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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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zu. So entging ich wahrscheinlich dem Tode, aber
mein hiesiges Exil in Armuth und Noth, fern von
meinem unglücklichen Vaterlande, ist für einen sech-
zigjährigen Mann, der an Größe und Reichthum ge-
wöhnt war, vielleicht noch schlimmer!"

Ich führe Dich heute einmal wieder ins Theater
und zwar in Gesellschaft des berühmten Lord L ......
eines alten Bekannten von mir, der nach seiner viel-
fach bewegten Laufbahn sich jetzt nur noch durch täg-
liches Waschen mit Essig gleich einem Pickle conser-
virt, während er sonst nur Andere, eben so sauer
und beissend als weiland der Confiseur der eleganten
Zeitung schriftlich, mündlich, einzumachen pflegte.
Wir sprachen von vergangenen Zeiten, und als wir
vor Drurylane ankamen, deklamirte er eben einige
wilde, aber schöne Verse von Moore, die er wohl
auf seine eigne Vergangenheit beziehen und mit nicht
zu strenger Gewissenhaftigkeit commentiren mochte,
obgleich sie der Dichter der Geliebten eines gefallnen
Engels in den Mund gelegt hat. Sie lauten dem
Sinne nach, in einer meiner gewöhnlichen Knittelvers-
Uebersetzungen des Augenblicks, ohngefähr so:

Was wäre Liebe! wenn immer nicht gleich
Durch Freude wie Qualen, durch arm wie durch reich,
Durch Ehre wie Scham, durch Alter wie Jugend,
Was frag' ich, Geliebter, nach Laster noch Tugend,
Ich weiß nur: ich lieb' Dich, wär schwarz auch Dein Herz,
Dein bin ich -- und mein Deine Wonne und Schmerz.

Kein übles Motto für Desdemona, die uns erwar-

zu. So entging ich wahrſcheinlich dem Tode, aber
mein hieſiges Exil in Armuth und Noth, fern von
meinem unglücklichen Vaterlande, iſt für einen ſech-
zigjährigen Mann, der an Größe und Reichthum ge-
wöhnt war, vielleicht noch ſchlimmer!“

Ich führe Dich heute einmal wieder ins Theater
und zwar in Geſellſchaft des berühmten Lord L ......
eines alten Bekannten von mir, der nach ſeiner viel-
fach bewegten Laufbahn ſich jetzt nur noch durch täg-
liches Waſchen mit Eſſig gleich einem Pickle conſer-
virt, während er ſonſt nur Andere, eben ſo ſauer
und beiſſend als weiland der Confiſeur der eleganten
Zeitung ſchriftlich, mündlich, einzumachen pflegte.
Wir ſprachen von vergangenen Zeiten, und als wir
vor Drurylane ankamen, deklamirte er eben einige
wilde, aber ſchöne Verſe von Moore, die er wohl
auf ſeine eigne Vergangenheit beziehen und mit nicht
zu ſtrenger Gewiſſenhaftigkeit commentiren mochte,
obgleich ſie der Dichter der Geliebten eines gefallnen
Engels in den Mund gelegt hat. Sie lauten dem
Sinne nach, in einer meiner gewöhnlichen Knittelvers-
Ueberſetzungen des Augenblicks, ohngefähr ſo:

Was waͤre Liebe! wenn immer nicht gleich
Durch Freude wie Qualen, durch arm wie durch reich,
Durch Ehre wie Scham, durch Alter wie Jugend,
Was frag’ ich, Geliebter, nach Laſter noch Tugend,
Ich weiß nur: ich lieb’ Dich, waͤr ſchwarz auch Dein Herz,
Dein bin ich — und mein Deine Wonne und Schmerz.

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[335/0353] zu. So entging ich wahrſcheinlich dem Tode, aber mein hieſiges Exil in Armuth und Noth, fern von meinem unglücklichen Vaterlande, iſt für einen ſech- zigjährigen Mann, der an Größe und Reichthum ge- wöhnt war, vielleicht noch ſchlimmer!“ Ich führe Dich heute einmal wieder ins Theater und zwar in Geſellſchaft des berühmten Lord L ...... eines alten Bekannten von mir, der nach ſeiner viel- fach bewegten Laufbahn ſich jetzt nur noch durch täg- liches Waſchen mit Eſſig gleich einem Pickle conſer- virt, während er ſonſt nur Andere, eben ſo ſauer und beiſſend als weiland der Confiſeur der eleganten Zeitung ſchriftlich, mündlich, einzumachen pflegte. Wir ſprachen von vergangenen Zeiten, und als wir vor Drurylane ankamen, deklamirte er eben einige wilde, aber ſchöne Verſe von Moore, die er wohl auf ſeine eigne Vergangenheit beziehen und mit nicht zu ſtrenger Gewiſſenhaftigkeit commentiren mochte, obgleich ſie der Dichter der Geliebten eines gefallnen Engels in den Mund gelegt hat. Sie lauten dem Sinne nach, in einer meiner gewöhnlichen Knittelvers- Ueberſetzungen des Augenblicks, ohngefähr ſo: Was waͤre Liebe! wenn immer nicht gleich Durch Freude wie Qualen, durch arm wie durch reich, Durch Ehre wie Scham, durch Alter wie Jugend, Was frag’ ich, Geliebter, nach Laſter noch Tugend, Ich weiß nur: ich lieb’ Dich, waͤr ſchwarz auch Dein Herz, Dein bin ich — und mein Deine Wonne und Schmerz. Kein übles Motto für Desdemona, die uns erwar-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/353>, abgerufen am 22.05.2024.