Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

frug, welchen ich einschlagen müsse, um nach Derri-
nane zu kommen? O! beide führen dahin, sagte sie,
der linke ist aber zwei Meilen näher. Natürlich schlug
ich diesen ein, überzeugte mich aber bald zu meinem
Schaden, daß er nur für Ziegen gangbar sey. Ich
verwünschte die alte Hexe und ihre trügerische Aus-
kunft, vergebens mattete sich das Pferd ab, durch die
Steinblöcke zu klimmen, und halb stolpernd, halb
fallend warf es endlich Sattel und mich zugleich ab.
Auch war es nicht möglich den Sattel allein darauf
zu erhalten, er rutschte immer von neuem herunter,
und ich mußte mich zuletzt bequemen, ihn selbst auf
die Schultern zu laden, und das Pferd dazu zu füh-
ren. Bis hierher hatte ich mich noch ziemlich guter Dinge
erhalten, der Geist war auch jetzt noch willig, aber
das Fleisch fing an schwach zu werden -- der Mann
am Meer hatte gesagt: sechs Meilen noch, und Sie
sind da, und nachdem ich eine halbe Stunde scharf
geritten, war die vorher befragte Frau dennoch wie-
der dabei geblieben, es sey noch sechs Meilen auf dem
kürzesten Wege bis Derrinane. Ich fing an zu fürch-
ten, daß dieses gespenstische Bergschloß gar nicht zu
erreichen seyn möchte, und ein Kobold mich nur dem
andern zuwerfe. Ganz muthlos setzte ich mich auf
einen Stein, von Hitze und Frost gleich peinlich durch-
schauert, als, wie die tröstende Stimme des Engels
in der Wüste, ein Ruf meines Führers erschallte,
und ich bald darauf den Hufschlag seines Pferdes
vernahm. Er hatte einen ganz andern Weg durch
das innere Gebürge eingeschlagen, bei dem die See-

frug, welchen ich einſchlagen müſſe, um nach Derri-
nane zu kommen? O! beide führen dahin, ſagte ſie,
der linke iſt aber zwei Meilen näher. Natürlich ſchlug
ich dieſen ein, überzeugte mich aber bald zu meinem
Schaden, daß er nur für Ziegen gangbar ſey. Ich
verwünſchte die alte Hexe und ihre trügeriſche Aus-
kunft, vergebens mattete ſich das Pferd ab, durch die
Steinblöcke zu klimmen, und halb ſtolpernd, halb
fallend warf es endlich Sattel und mich zugleich ab.
Auch war es nicht möglich den Sattel allein darauf
zu erhalten, er rutſchte immer von neuem herunter,
und ich mußte mich zuletzt bequemen, ihn ſelbſt auf
die Schultern zu laden, und das Pferd dazu zu füh-
ren. Bis hierher hatte ich mich noch ziemlich guter Dinge
erhalten, der Geiſt war auch jetzt noch willig, aber
das Fleiſch fing an ſchwach zu werden — der Mann
am Meer hatte geſagt: ſechs Meilen noch, und Sie
ſind da, und nachdem ich eine halbe Stunde ſcharf
geritten, war die vorher befragte Frau dennoch wie-
der dabei geblieben, es ſey noch ſechs Meilen auf dem
kürzeſten Wege bis Derrinane. Ich fing an zu fürch-
ten, daß dieſes geſpenſtiſche Bergſchloß gar nicht zu
erreichen ſeyn möchte, und ein Kobold mich nur dem
andern zuwerfe. Ganz muthlos ſetzte ich mich auf
einen Stein, von Hitze und Froſt gleich peinlich durch-
ſchauert, als, wie die tröſtende Stimme des Engels
in der Wüſte, ein Ruf meines Führers erſchallte,
und ich bald darauf den Hufſchlag ſeines Pferdes
vernahm. Er hatte einen ganz andern Weg durch
das innere Gebürge eingeſchlagen, bei dem die See-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0033" n="11"/>
frug, welchen ich ein&#x017F;chlagen mü&#x017F;&#x017F;e, um nach Derri-<lb/>
nane zu kommen? O! beide führen dahin, &#x017F;agte &#x017F;ie,<lb/>
der linke i&#x017F;t aber zwei Meilen näher. Natürlich &#x017F;chlug<lb/>
ich die&#x017F;en ein, überzeugte mich aber bald zu meinem<lb/>
Schaden, daß er nur für Ziegen gangbar &#x017F;ey. Ich<lb/>
verwün&#x017F;chte die alte Hexe und ihre trügeri&#x017F;che Aus-<lb/>
kunft, vergebens mattete &#x017F;ich das Pferd ab, durch die<lb/>
Steinblöcke zu klimmen, und halb &#x017F;tolpernd, halb<lb/>
fallend warf es endlich Sattel und mich zugleich ab.<lb/>
Auch war es nicht möglich den Sattel allein darauf<lb/>
zu erhalten, er rut&#x017F;chte immer von neuem herunter,<lb/>
und ich mußte mich zuletzt bequemen, ihn &#x017F;elb&#x017F;t auf<lb/>
die Schultern zu laden, und das Pferd dazu zu füh-<lb/>
ren. Bis hierher hatte ich mich noch ziemlich guter Dinge<lb/>
erhalten, der Gei&#x017F;t war auch jetzt noch willig, aber<lb/>
das Flei&#x017F;ch fing an &#x017F;chwach zu werden &#x2014; der Mann<lb/>
am Meer hatte ge&#x017F;agt: &#x017F;echs Meilen noch, und Sie<lb/>
&#x017F;ind da, und nachdem ich eine halbe Stunde &#x017F;charf<lb/>
geritten, war die vorher befragte Frau dennoch wie-<lb/>
der dabei geblieben, es &#x017F;ey noch &#x017F;echs Meilen auf dem<lb/>
kürze&#x017F;ten Wege bis Derrinane. Ich fing an zu fürch-<lb/>
ten, daß die&#x017F;es ge&#x017F;pen&#x017F;ti&#x017F;che Berg&#x017F;chloß gar nicht zu<lb/>
erreichen &#x017F;eyn möchte, und <hi rendition="#g">ein</hi> Kobold mich nur dem<lb/><hi rendition="#g">andern</hi> zuwerfe. Ganz muthlos &#x017F;etzte ich mich auf<lb/>
einen Stein, von Hitze und Fro&#x017F;t gleich peinlich durch-<lb/>
&#x017F;chauert, als, wie die trö&#x017F;tende Stimme des Engels<lb/>
in der Wü&#x017F;te, ein Ruf meines Führers er&#x017F;challte,<lb/>
und ich bald darauf den Huf&#x017F;chlag &#x017F;eines Pferdes<lb/>
vernahm. Er hatte einen ganz andern Weg durch<lb/>
das innere Gebürge einge&#x017F;chlagen, bei dem die See-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0033] frug, welchen ich einſchlagen müſſe, um nach Derri- nane zu kommen? O! beide führen dahin, ſagte ſie, der linke iſt aber zwei Meilen näher. Natürlich ſchlug ich dieſen ein, überzeugte mich aber bald zu meinem Schaden, daß er nur für Ziegen gangbar ſey. Ich verwünſchte die alte Hexe und ihre trügeriſche Aus- kunft, vergebens mattete ſich das Pferd ab, durch die Steinblöcke zu klimmen, und halb ſtolpernd, halb fallend warf es endlich Sattel und mich zugleich ab. Auch war es nicht möglich den Sattel allein darauf zu erhalten, er rutſchte immer von neuem herunter, und ich mußte mich zuletzt bequemen, ihn ſelbſt auf die Schultern zu laden, und das Pferd dazu zu füh- ren. Bis hierher hatte ich mich noch ziemlich guter Dinge erhalten, der Geiſt war auch jetzt noch willig, aber das Fleiſch fing an ſchwach zu werden — der Mann am Meer hatte geſagt: ſechs Meilen noch, und Sie ſind da, und nachdem ich eine halbe Stunde ſcharf geritten, war die vorher befragte Frau dennoch wie- der dabei geblieben, es ſey noch ſechs Meilen auf dem kürzeſten Wege bis Derrinane. Ich fing an zu fürch- ten, daß dieſes geſpenſtiſche Bergſchloß gar nicht zu erreichen ſeyn möchte, und ein Kobold mich nur dem andern zuwerfe. Ganz muthlos ſetzte ich mich auf einen Stein, von Hitze und Froſt gleich peinlich durch- ſchauert, als, wie die tröſtende Stimme des Engels in der Wüſte, ein Ruf meines Führers erſchallte, und ich bald darauf den Hufſchlag ſeines Pferdes vernahm. Er hatte einen ganz andern Weg durch das innere Gebürge eingeſchlagen, bei dem die See-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/33
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/33>, abgerufen am 25.11.2024.