des Macbeth, nicht die der Lady zufällt. Davon über- zeugte ich mich heute sehr lebhaft. -- Wird Lady Macbeth durch überwiegende Darstellungskunst zur Hauptrolle gemacht, so sieht man die ganze Tra- gödie aus einem falschen Gesichtspunkte. Sie wird eine ganz andere, und verliert den größten Theil ih- res Interesses, wenn man nur eine cannibalische Amazone, und einen Helden unter ihrem Pantoffel sieht, der sich wie ein Pinsel von ihr, blos zum Werkzeug ihrer eigenen Pläne, brauchen läßt.
Nein, in ihm liegt der Hauptkeim der Sünde vom Anfang an, sein Weib hilft ihm nur nach, und er ist keineswegs ein ursprünglich edler Mann, der, durch die Hexen verführt, ein Scheusal wird, was Unnatur wäre, sondern, wie in Romeo und Julie, die Leidenschaft der Liebe in einem für sie zu em- pfänglichen Gemüth, von der unschuldigen Kind- lichkeit der Knospe durch alle Stadien des Genusses hindurch, bis zu Verzweiflung und Tod geführt wird -- so ist hier selbstischer Ehrgeiz der Gegenstand des Gemäldes, wie er durch böse Mächte ausgebildet, in Macbeths Person, von ebenfalls nur scheinbarer Un- schuld und dem Ruhme des gefeierten Helden, bis zu der Blutgier des Tigers, und dem Ende einer zu Tode gehetzten Bestie gelangt. Dennoch ist der Mann, in dessen Seele das Gift wühlt, mit so vielen andern hohen Eigenschaften begabt, daß wir dem Kampfe und der Entwickelung mit Antheil für den Helden folgen können. Welcher unendliche Genuß müßte es seyn, dergleichen Produkte des Genies auch von durch-
des Macbeth, nicht die der Lady zufällt. Davon über- zeugte ich mich heute ſehr lebhaft. — Wird Lady Macbeth durch überwiegende Darſtellungskunſt zur Hauptrolle gemacht, ſo ſieht man die ganze Tra- gödie aus einem falſchen Geſichtspunkte. Sie wird eine ganz andere, und verliert den größten Theil ih- res Intereſſes, wenn man nur eine cannibaliſche Amazone, und einen Helden unter ihrem Pantoffel ſieht, der ſich wie ein Pinſel von ihr, blos zum Werkzeug ihrer eigenen Pläne, brauchen läßt.
Nein, in ihm liegt der Hauptkeim der Sünde vom Anfang an, ſein Weib hilft ihm nur nach, und er iſt keineswegs ein urſprünglich edler Mann, der, durch die Hexen verführt, ein Scheuſal wird, was Unnatur wäre, ſondern, wie in Romeo und Julie, die Leidenſchaft der Liebe in einem für ſie zu em- pfänglichen Gemüth, von der unſchuldigen Kind- lichkeit der Knospe durch alle Stadien des Genuſſes hindurch, bis zu Verzweiflung und Tod geführt wird — ſo iſt hier ſelbſtiſcher Ehrgeiz der Gegenſtand des Gemäldes, wie er durch böſe Mächte ausgebildet, in Macbeths Perſon, von ebenfalls nur ſcheinbarer Un- ſchuld und dem Ruhme des gefeierten Helden, bis zu der Blutgier des Tigers, und dem Ende einer zu Tode gehetzten Beſtie gelangt. Dennoch iſt der Mann, in deſſen Seele das Gift wühlt, mit ſo vielen andern hohen Eigenſchaften begabt, daß wir dem Kampfe und der Entwickelung mit Antheil für den Helden folgen können. Welcher unendliche Genuß müßte es ſeyn, dergleichen Produkte des Genies auch von durch-
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des Macbeth, nicht die der Lady zufällt. Davon über-
zeugte ich mich heute ſehr lebhaft. — Wird Lady
Macbeth durch überwiegende Darſtellungskunſt zur
Hauptrolle gemacht, ſo ſieht man die ganze Tra-
gödie aus einem falſchen Geſichtspunkte. Sie wird
eine ganz andere, und verliert den größten Theil ih-
res Intereſſes, wenn man nur eine cannibaliſche
Amazone, und einen Helden unter ihrem Pantoffel
ſieht, der ſich wie ein Pinſel von ihr, blos zum
Werkzeug ihrer eigenen Pläne, brauchen läßt.
Nein, in ihm liegt der Hauptkeim der Sünde
vom Anfang an, ſein Weib hilft ihm nur nach, und
er iſt keineswegs ein urſprünglich edler Mann, der,
durch die Hexen verführt, ein Scheuſal wird, was
Unnatur wäre, ſondern, wie in Romeo und Julie,
die Leidenſchaft der Liebe in einem für ſie zu em-
pfänglichen Gemüth, von der unſchuldigen Kind-
lichkeit der Knospe durch alle Stadien des Genuſſes
hindurch, bis zu Verzweiflung und Tod geführt wird
— ſo iſt hier ſelbſtiſcher Ehrgeiz der Gegenſtand des
Gemäldes, wie er durch böſe Mächte ausgebildet, in
Macbeths Perſon, von ebenfalls nur ſcheinbarer Un-
ſchuld und dem Ruhme des gefeierten Helden, bis zu
der Blutgier des Tigers, und dem Ende einer zu
Tode gehetzten Beſtie gelangt. Dennoch iſt der Mann,
in deſſen Seele das Gift wühlt, mit ſo vielen andern
hohen Eigenſchaften begabt, daß wir dem Kampfe
und der Entwickelung mit Antheil für den Helden
folgen können. Welcher unendliche Genuß müßte es
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/276>, abgerufen am 24.11.2024.
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