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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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ist gewiß einer der schönsten katholischen Gebräuche,
daß gewisse Kirchen den Gläubigen bei Tag und bei
Nacht für das Bedürfniß der Andacht stets offen
stehen. In Italien begab ich mich fast nie zur Ru-
he, ohne vorher eine solche Kirche besucht, und den
wunderbaren Effekt betrachtet zu haben, den es her-
vorbrachte, wenn in der Stille der Nacht die einzelne
röthliche Lampe die hohen Gewölbe sparsam und
phantastisch erleuchtete. Immer fand ich eine oder
die andere betende einsame Gestalt vor einem der
Altäre hingeworfen, nur mit ihrem Gott und sich
beschäftigt, ohne die mindeste Rücksicht auf das zu
nehmen, was um sie her vorging. In einer dieser
Kirchen stand das Riesenbild des heiligen Christoph,
an den mittelsten Pfeiler gelehnt, und mit dem Kopf
an das Gewölbe stoßend; auf seiner Schulter das
schwere Christuskindlein, und in seiner Hand als
Wanderstab, einen ausgewachsenen Baumstamm, mit
frischen grünen Aesten, der monatlich erneuert wurde.
Das Licht der hochhängenden Lampe umgab das
Kindlein wie mit einer Glorie und warf, wie seg-
nend, einzelne Strahlen herab auf den frommen
Riesen.

Wenn ich den hiesigen katholischen Gottesdienst
mit dem englisch-protestantischen vergleiche, muß ich
dem ersteren unbedingt den Vorzug geben. Mögen
gleich einige Ceremonieen zu viel, und selbst an's
Burleske streifend seyn, z. B. das Umherwerfen der
Räucherfässer, das fortwährende Anlegen anderer

iſt gewiß einer der ſchönſten katholiſchen Gebräuche,
daß gewiſſe Kirchen den Gläubigen bei Tag und bei
Nacht für das Bedürfniß der Andacht ſtets offen
ſtehen. In Italien begab ich mich faſt nie zur Ru-
he, ohne vorher eine ſolche Kirche beſucht, und den
wunderbaren Effekt betrachtet zu haben, den es her-
vorbrachte, wenn in der Stille der Nacht die einzelne
röthliche Lampe die hohen Gewölbe ſparſam und
phantaſtiſch erleuchtete. Immer fand ich eine oder
die andere betende einſame Geſtalt vor einem der
Altäre hingeworfen, nur mit ihrem Gott und ſich
beſchäftigt, ohne die mindeſte Rückſicht auf das zu
nehmen, was um ſie her vorging. In einer dieſer
Kirchen ſtand das Rieſenbild des heiligen Chriſtoph,
an den mittelſten Pfeiler gelehnt, und mit dem Kopf
an das Gewölbe ſtoßend; auf ſeiner Schulter das
ſchwere Chriſtuskindlein, und in ſeiner Hand als
Wanderſtab, einen ausgewachſenen Baumſtamm, mit
friſchen grünen Aeſten, der monatlich erneuert wurde.
Das Licht der hochhängenden Lampe umgab das
Kindlein wie mit einer Glorie und warf, wie ſeg-
nend, einzelne Strahlen herab auf den frommen
Rieſen.

Wenn ich den hieſigen katholiſchen Gottesdienſt
mit dem engliſch-proteſtantiſchen vergleiche, muß ich
dem erſteren unbedingt den Vorzug geben. Mögen
gleich einige Ceremonieen zu viel, und ſelbſt an’s
Burleske ſtreifend ſeyn, z. B. das Umherwerfen der
Räucherfäſſer, das fortwährende Anlegen anderer

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[151/0173] iſt gewiß einer der ſchönſten katholiſchen Gebräuche, daß gewiſſe Kirchen den Gläubigen bei Tag und bei Nacht für das Bedürfniß der Andacht ſtets offen ſtehen. In Italien begab ich mich faſt nie zur Ru- he, ohne vorher eine ſolche Kirche beſucht, und den wunderbaren Effekt betrachtet zu haben, den es her- vorbrachte, wenn in der Stille der Nacht die einzelne röthliche Lampe die hohen Gewölbe ſparſam und phantaſtiſch erleuchtete. Immer fand ich eine oder die andere betende einſame Geſtalt vor einem der Altäre hingeworfen, nur mit ihrem Gott und ſich beſchäftigt, ohne die mindeſte Rückſicht auf das zu nehmen, was um ſie her vorging. In einer dieſer Kirchen ſtand das Rieſenbild des heiligen Chriſtoph, an den mittelſten Pfeiler gelehnt, und mit dem Kopf an das Gewölbe ſtoßend; auf ſeiner Schulter das ſchwere Chriſtuskindlein, und in ſeiner Hand als Wanderſtab, einen ausgewachſenen Baumſtamm, mit friſchen grünen Aeſten, der monatlich erneuert wurde. Das Licht der hochhängenden Lampe umgab das Kindlein wie mit einer Glorie und warf, wie ſeg- nend, einzelne Strahlen herab auf den frommen Rieſen. Wenn ich den hieſigen katholiſchen Gottesdienſt mit dem engliſch-proteſtantiſchen vergleiche, muß ich dem erſteren unbedingt den Vorzug geben. Mögen gleich einige Ceremonieen zu viel, und ſelbſt an’s Burleske ſtreifend ſeyn, z. B. das Umherwerfen der Räucherfäſſer, das fortwährende Anlegen anderer

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/173>, abgerufen am 25.11.2024.