Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 2: Von 1558 bis 1740. Göttingen, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

VII. Neuere Zeit. Westph. Fr. 1648.
richtsordnung von 1495. oder irgend eine andere
als die von 1555. verstanden seyn sollte.


IV.

Gleichwohl haben einige behaupten wollen,
hier sey die Meynung gewesen, eine Stelle aus
jener ersten Cammergerichtsordnung von 1495. zu
erneuern, vermöge deren der Cammerrichter in
dem Falle, wenn die Stimmen der Urtheiler in
zwey gleiche Theile zerfielen, eine entscheidende
Stimme
haben sollte. Bey der ersten Errich-
tung des Cammergerichts, da man noch gleichsam
mit einem Fuße im mittlern Zeitalter stand, ließ
sich das vielleicht als thunlich gedenken, da man
von vorigen Zeiten her gewohnt war, daß eben
keine so subtile Rechtssachen vorkamen, die nicht
eine Person von Stande und Erfahrung nur mit
einiger Beurtheilungskraft und Ueberlegung hätte
richtig entscheiden können, ohne einer großen Ge-
lehrsamkeit aus den Römischen und päbstlichen Ge-
setzbüchern zu bedürfen. Wie aber am Cammer-
gerichte bald alles zum schriftlichen Verfahren kam,
und von den Sachwaltern mit lauter Gründen aus
diesen Lateinischen Rechtsbüchern gefochten wurde;
so ergab sichs bald, daß eine solche durch Probe-
relationen und Examen bewährte Geschicklichkeit
zur richtigen Entscheidung solcher Sachen gehörte,
daß man sie einem Fürsten oder Grafen, der sonst
doch ein sehr guter Cammerrichter seyn konnte, um
die Gerichtspersonen durch sein Ansehen und recht-
schaffenes Betragen in Ordnung zu erhalten, nicht
zumuthen durfte. Es war also gewiß nicht von
ungefähr, daß man diese Stelle aus der ersten
Ordnung von 1495, in keiner der folgenden wie-

der-

VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648.
richtsordnung von 1495. oder irgend eine andere
als die von 1555. verſtanden ſeyn ſollte.


IV.

Gleichwohl haben einige behaupten wollen,
hier ſey die Meynung geweſen, eine Stelle aus
jener erſten Cammergerichtsordnung von 1495. zu
erneuern, vermoͤge deren der Cammerrichter in
dem Falle, wenn die Stimmen der Urtheiler in
zwey gleiche Theile zerfielen, eine entſcheidende
Stimme
haben ſollte. Bey der erſten Errich-
tung des Cammergerichts, da man noch gleichſam
mit einem Fuße im mittlern Zeitalter ſtand, ließ
ſich das vielleicht als thunlich gedenken, da man
von vorigen Zeiten her gewohnt war, daß eben
keine ſo ſubtile Rechtsſachen vorkamen, die nicht
eine Perſon von Stande und Erfahrung nur mit
einiger Beurtheilungskraft und Ueberlegung haͤtte
richtig entſcheiden koͤnnen, ohne einer großen Ge-
lehrſamkeit aus den Roͤmiſchen und paͤbſtlichen Ge-
ſetzbuͤchern zu beduͤrfen. Wie aber am Cammer-
gerichte bald alles zum ſchriftlichen Verfahren kam,
und von den Sachwaltern mit lauter Gruͤnden aus
dieſen Lateiniſchen Rechtsbuͤchern gefochten wurde;
ſo ergab ſichs bald, daß eine ſolche durch Probe-
relationen und Examen bewaͤhrte Geſchicklichkeit
zur richtigen Entſcheidung ſolcher Sachen gehoͤrte,
daß man ſie einem Fuͤrſten oder Grafen, der ſonſt
doch ein ſehr guter Cammerrichter ſeyn konnte, um
die Gerichtsperſonen durch ſein Anſehen und recht-
ſchaffenes Betragen in Ordnung zu erhalten, nicht
zumuthen durfte. Es war alſo gewiß nicht von
ungefaͤhr, daß man dieſe Stelle aus der erſten
Ordnung von 1495, in keiner der folgenden wie-

der-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0148" n="106"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">VII.</hi> Neuere Zeit. We&#x017F;tph. Fr. 1648.</hi></fw><lb/>
richtsordnung von 1495. oder irgend eine andere<lb/>
als die von 1555. ver&#x017F;tanden &#x017F;eyn &#x017F;ollte.</p><lb/>
          <note place="left"> <hi rendition="#aq">IV.</hi> </note>
          <p>Gleichwohl haben einige behaupten wollen,<lb/>
hier &#x017F;ey die Meynung gewe&#x017F;en, eine Stelle aus<lb/>
jener er&#x017F;ten Cammergerichtsordnung von 1495. zu<lb/>
erneuern, vermo&#x0364;ge deren der <hi rendition="#fr">Cammerrichter</hi> in<lb/>
dem Falle, wenn die Stimmen der Urtheiler in<lb/>
zwey gleiche Theile zerfielen, eine <hi rendition="#fr">ent&#x017F;cheidende<lb/>
Stimme</hi> haben &#x017F;ollte. Bey der er&#x017F;ten Errich-<lb/>
tung des Cammergerichts, da man noch gleich&#x017F;am<lb/>
mit einem Fuße im mittlern Zeitalter &#x017F;tand, ließ<lb/>
&#x017F;ich das vielleicht als thunlich gedenken, da man<lb/>
von vorigen Zeiten her gewohnt war, daß eben<lb/>
keine &#x017F;o &#x017F;ubtile Rechts&#x017F;achen vorkamen, die nicht<lb/>
eine Per&#x017F;on von Stande und Erfahrung nur mit<lb/>
einiger Beurtheilungskraft und Ueberlegung ha&#x0364;tte<lb/>
richtig ent&#x017F;cheiden ko&#x0364;nnen, ohne einer großen Ge-<lb/>
lehr&#x017F;amkeit aus den Ro&#x0364;mi&#x017F;chen und pa&#x0364;b&#x017F;tlichen Ge-<lb/>
&#x017F;etzbu&#x0364;chern zu bedu&#x0364;rfen. Wie aber am Cammer-<lb/>
gerichte bald alles zum &#x017F;chriftlichen Verfahren kam,<lb/>
und von den Sachwaltern mit lauter Gru&#x0364;nden aus<lb/>
die&#x017F;en Lateini&#x017F;chen Rechtsbu&#x0364;chern gefochten wurde;<lb/>
&#x017F;o ergab &#x017F;ichs bald, daß eine &#x017F;olche durch Probe-<lb/>
relationen und Examen bewa&#x0364;hrte Ge&#x017F;chicklichkeit<lb/>
zur richtigen Ent&#x017F;cheidung &#x017F;olcher Sachen geho&#x0364;rte,<lb/>
daß man &#x017F;ie einem Fu&#x0364;r&#x017F;ten oder Grafen, der &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
doch ein &#x017F;ehr guter Cammerrichter &#x017F;eyn konnte, um<lb/>
die Gerichtsper&#x017F;onen durch &#x017F;ein An&#x017F;ehen und recht-<lb/>
&#x017F;chaffenes Betragen in Ordnung zu erhalten, nicht<lb/>
zumuthen durfte. Es war al&#x017F;o gewiß nicht von<lb/>
ungefa&#x0364;hr, daß man die&#x017F;e Stelle aus der er&#x017F;ten<lb/>
Ordnung von 1495, in keiner der folgenden wie-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">der-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0148] VII. Neuere Zeit. Weſtph. Fr. 1648. richtsordnung von 1495. oder irgend eine andere als die von 1555. verſtanden ſeyn ſollte. Gleichwohl haben einige behaupten wollen, hier ſey die Meynung geweſen, eine Stelle aus jener erſten Cammergerichtsordnung von 1495. zu erneuern, vermoͤge deren der Cammerrichter in dem Falle, wenn die Stimmen der Urtheiler in zwey gleiche Theile zerfielen, eine entſcheidende Stimme haben ſollte. Bey der erſten Errich- tung des Cammergerichts, da man noch gleichſam mit einem Fuße im mittlern Zeitalter ſtand, ließ ſich das vielleicht als thunlich gedenken, da man von vorigen Zeiten her gewohnt war, daß eben keine ſo ſubtile Rechtsſachen vorkamen, die nicht eine Perſon von Stande und Erfahrung nur mit einiger Beurtheilungskraft und Ueberlegung haͤtte richtig entſcheiden koͤnnen, ohne einer großen Ge- lehrſamkeit aus den Roͤmiſchen und paͤbſtlichen Ge- ſetzbuͤchern zu beduͤrfen. Wie aber am Cammer- gerichte bald alles zum ſchriftlichen Verfahren kam, und von den Sachwaltern mit lauter Gruͤnden aus dieſen Lateiniſchen Rechtsbuͤchern gefochten wurde; ſo ergab ſichs bald, daß eine ſolche durch Probe- relationen und Examen bewaͤhrte Geſchicklichkeit zur richtigen Entſcheidung ſolcher Sachen gehoͤrte, daß man ſie einem Fuͤrſten oder Grafen, der ſonſt doch ein ſehr guter Cammerrichter ſeyn konnte, um die Gerichtsperſonen durch ſein Anſehen und recht- ſchaffenes Betragen in Ordnung zu erhalten, nicht zumuthen durfte. Es war alſo gewiß nicht von ungefaͤhr, daß man dieſe Stelle aus der erſten Ordnung von 1495, in keiner der folgenden wie- der-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung02_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung02_1786/148
Zitationshilfe: Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 2: Von 1558 bis 1740. Göttingen, 1786, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung02_1786/148>, abgerufen am 06.05.2024.