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Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 3: Von 1740 bis 1786. Göttingen, 1787.

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3) Grafensache u. Reichsschluß 1775.
bare processualische Feld hineinzugehen, will ich nur
ein und andere Puncte hier bemerklich machen.
Eine der allgemeinsten Regeln der Rechtspflege
muß billig diese seyn, daß keinem Beklagten, ohne
erst über die Klage gehöret zu seyn, auf einseiti-
gen Vortrag des Klägers anbefohlen werden darf
denselben klaglos zu stellen, weil ein Richter nie
zum voraus wissen kann, ob des Klägers Erzeh-
lungen ihre völlige Richtigkeit haben, und ob der
Beklagte nicht vielleicht gegründete Einreden da-
wider vorbringen könne. Diese Regel kann nur
wenige Ausnahmen leiden, als insonderheit nur
alsdann, wenn Thätlichkeiten, wodurch sich je-
mand selber helfen und einen andern aus seinem
Besitze verdrängen wollen, hinlänglich bescheini-
get sind, oder wenn auf klare Brief und Siegel
geklagt wird, wider welche keine unlautere Ein-
wendungen anders als nach geschehener Bezah-
lung in einem besonderen Processe statt finden kön-
nen. Für diese beide Fälle hat man schon in meh-
reren Gesetzgebungen gut gefunden, zwey besonde-
re Gattungen eines possessorischen und executiven
Processes einzuführen, worin summarischer als in
dem sonst gewöhnlichen ordentlichen Processe ver-
fahren, und dem Beklagten nur nachgelaßen wird,
seine nicht den Besitz sondern das Recht betreffen-
de, oder sonst unlautere und noch weit aussehende
Einreden in einem besonderen Processe auszufüh-
ren. Nach dem Reichsprocesse, wie er in der
Cammergerichtsordnung und anderen Reichsge-
setzen vorgeschrieben ist, können in solchen Fällen
von den Reichsgerichten Strafbefehle (Mandate)
erkannt werden, bey denen weniger zu erinnern
ist, wenn sie die Clausel enthalten, daß, im Fall

der
L 2

3) Grafenſache u. Reichsſchluß 1775.
bare proceſſualiſche Feld hineinzugehen, will ich nur
ein und andere Puncte hier bemerklich machen.
Eine der allgemeinſten Regeln der Rechtspflege
muß billig dieſe ſeyn, daß keinem Beklagten, ohne
erſt uͤber die Klage gehoͤret zu ſeyn, auf einſeiti-
gen Vortrag des Klaͤgers anbefohlen werden darf
denſelben klaglos zu ſtellen, weil ein Richter nie
zum voraus wiſſen kann, ob des Klaͤgers Erzeh-
lungen ihre voͤllige Richtigkeit haben, und ob der
Beklagte nicht vielleicht gegruͤndete Einreden da-
wider vorbringen koͤnne. Dieſe Regel kann nur
wenige Ausnahmen leiden, als inſonderheit nur
alsdann, wenn Thaͤtlichkeiten, wodurch ſich je-
mand ſelber helfen und einen andern aus ſeinem
Beſitze verdraͤngen wollen, hinlaͤnglich beſcheini-
get ſind, oder wenn auf klare Brief und Siegel
geklagt wird, wider welche keine unlautere Ein-
wendungen anders als nach geſchehener Bezah-
lung in einem beſonderen Proceſſe ſtatt finden koͤn-
nen. Fuͤr dieſe beide Faͤlle hat man ſchon in meh-
reren Geſetzgebungen gut gefunden, zwey beſonde-
re Gattungen eines poſſeſſoriſchen und executiven
Proceſſes einzufuͤhren, worin ſummariſcher als in
dem ſonſt gewoͤhnlichen ordentlichen Proceſſe ver-
fahren, und dem Beklagten nur nachgelaßen wird,
ſeine nicht den Beſitz ſondern das Recht betreffen-
de, oder ſonſt unlautere und noch weit ausſehende
Einreden in einem beſonderen Proceſſe auszufuͤh-
ren. Nach dem Reichsproceſſe, wie er in der
Cammergerichtsordnung und anderen Reichsge-
ſetzen vorgeſchrieben iſt, koͤnnen in ſolchen Faͤllen
von den Reichsgerichten Strafbefehle (Mandate)
erkannt werden, bey denen weniger zu erinnern
iſt, wenn ſie die Clauſel enthalten, daß, im Fall

der
L 2
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[163/0197] 3) Grafenſache u. Reichsſchluß 1775. bare proceſſualiſche Feld hineinzugehen, will ich nur ein und andere Puncte hier bemerklich machen. Eine der allgemeinſten Regeln der Rechtspflege muß billig dieſe ſeyn, daß keinem Beklagten, ohne erſt uͤber die Klage gehoͤret zu ſeyn, auf einſeiti- gen Vortrag des Klaͤgers anbefohlen werden darf denſelben klaglos zu ſtellen, weil ein Richter nie zum voraus wiſſen kann, ob des Klaͤgers Erzeh- lungen ihre voͤllige Richtigkeit haben, und ob der Beklagte nicht vielleicht gegruͤndete Einreden da- wider vorbringen koͤnne. Dieſe Regel kann nur wenige Ausnahmen leiden, als inſonderheit nur alsdann, wenn Thaͤtlichkeiten, wodurch ſich je- mand ſelber helfen und einen andern aus ſeinem Beſitze verdraͤngen wollen, hinlaͤnglich beſcheini- get ſind, oder wenn auf klare Brief und Siegel geklagt wird, wider welche keine unlautere Ein- wendungen anders als nach geſchehener Bezah- lung in einem beſonderen Proceſſe ſtatt finden koͤn- nen. Fuͤr dieſe beide Faͤlle hat man ſchon in meh- reren Geſetzgebungen gut gefunden, zwey beſonde- re Gattungen eines poſſeſſoriſchen und executiven Proceſſes einzufuͤhren, worin ſummariſcher als in dem ſonſt gewoͤhnlichen ordentlichen Proceſſe ver- fahren, und dem Beklagten nur nachgelaßen wird, ſeine nicht den Beſitz ſondern das Recht betreffen- de, oder ſonſt unlautere und noch weit ausſehende Einreden in einem beſonderen Proceſſe auszufuͤh- ren. Nach dem Reichsproceſſe, wie er in der Cammergerichtsordnung und anderen Reichsge- ſetzen vorgeſchrieben iſt, koͤnnen in ſolchen Faͤllen von den Reichsgerichten Strafbefehle (Mandate) erkannt werden, bey denen weniger zu erinnern iſt, wenn ſie die Clauſel enthalten, daß, im Fall der L 2

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Zitationshilfe: Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 3: Von 1740 bis 1786. Göttingen, 1787, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung03_1787/197>, abgerufen am 02.05.2024.