Erfahrung (denn auch Aerzte sind hypochondrisch) daß, ehe noch die Gewohnheit eines feigen und trä- gen Unterwerfens unter solche Gefühle unbesiegbar geworden ist, ein frischer, und ich möchte sagen ge- wissenhafter Entschluß die anrückenden Uebel jener vaporeusen Bedrückung gewaltsam zu zertheilen -- einen weitern Weg zu diesem Zwecke zurücklegen kann. Possunt quia posse videntur. (Diejenigen können, welche zu können glauben). Wir wollen demun- geachtet nicht so extravagant seyn, um zu sagen, daß eine Person, um gesund zu werden, es nur ernstlich zu wollen brauche; aber das sind wir überzeugt, daß ein Mensch oft unter der Last einer Indisposition unterliegt, der mit einer geist- und muthvollen An- strengung sie abgeworfen haben würde. Die Lehre von der Unwiderstehlichkeit des Schicksals ist weder eine wahre noch nützliche Lehre, und der Hypochonder sollte bedenken, daß wenn er zur Schwermuth sagt: Künftig sollst Du mein einziges Gut seyn, er nicht allein sein eigenes Schicksal feststellt, son- dern auch das derer, die ihn lieben, mehr oder weniger mit bestimmt."
"Melancholie hat überdem etwas Poetisches und Sentimentales in sich, welches ihr bei allem Schmerz einen gewissen Reiz gibt -- doch wenn es von allem äußern Schmuck völlig entblößt, und in seiner Nackt- heit dargestellt wird, bleibt am Ende nicht viel mehr übrig als Stolz, Eigennutz, und vor allen Trägheit. Ich kann mir kein schöneres Schauspiel denken, als das eines Wesens, dessen constitutionelle Verfassung
Erfahrung (denn auch Aerzte ſind hypochondriſch) daß, ehe noch die Gewohnheit eines feigen und trä- gen Unterwerfens unter ſolche Gefühle unbeſiegbar geworden iſt, ein friſcher, und ich möchte ſagen ge- wiſſenhafter Entſchluß die anrückenden Uebel jener vaporeuſen Bedrückung gewaltſam zu zertheilen — einen weitern Weg zu dieſem Zwecke zurücklegen kann. Possunt quia posse videntur. (Diejenigen können, welche zu können glauben). Wir wollen demun- geachtet nicht ſo extravagant ſeyn, um zu ſagen, daß eine Perſon, um geſund zu werden, es nur ernſtlich zu wollen brauche; aber das ſind wir überzeugt, daß ein Menſch oft unter der Laſt einer Indispoſition unterliegt, der mit einer geiſt- und muthvollen An- ſtrengung ſie abgeworfen haben würde. Die Lehre von der Unwiderſtehlichkeit des Schickſals iſt weder eine wahre noch nützliche Lehre, und der Hypochonder ſollte bedenken, daß wenn er zur Schwermuth ſagt: Künftig ſollſt Du mein einziges Gut ſeyn, er nicht allein ſein eigenes Schickſal feſtſtellt, ſon- dern auch das derer, die ihn lieben, mehr oder weniger mit beſtimmt.“
„Melancholie hat überdem etwas Poetiſches und Sentimentales in ſich, welches ihr bei allem Schmerz einen gewiſſen Reiz gibt — doch wenn es von allem äußern Schmuck völlig entblößt, und in ſeiner Nackt- heit dargeſtellt wird, bleibt am Ende nicht viel mehr übrig als Stolz, Eigennutz, und vor allen Trägheit. Ich kann mir kein ſchöneres Schauſpiel denken, als das eines Weſens, deſſen conſtitutionelle Verfaſſung
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Erfahrung (denn auch Aerzte ſind hypochondriſch)
daß, ehe noch die Gewohnheit eines feigen und trä-
gen Unterwerfens unter ſolche Gefühle unbeſiegbar
geworden iſt, ein friſcher, und ich möchte ſagen ge-
wiſſenhafter Entſchluß die anrückenden Uebel jener
vaporeuſen Bedrückung gewaltſam zu zertheilen —
einen weitern Weg zu dieſem Zwecke zurücklegen kann.
Possunt quia posse videntur. (Diejenigen können,
welche zu können glauben). Wir wollen demun-
geachtet nicht ſo extravagant ſeyn, um zu ſagen, daß
eine Perſon, um geſund zu werden, es nur ernſtlich
zu wollen brauche; aber das ſind wir überzeugt, daß
ein Menſch oft unter der Laſt einer Indispoſition
unterliegt, der mit einer geiſt- und muthvollen An-
ſtrengung ſie abgeworfen haben würde. Die Lehre
von der Unwiderſtehlichkeit des Schickſals iſt weder
eine wahre noch nützliche Lehre, und der Hypochonder
ſollte bedenken, daß wenn er zur Schwermuth ſagt:
Künftig ſollſt Du mein einziges Gut ſeyn, er nicht
allein ſein eigenes Schickſal feſtſtellt, ſon-
dern auch das derer, die ihn lieben, mehr
oder weniger mit beſtimmt.“
„Melancholie hat überdem etwas Poetiſches und
Sentimentales in ſich, welches ihr bei allem Schmerz
einen gewiſſen Reiz gibt — doch wenn es von allem
äußern Schmuck völlig entblößt, und in ſeiner Nackt-
heit dargeſtellt wird, bleibt am Ende nicht viel mehr
übrig als Stolz, Eigennutz, und vor allen Trägheit.
Ich kann mir kein ſchöneres Schauſpiel denken, als
das eines Weſens, deſſen conſtitutionelle Verfaſſung
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/284>, abgerufen am 24.11.2024.
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