Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

Kleidungsstücke etc., so hat dieser Kultus doch eine
Art antiker Größe, welche imponirt und befriedigt.
Die Musik war vortrefflich, sehr gute Sänger, und
diese, was den Effekt ungemein vermehrte, unsicht-
bar. Einige Protestanten nennen das zwar eine
Bestechung der Sinne, ich kann aber nicht einsehen,
warum das Ohren zerreissende Geschrei einer un-
musikalischen lutherischen Gemeinde frömmer seyn
soll, als die Anhörung guter Musik, von Leuten aus-
geführt, die sie auszuführen gelernt haben. *)
Auch die Betrachtung des Inhalts der Predigt war
hier ganz zum Vortheil des katholischen Kultus.
Während die englisch-protestantische Gemeinde in
Tuam, als ich zugegen war, nur von Wundern,
Schweinen und bösen Geistern unterhalten wurde,
war hier die Lehre nur rein moralisch und praktisch.
Der Redner sprach hauptsächlich vom Neid, und sagte
unter anderm sehr treffend: Wollt Ihr wissen, ob
Ihr von diesem, der Menschenliebe so nachtheiligen,
und das Individuum selbst so erniedrigenden Laster
ganz frei seyd, so prüft Euch nur genau, ob Ihr nie,
bei der sich immer steigernden Prosperität eines An-
dern, ein unbehagliches Gefühl in Euch entdeckt, oder

*) Durch die Einführung der neuen Agende im König-
reich Preußen ist z. B. zur Verbesserung, ich möchte
fast sagen, Vermenschlichung, der Musik in den Kir-
chen, sehr viel gethan worden, und der Einfluß auf
die Gemeinden überall auch sehr wohlthätig gewesen.
A. d. H.

Kleidungsſtücke ꝛc., ſo hat dieſer Kultus doch eine
Art antiker Größe, welche imponirt und befriedigt.
Die Muſik war vortrefflich, ſehr gute Sänger, und
dieſe, was den Effekt ungemein vermehrte, unſicht-
bar. Einige Proteſtanten nennen das zwar eine
Beſtechung der Sinne, ich kann aber nicht einſehen,
warum das Ohren zerreiſſende Geſchrei einer un-
muſikaliſchen lutheriſchen Gemeinde frömmer ſeyn
ſoll, als die Anhörung guter Muſik, von Leuten aus-
geführt, die ſie auszuführen gelernt haben. *)
Auch die Betrachtung des Inhalts der Predigt war
hier ganz zum Vortheil des katholiſchen Kultus.
Während die engliſch-proteſtantiſche Gemeinde in
Tuam, als ich zugegen war, nur von Wundern,
Schweinen und böſen Geiſtern unterhalten wurde,
war hier die Lehre nur rein moraliſch und praktiſch.
Der Redner ſprach hauptſächlich vom Neid, und ſagte
unter anderm ſehr treffend: Wollt Ihr wiſſen, ob
Ihr von dieſem, der Menſchenliebe ſo nachtheiligen,
und das Individuum ſelbſt ſo erniedrigenden Laſter
ganz frei ſeyd, ſo prüft Euch nur genau, ob Ihr nie,
bei der ſich immer ſteigernden Prosperität eines An-
dern, ein unbehagliches Gefühl in Euch entdeckt, oder

*) Durch die Einführung der neuen Agende im König-
reich Preußen iſt z. B. zur Verbeſſerung, ich möchte
faſt ſagen, Vermenſchlichung, der Muſik in den Kir-
chen, ſehr viel gethan worden, und der Einfluß auf
die Gemeinden überall auch ſehr wohlthätig geweſen.
A. d. H.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0174" n="152"/>
Kleidungs&#x017F;tücke &#xA75B;c., &#x017F;o hat die&#x017F;er Kultus doch eine<lb/>
Art antiker Größe, welche imponirt und befriedigt.<lb/>
Die Mu&#x017F;ik war vortrefflich, &#x017F;ehr gute Sänger, und<lb/>
die&#x017F;e, was den Effekt ungemein vermehrte, un&#x017F;icht-<lb/>
bar. Einige Prote&#x017F;tanten nennen das zwar eine<lb/>
Be&#x017F;techung der Sinne, ich kann aber nicht ein&#x017F;ehen,<lb/>
warum das Ohren zerrei&#x017F;&#x017F;ende Ge&#x017F;chrei einer un-<lb/>
mu&#x017F;ikali&#x017F;chen lutheri&#x017F;chen Gemeinde <hi rendition="#g">frömmer</hi> &#x017F;eyn<lb/>
&#x017F;oll, als die Anhörung guter Mu&#x017F;ik, von Leuten aus-<lb/>
geführt, die &#x017F;ie auszuführen <hi rendition="#g">gelernt</hi> haben. <note place="foot" n="*)">Durch die Einführung der neuen Agende im König-<lb/>
reich Preußen i&#x017F;t z. B. zur Verbe&#x017F;&#x017F;erung, ich möchte<lb/>
fa&#x017F;t &#x017F;agen, Vermen&#x017F;chlichung, der Mu&#x017F;ik in den Kir-<lb/>
chen, &#x017F;ehr viel gethan worden, und der Einfluß auf<lb/>
die Gemeinden überall auch &#x017F;ehr wohlthätig gewe&#x017F;en.<lb/><hi rendition="#et">A. d. H.</hi></note><lb/>
Auch die Betrachtung des Inhalts der Predigt war<lb/>
hier ganz zum Vortheil des katholi&#x017F;chen Kultus.<lb/>
Während die engli&#x017F;ch-prote&#x017F;tanti&#x017F;che Gemeinde in<lb/>
Tuam, als ich zugegen war, nur von Wundern,<lb/>
Schweinen und bö&#x017F;en Gei&#x017F;tern unterhalten wurde,<lb/>
war hier die Lehre nur rein morali&#x017F;ch und prakti&#x017F;ch.<lb/>
Der Redner &#x017F;prach haupt&#x017F;ächlich vom Neid, und &#x017F;agte<lb/>
unter anderm &#x017F;ehr treffend: Wollt Ihr wi&#x017F;&#x017F;en, ob<lb/>
Ihr von die&#x017F;em, der Men&#x017F;chenliebe &#x017F;o nachtheiligen,<lb/>
und das Individuum &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;o erniedrigenden La&#x017F;ter<lb/>
ganz frei &#x017F;eyd, &#x017F;o prüft Euch nur genau, ob Ihr nie,<lb/>
bei der &#x017F;ich immer &#x017F;teigernden Prosperität eines An-<lb/>
dern, ein unbehagliches Gefühl in Euch entdeckt, oder</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0174] Kleidungsſtücke ꝛc., ſo hat dieſer Kultus doch eine Art antiker Größe, welche imponirt und befriedigt. Die Muſik war vortrefflich, ſehr gute Sänger, und dieſe, was den Effekt ungemein vermehrte, unſicht- bar. Einige Proteſtanten nennen das zwar eine Beſtechung der Sinne, ich kann aber nicht einſehen, warum das Ohren zerreiſſende Geſchrei einer un- muſikaliſchen lutheriſchen Gemeinde frömmer ſeyn ſoll, als die Anhörung guter Muſik, von Leuten aus- geführt, die ſie auszuführen gelernt haben. *) Auch die Betrachtung des Inhalts der Predigt war hier ganz zum Vortheil des katholiſchen Kultus. Während die engliſch-proteſtantiſche Gemeinde in Tuam, als ich zugegen war, nur von Wundern, Schweinen und böſen Geiſtern unterhalten wurde, war hier die Lehre nur rein moraliſch und praktiſch. Der Redner ſprach hauptſächlich vom Neid, und ſagte unter anderm ſehr treffend: Wollt Ihr wiſſen, ob Ihr von dieſem, der Menſchenliebe ſo nachtheiligen, und das Individuum ſelbſt ſo erniedrigenden Laſter ganz frei ſeyd, ſo prüft Euch nur genau, ob Ihr nie, bei der ſich immer ſteigernden Prosperität eines An- dern, ein unbehagliches Gefühl in Euch entdeckt, oder *) Durch die Einführung der neuen Agende im König- reich Preußen iſt z. B. zur Verbeſſerung, ich möchte faſt ſagen, Vermenſchlichung, der Muſik in den Kir- chen, ſehr viel gethan worden, und der Einfluß auf die Gemeinden überall auch ſehr wohlthätig geweſen. A. d. H.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/174
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/174>, abgerufen am 22.11.2024.