzte Allegro eines Concerts muß sich nicht nur in der Art und Natur , sondern auch in der Tactart , vom ersten Satze sehr unterscheiden . So ernsthaft das erste seyn soll ; so scherzhaft und lustig muß hingegen das letztere seyn . Diese nachbenannten Tactarten , als : 2/4 , 3/4 , 3/8 , 6/8 , 9/8 , 12/8 Tact , können hierbey gute Dienste thun . Niemals müssen in einem Concert alle drey Sätze in einerley Tactart gesetzet werden : sondern wenn die ersten zweene Sätze im geraden Tacte stehen : so muß der letzte im Tripeltacte gesetzet seyn . Ist aber der erste im geraden , und der zweyte im Tripeltacte : so kann der letzte sowohl im Tripel- als im Zweyviertheiltacte gesetzet werden . Niemals aber darf er im gemeinen geraden Tacte stehen : weil dieser zu ernsthaft wäre , und sich also eben so wenig zum letzten Satze schicken würde , als der Zweyviertheil- oder ein geschwinder Tripeltact bey dem ersten Satze eine gute Wirkung thun würde . Es dürfen auch nicht alle drey Sätze ihren Anfang in eben demselben Tone nehmen : sondern wenn die Oberstimme bey dem einen im Grundtone anfängt ; kann sie bey dem andern in der Terze , und bey dem dritten mit der Quinte anfangen . Der letzte Satz geht zwar aus der Tonart des ersten : doch muß man in Ansehung der Modulationen sich hüten ,
daß man im letzten Satze die Tonarten nicht so nach einander berühre , wie im ersten Satze geschehen ist : um die Aehnlichkeit zu vermeiden .
39. §.
Im letzten Satze muß überhaupt 1 ) das Ritornell kurz , lustig , feurig , doch dabey etwas tändelnd seyn. 2 ) Die Hauptstimme muß einen gefälligen , flüchtigen und leichten Gesang haben . 3 ) Die Passagien müssen leicht seyn , damit man nicht an der Geschwindigkeit gehindert werde . Mit den Passagien im ersten Satze aber , dürfen sie keine Aehnlichkeit haben . Z. E. Wenn die im ersten Satze aus gebrochenen oder harpeggirten Noten bestehen ; so können die im letztern Satze stufenweise gehen , oder rollend seyn . Oder wenn im ersten Satze Triolen sind ; so können die Passagien im letzten Satze aus gleichen Noten bestehen : und so das Gegentheil. 4 ) Das Metrum muß auf das strengste beobachtet werden . Denn je kürzer und geschwinder die Tactarten sind : je empfindlicher ist es , wenn dawider gehandelt wird . Die Cäsur muß also im 2/4- und im geschwinden 3/4- 3/8- und 6/8 Tacte allezeit auf den Anfang des zweyten Tacts , die Haupteinschnitte aber , auf den vierten und achten Tact fallen . 5 ) Das Accompagnement darf nicht zu vollstimmig oder überhäufet seyn . Es muß vielmehr aus solchen Noten bestehen , welche die begleitenden Stimmen , ohne große Bewegung oder Mühsamkeit , heraus bringen können : weil der letzte Satz gemeiniglich sehr geschwind gespielet wird .
40. §.
Um auch bey einem Concert eine proportionirliche Länge zu beobachten ; kann man die Uhr dabey zu Rathe ziehen . Wenn der erste Satz die Zeit von fünf Minuten , das Adagio fünf bis sechs Minuten , und der letzte Satz drey bis vier Minuten einnimmt : so hat das ganze Concert seine gehörige Länge . Es ist überhaupt ein größerer Vortheil , wenn die Zuhörer ein Stück eher zu kurz , als zu lang finden .
41. §.
Wer nun ein solches Concert zu machen weis , dem wird es nicht schwer fallen , auch ein scherzhaftes und kleines tändelndes Kammerconcert zu verfertigen . Es würde also unnöthig seyn , hiervon besonders zu handeln .
42. §.
Eine Ouvertüre , welche zum Anfange einer Oper gespielet wird , erfodert einen prächtigen und gravitätischen Anfang , einen brillanten ,
wohl ausgearbeiteten Hauptsatz , und eine gute Vermischung verschiedener Instrumente , als Hoboen , Flöten , oder Waldhörner . Ihr Ursprung kömmt von den Franzosen her . Lülly hat davon gute Muster gegeben . Doch haben ihn einige deutsche Componisten , unter andern vornehmlich Händel und Telemann , darinne weit übertroffen . Es geht den Franzosen mit ihren Ouvertüren fast , wie den Italiänern mit ihren Concerten . Nur ist , wegen der guten Wirkung welche die Ouvertüren thun , zu bedauern , daß sie in Deutschland nicht mehr üblich sind .
43. §.
Die italiänischen Sinfonien , welche mit den Ouvertüren gleiche Absicht haben , erfodern zwar , in Ansehung der Pracht , eben dieselben Eigenschaften . Da aber die meisten von solchen Componisten verfertiget werden , die ihren Geist mehr in der Sing- als Instrumentalmusik geübet haben , so giebt es bis itzo nur noch sehr wenige Sinfonien , die alle Vollkommenheiten besitzen , und deswegen zu einem guten Muster dienen könnten . Es scheint zuweilen , als wenn es die Operncomponisten bey Verfertigung der Sinfonien so macheten , wie die Maler bey Ausarbeitung eines Conterfeyes ; als welche sich der übrig gebliebenen Farben bedienen , um die Luft , oder das Gewand damit auszumalen . Indessen sollte doch billig eine Sinfonie , wie oben schon gedacht worden , einigen Zusammenhang mit dem Inhalte der Oper , oder zum wenigsten mit dem ersten Auftritte derselben haben ; und nicht allezeit mit einem lustigen Menuet , wie mehrentheils geschieht , schließen . Ich bin zwar nicht willens hiervon ein Muster vorzuschreiben : weil man nicht alle Umstände , die bey dem Anfange einer jeden Oper vorkommen können , in eine Classe bringen kann . Dessen ungeachtet glaube ich doch , daß hierinne sehr leicht ein Mittel zu finden wäre . Es ist ja eben nicht nothwendig , daß eine Sinfonie vor einer Oper allezeit aus drey Sätzen bestehen müsse : man könnte ja auch wohl mit dem ersten oder zweyten Satze schließen . Z. E . Der erste Auftritt hielte heroische oder andere feurige Leidenschaften in sich : so könnte der Schluß der Sinfonie mit dem ersten Satze geschehen . Kämen traurige oder verliebte Affecten darinne vor : so könnte man mit dem zweyten Satze aufhören . Hielte aber der erste Auftritt gar keine besondern Affecten in sich , sondern diese kämen erst in der Folge der Oper , oder am Ende vor : so könnte man mit dem dritten Satze der Sinfonie schließen . Auf solche Art hätte man Gelegenheit ,
einen jeden Satz der Sache gemäß einzurichten . Die Sinfonie aber bliebe doch noch auch zu andern Absichten brauchbar .
44. §.
Ein Quatuor , oder eine Sonate mit drey concertirenden Instrumenten , und einer Grundstimme , ist eigentlich der Probierstein eines echten Contrapunctisten ; aber auch eine Gelegenheit , wobey mancher , der in seiner Wissenschaft nicht recht gegründet ist , zu Falle kommen kann . Der Gebrauch davon ist noch niemals sehr gemein geworden ; folglich kann er auch nicht allen so gar bekannt seyn . Es ist zu befürchten , daß endlich diese Art von Musik das Schicksal der verlohrenen Künste werde erfahren müssen . Zu einem guten Quatuor gehöret : 1 ) ein reiner vierstimmiger Satz ; 2 ) ein harmonischer guter Gesang ; 3 ) richtige und kurze Imitationen ; 4 ) eine mit vieler Beurtheilung angestellete Vermischung der concertirenden Instrumente ; 5 ) eine recht baßmäßige Grundstimme ; 6 ) solche Gedanken die man mit einander umkehren kann , nämlich , daß man sowohl darüber als darunter bauen könne ; wobey die Mittelstimmen zum wenigsten einen leidlichen , und nicht misfälligen Gesang behalten müssen . 7 ) Man muß nicht bemerken können , ob diese oder jene Stimme den Vorzug habe . 8 ) Eine jede Stimme muß , wenn sie pausiret hat , nicht als eine Mittelstimme , sondern als eine Hauptstimme , mit einem gefälligen Gesange wieder eintreten : doch ist dieses nicht von der Grundstimme , sondern nur von den dreyen concertirenden Oberstimmen zu verstehen . 9 ) Wenn eine Fuge vorkömmt ; so muß dieselbe , mit allen vier Stimmen , nach allen Regeln , meisterhaft , doch aber dabey schmackhaft ausgeführet seyn .
Sechs gewisse Quatuor für unterschiedene Instrumente , meistentheils Flöte , Hoboe , und Violine , welche Herr Telemann schon vor ziemlich langer Zeit gesetzet hat , die aber nicht in Kupfer gestochen worden sind , können , in dieser Art von Musik , vorzüglich schöne Muster abgeben .
45. §.
Ein Trio erfodert zwar nicht eine so mühsame Arbeit , als ein Quatuor ; doch aber von Seiten des Componisten fast eben dieselbe Wissenschaft ; wenn es anders von der rechten Art seyn soll . Doch hat es dieses voraus , daß man darinne galantere und gefälligere Gedanken anbringen kann , als im Quatuor : weil eine concertirende Stimme weniger ist . Es muß also in einem Trio 1 ) ein solcher Gesang erfunden werden , der
eine singende Nebenstimme leidet . 2 ) Der Vortrag beym Anfange eines jeden Satzes , besonders aber im Adagio , darf nicht zu lang seyn : weil solches bey der Wiederholung , so die zweyte Stimme machet , es sey in der Quinte , oder in der Quarte , oder im Einklange , leichtlich einen Ueberdruß erwecken könnte . 3 ) Keine Stimme darf etwas vormachen , welches die andere nicht nachmachen könnte . 4 ) Die Imitationen müssen kurz gefasset , und die Passagien brillant seyn. 5 ) In Wiederholung der gefälligsten Gedanken muß eine gute Ordnung beobachtet werden . 6) Beyde Hauptstimmen müssen so gesetzet seyn , daß eine natürliche und wohlklingende Grundstimme darunter statt finden könne . 7 ) Soferne eine Fuge darinne angebracht wird , muß selbige , eben wie beym Quatuor , nicht nur nach den Regeln der Setzkunst richtig , sondern auch schmackhaft , in allen Stimmen ausgeführet werden . Die Zwischensätze , sie mögen aus Passagien oder andern Nachahmungen bestehen , müssen gefällig und brillant seyn . 8 ) Obwohl die Terzen- und Sextengänge in den beyden Hauptstimmen eine Zierde des Trio sind ; so müssen doch dieselben nicht zum Misbrauche gemachet , noch bis zum Ekel durchgepeitschet , sondern vielmehr immer durch Passagien oder andere Nachahmungen unterbrochen werden . Das Trio muß endlich 9 ) so beschaffen seyn , daß man kaum errathen könne , welche Stimmen von beyden die erste sey .
46. §.
Ein Solo zu machen , hält man heutiges Tages für keine Kunst mehr . Fast ein jeder Instrumentist giebt sich damit ab . Hat er selbst keine Erfindung : so behilft er sich mit entlehneten Gedanken . Fehlet es ihm an Kenntniß der Compositionsregeln : so läßt er sich den Baß von einem Andern dazu machen . Hierdurch kommen nun , anstatt guter Muster , viele Misgeburthen zum Vorscheine .
47. §.
Es ist eben nicht eine so gar leichte Sache , ein gutes Solo zu machen . Es giebt Componisten , welche die Setzkunst vollkommen verstehen , auch in vollstimmigen Werken glücklich sind ; aber schlechte Solo machen . Andern hingegen gerathen die Solo besser , als die vollstimmigen Sachen . Glücklich ist der , dem beydes gelingt . So wenig aber , um ein gut Solo zu setzen , eben nöthig ist , alle die innersten Geheimnisse der Composition zu besitzen : so wenig geht es auch an , ohne von der Harmonie
etwas zu verstehen , was Gescheides in dieser Art zu Wege zu bringen .
48. §.
Soll ein Solo dem Componisten und dem Ausführer Ehre machen , so muß : 1 ) das Adagio desselben an und vor sich singbar und ausdrückend seyn. 2 ) Der Ausführer muß Gelegenheit haben , seine Beurtheilungskraft , Erfindung , und Einsicht zu zeigen . 3 ) Die Zärtlichkeit muß dann und wann mit etwas Geistreichem vermischet werden . 4 ) Man setze eine natürliche Grundstimme , worüber leicht zu bauen ist . 5 ) Ein Gedanke muß weder in demselben Tone , noch in der Transposition , zu vielmal wiederholet werden : denn dieses würde nicht nur den Spieler müde machen , sondern auch den Zuhörern einen Ekel erwecken können . 6 ) Der natürliche Gesang muß zuweilen mit einigen Dissonanzen unterbrochen werden , um bey den Zuhörern die Leidenschaften gehörig zu erregen . 7 ) Das Adagio muß nicht zu lang seyn .
49. §.
Das erste Allegro erfodert : 1 ) einen fließenden , an einander hangenden , und etwas ernsthaften Gesang ; 2 ) einen guten Zusammenhang der Gedanken ; 3 ) brillante , und mit Gesange wohl vereinigte Passagien ; 4 ) eine gute Ordnung in Wiederholung der Gedanken ; 5 ) schöne ausgesuchte Gänge zu Ende des ersten Theils , welche zugleich so eingerichtet seyn müssen , daß man in der Transposition den letzten Theil wieder damit beschließen könne . 6 ) Der erste Theil muß etwas kürzer seyn als der letzte . 7 ) Die brillantesten Passagien müssen in den letzten Theil gebracht werden . 8 ) Die Grundstimme muß natürlich gesetzet seyn , und solche Bewegungen machen , welche immer eine Lebhaftigkeit unterhalten .
50. §.
Das zweyte Allegro kann entweder sehr lustig und geschwind , oder moderat und arios seyn . Man muß sich deswegen nach dem ersten richten . Ist dasselbe ernsthaft : so kann das letzte lustig seyn . Ist aber das erste lebhaft und geschwind : so kann das letzte moderat und arios seyn . In Ansehung der Verschiedenheit der Tactarten , muß das , was oben von den Concerten gesaget worden ist , auch hier beobachtet werden : damit nicht ein Satz dem andern ähnlich werde . Soll überhaupt ein Solo einem jeden gefallen ; so muß es so eingerichtet seyn , daß die Gemüthsneigungen eines jeden Zuhörers darinne ihre Nahrung finden . Es muß weder
durchgehends pur cantabel , noch durchgehends pur lebhaft seyn . So wie sich ein jeder Satz von dem andern sehr unterscheiden muß ; so muß auch ein jeder Satz , in sich selbst , eine gute Vermischung von gefälligen und brillanten Gedanken haben . Denn der schönste Gesang kann , wenn vom Anfange bis zum Ende nichts anders vorkömmt , endlich einschläfern : und eine beständige Lebhaftigkeit , oder lauter Schwierigkeit , machen zwar Verwunderung , sie rühren aber nicht sonderlich . Dergleichen Vermischung unterschiedener Gedanken aber , ist nicht nur beym Solo allein , sondern vielmehr auch bey allen musikalischen Stücken zu beobachten . Wenn ein Componist diese recht zu treffen , und dadurch die Leidenschaften der Zuhörer in Bewegung zu bringen weis : so kann man mit Rechte von ihm sagen , daß er einen hohen Grad des guten Geschmacks erreichet , und , so zu sagen , den musikalischen Stein der Weisen gefunden habe .
51. §.
Dieses sind nun die vornehmsten Eigenschaften der Hauptgattungen musikalischer Stücke , welche sich bey jedem derselben , nach seiner Art , finden müssen , wenn es ein Kenner für gut und des Beyfalls würdig erklären soll . Es wird aber immer doch noch eine Anzahl von Zuhörern übrig bleiben , denen es nicht möglich seyn wird , so viel Einsicht in die Musik zu erlangen , als deren nöthig ist , um die bisher angeführeten Kennzeichen der Güte eines Stückes an demselben bemerken zu können . Dergleichen Zuhörer müssen sich also nur an gewisse , nicht die Person der Ausführer , sondern die Musik überhaupt betreffende Nebenumstände halten , welche einigermaßen auch ein Zeugniß von der Güte eines Stückes ablegen können . Sie werden am sichersten gehen , wenn sie , bey großen Versammlungen , ( es müssen aber solche Versammlungen seyn , die aus keiner andern Absicht , als nur um Musik zu hören , angestellet sind , und wo die Musik nicht als ein bloßes Nebenwerk angesehen wird , Versammlungen , wo die Zuhörer sowohl aus Kennern , als der Musik Unkundigen bestehen , ) indem ein Stück gesungen oder gespielet wird , auf die Minen und Geberden der Zuhörer Achtung geben , und zu bemerken suchen : ob nur einige , oder der größte Theil der Anwesenden zur Aufmerksamkeit erwecket werde ; ob einer dem andern seinen Gefallen oder Misfallen zu erkennen gebe ; ob sich einige den Ausführern der Musik nähern , oder von ihnen entfernen ; ob dabey geschwiegen oder laut gesprochen werde ; ob man mit dem Kopfe den Tact markire ; ob man den Verfasser des Stücks zu wissen begierig
sey ; ob von den Anwesenden , wenn das Stück zu Ende ist , ein Verlangen gezeiget werde , dasselbe noch einmal zu hören . Endlich müssen sie auch ihrer eigenen Empfindung in etwas nachgehen , und untersuchen , ob die angehörete Musik sie selbst gerühret habe ; wenn sie auch gleich nicht allemal die Ursache davon sagen können . Finden sich nun alle die hier bemeldeten vortheilhaften Umstände bey einer Musik : so kann auch ein der Musik nicht kundiger Zuhörer sicher schlüßen , daß das Stück gut gesetzet , und gut ausgeführet worden sey .
52. §.
Der Unterschied des Geschmackes , der sich bey verschiedenen Nationen , welche an den Wissenschaften überhaupt Geschmack finden , nicht sowohl in Ansehung des Wesentlichen , als vielmehr des Zufälligen der Musik , äußert , hat in die musikalische Beurtheilung den größten Einfluß . Es ist also nöthig , diesen Unterschied des Geschmackes , in der Musik , noch etwas weitläufiger zu untersuchen : ob ich gleich schon im Vorigen , an verschiedenen Orten , wo es nöthig war , etwas davon angeführet habe .
53. §.
Jede Nation , die anders nicht zu den barbarischen gehöret , hat zwar in ihrer Musik etwas , das ihr vor andern vorzüglich gefällt : es ist aber theils nicht so sehr von andern unterschieden , theils nicht von solcher Erheblichkeit , daß man es einer besondern Aufmerksamkeit würdig schätzen könnte . Zwey Völker in den neuern Zeiten aber , haben sich besonders , nicht nur um die Ausbesserung des musikalischen Geschmackes verdient gemacht , sondern auch darinne , nach Anleitung ihrer angebohrnen Gemüthsneigungen , vorzüglich von einander unterschieden . Dieses sind die Italiäner , und die Franzosen . Andere Nationen haben dem Geschmacke dieser beyden Völker den meisten Beyfall gegeben , und entweder diesem , oder jenem nachzufolgen , und etwas davon anzunehmen , gesuchet . Hierdurch sind die gedachten beyden Völker auch verleitet worden , sich gleichsam zu eigenmächtigen Richtern des guten Geschmackes in der Musik aufzuwerfen : und weil niemand von den Ausländern lange Zeit nichts dawider einzuwenden gehabt hat ; so sind sie gewissermaßen , einige Jahrhunderte hindurch , wirklich die musikalischen Gesetzgeber gewesen . Von ihnen ist hernach der gute Geschmack in der Musik auf andere Völker gebracht worden .
54. §.
Daß in den alten Zeiten , die Musik , so wie die andern schönen Wissenschaften , wenn wir nicht bis zu ihrem ersten Ursprunge zurück steigen wollen , von den Griechen auf die Römer gekommen sey ; daß sie ferner nach dem Untergange der Pracht des alten Roms , lange Zeit fast im Staube der Vergessenheit gelegen habe : ist gewiß . Welche Nation aber zuerst wieder angefangen habe , die Musik dem Untergange zu entreissen , und in ihrer erneuerten Gestalt wieder herzustellen : dieses ist vielem Streite unterworfen . Es würde indessen , bey einer recht genauen und eigentlichen Untersuchung , der Ausspruch vermuthlich zum Vortheile der Italiäner ausfallen müssen . Freylich ist eine lange Zeit dazu nöthig gewesen , um die Musik zu derjenigen Annäherung der Vollkommenheit zu bringen , worinne sie itzo steht . Es kann zu gewissen Zeiten diese , zu gewissen Zeiten aber eine andere Nation darinne etwas weiter fortgerücket , die andere aber ihr wieder nachgefolget seyn . Kaiser Karl der Große schon , erkannte , bey seiner Anwesenheit in Rom , den welschen Tonkünstlern , zumal in Ansehung der Singkunst , den Preiß zu ; und ließ sogar deren viele nach seinem Hofe kommen . Er bemühete sich seine Musik nach der Welschen ihrer einzurichten .
55. §.
Man hat gegründete Ursache zu glauben , daß lange nach Kaiser Karls des Großen Zeiten , die Musik , bey den Italiänern und Franzosen , bey Weitem nicht so unterschieden gewesen sey , als itziger Zeit . Man weis , das Lülly , welchen die Franzosen fast als einen musikalischen Befehlshaber ansehen , und seinem Geschmacke noch bis itzo durch ganz Frankreich Beyfall geben , ja denselben , wenn etwan einige ihrer Landsleute davon abgehen wollen , sorgfältig wieder herzustellen , und ungeändert im Schwange zu erhalten bemühet sind , ein Welscher gewesen ist . Ich will zugeben , daß dieser berühmte Mann , weil er sehr jung nach Frankreich gekommen ist , sich der vorigen französischen Musik einiger maßen bequemet , und ihren Geschmack angenommen habe . Niemand wird aber darthun können , daß es ihm möglich gewesen sey , den seiner Nation eigenthümlichen Geschmack , wovon er doch schon etwas in Welschland begriffen hatte , oder zum wenigsten sein Genie , gänzlich zu verläugnen . Alles wird darauf hinaus laufen , daß er den Geschmack der einen Nation mit der andern ihrem vermischet habe . Da aber seit Lüllys Tode , der Geschmack in der Musik , wie jedermann bekannt ist , bey den Italiänern
sich immer so merklich geändert hat ; bey den Franzosen hingegen immer eben derselbe geblieben ist : so hat sich auch der Unterschied zwischen beyden , seit dieser Zeit , erst recht immer mehr und mehr gezeiget . Wir wollen denselben etwas näher beleuchten .
56. §.
Die Neigung der Italiäner zur Veränderung in der Musik , hat dem wahren guten Geschmacke viel Vortheil geschaffet . Wieviel berühmte große Componisten hat man nicht , bis zum Ende der ersten dreyßig Jahre dieses Jahrhunderts , unter ihnen aufzuweisen gehabt ? Seit dem ein Pistocchi , gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts , seine Singschulen eröfnet , und daraus der Welt so viele brafe Sänger mitgetheilet hat ; ist in eben diesen dreyßig erstern Jahren des itzigen Seculums , die Singkunst auf den höchsten Gipfel gestiegen , und fast alles , was nur die menschliche Stimme von Rührendem und Verwundernswürdigem hervorbringen kann , durch unterschiedene , mit Recht berühmte Sänger , gezeiget , und in Ausübung gebracht worden . Wie viele Gelegenheit haben nicht die guten Componisten daher genommen , die Singcomposition auch immer mehr und mehr zu verbessern . Corelli und seine Nachfolger sucheten diesen , auf eine rühmliche Art , in der Instrumentalmusik nachzueifern .
Diesen italiänischen Geschmack , so wie er bis auf den oben gedachten Zeitpunct , in Italien , durch so viele gründliche Männer nach und nach aufgebracht , und nachgehends durch einige berühmte Ausländer , welche diesen gefolget sind , noch mehr ins Feine gebracht worden , verstehe ich vorzüglich , wenn ich des italiänischen Geschmacks erwähne . 57. §.
Jedoch die Veränderung des Geschmackes in der Musik hat sich , ohngefähr seit den fünf und zwanzig letztvergangenen Jahren , bey den Tonkünstlern der welschen Nation , auch auf eine ganz andere Art gewiesen . In den gegenwärtigen Zeiten unterscheidet sich der Geschmack ihrer Sänger und Instrumentisten überaus sehr von einander . Sie sind darinne gar nicht mehr einig . Obwohl die italiänischen Instrumentisten , vor andere Völker ihren , den Vortheil voraus haben , daß sie in ihrem Lande , von Jugend auf , so viel Gutes singen hören : so gewöhnen sie sich in den itzigen Zeiten dennoch , einen von den Sängern so sehr unterschiedenen Geschmack anzunehmen , daß man sie kaum für einerley Volck halten sollte . Dieser Unterschied aber besteht größtentheils im Vortrage ,
und in einem überhäuften Zusatze der willkührlichen Auszierungen . Er hat von einigen berühmten Instrumentisten seinen Ursprung genommen , welche sich von Zeit zu Zeit in der Setzkunst , besonders aber auf ihren Instrumenten , durch Ausführung vieler Schwierigkeiten , hervorgethan haben . Sie müssen aber dabey auch von so unterschiedener Gemüthsbeschaffenheit gewesen seyn , daß der eine dadurch auf diesen , der andere auf einen andern Geschmack verführet worden ; welchen nachgehends ihre Anhänger immer weiter fortgepflanzet haben : so daß dadurch endlich aus einem gründlichen , ein frecher und bizarrer Geschmack entstanden ist . Die Eifersucht , welche in Welschland zwischen den Sängern und Instrumentisten , und zwischen den Instrumental- und Vocalcomponisten immer herrschet , kann auch etwas zu dieser Absonderung beygetragen haben . Die Sänger wollen den Instrumentisten den Vortheil nicht gönnen , durch das Sangbare , so wie sie , zu rühren : sie maßen sich ohne dem , ohne Unterschied , eines Vorzugs über die Instrumentisten an . Diese aber wollen jenen nichts nachgeben ; sie suchen also , ob es nicht möglich sey , mit einer andern Art , eben so gut als jene , zu gefallen . Dadurch sind sie aber , zum Schaden des wahrhaftig guten Geschmackes , fast auf das Gegentheil verfallen .
58. §.
Zweene berühmte lombardische Violinisten , welche ohngefähr vor etlichen und dreyßig Jahren , nicht gar lange nach einander , angefangen haben bekannt zu werden , haben hierzu insonderheit viel beygetragen . Der erste war lebhaft , reich an Erfindung , und erfüllete fast die halbe Welt mit seinen Concerten . Obwohl Torelli , und nach ihm Corelli hierinne einen Anfang gemachet hatten : so brachte er sie doch , nebst dem Albinoni , in eine bessere Form , und gab davon gute Muster . Er erlangete auch dadurch , so wie Corelli durch seine zwölf Solo , einen allgemeinen Credit . Zuletzt aber verfiel er , durch allzuvieles und tägliches Componiren , und besonders da er anfieng theatralische Singmusiken zu verfertigen , in eine Leichtsinnigkeit und Frechheit , sowohl im Setzen , als Spielen : weswegen auch seine letztern Concerte nicht mehr so viel Beyfall verdieneten , als die erstern . Man saget von ihm , daß er einer von denen sey , die den sogenannten lombardischen Geschmack , welcher darinne besteht , daß man bisweilen , von zwo oder drey kurzen Noten , die anschlagende kurz machet , und hinter die durchgehende einen Punct setzet , s. V. Haupst . 23. § , und welcher Geschmack ohngefähr im
Jahre 1722 seinen Anfang genommen hat , erfunden haben . Es scheint aber dieser Schreibart , wie einige Merkmaale zu erkennen geben , der Schotländischen Musik etwas ähnlich zu seyn ; sie ist auch schon wohl zwanzig Jahre vor ihrem Aufkommen in Italien , von einigen deutschen Componisten , hier und da , ob wohl nicht so häufig , angebracht worden : folglich könnte sie bey den Welschen nur als eine Nachahmung der itztbenennten angesehen werden . Dem sey nun wie ihm wolle , so hat doch diese Veränderung der Art zu denken , den gedachten berühmten Violinisten , vor seine Person , in den letzten Zeiten seines Lebens , von dem guten Geschmacke fast ganz und gar abgeführet .
59. §.
Der andere der oben erwähnten beyden lombardischen Violinisten , ist einer der ersten und größten Meister Schwierigkeiten auf der Violine zu spielen . Er hat , wie man vorgiebt , sich einige Jahre der musikalischen Gesellschaft ganz und gar entzogen , um einen aus ihm selbst fließenden Geschmack hervor zu bringen . Dieser Geschmack ist aber so gerathen , daß er nicht nur des Vorigen seinem , in gewisser Art , ganz entgegen ist , sondern auch im Singen unmöglich nachgeahmet werden kann ; folglich nur denen Violinisten , die von der wahren guten Singart vielleicht wenig Empfindung haben , allein eigen bleibt . Wie aber jener durch die Vielheit seiner musikalischen Werke in eine Leichtsinnigkeit und Frechheit verfiel ; und durch solche sich von dem Geschmacke der andern merklich unterschied : so ist dieser hingegen , in Ansehung der Singart , oder vielmehr durch Verbannung des Guten und Gefälligen so dieselbe hat , von allen andern ganz und gar abgegangen . Deswegen hat auch seine Composition nicht , mit der vorerwähnten , ein gleiches Schicksal erhalten . Es sind in derselben fast nichts als trockene , einfältige , und ganz gemeine Gedanken anzutreffen , welche sich allenfalls besser zur komischen , als zur ernsthaften Musik , schicken möchten . Sein Spielen hat zwar , weil es etwas neues zu seyn geschienen , bey denen , die das Instrument verstehen , viel Verwunderung , bey andern aber desto weniger Gefallen erwecket . Und weil er vielerley Arten und Schwierigkeiten des Bogenstriches erfunden , wodurch sein Vortrag sich von allen andern unterscheidet : so ist es denn auch geschehen , daß verschiedene deutsche Violinisten , aus Neugierigkeit , aber nicht eben zu ihrem Vortheile , unter seine Information gerathen sind . Viele haben seine Art zu spielen angenommen und beybehalten : einige hingegen haben dieselbe , weil sie nachhero
durch die gute Singart eines bessern überzeuget worden , wieder verlassen . Wie aber nur selten eine Copey dem Urbilde ganz ähnlich wird ; man aber oftmals in dem Scholaren den Meister zu hören glaubet , und jenen auf dieses seine Unkosten zu schätzen pfleget : so kann es gar wohl seyn , daß einige von dieses berühmten Violinisten seinen Scholaren , deren er seit geraumer Zeit eine ziemliche Anzahl gezogen , ein Vieles zu seinem Nachtheile beygetragen haben . Sie haben vielleicht , entweder seine Art zu spielen nicht recht begriffen ; oder sie sind durch die Verschiedenheit der Gemüthsart verleitet worden , dieselbe noch bizarrer zu machen , und also denen , die wieder von ihnen gelernet haben , in einer viel verschlimmerten Gestalt beyzubringen . Folglich ist wohl zu glauben , daß er selbst Vieles , an Unterschiedenen , die sich rühmen in seinem Geschmacke zu spielen , nicht gut heißen würde .
Es ist deswegen einem jeden jungen Musikus anzurathen , nicht eher nach Italien zu gehen , als bis er das Gute vom Bösen in der Musik zu unterscheiden weis : denn wer nicht von musikalischer Wissenschaft etwas mit hinein bringt ; der bringt auch , zumal itziger Zeit , schwerlich was mit heraus . Ein angehender Musikus muß ferner , in Italien , immer mehr von Sängern , als von Instrumentisten , zu profitiren suchen . Wen aber nicht etwan das Vorurtheil verleitet , der findet nunmehro das , was er sonst in Italien und in Frankreich sich hätte zu Nutzen machen können , in Deutschland .
60. §.
Ich habe die vorhin erwähnten beyden berühmten , und , in mehr als einer Betrachtung , brafen Männer nicht angeführet , um ihre Verdienste zu schätzen , oder das , was sie wirklich Gutes haben , zu verkleinern . Ich habe es nur gethan , um einiger maßen den Ursprung zu entdecken , woher es gekommen ist , daß die heutigen welschen Instrumentisten , besonders aber die Violinisten , mehrentheils einen besondern , der guten Singart so sehr entgegen stehenden Geschmack angenommen haben : da doch der wahre und gute Geschmack allgemein seyn sollte . Einigen unter ihnen fehlet es zwar weder an der Erkenntniß , noch an der Empfindung dessen , was zum guten Singen gehöret : dennoch suchen sie solches auf ihren Instrumenten nicht nachzuahmen : sondern , was sie bey den Sängern für was Vortreffliches halten , das finden sie auf dem Instrumente zu schlecht , und zu gering . Sie loben den Sänger , wenn er deutlich und ausdrückend singt ; sie hingegen finden es für gut , wenn sie auf dem Instrumente dunkel und ohne Ausdruck spielen . Sie billigen an dem Sänger einen modesten und schmeichelnden Vortrag ; der ihrige hingegen
ist wild und frech . Machet der Sänger , im Adagio , nicht mehr Auszierungen , als es die Sache leidet ; so sagen sie , er singe meisterhaft : sie hingegen überhäufen das Adagio mit so vielen Manieren und wilden Läufen , daß man es eher für ein scherzhaftes Allegro halten sollte , und die Eigenschaften des Adagio fast gar nicht mehr daran wahrnehmen kann .
61. §.
Man findet auch , daß die itzigen italiänischen Violinisten fast alle in einerley Geschmacke spielen : wodurch sie sich aber von ihren Vorfahren nicht auf die beste Art unterscheiden . Der Bogenstrich , welcher auf diesem Instrumente , wie der Zungenstoß auf Blasinstrumenten , die Lebhaftigkeit der musikalischen Aussprache wirken muß , dienet ihnen öfters nur , wie der Blasebalk bey einer Sackpfeife , das Instrument auf eine leyernde Art klingend zu machen . Sie suchen die größte Schönheit da , wo sie nicht zu finden ist , nämlich in der äußersten Höhe , am Ende des Griffbretes ; sie klettern darauf immer in der Höhe , wie die Mondsüchtigen auf den Dächern herum , und verabsäumen darüber das wahre Schöne , das ist , sie berauben das Instrument mehrentheils seiner Gravität und Anmuth , welche die dicken Seyten zu wirken fähig sind . Das Adagio spielen sie zu frech , und das Allegro zu schläfrig . Sie halten es im Allegro für was besonders , eine Menge Noten in einem Bogenstriche herzusägen . Die Triller schlagen sie entweder zu geschwind und zitternd , oder wohl gar in der Terze ; welches sie doch bey den Sängern für einen Fehler halten . Mit einem Worte , ihr Vortrag und ihre Art zu spielen ist so beschaffen , daß es klingt , als wollte ein geschikter Violinist , einen ganz altväterischen , auf eine lächerliche Art , vorstellen . Diejenigen Zuhörer , welche von gutem Geschmacke sind , müssen deswegen öfters alle Mühe anwenden , um das Lachen zu verbergen . Wenn dergleichen neumodische italiänische Violinisten also , in einem Orchester , als Ripienisten gebrauchet werden sollen ; so verderben sie gemeiniglich mehr , als sie Gutes stiften .
Man könnte deswegen gewisse berühmte Orchester , deren Mitglieder mit Italiänern vermischet sind , zum Beyspiele anführen . Man kann in denselben bemerken , daß wenn etwan eine , bey ihnen sonst ungewohnte , Unordnung , oder ungleicher Vortrag verspüret wird , solches mehrentheils von einem ohne Augen und Ohren spielenden Italiäner herrühre . Sollte nun allenfalls ein gutes Orchester das Unglück treffen , durch einen solchen Italiäner , wie ich ihn hier beschrieben habe , angeführet zu werden : so hätte man wohl nichts gewissers zu gewarten , als daß
dasselbe seinen vorigen Glanz gänzlich verlieren werde . Glücklich ist also das Orchester , welches davon befreyet bleibt . Zu verwundern aber ist , daß solche italiänische Instrumentisten , von denen hier die Rede ist , oftmals bey solchen Musikverständigen Beyfall und Schutz finden , von welchen man es am allerwenigsten vermuthen sollte ; bey solchen Tonkünstlern , deren Einsicht und gereinigter Geschmack , über dergleichen bizarre Art zu spielen , viel zu weit erhaben ist , als daß sie einigen Gefallen daran finden könnten . Oftmals geschieht es wohl nur aus Verstellung , oder wer weis aus was noch für andern Ursachen .
62. §.
In der Composition der itzigen italiänischen Instrumentisten , wenige davon ausgenommen , findet man mehr Frechheit und verworrene Gedanken , als Bescheideneit , Vernunft , und Ordnung . Sie suchen zwar viel Neues zu erfinden ; sie verfallen aber dadurch in viele niederträchtige und gemeine Gänge , die mit dem , was sie noch Gutes untermischen , wenig Gemeinschaft haben . Sie bringen nicht mehr solche rührenden Melodieen vor , als ehedem . Ihre Grundstimmen sind weder prächtig noch melodisch , und haben keinen sonderlichen Zusammenhang mit der Hauptstimme . In ihren Mittelstimmen findet man weder Arbeit , noch etwas gewagtes , sondern nur eine trockene Harmonie . Auch in ihren Solo können sie einen Baß , der zuweilen einige melodische Bewegungen machet , nicht ausstehen . Sie lieben es vielmehr , wenn der Baß fein trocken einhergeht , nur selten anschlägt , oder immer auf einem Tone trummelt . Sie geben vor , daß der Concertist dadurch am wenigsten bedecket werde . Sie schämen sich aber vielleicht zu sagen , daß sie den Baß deswegen auf solche Art setzen , oder setzen lassen , damit der , der Harmonie und ihrer Regeln ganz unkundige Virtuose , nicht so oft Gefahr laufe , seine Unwissenheit zu verrathen . Auf den ganzen Verhalt der Sache , und auf das Metrum , geben sie wenig Achtung . In der Modulation nehmen sie sich zu viel Freyheit . Sie suchen nicht die Leidenschaften so auszudrücken und zu vermischen , wie es in der Singmusik üblich ist . Mit einem Worte , sie haben den Geschmack ihrer Vorfahren , in der Instrumentalmusik , zwar verändert , aber nicht verbessert .
63. §.
In der Vocalcomposition der heutigen Nationalitaliäner ist die Rolle der Singstimme das Beste . Hierauf wenden sie den meisten Fleiß ; sie machen sie dem Sänger bequem , und bringen darinne nicht selten artige
Einfälle und Ausdrücke an . Oefters aber verfallen sie auch dabey in das Niederträchtige und Gemeine . Was die Begleitung der Instrumente betrifft , so unterscheidet sie sich nicht viel von der im vorigen §. beschriebenen Instrumentalcomposition . Das Ritornell ist meistentheils sehr schlecht , und scheint manchmal gar nicht zu dieser Arie zu gehören . Das richtige Metrum fehlt auch sehr öfters . Es ist zu bedauern , daß die meisten der itzigen italiänischen Operncomponisten , deren einigen man das gute Naturell nicht absprechen kann , zu frühzeitig , ehe sie noch was von den Regeln der Setzkunst verstehen , für das Theater zu schreiben anfangen ; daß sie sich nachgehends nicht mehr , wie ihre Vorfahren thaten , die Zeit nehmen , die Setzkunst aus dem Grunde zu studiren ; daß sie dabey nachläßig sind , und mehrentheils zu geschwind arbeiten . Ich getrauete mir eben nicht das Gegentheil zu erweisen , wenn jemand behaupten wollte , daß sie vielleicht noch schlechter seyn würden , wofern nicht ein und der andere große Componist unter ihren nordischen Nachbarn , absonderlich ein berühmter Mann , dem sie den wahren guten und vernünftigen Geschmack in der Singmusik fast abgetreten zu haben scheinen , ihnen noch , durch seine häufig in Italien aufgeführten Singspiele , mit guten Exempeln vorgienge , und dadurch öfters Gelegenheit gäbe , sich mit seinen Federn auszuschmücken . So viel ist gewiß , daß die Anzahl der guten ingebohrnen welschen Componisten , vor mehr und weniger als zwanzig Jahren , durch das , nicht gar lange nach einander erfolgte , frühzeitige Absterben dreyer jungen Componisten , welche einen hervorragenden Geist spüren ließen , und große Hoffnung gaben , aber alle drey nicht völlig zur Reife gekommen sind , einen starken Verlust erlitten hat . Diese unterscheiden sich , in ihrer Art zu denken , merklich von einander . Der eine hieß : Capelli . Dieser war zum Prächtigen , Feurigen und Fremden aufgelegt . Der andere war : Pergolese . Dieser hatte zum Schmeichelnden , Zärtlichen und Angenehmen viel Naturell ; und bezeigte dabey viel guten Willen zur arbeitsamen Composition . Der dritte hieß : Vinci . Er war lebhaft , reich an Erfindung , angenehm , natürlich , und öfters sehr glücklich im Ausdrucke : weswegen er auch in kurzer Zeit , durch nicht allzuviele Singspiele , in ganz Italien , schon einen allgemeinen Beyfall erworben hatte . Nur schien ihm die Geduld , und die Lust zur sorgfältigen Ausbesserung seiner Gedanken , etwas zu fehlen .
64. §.
Uebrigens , wenn man die Fehler der Componisten , von dem , was sie wirklich Gutes haben , absondert ; so kann man den Italiänern überhaupt , die Geschiklichkeit im Spielen , die Einsicht in die Musik , die reiche Erfindung schöner Gedanken , und daß sie es im Singen zu einer größern Vollkommenheit gebracht haben , als irgend eine andere Nation , nicht absprechen . Nur Schade , daß seit einiger Zeit , die meisten ihrer Instrumentisten allzuweit von dem Geschmacke des Singens angegangen sind : wodurch sie nicht nur Viele , die ihnen nachzuahmen suchen , verführen , sondern auch so gar manchen Sänger verleiten , die gute Singart zu verlassen . Es ist daher nicht ohne Grund zu befürchten , daß der gute Geschmack in der Musik , welchen die Italiäner ehedem vor den meisten Völkern voraus gehabt haben , sich bey ihnen nach und nach wieder verlieren , und andern gänzlich zu Theile werden könne . Einige vernünftige , und von Vorurtheilen befreyete italiänische Musikverständige gestehen dieses selbst zu . Sie wollen noch darzu behaupten , daß solches , sowohl in Ansehung der Composition , als der Art zu spielen , bereits geschehen sey . Dem sey aber wie ihm wolle , so bleibt den Italiänern doch die gute Singart , welche sich auch sogar gewissermaßen bis auf ihre Gondelnführer ausbreitet , vor allen andern Völkern noch eigen .
65. §.
Bey den Franzosen findet sich das Gegentheil von dem , was ich von den Italiänern gesaget habe . Denn so wie die Italiäner in der Musik fast zu veränderlich sind ; so sind die Franzosen darinne zu beständig , und zu sklavisch . Sie binden sich allzusehr an gewisse Charaktere , welche zwar zum Tanze und zu Trinkliedern , aber nicht zu ernsthaftern Stücken vortheilhaft sind : weswegen auch das Neue bey ihnen öfters alt zu seyn scheint . Die Instrumentisten pflegen sich zwar mit Ausführung großer Schwierigkeiten , und mit vielen Auszierungen im Adagio , nicht weit einzulassen ; doch tragen sie ihre Sache mit vieler Deutlichkeit und Reinigkeit vor : womit sie zum wenigsten die guten Gedanken des Componisten nicht verderben . Wegen ihres deutlichen Vortrages , sind sie in einem Orchester , als Ripienisten , besser zu gebrauchen , als die Italiäner . Es ist daher einem jeden angehenden Instrumentisten , absonderlich Clavieristen zu rathen , daß er mit der französischen Art zu spielen den Anfang mache . Er wird dadurch nicht allein , die vorgeschriebenen Noten , und die kleinen Auszierungen , reinlich und deutlich vortragen lernen ; sondern auch , mit der
Zeit , den französischen Schimmer mit der italiänischen Schmeicheley zu vermischen , fähig werden , und eine um so viel gefälligere Art zu spielen erlangen .
66. §.
Die französische Art zu singen ist so beschaffen , daß dadurch nicht , wie bey den Italiänern , große Virtuosen können gezogen werden . Sie erschöpfet das Vermögen der menschlichen Stimme bey Weitem nicht . Ihre Arien sind mehr redend als singend . Sie erfodern fast mehr Fertigkeit der Zunge , im Sprechen der Wörter , als Geschiklichkeit der Kehle . Der Zusatz der Manieren wird von dem Componisten vorgeschrieben : folglich haben die Ausführer nicht nöthig die Harmonie zu verstehen . Die Passagien sind bey ihnen im Singen fast gar nicht üblich : weil sie vorgeben daß ihre Sprache dieselben nicht erlaube . Die Arien werden mehrentheils , wegen Mangels der guten Sänger , so gesetzet , daß sie ein jeder , wer nur will , nachsingen kann : welches zwar solchen Liebhabern der Musik , die nicht viel davon verstehen , ein Vergnügen machet ; den Sängern aber keinen sonderlichen Vorzug giebt . Es bleibt ihren Sängern nichts besonderes eigen , als die gute Action , welche sie vor andern Völkern voraus haben .
67. §.
In der Composition verfahren die Franzosen sehr gewissenhaft . In ihren Kirchenmusiken findet man zwar mehr Bescheidenheit , aber auch mehr Trockenheit , als in den italiänischen . Sie lieben die natürlichen Gänge mehr , als die chromatischen . In der Melodie sind sie treuherziger als die Italiäner ; denn man kann die Folge der Gedanken fast immer errathen : an Erfindungen aber sind sie nicht so reich als jene . Sie sehen mehr auf den Ausdruck der Wörter , als auf einen reizenden oder schmeichelnden Gesang . So wie die Italiäner die Schönheit der Composition , größten Theils , nur in der Hauptstimme anzubringen suchen ; wodurch zwar die Grundstimme dann und wann verabsäumet wird : so legen hingegen die Franzosen meistentheils mehr Schimmer in die Grundstimme , als in die Hauptstimme . Ihr Accompagnement ist mehr simpel , als erhaben . Ihr Recitativ singt zu viel , die Arien hingegen zu wenig : weswegen man in einer Oper nicht allemal errathen kann , ob man ein Recitativ oder ein Arioso höre . Wofern auf ein französisches Recitativ eine zärtliche Arie folget , wird man ganz und gar eingeschläfert , und verliert alle Aufmerksamkeit : da doch der Entzweck einer Oper
erfodert , daß die Zuhörer beständig mit einer angenehmen Abwechselung unterhalten , und immer aus einer Leidenschaft in die andere versetzet , ja daß die Leidenschaften selbst bisweilen auf einen gewissen Grad der Stärke getrieben werden , und wieder abnehmen sollen . Dieses kann aber der Dichter , ohne Beyhülfe des Componisten , nicht allein bewerkstelligen . Doch was den französischen Opern , wegen des geringen Unterschieds , der sich zwischen Arien und Recitativen findet , an der Lebhaftigkeit abgeht ; das ersetzen die Chöre und Tänze . Wenn man den ganzen Zusammenhang einer französischen Oper genau betrachtet , so sollte man fast glauben , als wenn die allzuähnliche Vermischung der Arien und Recitative mit Fleiß so eingerichtet würde , um die Chöre und Ballette desto mehr zu erheben . Ungeachtet nun diese , sowohl als die Auszierungen des Schauplatzes , nur als ein Nebenwerk einer Oper anzusehen sind ; wie denn absonderlich die Chöre in den italiänischen Opern wenig geachtet werden : so sind sie nichts desto weniger fast die größte Zierde der französischen Singspiele . Es ist unstreitig , daß die Musik der Franzosen , sich , zu dem in seiner Vollkommenheit betrachteten Tanzen , viel besser schicket , als keine andere : da hingegen die italiänische zum Singen und Spielen eine bessere Wirkung thut , als zum Tanzen . Doch ist auch nicht ganz zu läugnen , daß man in der französischen Instrumentalmusik , vornehmlich aber in ihren charakterisireten Stücken , wegen des an einander hangenden und concertirenden Gesanges , viele gefällige und annehmliche Gedanken antrifft , die sich , im italiänischen Geschmacke , mit prächtigen und erhabenen Gängen sehr wohl vermischen lassen .
68. §.
Alle italiänischen Opern sind , wenn man sie im Ganzen betrachtet , auch nicht lauter Meisterstücke . Obgleich ihre vornehmsten Operndichter , sich , absonderlich seit dem Anfange dieses Jahrhunderts , alle Mühe gegeben haben , die Singspiele von vielen Ausschweifungen zu reinigen , und dem vernünftigen Geschmacke des französischen Tragödientheaters , so viel als möglich ist , ähnlich zu machen ; ob man wohl in Italien eine Menge vollkommen schöner Opernpoesieen aufzuweisen hat : da hingegen die Franzosen , in ihren meisten Opern , noch immer an den Fabeln kleben , und an einer Menge unnatürlicher und abentheuerlicher Vorstellungen sich belustigen : so werden doch noch in Italien , sowohl durch manche Poeten , als durch die Componisten und Sänger , große Fehler begangen . Die Poeten verbinden z. E. die Arien nicht allemal mit der
Hauptsache : so daß manche Arie , die mit dem Vorigen nicht den gehörigen Zusammenhang hat , nur von ohngefähr eingeschoben zu seyn scheint . Manchmal mag es einigen Dichtern wohl an der Beurtheilung oder an der Empfindung gefehlet haben : zuweilen aber kann es seyn , daß sie dem Componisten zu Gefallen , und nach gewissen Nebenabsichten haben dichten müssen : wenn nämlich die Worte nicht bequem in die Musik zu bringen gewesen sind ; woran der Poet Schuld ist ; oder wenn etwan der Componist eine Arie schon fertig hat , deren Worte sich nicht an den Ort , wo sie hinkommen soll , schicken , und der Dichter also eine Parodie darüber machen muß ; welche freylich nicht allemal zum besten geräth . Bisweilen müssen sich die Dichter nur bemühen , Worte mit solchen Selbstlautern ausfündig zu machen , die sich gut zu Passagien schicken : wodurch denn , wenn die Dichter nicht reich an Veränderung der Gedanken und der Ausdrücke sind , dem Zusammenhange der Sache , und der Schönheit der Poesie , freylich nicht allezeit gerathen wird . Doch wird man wahrnehmen , daß die großen Operndichter , den einzigen Metastasio ausgenommen , gemeiniglich bey Weitem nicht so bequeme Arien zur Musik machen , als die mittelmäßigen . Diese müssen sich dem Componisten wohl bequemen , wenn sie anders fortkommen wollen : jene aber wollen sich , auch öfters nicht einmal in billigen und nothwendigen Stücken , zum Vortheile der Musik , von ihrer vermeynten Höhe herab lassen : ob es gleich gar wohl möglich ist , daß die Poesie und Musik sich mit einander so vereinigen können , daß keine dabey zu kurz komme ; wie nur noch erst kürzlich , in einem eigenen deutschen Werke : von der musikalischen Poesie , mit besonderer Gründlichkeit ist gezeiget worden .
69. §.
Die Franzosen legen den Italiänern , nicht ganz und gar ohne Grund , zur Last , daß sie in den Arien , ohne Unterschied , zu viel Passagien anbringen . Es ist zwar wahr , daß wenn es der Sinn der Worte erlaubet , und der Sänger die Fähigkeit besitzt , Passagien lebhaft , egal , rund , und deutlich heraus zu bringen , die Passagien eine ausnehmende Zierde im Singen sind . Es ist aber auch nicht zu läugnen , daß die Italiäner hierinne bisweilen zu weit gehen , und weder einen Unterschied der Worte , noch der Sänger machen ; sondern nur mehrentheils der hergebrachten Gewohnheit , ohne Beurtheilung , nachgehen . Die Passagien mögen wohl Anfangs , einigen guten Sängern zu Gefallen , so häufig eingeführet worden seyn , um die Geschiklichkeit ihrer Kehle zu zeigen . Es ist
aber nachher ein Misbrauch daraus erwachsen ; so daß man glaubet , eine Arie ohne Passagien sey nicht schön , oder ein Sänger singe nicht gut , oder tauge gar nichts , wenn er nicht auch gleich , wie ein Instrumentist , viel schwere Passagien zu machen wisse : ohne zu bedenken , ob der Text Passagien erlaube , oder nicht . Es ist absonderlich nichts ungereimter , als wenn in einer sogenannten Actionarie , worinn ein hoher Grad des Affects , er mag klagend oder wütend seyn , liegt , und die mehr sprechend , als singend seyn sollte , viele Passagien vorkommen . Diese unterbrechen und vernichten an diesem Orte den ganzen Ausdruck der Sache : zu geschweigen , daß dergleichen Arien bey vielen Sängern unbrauchbar werden . Sänger , welche die Fähigkeit haben , Passagien , mit völliger Stärke und ohne Fehler der Stimme , rund und deutlich heraus zu bringen , sind rar : da hingegen viele Sänger , ohne diese Geschiklichkeit und Naturgabe zu besitzen , dennoch gut seyn können . Ehe man zu einer Leichtigkeit in den Passagien gelanget , muß ein großer Fleiß und besondere Uebung vorher gehen . Diejenigen Sänger aber , welchen , ungeachtet alles angewendeten Fleißes , die Natur noch diese Leichtigkeit versaget , dürften nur , anstatt daß sie sich , um die Mode mit zu machen , mit Passagien martern , ihre Zeit auf etwas bessers wenden , nämlich schmackhaft und ausdrückend zu singen ; welches sonst öfters dabey versäumet wird . Aus der übertriebenen Lust Passagien zu singen , entsteht auch öfters noch das Uebel , daß um einiger Sänger willen , denen zuwider zu seyn die Klugheit nicht allemal erlaubet , dem Componisten , und dem Dichter , die Freyheit ordentlich zu denken benommen wird . Doch es scheint , daß itzo , der an den meisten Orten in Welschland eingerissene Mangel fertiger Sänger , den Passagien öfters fast gar zu enge Gränzen setzen werde .
70. §.
Der Ursachen , warum nicht alle Opern in Italien vernünftig und gut ausgeführet werden , kann es noch viel mehrere geben . Taugt vollends die ganze Erfindung und Ausführung der Oper , von Seiten des Poeten , nicht viel ; denn nicht einmal alle Materien sind der Musik bequem : so kann es auch dem besten Componisten fehl schlagen ; weil er selbst durch die Poesie nicht angefeuert wird . Wendete er auch alle seine Kräfte an , um etwas Gutes hervor zu bringen ; so kann dessen ungeachtet seine Composition doch nicht den erwarteten Beyfall erhalten : weil die Meisten , bisweilen aus Irrthum , den guten oder schlechten Erfolg einer Oper nicht dem Poeten , sondern dem Componisten allein zuschreiben :
ob gleich der eine eben so viel als der andere beytragen muß , wenn die Oper , von Seiten der Verfasser , vollkommen seyn soll . Eine gute , und durch den Dichter wohl ausgeführte Materie eines Singspiels , kann eine mittelmäßige Musik erheben : eine schlecht abgehandelte hingegen , kann verursachen , daß eine darüber sehr wohl gesetzete Musik , wenn man sie öfters höret , Verdruß und lange Weile machet : besonders wenn die Sänger und Accompagnisten das Ihrige nicht auch gehörig dazu beytragen .
71. §.
Wenn aber der Poet eine gute Materie gewählet , und selbige nach aller möglichen Wahrscheinlichkeit ausgeführet hat ; wenn er die Charaktere der aufgeführten Personen wohl von einander unterschieden , und solche , so viel als möglich ist , den Fähigkeiten , dem Alter , den Gemüthsneigungen , und der Gestalt der Sänger gemäß eingerichtet hat ; wenn er einen jeden so sprechen läßt , wie es dem Charaktere , den er vorstellet , zukömmt ; wenn die Recitative nicht gar zu weitläuftig , und die Worte der Arien nicht zu lang noch zu hochtrabend sind ; wenn in den Arien zwar zuweilen einige , mit der Musik bequem nachzumalende Gleichnisse , vornehmlich und unumgänglich aber die Sprache der Leidenschaften , eingeführet worden ; wenn die Leidenschaften , so wohl an ihrer zu- und abnehmenden Stärke , als an ihrer Verschiedenheit , geschikt mit einander abwechseln ; wenn bequeme Versarten zu den Arien erwählet worden sind ; wenn auch auf die zum Singen vorzüglich bequemen Wörter eine vernünftige Absicht gerichtet worden , die ungeschikten aber nach Möglichkeit vermieden sind ; wenn ferner der Componist einen gereinigten Geschmack , und das Vermögen hat , die Leidenschaften , den Worten gemäß , mit der Musik auszudrücken ; wenn er einen jeden Sänger nach seiner Stärke , und ohne Partheylichkeit eingekleidet hat ; wenn er alles in seinem gehörigen Zusammenhange wohl mit einander verbunden , dabey aber eine billige Kürze beobachtet hat ; wenn die Sänger ihre Rollen dem vorzustellenden Charaktere , und der Absicht des Componisten gemäß , mit Ernst und Eifer ausführen ; wenn die Accompagnisten der Vorschrift des Componisten , und ihrer Pflicht nachkommen ; wenn endlich die Auszierungen des Theaters und die Ballette mit dem Inhalte der Oper wohl übereinstimmen : so ist kein Zweifel , daß nicht eine solche italiänische , oder nach italiänischer Art eingerichtete Oper , jedermann gefallen , und für eines der angenehmsten Schauspiele gehalten werden könne .
72. §.
Hierüber aber kann weder ein Italiäner , noch ein Franzose , wenn er zumal niemals aus seinem Lande gekommen , und nur immer einerley Art von Musik gewohnet gewesen ist , ein richtiges Urtheil fällen . Ein jeder wird die , welche seiner Landesart gemäß ist , für die beste halten , und die andere verachten . Es wird ihn immer , entweder eine lange Gewohnheit , oder ein eingewurzeltes Vorurtheil verhindern , das Gute des Gegentheils , und das Schlechte seiner Parthey einzusehen . Ein dritter hingegen , wenn er anders Einsicht und Erkenntniß besitzet , und unpartheyisch ist , kann hierbey den sichersten Ausschlag geben .
73. §.
In Italien sind meines Wissens niemals , weder französische Opern öffentlich , noch Arien oder andere französische Singstücke insbesondere aufgeführet , noch weniger französische Sänger dahin berufen worden . In Frankreich hingegen hat man , zwar keine italiänische Oper öffentlich , doch aber italiänische Arien , Concerte , Trio , Solo , u. d.m . insbesondere aufgeführet ; auch italiänische Sänger dahin kommen lassen , und unterhalten : wovon unter andern das italiänische Concert an der Tuillerie , und verschiedene neuere Vorfälle Zeugniß geben . In Deutschland sind schon von mehr als siebenzig Jahren her , sowohl französische als italiänische Opern , und , von noch längern Zeiten her , andere , in beyderley Geschmacke verfertigte Musiken , öffentlich und ins besondere aufge[f]ühret worden : folglich hat man sich auch italiänischer und französischer Sänger dazu bedienet . Nachdem es aber die Italiäner im Geschmacke immer weiter getrieben haben , die Franzosen hingegen immer auf einer Stelle geblieben sind : so hat man fast seit 20 oder 30 Jahren , außer den Balletten , weder französische Opern , noch andere von dieser Art Musik in Deutschland mehr gehöret . Sowohl die im italiänischen Geschmacke gesetzeten Opern , als Instrumentalstücke , finden nicht nur bis itzo in ganz Deutschland , sondern auch in Spanien , Portugall , England , Pohlen und Rußland Beyfall . Der Franzosen ihre Sprache , Schriften , Poesie , Sitten , Gebräuche , Moden , und was sie sonst Gutes vorzubringen wissen , wird von den meisten europäischen Völkern , besonders aber von den Deutschen , beliebet : nur die Musik nicht mehr wie ehedem ; ausgenommen von einigen jungen Leuten , deren erste Ausflucht nach Frankreich geht , und die allda etwan ein Instrument zu
spielen anfangen , die französische Musik aber bequemer zu spielen finden , als die italiänische .
74. §.
Man hat sich zwar seit etlichen und zwanzig Jahren , insonderheit in Paris , bemühet , den italiänischen Geschmack mit dem französischen zu vermischen . Allein man findet von dem guten Erfolge bis itzo noch keine sonderlichen Merkmaale . In der Singmusik entschuldiget man sich immer mit der Sprache , daß dieselbe zu der italiänischen Singart nicht bequem sey . Vielleicht aber hat es noch an geschikten Componisten , und guten Sängern gefehlet , um es gehörig ins Werk zu setzen . Man hat ja wohl über deutsche und engländische Worte , welche bey den Franzosen noch weniger im Credite stehen , mit gutem Erfolge im italiänischen Geschmacke Musik gesetzet ; warum sollte es denn nicht auch über die so sehr beliebte französische Sprache angehen ? Um den Franzosen dieses Vorurtheil zu benehmen , sollte man durch einen Componisten , der in der italiänischen Art eine schöne Arie zu machen weis , und der die französische Sprache so gut , als die italiänische versteht , über französische Worte , die nach der italiänischen Weise eingerichtet wären , eine Arie verfertigen , und dieselbe durch einen guten italiänischen Sänger , der aber eine gute französische Aussprache haben müßte , absingen lassen . Dieses könnte zu einer Probe dienen , ob die Schuld an der Sprache , oder an der Unwissenheit der französischen Componisten liege , wenn Musik im italiänischen Geschmacke sich nicht zur französischen Sprache schicken will .
75. §.
In der Instrumentalmusik möchten es die Franzosen noch eher zu etwas bringen , wenn sie sowohl in Ansehung der Composition , als der Ausführung , gute Muster von andern Völkern bey sich hätten : oder wenn ihre Componisten , Sänger , und Instrumentisten mehr Liebhaber wären , andere Länder zu besuchen , um eine vernünftige Vermischung im Geschmacke zu machen . So lange sie sich aber noch von Vorurtheilen vor ihr eigenes Land beherrschen lassen ; auch keine rechten echten und guten Beyspiele von Italiänern , oder andern Nationen , die schon in einem vermischeten Geschmacke setzen , singen oder spielen , in ihrem Lande haben ; so lange sie den vermischeten Geschmack in andern Ländern nicht zu erlangen suchen : werden sie entweder bleiben wie sie vor langen Zeiten gewesen sind ; oder es steht zu befürchten , daß sie , wegen des Mangels guter Muster , wenn sie ja was neues einführen wollen , aus der allzugroßen
Modestie , endlich in eine desto größere Frechheit verfallen , und den ihnen immer noch eigen gewesenen netten und deutlichen Vortrag , in eine bizarre und dunkele Art zu spielen verwandeln möchten . Bey einer neuen und fremden Sache , wendet man mehrentheils nicht Zeit genug zur Untersuchung derselben an ; sondern man fällt gemeiniglich von einem äußersten Ende aufs andere : absonderlich wenn es auf die Wahl junger Leute ankömmt , welche durch alles , was nur neu ist , verblendet werden können .
76. §.
Wollte man endlich die italiänische und französische Nationalmusik , wenn man jede von der besten Seite betrachtet , in der Kürze charakterisiren , und den Unterschied des Geschmackes gegen einander halten ; so würde diese Vergleichung , meines Erachtens , ohngefähr also ausfallen :
Die Italiäner sind in der Composition uneingeschränket , prächtig , lebhaft , ausdrückend , tiefsinnig , erhaben in der Denkart , etwas bizarr , frey , verwegen , frech , ausschweifend , im Metrum zuweilen nachlässig ; sie sind aber auch singend , schmeichelnd , zärtlich , rührend , und reich an Erfindung . Sie schreiben mehr für Kenner als für Liebhaber . Die Franzosen sind in der Composition zwar lebhaft , ausdrückend , natürlich , dem Publicum gefällig und begreiflich , und richtiger im Metrum als jene ; sie sind aber weder tiefsinnig noch kühn ; sondern sehr eingeschränket , sklavisch , sich selbst immer ähnlich , niedrig in der Denkart , trocken an Erfindung ; sie wärmen die Gedanken ihrer Vorfahren immer wieder auf , und schreiben mehr für Liebhaber als für Kenner .
Die italiänische Singart ist tiefsinnig , und künstlich ; sie rühret , und setzet zugleich in Verwunderung ; sie beschäftiget den musikalischen Verstand ; sie ist gefällig , reizend , ausdrückend , reich im Geschmacke und Vortrage , und versetzet den Zuhörer , auf eine angenehme Art , aus einer Leidenschaft in die andere . Die französische Singart ist mehr simpel als künstlich , mehr sprechend als singend ; im Ausdrucke der Leidenschaften , und in der Stimme , mehr übertrieben als natürlich ; im Geschmacke und im Vortrage ist sie arm , und sich selbst immer ähnlich ; sie ist mehr für Liebhaber als für Musikverständige ; sie schicket sich besser zu Trinkliedern als zu ernsthaften Arien , und belustiget zwar die Sinne , den musikalischen Verstand aber läßt sie ganz müßig .
Die italiänische Art zu spielen ist willkührlich , ausschweifend , gekünstelt , dunkel , auch öfters frech und bizarr , schwer in der Ausübung ; sie erlaubet viel Zusatz von Manieren , und erfodert eine ziemliche Kenntniß der Harmonie ; sie erwecket aber bey den Unwissenden mehr Verwunderung als Gefallen . Die französische Spielart ist sklavisch , doch modest , deutlich , nett und reinlich im Vortrage , leicht nachzuahmen , nicht tiefsinnig noch dunkel , sondern jedermann begreiflich , und bequem für die Liebhaber ; sie erfodert nicht viel Erkenntniß der Harmonie , weil die Auszierungen mehrentheils von dem Componisten vorgeschrieben werden ; sie verursachet aber bey den Musikverständigen wenig Nachdenken .
Mit einem Worte : die italiänische Musik ist willkührlich , und die französische eingeschränket : daher es bey dieser mehr auf die Composition als auf die Ausführung , bey jener aber , fast so viel , ja bey einigen Stücken fast mehr , auf die Ausführung , als auf die Composition ankömmt , wenn eine gute Wirkung erfolgen soll .
Die italiänische Singart , ist ihrer Art zu spielen , und die französische Art zu spielen , ihrer Singart vorzuziehen .
77. §.
Die Eigenschaften dieser beyden Musikarten , könnten zwar noch weitläuftiger ausgeführet , und noch genauer untersuchet werden . Allein dieses würde vielmehr in eine eigene und besondere Abhandlung davon , als hierher gehören . Inzwischen habe ich mich doch bemühet , die vornehmsten Wahrheiten und Kennzeichen derselben , und des dazwischen befindlichen Unterschiedes , in der Kürze zu bemerken . Ich lasse einem jeden die Freyheit , aus dem Angeführten den Schluß zu ziehen , welcher Geschmack von beyden mit Rechte den Vorzug verdiene . Ich habe aber zu der Billigkeit meiner Leser das Vertrauen , daß sie mich um soviel weniger hierbey einer Partheylichkeit beschuldigen werden : da dasjenige , was ich etwan selbst von Geschmacke erlanget habe , sowohl aus dem französischen als aus dem italiänischen geflossen ist ; da ich beyde Länder , in der ausdrücklichen Absicht , mir das Gute von beyden in der Musik zu Nutzen zu machen , durchreiset bin ; und da ich also von beyden Musikarten einen Augen- und Ohrenzeugen abgeben kann .
78. §.
Wenn man die Musik der Deutschen , von mehr als einem Jahrhunderte her , genau untersuchet : so findet man zwar , daß die Deutschen es schon vor geraumer Zeit , nicht nur in der harmonisch richtigen Setzkunst , sondern
auch auf vielen Instrumenten , sehr weit gebracht hatten . Vom guten Geschmacke aber , und von schönen Melodieen , findet man , außer einigen alten Kirchengesängen , wenig Merkmaale ; sondern vielmehr daß sowohl ihr Geschmack , als ihre Melodieen , länger als bey ihren Nachbarn , ziemlich platt , trocken , mager , und einfältig gewesen .
79. §.
Ihre Composition war , wie gesagt , harmonisch und vollstimmig ; aber nicht melodisch und reizend .
Sie sucheten mehr künstlich , als begreiflich und gefällig ; mehr für das Gesicht , als für das Gehör zu setzen .
Die ganz Alten brachten , in einem ausgearbeiteten Stücke , zu viele und zu überflüßige Cadenzen nach einander an : indem sie fast aus keiner Tonart in die andere , ohne vorher zu cadenziren , auszuweichen pflegeten : durch welche Aufrichtigkeit aber das Gehör selten überraschet wurde .
Es fehlete ihnen an einer guten Wahl und Verbindung der Gedanken .
Die Leidenschaften zu erregen und zu stillen , war ihnen etwas unbekanntes .
80. §.
In ihrer Singmusik sucheten sie mehr die bloßen Wörter , als den Sinn derselben , oder den damit verknüpfeten Affect , auszudrücken . Viele glaubeten dieserwegen schon eine Gnüge geleistet zu haben , wenn sie z. E. die Worte : Himmel und Hölle , durch die äußerste Höhe und Tiefe ausdrücketen : wodurch denn oft viel Lächerliches mit unterzulaufen pflegete . In Singstücken liebten sie sehr die äußerste Höhe , und ließen in derselben immer Worte aussprechen . Hierzu mögen die Falsetstimmen erwachsener Mannespersonen , welchen die Tiefe gemeiniglich beschwerlich ist , einige Ursache gegeben haben . Den Sängern gaben sie unter geschwinden Noten viele Worte nach einander auszusprechen ; welches aber der Eigenschaft des guten Singens zuwider ist , den Sänger verhindert die Töne in ihrer gehörigen Schönheit hervor zu bringen , und sich von der gemeinen Rede allzuwenig unterscheidet . Ihre Singarien bestunden mehrentheils aus zwo Reprisen ; sie waren sehr kurz ; aber auch sehr einfältig und trocken .
Obgleich einige wenige Deutsche , durch Nachahmung des italiänischen Geschmackes , diesen Fehler , welcher nur in der komischen Musik eine Schönheit ist , abgeleget haben : so ist er doch , auch zu itziger Zeit , noch nicht gänzlich ausgerottet .
Wie die Singart der Deutschen in den alten Zeiten beschaffen gewesen sey , kann man , noch bis auf diese Stunde , in den meisten Städten , an den Chor- oder Schulsängern abnehmen . Diese bringen es zwar im Notenlesen weiter , als viele galante Sänger anderer Völker : allein mit der Stimme wissen sie fast gar nicht umzugehen . Sie singen daher meistentheils ohne Licht und Schatten , in einerley Stärke des Tones . Die Nasen- und Gurgelfehler kennen sie kaum . Die Vereinigung der Bruststimme mit dem Falset ist ihnen eben so unbekannt , als den Franzosen . Mit dem Triller begnügen sie sich so , wie ihn die Natur giebt . Von der italiänischen Schmeicheley , welche durch geschleifete Noten , und durch das Vermindern und Verstärken des Tones gewirket wird , haben sie wenig Empfindung . Ihr unangenehmes , übertriebenes , allzurauschendes Stoßen mit der Brust , wobey sie sich die Fertigkeit der Deutschen das h auszusprechen rechtschaffen zu Nutzen machen , und bey allen Noten : ha ha ha ha hören lassen , verursachet , daß die Passagien alle gehacket klingen ; und ist von der Art , mit welcher die welschen Bruststimmen die Passagien vortragen , weit entfernet . Den simpeln Gesang hengen sie nicht genug an einander , und verbinden denselben nicht durch vorhaltende Noten : weswegen ihr Vortrag sehr trocken und einfältig klingt . Es fehlet diesen deutschen Chorsängern zwar weder an natürlich guten Stimmen , noch an der Fähigkeit etwas zu lernen : es fehlet ihnen vielmehr an der guten Unterweisung . Die Cantores sollen , wegen der mit ihrem Amte immer verknüpfeten Schularbeiten , zugleich halbe Gelehrte seyn . Deswegen wird öfters bey der Wahl mehr auf das letztere , als auf die Wissenschaft in der Musik gesehen . Die nach solchen Absichten erwähleten Cantores treiben deswegen die Musik , von der sie ohnedem sehr wenig wissen , nur als ein Nebenwerk . Sie wünschen nichts mehr , als bald durch eine gute fette Dorfpfarre , von der Schule , und zugleich von der Musik erlöset zu werden . Findet sich auch ja noch hier und da ein Cantor , der das Seinige versteht , und seinem musikalischen Amte rechtschaffen vorzustehen Lust hat : so suchen an vielen Orten die Obersten der Schule , einige geistlichen Aufseher derselben , unter denen viele der Musik aufsätzig sind , nicht ausgenommen , sowohl den Cantor , als die Schüler , an Ausübung der Musik zu hindern . Auch sogar in denen Schulen , welche , besage ihrer Gesetze , hauptsächlich in der Absicht gestiftet worden sind , daß die Musik darinne vorzüglich soll gelehret und gelernet , und musici eruditi gezogen werden , ist öfters der durch den Vorsteher unterstützete Rector der abgesagteste Feind der Musik . Gerade als wenn ein guter Lateiner und ein guter Musikus Dinge wären , deren eines das andere nothwendiger Weise aufhebt . Die mit den Cantordiensten verknüpfeten Vortheile , sind an vielen , ja an den meisten Orten , so gering , daß ein guter Musikus Bedenken tragen muß , einen solchen Dienst , ohne Noth , anzunehmen . Da es nun , auf solche Art , in Deutschland an guter Anweisung , vornehmlich in der Vocalmusik , fehlet ; da derselben auch noch dazu an vielen Orten unübersteigliche Hindernisse in den Weg geleget werden : so können auch nicht leicht gute Sänger erzogen werden . Es ist bey diesen Umständen zu vermuthen , daß bey den Deutschen die gute Singart niemals so allgemein werden dürfte , als bey den Italiänern ; bey
welchen , schon von vielen Zeiten her , dießfalls die besten Anstalten vorhanden sind : es wäre denn , daß große Herren Vorschub thäten , Singschulen anzulegen , in welchen die gute und echte italiänische Singart gelehret würde .
81. §.
Die Instrumentalmusik der Deutschen in den vorigen Zeiten , sah mehrentheils auf dem Papiere sehr bunt und gefährlich aus . Sie schrieben viele drey- vier- und mehrmal geschwänzten Noten . Weil sie aber dieselben in einer sehr gelassenen Geschwindigkeit ausführeten : so klangen ihre Stücke dessen ungeachtet nicht lebhaft , sondern matt und schläfrig .
Sie hielten mehr von schweren als leichten Stücken , und sucheten mehr Verwunderung zu erwecken , als zu gefallen .
Sie beflissen sich mehr , den Gesang der Thiere , z. E. des Kukuks , der Nachtigall , der Henne , der Wachtel , u. s.w. auf ihren Instrumenten nachzumachen ; wobey der Trompete und der Leyer auch nicht vergessen wurde : als der Menschenstimme nachzuahmen .
Oefters war ein sogenanntes Quodlibet , wobey entweder in Singstücken lächerliche Worte , ohne Zusammenhang , vorkamen , oder , in Instrumentalstücken , die Sangweisen gemeiner und niederträchtiger Trinklieder unter einander gemischet wurden , ihr angenehmster Zeitvertreib .
Auf der Geige spieleten sie mehr harmonisch , als melodisch . Sie setzeten viele Stücke , wozu die Violinen umgestimmet werden mußten . Die Seyten wurden nämlich , nach Anzeige des Componisten , anstatt der Quinten , in Secunden , Terzen , oder Quarten gestimmet ; um die Accorde desto leichter zu haben : welches aber bey den Passagien eine nicht geringe Schwierigkeit verursachete .
Ihre Instrumentalstücke bestunden meistentheils aus Sonaten , Partieen , Intraden , Märschen , Gassenhauern , und vielen andern oft lächerlichen Charakteren , deren Gedächtniß itzo verloschen ist .
Das Allegro bestund mehrentheils vom Anfange bis zum Ende aus lauter Passagien , da fast immer ein Tact dem andern ähnlich war , und von einem Tone zum andern , durch die Transpositionen , wiederholet wurde ; welches aber endlich nothwendig einen Ekel verursachen mußte . Oefters blieben sie nicht länger als nur wenige Tacte bey einerley Tempo : sie vermischeten vielmehr , in einem Satze , bald etwas Langsameres , bald wieder etwas Geschwinderes , mit einander .
Ihr Adagio hatte mehr eine natürliche Harmonie , als gute Melodie . Sie macheten darinne auch wenig Manieren ; außer daß sie dann und wann die springenden Intervalle mit laufenden Noten ausfülleten . Die Schlüsse ihrer langsamen Stücke waren einfältig . Anstatt daß man itziger Zeit , wenn man z. E. im C schließen will , den Triller auf dem D oder H schlägt : so schlugen sie denselben auf dem C , welchem sie die Zeit einer punctirten Note gaben , und ließen das H als eine kurze Note nur simpel hören ; der Endigungsnote C aber wurde noch eine , um einen Ton höher stehende Note , als ein besonderer Zierrath angeschleifet . Ihre Cadenzen waren ohngefähr in der Ausführung so beschaffen , wie Tab. XXIII. Fig. 15. mit Noten ausdrücket zu sehen ist . Von vorhaltenden Noten , welche den Gesang an einander zu binden , und , auf eine angenehme Art , die Consonanzen in Dissonanzen zu verwandeln dienen , wußten sie wenig oder gar nichts : weswegen ihre Art zu spielen nicht rührend noch reizend , sondern platt und trocken war .
Vielerley Instrumente , von denen man itzo kaum noch die Namen weis , waren bey ihnen üblich . Es ist daher zu vermuthen , daß man , wegen Vielheit derselben , mehr Ursach gehabt habe ihren Fleiß , als ihre Geschiklichkeit im Spielen , zu bewundern .
82. §.
So schlecht es aber in den vorigen Zeiten , bey aller gründlichen Einsicht der deutschen Componisten in die Harmonie , mit ihrem , und der deutschen Sänger und Instrumentisten ihrem Geschmacke ausgesehen haben mag : so ein anderes Ansehen hat es doch nunmehr nach und nach damit gewonnen . Denn wenn man auch von den Deutschen nicht eben sagen kann , daß sie einen eigenthümlichen , und von den andern Nationalmusiken sich ganz unterscheidenden Geschmack hervor gebracht hätten : so sind sie hingegen desto fähiger , einen andern , welchen sie nur wollen , anzunehmen ; und wissen sich das Gute von allen Arten der ausländischen Musik zu Nutzen zu machen .
83. §.
Es fiengen schon im vorigen Jahrhunderte , seit der Mitte desselben , einige berühmte Männer , welche theils Italien oder Frankreich selbst besuchet , und darinne profitiret hatten , theils aber auch die Arbeiten und den Geschmack der verdienten Ausländer zu Mustern nahmen , an , die Ausbesserung des musikalischen Geschmackes zu bearbeiten . Die Orgel- und Clavierspieler , unter den letztern vornehmlich Froberger , und nach ihm
Pachelbel , unter den erstern aber Reinken , Buxtehude , Bruhns , und einige andere , setzeten fast am ersten die schmackhaftesten Instrumentalstücke ihrer Zeit , für ihre Instrumente . Absonderlich wurde die Kunst die Orgel zu spielen , welche man großen Theils von den Niederländern empfangen hatte , um diese Zeit schon , von den obengenannten und einigen andern geschikten Männern , sehr weit getrieben . Endlich hat sie der bewundernswürdige Johann Sebastian Bach , in den neuern Zeiten , zu ihrer größten Vollkommenheit gebracht . Nur ist zu wünschen , daß dieselbe , nach seinem Absterben , wegen der geringen Anzahl derer , die noch einigen Fleiß darauf wenden , sich nicht wieder dem Abfalle , oder gar dem Untergange nähern möge .
Man kann zwar nicht läugnen , daß es in gegenwärtigen Zeiten unter den Deutschen viele gute Clavierspieler gebe : die guten Organisten aber sind anitzo in Deutschland viel rarer , als vor diesem . Es ist wahr , daß man noch hier und da einen und den andern brafen und geschikten Orgelspieler findet . Allein es ist auch eben so gewiß , daß man öfters , so gar in manchen Hauptkirchen großer Städte , die Orgeln von solchen , durch ordentliche Vocation dazu berechtigten Stümpern mishandeln höret , welche kaum werth wären , Sackpfeifer in einer Dorfschenke zu seyn . Es fehlet so weit , daß dergleichen unwürdige Organisten etwas von der Composition verstehen sollten ; daß sie vielmehr nicht einmal einen wohlklingenden und richtigen Baß zu der Melodie eines Chorals ausfinden können ; geschweige daß sie dazu zum wenigsten noch zwo richtige Mittelstimmen zu treffen fähig wären . Ja nicht einmal die simple Melodie eines Choralgesanges kennen sie . Oefters sind die blökenden Currentjungen ihre Vorsänger und Muster , nach deren Fehlern sie die Melodieen , wohl alle Monate , immer wieder aufs Neue verhunzen . Unter Orgel und Clavicymbal machen sie keinen Unterschied . Das der Orgel eigene Tractament ist ihnen so unbekannt , als die Kunst ein geschiktes Vorspiel vor einem Gesange zu machen : ungeachtet es nicht an gestochenen und geschriebenen Mustern fehlet , woraus sie beydes , wenn sie wollten , erlernen könnten . Sie ziehen lieber ihre eigenen , aus dem Stegreife erschnappeten Gedanken , den besten , mit Vernunft und Ueberlegung ausgearbeiteten Orgelstücken berühmter Männer , vor . Mit ihren ungeschikten bockpfeiferhaften Coloraturen , welche sie zwischen jedem Einschnitte eines Chorals herleyern , machen sie die Gemeine irre , anstatt ihren Gesang in Ordnung zu erhalten . Von der Art wie man das Pedal brauchen soll , hat mancher nicht einmal reden hören . Der kleine Finger der linken Hand , und der linke Fuß , stehen bey vielen in solcher Verbindung mit einander , daß niemals einer , ohne des andern Vorwissen und Uebereinstimmung , einen Ton anzuschlagen sich getrauet . Ich will nicht einmal gedenken , wie sie öfters eine ohnedem schlecht genug ausgeführte Kirchenmusik , durch ihr elendes Accompagnement , noch schlechter machen . Schade ! wenn Deutschland den Vorzug des Besitzes guter Orgelspieler nach und nach wieder verlieren sollte . Freylich geben die , an den meisten
Orten , gar zu geringen Besoldungen eine schlechte Aufmunterung zu dem Fleiße in der Orgelwissenschaft . Freylich wird auch mancher geschikter Organist , durch den Hochmuth und Eigensinn einiger seiner geistlichen Befehlshaber , niedergeschlagen .
84. §.
Den merkwürdigsten Zeitpunct , worinne absonderlich der Geschmack der Deutschen , in Ansehung der Vocalcomposition , angefangen hat , eine bessere Gestalt zu gewinnen , könnte man ohngefähr um das Jahr 1693 setzen ; als zu welcher Zeit , nach des , um die Vertheidigung und die Geschichtskunde der Musik ausnehmend verdieneten Herrn Matthesons Berichte , im musikalischen Patrioten , S. 181. und 343. der Capellmeister Cousser die neue oder italiänische Singart in den Hamburgischen Opern eingeführet hat . Um eben diese Zeit fieng der berühmte Reinhard Keiser an , sich mit seinen Operncompositionen hervorzuthun . Dieser schien zu einem , mit reicher Erfindung verknüpfeten , angenehm singenden Wesen gleichsam gebohren zu seyn ; er belebte also die neue Singart damit auf eine vorzügliche Weise . Ihm hat der gute Geschmack in der Musik in Deutschland , unstreitig , viel zu danken . Die in Hamburg und Leipzig nach dieser Zeit ziemlich lange in blühendem Zustande gewesenen Opern , und die berühmten Componisten , welche , zugleich nebst Keisern , von Zeit zu Zeit , ungeachtet der öfters schlechten , und nicht selten gar niederträchtigen Texte , für dieselben gearbeitet haben , haben zu dem Grade des guten Geschmackes , in welchem die Musik in Deutschland gegenwärtig steht , gute Vorbereitungen gemachet . Es könnte als ein Ueberfluß angesehen werden , wenn ich diejenigen großen Männer , welche sich in den itztgenannten Zeiten , sowohl in der Kirchen- Theatral- und Instrumentalcomposition , als auch auf Instrumenten , unter den Deutschen berühmt gemachet haben , und deren einige entschlafen , einige noch am Leben sind , alle mit Namen anführen wollte . Ich bin versichert , daß sie in und außer Deutschland schon alle so bekannt sind , daß ihre Namen , meinen musikliebenden Lesern , ohne vieles Nachdenken , gleich beyfallen werden . So viel ist gewiß , daß ihnen diejenigen , welche zu unsern Zeiten in der Tonkunst hervorragen , den größten Dank schuldig sind .
85. §.
Bey allen diesen Bemühungen brafer Tonkünstler aber , fanden sich in Deutschland doch noch immer unterschiedene Hindernisse , welche dem guten Geschmacke im Wege standen . Man war öfters nicht so bemüht , den
Erfindungen dieser berühmten Männer den gehörigen Beyfall zu geben , und ihnen nachzufolgen , wie es wohl hätte seyn sollen . An vielen Orten bekümmerte man sich nicht einmal darum : sondern blieb immer bey dem Alten stehen . Ja was noch mehr ist , es fanden sich vielmehr unterschiedene Widersacher , welche , aus einer ungereimten Liebe zu dem Alterthume , schon darinne , weil die Ausarbeitungen gedachter Männer von der alten Art abgiengen , Ursache genug zu haben glaubten , alles als Ausschweifungen zu verwerfen . Wie lange ist es her , daß man noch die alte Weise , in Deutschland , mit großer Hitze , obgleich desto schwächern Gründen , zu vertheidigen suchte ? Viele , die auch noch Lust gehabt hätten zu profitiren , hatten weder das Vermögen , an solche Orte zu reisen , wo die Musik im Flore war , noch auch sich Musikalien von da zu verschreiben . Es ist nicht zu läugnen , daß durch die Einführung des Cantatenstyls , in die Kirchen der Protestanten , dem guten Geschmacke auch ein besonderer Vortheil zugewachsen ist . Allein wie viel Widerspruch hat es nicht zu überwinden gekostet , ehe die Cantaten und Oratorien in der Kirche einen festen Fuß haben fassen können ? Vor wenigen Jahren gab es noch Cantores , die in ihrem mehr als funfzigjährigen Amte , sich noch nicht hatten überwinden können , ein Kirchenstück von Telemannen aufzuführen . Es ist daher nicht zu verwundern , wenn man zu gleicher Zeit an einem Orte in Deutschland gute , am andern aber sehr unschmackhafte und ungesalzene Musik angetroffen hat . Wer nun von Ausländern etwa , zum Unglücke , an einem der letztern Orte Musik gehöret hatte , und alle Deutschen hiernach beurtheilete ; der konnte sich freylich von ihrer Musik nicht die vortheilhaftesten Begriffe machen .
86. §.
Die Italiäner pflegeten vor diesem den deutschen Geschmack in der Musik : un gusto barbaro , einen barbarischen Geschmack , zu nennen . Nachdem es sich aber gefüget , daß einige deutsche Tonkünstler in Italien gewesen , und allda Gelegenheit gehabt haben , von ihrer Arbeit , sowohl Opern als Instrumentalmusik mit Beyfalle aufzuführen ; da wirklich die Opern , an welchen man in Italien zu itzigen Zeiten den meisten Geschmack , und zwar mit Rechte , findet , von der Feder eines Deutschen herkommen : so hat sich das Vorurtheil nach und nach verlohren . Doch muß man auch sagen , daß die Deutschen sowohl den Italiänern , als auch eines Theils den Franzosen , wegen dieser vortheilhaften Veränderung ihres Geschmackes , ein Vieles zu danken haben . Es ist bekannt ,
daß an verschiedenen deutschen Höfen , als : in Wien , Dresden , Berlin , Hannover , München , Anspach , u. a. m. schon von hundert Jahren her , italiänische und französische Componisten , Sänger und Instrumentisten in Diensten gestanden sind , und Opern aufgeführet haben . Es ist bekannt , daß einige große Herren viele von ihren Tonkünstlern nach Italien und Frankreich haben reisen lassen , und daß , wie ich schon oben gesaget habe , viele der Verbesserer des Geschmackes der Deutschen , entweder eines , oder beyde dieser Länder besuchet haben . Diese haben also , sowohl von dem einen als von dem andern den Geschmack angenommen , und eine solche Vermischung getroffen , welche sie fähig gemachet hat , nicht nur deutsche , sondern auch italiänische , französische , und engländische Opern , und andere Singspiele , eine jede in ihrer Sprache und Geschmacke zu componiren , und mit großem Beyfalle aufzuführen . Weder von den italiänischen noch französischen Tonkünstlern kann man dergleichen sagen . Nicht daß es ihnen am Talente dazu fehlete : sondern weil sie sich wenig Mühe geben , fremde Sprachen zu erlernen ; weil sie allzusehr von Vorurtheilen eingenommen sind ; und weil sie sich nicht überreden können , daß außer ihnen , und ohne ihre Sprache , etwas Gutes in der Singmusik hervorgebracht werden könne .
87. §.
Wenn man aus verschiedener Völker ihrem Geschmacke in der Musik , mit gehöriger Beurtheilung , das Beste zu wählen weis : so fließt daraus ein vermischter Geschmack , welchen man , ohne die Gränzen der Bescheidenheit zu überschreiten , nunmehr sehr wohl : den deutschen Geschmack nennen könnte : nicht allein weil die Deutschen zuerst darauf gefallen sind ; sondern auch , weil er schon seit vielen Jahren , an unterschiedenen Orten Deutschlands , eingeführet worden ist , und noch blühet , auch weder in Italien , noch in Frankreich , noch in andern Ländern misfällt .
88. §.
Wofern nun die deutsche Nation von diesem Geschmacke nicht wieder abgeht : wenn sie sich bemühet , wie bishero ihre berühmtesten Componisten gethan haben , darinne immer weiter nachzuforschen ; wenn ihre neuangehenden Componisten sich mehr , als itziger Zeit leider geschieht , befleißigen , nebst ihrem vermischeten Geschmacke , die Regeln der Setzkunst , so wie ihre Vorfahren , gründlich zu erlernen ; wenn sie sich nicht an der puren Melodie , und an der Verfertigung theatralischer
Arien allein begnügen , sondern sich sowohl im Kirchenstyle als in der Instrumentalmusik auch üben ; wenn sie wegen Einrichtung der Stücke , und wegen vernünftiger Verbindung und Vermischung der Gedanken , solche Componisten , welche einen allgemeinen Beyfall erhalten , sich zu Mustern vorstellen , um ihrer Art zu setzen , und ihrem feinen Geschmacke nachzuahmen : doch daß sie sich dabey nicht gewöhnen , wie es von sehr vielen geschieht , sich mit fremden Federn zu schmücken , und etwa den Hauptsatz , oder den ganzen Zusammenhang , von diesem oder jenem auszuschreiben , oder aufzuwärmen ; wenn sie vielmehr ihre eigene Erfindungskraft dran strecken , um ihr Talent ohne Nachtheil eines Andern zu zeigen , und aufzuräumen , und um nicht , anstatt Componisten zu werden , immer nur Copisten zu verbleiben ; wenn die deutschen Instrumentisten sich nicht , wie oben von den Italiänern gesaget worden ist , durch eine bizarre und komische Art auf Irrwege führen lassen : sondern die gute Singart , und diejenigen , welche in einem vernünftigen Geschmacke spielen , zum Muster nehmen ; wenn ferner die Italiäner und die Franzosen den Deutschen in der Vermischung des Geschmackes so nachahmen wollten , wie die Deutschen ihnen im Geschmacke nachgeahmet haben ; wenn dieses alles , sage ich , einmüthig beobachtet würde : so könnte mit der Zeit ein allgemeiner guter Geschmack in der Musik eingeführet werden . Es ist auch dieses so gar unwahrscheinlich nicht : weil weder die Italiäner , noch die Franzosen , doch mehr die Liebhaber der Musik , als die Tonkünstler unter ihnen , mit ihrem puren Nationalgeschmacke selbst mehr recht zufrieden sind ; sondern schon seit einiger Zeit , an gewissen ausländischen Compositionen , mehr Gefallen , als an ihren inländischen , bezeiget haben .
89. §.
In einem Geschmacke , welcher , so wie der itzige deutsche , aus einer Vermischung des Geschmackes verschiedener Völker besteht , findet eine jede Nation etwas dem ihrigen ähnliches ; welches ihr also niemals misfallen kann . Müßte man auch gleich , in Betrachtung aller , über den Unterschied des Geschmackes bisher angeführten Gedanken und Erfahrungen , dem puren italiänischen Geschmacke , vor dem puren französischen , einen Vorzug einräumen : so wird doch jedermann eingestehen , weil der erste nicht mehr so gründlich , als vor diesem ist , sondern sehr frech und bizarr geworden , der andere hingegen gar zu simpel geblieben ist , daß deswegen ein , von dem Guten beyder Arten zusammengesetzeter
und vermischter Geschmack , unfehlbar allgemeiner und gefälliger seyn müsse . Denn eine Musik , welche nicht in einem einzelnen Lande , oder oder in einer einzelnen Provinz , oder nur von dieser oder jener Nation allein , sondern von vielen Völkern angenommen und für gut erkannt wird , ja , aus den angeführten Ursachen , nicht anders als für gut erkannt werden kann , muß , wenn sie sich anders auf die Vernunft und eine gesunde Empfindung gründet , außer allem Streite , die beste seyn .
ENDE .