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Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786.

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II. Mittlere Zeiten a) 888-1235.
großen Antheil hatte. Derselbe wußte nicht nur
bald abzustellen, was Henrich der VI. schon zu
Rom und im Kirchenstaate zum Nachtheile der
päbstlichen Hoheit unternommen hatte, sondern in
den achtzehn Jahren, da er auf dem päbstlichen
Stuhle saß, kamen noch ganz andere Dinge in
Gang, die auf den Zustand der Kirche und der
Staaten seitdem den größten Einfluß hatten.


III.

Peter Waldus, ein Kaufmann zu Lion, hatte
zu Ende des zwölften Jahrhunderts in der bis-
herigen Kirchenverfassung einen Anstoß gefunden,
und verschiedene Versuche neuer Einrichtungen ge-
macht. Er glaubte in der Bibel weder die Vor-
züge des Pabstes und der Bischöfe, noch die Leh-
ren vom Fegefeuer, vom Ablaße, von Seelmessen,
von Anrufung der Heiligen, vom Verbote der
Priesterehe u. s. w. gegründet zu finden. Er hielt
nicht dafür, daß man den Laien den Kelch im
Abendmahle entziehen sollte. Er sah hingegen die
Bibel als die einzige Quelle der ganzen Christ-
lichen Religion an, und ließ einige Hauptbücher
derselben, insonderheit die vier Evangelisten, ins
Französische übersetzen, und half sie unter das
Volk verbreiten. Er glaubte nicht, daß nur ge-
weihete Priester Gottes Wort verkündigen dürften;
da nicht abzusehen sey, warum nicht ein jeder Bru-
der den andern daraus belehren könnte. Er selbst
verkaufte sein Hab und Gut, vertheilte es unter
Arme, und gieng als Lehrer aus. Sein Anhang,
der von ihm den Namen Waldenser bekam, ver-
breitete sich bald unglaublich sowohl in Italien
als in Frankreich. Unter andern bot der damali-
ge Graf von Toulouse diesen Neuerungen die Hand,

indem

II. Mittlere Zeiten a) 888-1235.
großen Antheil hatte. Derſelbe wußte nicht nur
bald abzuſtellen, was Henrich der VI. ſchon zu
Rom und im Kirchenſtaate zum Nachtheile der
paͤbſtlichen Hoheit unternommen hatte, ſondern in
den achtzehn Jahren, da er auf dem paͤbſtlichen
Stuhle ſaß, kamen noch ganz andere Dinge in
Gang, die auf den Zuſtand der Kirche und der
Staaten ſeitdem den groͤßten Einfluß hatten.


III.

Peter Waldus, ein Kaufmann zu Lion, hatte
zu Ende des zwoͤlften Jahrhunderts in der bis-
herigen Kirchenverfaſſung einen Anſtoß gefunden,
und verſchiedene Verſuche neuer Einrichtungen ge-
macht. Er glaubte in der Bibel weder die Vor-
zuͤge des Pabſtes und der Biſchoͤfe, noch die Leh-
ren vom Fegefeuer, vom Ablaße, von Seelmeſſen,
von Anrufung der Heiligen, vom Verbote der
Prieſterehe u. ſ. w. gegruͤndet zu finden. Er hielt
nicht dafuͤr, daß man den Laien den Kelch im
Abendmahle entziehen ſollte. Er ſah hingegen die
Bibel als die einzige Quelle der ganzen Chriſt-
lichen Religion an, und ließ einige Hauptbuͤcher
derſelben, inſonderheit die vier Evangeliſten, ins
Franzoͤſiſche uͤberſetzen, und half ſie unter das
Volk verbreiten. Er glaubte nicht, daß nur ge-
weihete Prieſter Gottes Wort verkuͤndigen duͤrften;
da nicht abzuſehen ſey, warum nicht ein jeder Bru-
der den andern daraus belehren koͤnnte. Er ſelbſt
verkaufte ſein Hab und Gut, vertheilte es unter
Arme, und gieng als Lehrer aus. Sein Anhang,
der von ihm den Namen Waldenſer bekam, ver-
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als in Frankreich. Unter andern bot der damali-
ge Graf von Toulouſe dieſen Neuerungen die Hand,

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[196/0230] II. Mittlere Zeiten a) 888-1235. großen Antheil hatte. Derſelbe wußte nicht nur bald abzuſtellen, was Henrich der VI. ſchon zu Rom und im Kirchenſtaate zum Nachtheile der paͤbſtlichen Hoheit unternommen hatte, ſondern in den achtzehn Jahren, da er auf dem paͤbſtlichen Stuhle ſaß, kamen noch ganz andere Dinge in Gang, die auf den Zuſtand der Kirche und der Staaten ſeitdem den groͤßten Einfluß hatten. Peter Waldus, ein Kaufmann zu Lion, hatte zu Ende des zwoͤlften Jahrhunderts in der bis- herigen Kirchenverfaſſung einen Anſtoß gefunden, und verſchiedene Verſuche neuer Einrichtungen ge- macht. Er glaubte in der Bibel weder die Vor- zuͤge des Pabſtes und der Biſchoͤfe, noch die Leh- ren vom Fegefeuer, vom Ablaße, von Seelmeſſen, von Anrufung der Heiligen, vom Verbote der Prieſterehe u. ſ. w. gegruͤndet zu finden. Er hielt nicht dafuͤr, daß man den Laien den Kelch im Abendmahle entziehen ſollte. Er ſah hingegen die Bibel als die einzige Quelle der ganzen Chriſt- lichen Religion an, und ließ einige Hauptbuͤcher derſelben, inſonderheit die vier Evangeliſten, ins Franzoͤſiſche uͤberſetzen, und half ſie unter das Volk verbreiten. Er glaubte nicht, daß nur ge- weihete Prieſter Gottes Wort verkuͤndigen duͤrften; da nicht abzuſehen ſey, warum nicht ein jeder Bru- der den andern daraus belehren koͤnnte. Er ſelbſt verkaufte ſein Hab und Gut, vertheilte es unter Arme, und gieng als Lehrer aus. Sein Anhang, der von ihm den Namen Waldenſer bekam, ver- breitete ſich bald unglaublich ſowohl in Italien als in Frankreich. Unter andern bot der damali- ge Graf von Toulouſe dieſen Neuerungen die Hand, indem

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Zitationshilfe: Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786/230>, abgerufen am 02.05.2024.