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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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machte einige Mühe, den Küster zu finden, einen
schwarzen Mann, der mehr einem schmutzigen Köhler,
als einem geistlichen Offizianten ähnlich sah, sich aber
dabei doch voller guten Willens zeigte. Ich frug, ob
man auf die mit herrlichen Galerien gezierte Spitze
des Thurmes gelangen könne? Das weiß ich nicht,
war die Antwort, denn ich bin selbst nie oben ge-
wesen, obgleich ich schon zehn Jahre Küster bin. Es
sind blos alte Leitern da, und oben fehlt ein Stück
daran, es wird also wohl nicht gehen. Dies be-
feuerte meinen abenteuerlichen Tik, und ich eilte ohne
Zögern thurmaufwärts auf der schlechtesten, dunkel-
sten, engsten und verwittertsten Wendeltreppe, die
man sich denken kann. In Kurzem erreichten wir
die Leitern. Wir bestiegen sie ohne Aufenthalt, und
kamen auf die erste Plattform. Hier aber bedankte sich
schon Küster und Lohnbediente weiter zu klettern. Eine
hohe und allerdings sehr schwankende Leiter mit vie-
len fehlenden Sprossen führte zur Spitze, wo oben,
ungefähr sechs Fuß weit, die Sprossen ganz fehlten,
bis zu einem viereckigen Loch, durch welches man
auf das platte Dach hinaus gelangte. Ich mochte
nun nicht mehr unverrichteter Sache zurückgehen, klet-
terte fort, war bald oben, erreichte mit den Händen
den Rand der obern Oeffnung, und schwang mich,
mit einiger Mühe, glücklich hinauf. Die Aussicht
war in der That prächtig, und ganz nach Wunsch
erreichte ich besonders meinen Hauptzweck, den unten
so sehr von Häusern encombrirten Dom nun völlig
frei, in aller seiner colossalen Majestät gleich einem

machte einige Mühe, den Küſter zu finden, einen
ſchwarzen Mann, der mehr einem ſchmutzigen Köhler,
als einem geiſtlichen Offizianten ähnlich ſah, ſich aber
dabei doch voller guten Willens zeigte. Ich frug, ob
man auf die mit herrlichen Galerien gezierte Spitze
des Thurmes gelangen könne? Das weiß ich nicht,
war die Antwort, denn ich bin ſelbſt nie oben ge-
weſen, obgleich ich ſchon zehn Jahre Küſter bin. Es
ſind blos alte Leitern da, und oben fehlt ein Stück
daran, es wird alſo wohl nicht gehen. Dies be-
feuerte meinen abenteuerlichen Tik, und ich eilte ohne
Zögern thurmaufwärts auf der ſchlechteſten, dunkel-
ſten, engſten und verwittertſten Wendeltreppe, die
man ſich denken kann. In Kurzem erreichten wir
die Leitern. Wir beſtiegen ſie ohne Aufenthalt, und
kamen auf die erſte Plattform. Hier aber bedankte ſich
ſchon Küſter und Lohnbediente weiter zu klettern. Eine
hohe und allerdings ſehr ſchwankende Leiter mit vie-
len fehlenden Sproſſen führte zur Spitze, wo oben,
ungefähr ſechs Fuß weit, die Sproſſen ganz fehlten,
bis zu einem viereckigen Loch, durch welches man
auf das platte Dach hinaus gelangte. Ich mochte
nun nicht mehr unverrichteter Sache zurückgehen, klet-
terte fort, war bald oben, erreichte mit den Händen
den Rand der obern Oeffnung, und ſchwang mich,
mit einiger Mühe, glücklich hinauf. Die Ausſicht
war in der That prächtig, und ganz nach Wunſch
erreichte ich beſonders meinen Hauptzweck, den unten
ſo ſehr von Häuſern encombrirten Dom nun völlig
frei, in aller ſeiner coloſſalen Majeſtät gleich einem

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[183/0199] machte einige Mühe, den Küſter zu finden, einen ſchwarzen Mann, der mehr einem ſchmutzigen Köhler, als einem geiſtlichen Offizianten ähnlich ſah, ſich aber dabei doch voller guten Willens zeigte. Ich frug, ob man auf die mit herrlichen Galerien gezierte Spitze des Thurmes gelangen könne? Das weiß ich nicht, war die Antwort, denn ich bin ſelbſt nie oben ge- weſen, obgleich ich ſchon zehn Jahre Küſter bin. Es ſind blos alte Leitern da, und oben fehlt ein Stück daran, es wird alſo wohl nicht gehen. Dies be- feuerte meinen abenteuerlichen Tik, und ich eilte ohne Zögern thurmaufwärts auf der ſchlechteſten, dunkel- ſten, engſten und verwittertſten Wendeltreppe, die man ſich denken kann. In Kurzem erreichten wir die Leitern. Wir beſtiegen ſie ohne Aufenthalt, und kamen auf die erſte Plattform. Hier aber bedankte ſich ſchon Küſter und Lohnbediente weiter zu klettern. Eine hohe und allerdings ſehr ſchwankende Leiter mit vie- len fehlenden Sproſſen führte zur Spitze, wo oben, ungefähr ſechs Fuß weit, die Sproſſen ganz fehlten, bis zu einem viereckigen Loch, durch welches man auf das platte Dach hinaus gelangte. Ich mochte nun nicht mehr unverrichteter Sache zurückgehen, klet- terte fort, war bald oben, erreichte mit den Händen den Rand der obern Oeffnung, und ſchwang mich, mit einiger Mühe, glücklich hinauf. Die Ausſicht war in der That prächtig, und ganz nach Wunſch erreichte ich beſonders meinen Hauptzweck, den unten ſo ſehr von Häuſern encombrirten Dom nun völlig frei, in aller ſeiner coloſſalen Majeſtät gleich einem

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/199>, abgerufen am 27.11.2024.