bare Reich entfaltet in unerschöpflichen Schätzen unser eignes Gemüth, welche Fundgruben öffnet Liebe, Kunst, Wissenschaft, die Beobachtung und die Ge- schichte unsres eignen Geschlechts, und in der tiefsten Tiefe, das fromme, ahnende Anschauen Gottes und seines Weltalls! Wahrlich, wir wären nicht so un- dankbar, wenn wir weniger glücklich wären, und Leiden bedürfen wir oft nur zu sehr, um dies recht gewahr zu werden. Man könnte die Disposition da- zu unsern sechsten Sinn nennen, durch den wir das Glück erkennen. Wer davon recht überzeugt ist, der wird zwar immer noch zuweilen klagen, gleich andern unbesonnenen Kindern, schneller aber zur Besinnung kommen, denn das innige Gefühl des Glückes: zu leben, ruht wie ein rosiger Grund in seinem Innern, von dem auch die schwärzesten Figuren, welche das Schicksal darauf erscheinen läßt, wie die Adern vom Blute, sanft durchschimmert werden.
Paradoxen meines Freundes B. H.
"Ja gewiß, der Geist waltet in uns, und wir in ihm, und ist ewig, und derselbe, der durch alle Wel- ten waltet -- aber das, was wir unsre menschliche Seele nennen, das schaffen wir hier uns selbst. Das scheinbare Doppelwesen in uns, wovon das Eine dem Sinnen-Impuls folgen will, das Andere
bare Reich entfaltet in unerſchöpflichen Schätzen unſer eignes Gemüth, welche Fundgruben öffnet Liebe, Kunſt, Wiſſenſchaft, die Beobachtung und die Ge- ſchichte unſres eignen Geſchlechts, und in der tiefſten Tiefe, das fromme, ahnende Anſchauen Gottes und ſeines Weltalls! Wahrlich, wir wären nicht ſo un- dankbar, wenn wir weniger glücklich wären, und Leiden bedürfen wir oft nur zu ſehr, um dies recht gewahr zu werden. Man könnte die Dispoſition da- zu unſern ſechsten Sinn nennen, durch den wir das Glück erkennen. Wer davon recht überzeugt iſt, der wird zwar immer noch zuweilen klagen, gleich andern unbeſonnenen Kindern, ſchneller aber zur Beſinnung kommen, denn das innige Gefühl des Glückes: zu leben, ruht wie ein roſiger Grund in ſeinem Innern, von dem auch die ſchwärzeſten Figuren, welche das Schickſal darauf erſcheinen läßt, wie die Adern vom Blute, ſanft durchſchimmert werden.
Paradoxen meines Freundes B. H.
„Ja gewiß, der Geiſt waltet in uns, und wir in ihm, und iſt ewig, und derſelbe, der durch alle Wel- ten waltet — aber das, was wir unſre menſchliche Seele nennen, das ſchaffen wir hier uns ſelbſt. Das ſcheinbare Doppelweſen in uns, wovon das Eine dem Sinnen-Impuls folgen will, das Andere
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0245"n="223"/>
bare Reich entfaltet in unerſchöpflichen Schätzen unſer<lb/>
eignes Gemüth, welche Fundgruben öffnet Liebe,<lb/>
Kunſt, Wiſſenſchaft, die Beobachtung und die Ge-<lb/>ſchichte unſres eignen Geſchlechts, und in der tiefſten<lb/>
Tiefe, das fromme, ahnende Anſchauen Gottes und<lb/>ſeines Weltalls! Wahrlich, wir wären nicht ſo un-<lb/>
dankbar, wenn wir weniger glücklich wären, und<lb/>
Leiden bedürfen wir oft nur zu ſehr, um dies recht<lb/>
gewahr zu werden. Man könnte die Dispoſition da-<lb/>
zu unſern ſechsten Sinn nennen, durch den wir<lb/>
das Glück erkennen. Wer <hirendition="#g">davon</hi> recht überzeugt<lb/>
iſt, der wird zwar immer noch zuweilen klagen,<lb/>
gleich andern unbeſonnenen Kindern, ſchneller aber<lb/>
zur Beſinnung kommen, denn das innige Gefühl<lb/>
des Glückes: <hirendition="#g">zu leben</hi>, ruht wie ein roſiger Grund<lb/>
in ſeinem Innern, von dem auch die ſchwärzeſten<lb/>
Figuren, welche das Schickſal darauf erſcheinen läßt,<lb/>
wie die Adern vom Blute, ſanft durchſchimmert<lb/>
werden.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#c"><hirendition="#g">Paradoxen meines Freundes</hi> B. H.</hi></p><lb/><p>„Ja gewiß, der Geiſt waltet in uns, und wir in<lb/>
ihm, und iſt ewig, und derſelbe, der durch alle Wel-<lb/>
ten waltet — aber das, was wir unſre menſchliche<lb/><hirendition="#g">Seele</hi> nennen, <hirendition="#g">das</hi>ſchaffen wir hier uns ſelbſt.<lb/>
Das ſcheinbare Doppelweſen in uns, wovon das<lb/>
Eine dem Sinnen-Impuls folgen will, das Andere<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[223/0245]
bare Reich entfaltet in unerſchöpflichen Schätzen unſer
eignes Gemüth, welche Fundgruben öffnet Liebe,
Kunſt, Wiſſenſchaft, die Beobachtung und die Ge-
ſchichte unſres eignen Geſchlechts, und in der tiefſten
Tiefe, das fromme, ahnende Anſchauen Gottes und
ſeines Weltalls! Wahrlich, wir wären nicht ſo un-
dankbar, wenn wir weniger glücklich wären, und
Leiden bedürfen wir oft nur zu ſehr, um dies recht
gewahr zu werden. Man könnte die Dispoſition da-
zu unſern ſechsten Sinn nennen, durch den wir
das Glück erkennen. Wer davon recht überzeugt
iſt, der wird zwar immer noch zuweilen klagen,
gleich andern unbeſonnenen Kindern, ſchneller aber
zur Beſinnung kommen, denn das innige Gefühl
des Glückes: zu leben, ruht wie ein roſiger Grund
in ſeinem Innern, von dem auch die ſchwärzeſten
Figuren, welche das Schickſal darauf erſcheinen läßt,
wie die Adern vom Blute, ſanft durchſchimmert
werden.
Paradoxen meines Freundes B. H.
„Ja gewiß, der Geiſt waltet in uns, und wir in
ihm, und iſt ewig, und derſelbe, der durch alle Wel-
ten waltet — aber das, was wir unſre menſchliche
Seele nennen, das ſchaffen wir hier uns ſelbſt.
Das ſcheinbare Doppelweſen in uns, wovon das
Eine dem Sinnen-Impuls folgen will, das Andere
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/245>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.