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Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786.

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5) D. Luther 1517-1519.
der, mit der nöthigen Kenntniß der gelehrten Spra-
chen ausgerüstet, die Bibel, insonderheit das neue
Testament, und vorzüglich die Paulischen Briefe
zu seinem Lieblingsstudium gemacht hatte, aber
ganz wider alle scholastische Philosophie eingenom-
men war; -- ein Mann endlich, dessen ganzer
Character etwas offenes hatte, und weder Furcht
noch Zurückhaltung kannte.

Nun kam Tetzel mit seiner AblaßcommissionVI.
in die Gegend von Wittenberg nach Zerbst und
Jüterbock, wo schon Leute aus Wittenberg hingien-
gen, um sich Ablaßbriefe zu holen. Luther, dem
jetzt solche Ablaßbriefe im Beichtstuhle vorgezeigt
wurden, konnte sich nicht zurückhalten, seine Beicht-
kinder zu warnen, darauf kein Vertrauen zu setzen,
noch zu glauben, daß sie damit ihrer Sünden-
schuld vor Gott los seyn würden. Kaum erfuhr
das Tetzel, so verschrie er Luthern als einen Ketzer,
und pries seinen Ablaß nur desto höher. Da-
durch gereizt schrieb Luther, wie wir jetzt sagen
würden, eine Disputation, oder nach damaliger
Art Theses vom Ablaß in Lateinischer Sprache,
die er als Professor zu Wittenberg am letzten Octo-
ber 1517. zur öffentlichen Vertheidigung aufs Ca-
theder brachte. Hier behauptete Luther in 95.
Sätzen: Gott allein könne Sünden vergeben; das
könne weder der Pabst noch sonst ein Geistlicher.
Dabey fordere auch Gott weder Pein noch Stra-
fe, viel weniger Geldbeyträge, sondern einen geän-
derten Sinn und Glauben an Christi Verdienst.
Der Pabst könne allenfalls nur Kirchenstrafen nach-
laßen; er habe aber nichts in seiner Gewalt,
was noch nach dem Tode helfen könne. Wäre

es

5) D. Luther 1517-1519.
der, mit der noͤthigen Kenntniß der gelehrten Spra-
chen ausgeruͤſtet, die Bibel, inſonderheit das neue
Teſtament, und vorzuͤglich die Pauliſchen Briefe
zu ſeinem Lieblingsſtudium gemacht hatte, aber
ganz wider alle ſcholaſtiſche Philoſophie eingenom-
men war; — ein Mann endlich, deſſen ganzer
Character etwas offenes hatte, und weder Furcht
noch Zuruͤckhaltung kannte.

Nun kam Tetzel mit ſeiner AblaßcommiſſionVI.
in die Gegend von Wittenberg nach Zerbſt und
Juͤterbock, wo ſchon Leute aus Wittenberg hingien-
gen, um ſich Ablaßbriefe zu holen. Luther, dem
jetzt ſolche Ablaßbriefe im Beichtſtuhle vorgezeigt
wurden, konnte ſich nicht zuruͤckhalten, ſeine Beicht-
kinder zu warnen, darauf kein Vertrauen zu ſetzen,
noch zu glauben, daß ſie damit ihrer Suͤnden-
ſchuld vor Gott los ſeyn wuͤrden. Kaum erfuhr
das Tetzel, ſo verſchrie er Luthern als einen Ketzer,
und pries ſeinen Ablaß nur deſto hoͤher. Da-
durch gereizt ſchrieb Luther, wie wir jetzt ſagen
wuͤrden, eine Disputation, oder nach damaliger
Art Theſes vom Ablaß in Lateiniſcher Sprache,
die er als Profeſſor zu Wittenberg am letzten Octo-
ber 1517. zur oͤffentlichen Vertheidigung aufs Ca-
theder brachte. Hier behauptete Luther in 95.
Saͤtzen: Gott allein koͤnne Suͤnden vergeben; das
koͤnne weder der Pabſt noch ſonſt ein Geiſtlicher.
Dabey fordere auch Gott weder Pein noch Stra-
fe, viel weniger Geldbeytraͤge, ſondern einen geaͤn-
derten Sinn und Glauben an Chriſti Verdienſt.
Der Pabſt koͤnne allenfalls nur Kirchenſtrafen nach-
laßen; er habe aber nichts in ſeiner Gewalt,
was noch nach dem Tode helfen koͤnne. Waͤre

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[347/0381] 5) D. Luther 1517-1519. der, mit der noͤthigen Kenntniß der gelehrten Spra- chen ausgeruͤſtet, die Bibel, inſonderheit das neue Teſtament, und vorzuͤglich die Pauliſchen Briefe zu ſeinem Lieblingsſtudium gemacht hatte, aber ganz wider alle ſcholaſtiſche Philoſophie eingenom- men war; — ein Mann endlich, deſſen ganzer Character etwas offenes hatte, und weder Furcht noch Zuruͤckhaltung kannte. Nun kam Tetzel mit ſeiner Ablaßcommiſſion in die Gegend von Wittenberg nach Zerbſt und Juͤterbock, wo ſchon Leute aus Wittenberg hingien- gen, um ſich Ablaßbriefe zu holen. Luther, dem jetzt ſolche Ablaßbriefe im Beichtſtuhle vorgezeigt wurden, konnte ſich nicht zuruͤckhalten, ſeine Beicht- kinder zu warnen, darauf kein Vertrauen zu ſetzen, noch zu glauben, daß ſie damit ihrer Suͤnden- ſchuld vor Gott los ſeyn wuͤrden. Kaum erfuhr das Tetzel, ſo verſchrie er Luthern als einen Ketzer, und pries ſeinen Ablaß nur deſto hoͤher. Da- durch gereizt ſchrieb Luther, wie wir jetzt ſagen wuͤrden, eine Disputation, oder nach damaliger Art Theſes vom Ablaß in Lateiniſcher Sprache, die er als Profeſſor zu Wittenberg am letzten Octo- ber 1517. zur oͤffentlichen Vertheidigung aufs Ca- theder brachte. Hier behauptete Luther in 95. Saͤtzen: Gott allein koͤnne Suͤnden vergeben; das koͤnne weder der Pabſt noch ſonſt ein Geiſtlicher. Dabey fordere auch Gott weder Pein noch Stra- fe, viel weniger Geldbeytraͤge, ſondern einen geaͤn- derten Sinn und Glauben an Chriſti Verdienſt. Der Pabſt koͤnne allenfalls nur Kirchenſtrafen nach- laßen; er habe aber nichts in ſeiner Gewalt, was noch nach dem Tode helfen koͤnne. Waͤre es VI.

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Zitationshilfe: Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786/381>, abgerufen am 17.05.2024.