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Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 2: Von 1558 bis 1740. Göttingen, 1786.

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IX. Leop. u. Joseph I. 1657-1711.
theile hielt. Wie es also in unserer Reichsverfas-
sung dahin kam, daß von einer jeden Reichstags-
stimme
die Frage aufgeworfen werden konnte, zu
welchem Religionstheile sie zu rechnen sey; so schien
diese Religionseigenschaft einer jeden Stimme sich
nach derjenigen Religion zu richten, wozu sich der
Reichsstand, der sie zu führen hatte, für seine Per-
son bekannte. Diese Bestimmung schien auch de-
sto natürlicher zu seyn, als man ehedem gewohnt
war, daß Reichsstände selbst persönlich in ihren
Versammlungen erschienen, und ihre Stimmen
nach ihren eignen Einsichten und Entschließungen
ablegten. Daher das Sitz- und Stimmrecht ei-
nes jeden Reichsstandes mehr auf seiner Person als
auf dem Lande zu haften schien; wie man dann
ehedem auch nicht sowohl nach der Zahl der Länder,
als nach der Zahl der erscheinenden Personen die
Stimmen zehlte. Solchemnach schien es anfangs
ein ganz richtiger Grundsatz zu seyn, daß auf eben
die Art, wie ehedem die Stimmen evangelischer
Fürsten und Churfürsten, sobald dieselben sich zur
Augsburgischen Confession bekannten, für evange-
lisch gehalten waren, so jetzt auch die Reichstags-
stimme eines wieder catholisch gewordenen Reichs-
standes zur catholischen Seite gerechnet werden
müßte.


VIII.

So schien also niemand einen Zweifel dabey zu
haben, daß von 1614. an der Pfalzgraf Wolfgang
Wilhelm von Neuburg, da er für seine Person ca-
tholisch geworden war, auf Reichs- und Kreisver-
sammlungen nicht mehr zu den evangelischen, son-
dern zu den catholischen Ständen gezehlt werden
könnte. Als daher auf dem Reichstage 1654. zur

Visi-

IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711.
theile hielt. Wie es alſo in unſerer Reichsverfaſ-
ſung dahin kam, daß von einer jeden Reichstags-
ſtimme
die Frage aufgeworfen werden konnte, zu
welchem Religionstheile ſie zu rechnen ſey; ſo ſchien
dieſe Religionseigenſchaft einer jeden Stimme ſich
nach derjenigen Religion zu richten, wozu ſich der
Reichsſtand, der ſie zu fuͤhren hatte, fuͤr ſeine Per-
ſon bekannte. Dieſe Beſtimmung ſchien auch de-
ſto natuͤrlicher zu ſeyn, als man ehedem gewohnt
war, daß Reichsſtaͤnde ſelbſt perſoͤnlich in ihren
Verſammlungen erſchienen, und ihre Stimmen
nach ihren eignen Einſichten und Entſchließungen
ablegten. Daher das Sitz- und Stimmrecht ei-
nes jeden Reichsſtandes mehr auf ſeiner Perſon als
auf dem Lande zu haften ſchien; wie man dann
ehedem auch nicht ſowohl nach der Zahl der Laͤnder,
als nach der Zahl der erſcheinenden Perſonen die
Stimmen zehlte. Solchemnach ſchien es anfangs
ein ganz richtiger Grundſatz zu ſeyn, daß auf eben
die Art, wie ehedem die Stimmen evangeliſcher
Fuͤrſten und Churfuͤrſten, ſobald dieſelben ſich zur
Augsburgiſchen Confeſſion bekannten, fuͤr evange-
liſch gehalten waren, ſo jetzt auch die Reichstags-
ſtimme eines wieder catholiſch gewordenen Reichs-
ſtandes zur catholiſchen Seite gerechnet werden
muͤßte.


VIII.

So ſchien alſo niemand einen Zweifel dabey zu
haben, daß von 1614. an der Pfalzgraf Wolfgang
Wilhelm von Neuburg, da er fuͤr ſeine Perſon ca-
tholiſch geworden war, auf Reichs- und Kreisver-
ſammlungen nicht mehr zu den evangeliſchen, ſon-
dern zu den catholiſchen Staͤnden gezehlt werden
koͤnnte. Als daher auf dem Reichstage 1654. zur

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[346/0388] IX. Leop. u. Joſeph I. 1657-1711. theile hielt. Wie es alſo in unſerer Reichsverfaſ- ſung dahin kam, daß von einer jeden Reichstags- ſtimme die Frage aufgeworfen werden konnte, zu welchem Religionstheile ſie zu rechnen ſey; ſo ſchien dieſe Religionseigenſchaft einer jeden Stimme ſich nach derjenigen Religion zu richten, wozu ſich der Reichsſtand, der ſie zu fuͤhren hatte, fuͤr ſeine Per- ſon bekannte. Dieſe Beſtimmung ſchien auch de- ſto natuͤrlicher zu ſeyn, als man ehedem gewohnt war, daß Reichsſtaͤnde ſelbſt perſoͤnlich in ihren Verſammlungen erſchienen, und ihre Stimmen nach ihren eignen Einſichten und Entſchließungen ablegten. Daher das Sitz- und Stimmrecht ei- nes jeden Reichsſtandes mehr auf ſeiner Perſon als auf dem Lande zu haften ſchien; wie man dann ehedem auch nicht ſowohl nach der Zahl der Laͤnder, als nach der Zahl der erſcheinenden Perſonen die Stimmen zehlte. Solchemnach ſchien es anfangs ein ganz richtiger Grundſatz zu ſeyn, daß auf eben die Art, wie ehedem die Stimmen evangeliſcher Fuͤrſten und Churfuͤrſten, ſobald dieſelben ſich zur Augsburgiſchen Confeſſion bekannten, fuͤr evange- liſch gehalten waren, ſo jetzt auch die Reichstags- ſtimme eines wieder catholiſch gewordenen Reichs- ſtandes zur catholiſchen Seite gerechnet werden muͤßte. So ſchien alſo niemand einen Zweifel dabey zu haben, daß von 1614. an der Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Neuburg, da er fuͤr ſeine Perſon ca- tholiſch geworden war, auf Reichs- und Kreisver- ſammlungen nicht mehr zu den evangeliſchen, ſon- dern zu den catholiſchen Staͤnden gezehlt werden koͤnnte. Als daher auf dem Reichstage 1654. zur Viſi-

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Zitationshilfe: Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 2: Von 1558 bis 1740. Göttingen, 1786, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung02_1786/388>, abgerufen am 25.11.2024.