Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

findet kein Erbarmen, wenigstens hinsichtlich der Ka-
tholiken, statt. Wer den protestantischen Geistlichen
den Decem oder die Pacht des Kirchenlandes nicht
zahlen kann, sieht unabänderlich seine Kuh und Schwein
(Meubles, Betten etc. hat er schon längst nicht mehr)
verkaufen, und sich selbst nebst Frau, und gelegent-
lich ein Dutzend Kindern, (car rien n'engendre com-
me les pommes de terre et la misere
) auf die
Straße gestoßen, wo er der Gnade Gottes überlassen
bleibt, der die Vögel nährt und die Lilien kleidet.
Quelle excellente chose qu'une religion d'etat! So
lange dergleichen noch existiren, und nicht, wie in den
vereinigten Staaten, Jedem erlaubt ist, Gott auf die
ihm beliebige Art zu verehren, ohne des halb sich
im bürgerlichen Leben zurückgesetzt zu
sehen
-- so lange hat auch das Zeitalter der Bar-
barei noch nicht aufgehört. Einst muß im Staat das
Gesetz allein regieren, wie in der Natur. Reli-
gion wird Trost im Unglück, und noch höhere Stei-
gerung des Glücks, nach wie vor, gewähren, aber
herrschen und regieren darf sie nicht. Nur das Ge-
setz übe unabänderlichen Zwang, überall sonst aber
walte unbeschränkte Freiheit. Dies kann der ge-
bildete Theil der Menschheit auf der Stufe fordern,
auf welcher er angelangt ist, und die er durch so viel
Blut und Jammer erkauft hat. Welcher Wahnsinn,
den Menschen vorschreiben zu wollen, was selbst nach
ihrem Tode aus ihnen werden, oder was sie darüber
glauben sollen? Schlimm genug, daß hier auf Erden
die besten Institutionen, selbst die weisesten Gesetze,

findet kein Erbarmen, wenigſtens hinſichtlich der Ka-
tholiken, ſtatt. Wer den proteſtantiſchen Geiſtlichen
den Decem oder die Pacht des Kirchenlandes nicht
zahlen kann, ſieht unabänderlich ſeine Kuh und Schwein
(Meubles, Betten ꝛc. hat er ſchon längſt nicht mehr)
verkaufen, und ſich ſelbſt nebſt Frau, und gelegent-
lich ein Dutzend Kindern, (car rien n’engendre com-
me les pommes de terre et la misère
) auf die
Straße geſtoßen, wo er der Gnade Gottes überlaſſen
bleibt, der die Vögel nährt und die Lilien kleidet.
Quelle excellente chose qu’une religion d’etat! So
lange dergleichen noch exiſtiren, und nicht, wie in den
vereinigten Staaten, Jedem erlaubt iſt, Gott auf die
ihm beliebige Art zu verehren, ohne des halb ſich
im bürgerlichen Leben zurückgeſetzt zu
ſehen
— ſo lange hat auch das Zeitalter der Bar-
barei noch nicht aufgehört. Einſt muß im Staat das
Geſetz allein regieren, wie in der Natur. Reli-
gion wird Troſt im Unglück, und noch höhere Stei-
gerung des Glücks, nach wie vor, gewähren, aber
herrſchen und regieren darf ſie nicht. Nur das Ge-
ſetz übe unabänderlichen Zwang, überall ſonſt aber
walte unbeſchränkte Freiheit. Dies kann der ge-
bildete Theil der Menſchheit auf der Stufe fordern,
auf welcher er angelangt iſt, und die er durch ſo viel
Blut und Jammer erkauft hat. Welcher Wahnſinn,
den Menſchen vorſchreiben zu wollen, was ſelbſt nach
ihrem Tode aus ihnen werden, oder was ſie darüber
glauben ſollen? Schlimm genug, daß hier auf Erden
die beſten Inſtitutionen, ſelbſt die weiſeſten Geſetze,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0122" n="100"/>
findet kein Erbarmen, wenig&#x017F;tens hin&#x017F;ichtlich der Ka-<lb/>
tholiken, &#x017F;tatt. Wer den prote&#x017F;tanti&#x017F;chen Gei&#x017F;tlichen<lb/>
den Decem oder die Pacht des Kirchenlandes nicht<lb/>
zahlen kann, &#x017F;ieht unabänderlich &#x017F;eine Kuh und Schwein<lb/>
(Meubles, Betten &#xA75B;c. hat er &#x017F;chon läng&#x017F;t nicht mehr)<lb/>
verkaufen, und &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t neb&#x017F;t Frau, und gelegent-<lb/>
lich ein Dutzend Kindern, (<hi rendition="#aq">car rien n&#x2019;engendre com-<lb/>
me les pommes de terre et la misère</hi>) auf die<lb/>
Straße ge&#x017F;toßen, wo er der Gnade Gottes überla&#x017F;&#x017F;en<lb/>
bleibt, der die Vögel <choice><sic>na&#x0307;hrt</sic><corr>nährt</corr></choice> und die Lilien kleidet.<lb/><hi rendition="#aq">Quelle excellente chose qu&#x2019;une religion d&#x2019;etat!</hi> So<lb/>
lange dergleichen noch exi&#x017F;tiren, und nicht, wie in den<lb/>
vereinigten Staaten, Jedem erlaubt i&#x017F;t, Gott auf die<lb/>
ihm beliebige Art zu verehren, <hi rendition="#g">ohne des halb &#x017F;ich<lb/>
im bürgerlichen Leben zurückge&#x017F;etzt zu<lb/>
&#x017F;ehen</hi> &#x2014; &#x017F;o lange hat auch das Zeitalter der Bar-<lb/>
barei noch nicht aufgehört. Ein&#x017F;t muß im Staat das<lb/><hi rendition="#g">Ge&#x017F;etz allein</hi> regieren, wie in der Natur. Reli-<lb/>
gion wird Tro&#x017F;t im Unglück, und noch höhere Stei-<lb/>
gerung des Glücks, nach wie vor, gewähren, aber<lb/>
herr&#x017F;chen und regieren darf &#x017F;ie nicht. Nur das Ge-<lb/>
&#x017F;etz übe unabänderlichen <hi rendition="#g">Zwang,</hi> überall &#x017F;on&#x017F;t aber<lb/>
walte <choice><sic>unbe&#x017F;chra&#x0307;nkte</sic><corr>unbe&#x017F;chränkte</corr></choice> <hi rendition="#g">Freiheit</hi>. Dies kann der ge-<lb/>
bildete Theil der Men&#x017F;chheit auf <hi rendition="#g">der</hi> Stufe fordern,<lb/>
auf welcher er angelangt i&#x017F;t, und die er durch &#x017F;o viel<lb/>
Blut und Jammer erkauft hat. Welcher Wahn&#x017F;inn,<lb/>
den Men&#x017F;chen vor&#x017F;chreiben zu wollen, was &#x017F;elb&#x017F;t nach<lb/>
ihrem Tode aus ihnen werden, oder was &#x017F;ie darüber<lb/>
glauben &#x017F;ollen? Schlimm genug, daß hier auf Erden<lb/>
die be&#x017F;ten In&#x017F;titutionen, &#x017F;elb&#x017F;t die wei&#x017F;e&#x017F;ten Ge&#x017F;etze,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[100/0122] findet kein Erbarmen, wenigſtens hinſichtlich der Ka- tholiken, ſtatt. Wer den proteſtantiſchen Geiſtlichen den Decem oder die Pacht des Kirchenlandes nicht zahlen kann, ſieht unabänderlich ſeine Kuh und Schwein (Meubles, Betten ꝛc. hat er ſchon längſt nicht mehr) verkaufen, und ſich ſelbſt nebſt Frau, und gelegent- lich ein Dutzend Kindern, (car rien n’engendre com- me les pommes de terre et la misère) auf die Straße geſtoßen, wo er der Gnade Gottes überlaſſen bleibt, der die Vögel nährt und die Lilien kleidet. Quelle excellente chose qu’une religion d’etat! So lange dergleichen noch exiſtiren, und nicht, wie in den vereinigten Staaten, Jedem erlaubt iſt, Gott auf die ihm beliebige Art zu verehren, ohne des halb ſich im bürgerlichen Leben zurückgeſetzt zu ſehen — ſo lange hat auch das Zeitalter der Bar- barei noch nicht aufgehört. Einſt muß im Staat das Geſetz allein regieren, wie in der Natur. Reli- gion wird Troſt im Unglück, und noch höhere Stei- gerung des Glücks, nach wie vor, gewähren, aber herrſchen und regieren darf ſie nicht. Nur das Ge- ſetz übe unabänderlichen Zwang, überall ſonſt aber walte unbeſchränkte Freiheit. Dies kann der ge- bildete Theil der Menſchheit auf der Stufe fordern, auf welcher er angelangt iſt, und die er durch ſo viel Blut und Jammer erkauft hat. Welcher Wahnſinn, den Menſchen vorſchreiben zu wollen, was ſelbſt nach ihrem Tode aus ihnen werden, oder was ſie darüber glauben ſollen? Schlimm genug, daß hier auf Erden die beſten Inſtitutionen, ſelbſt die weiſeſten Geſetze,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/122
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/122>, abgerufen am 27.11.2024.