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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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Notiz nimmt, noch außerdem unterhalten müssen,
ein Hauptgrund der bodenlosen Armuth des Volks
Wie unverträglich muß dies schon in einem Lande
wie Irland erscheinen, wo mehr als Zweidrittel der
Einwohner im Allgemeinen, der katholischen Reli-
gion mit dem größten Eifer zugethan sind. Im Süden
ist das Verhältniß jedoch noch viel ungleicher. In der
Grafschaft Tipperary befinden sich ohngefähr 400,000
Katholiken und nur 10,000 Protestanten. Demohn-
geachtet kostet den Einwohnern die protestantische
Geistlichkeit jährlich folgende Summen: 1) Der Erz-
bischof 25,000 Lst.; 2) der Dean 4000; 3) für ohn-
gefähr fünfzig pariches (Pfarren) im Durchschnitt jede
1500 Lst., welche Ausgaben fast alle den Katholiken
allein zur Last fallen. Die meisten dieser Pfründer
leben gar nicht einmal in Irland, sondern stellen
arme Teufel mit 40 -- 50 Lst. jährlich hier an (die
berühmten Vicar's) die ihre Geschäfte verrichten;
eine Sache die bald abgethan ist, da es hier Ge-
meinden giebt, die nicht mehr als zehn Mitglieder
zählen, ja in einer parich gar kein Protestant
vorhanden ist -- auch keine Kirche, sondern nur eine
alte Ruine, wo jährlich die farce einer Predigt für
leere Wände abgespielt wird, und wobei ein ge-
mietheter Katholik
den Küsterdienst versieht!
Während dem tritt der Geistliche Jahr aus Jahr
ein das Londner und Pariser Pflaster, und führt ein
so ungeistliches Leben als möglich. So las ich z. B.
noch neulich in einer englischen Zeitung selbst, daß
ein englischer Geistlicher in Boulogne, eine große

Notiz nimmt, noch außerdem unterhalten müſſen,
ein Hauptgrund der bodenloſen Armuth des Volks
Wie unverträglich muß dies ſchon in einem Lande
wie Irland erſcheinen, wo mehr als Zweidrittel der
Einwohner im Allgemeinen, der katholiſchen Reli-
gion mit dem größten Eifer zugethan ſind. Im Süden
iſt das Verhältniß jedoch noch viel ungleicher. In der
Grafſchaft Tipperary befinden ſich ohngefähr 400,000
Katholiken und nur 10,000 Proteſtanten. Demohn-
geachtet koſtet den Einwohnern die proteſtantiſche
Geiſtlichkeit jährlich folgende Summen: 1) Der Erz-
biſchof 25,000 Lſt.; 2) der Dean 4000; 3) für ohn-
gefähr fünfzig pariches (Pfarren) im Durchſchnitt jede
1500 Lſt., welche Ausgaben faſt alle den Katholiken
allein zur Laſt fallen. Die meiſten dieſer Pfründer
leben gar nicht einmal in Irland, ſondern ſtellen
arme Teufel mit 40 — 50 Lſt. jährlich hier an (die
berühmten Vicar’s) die ihre Geſchäfte verrichten;
eine Sache die bald abgethan iſt, da es hier Ge-
meinden giebt, die nicht mehr als zehn Mitglieder
zählen, ja in einer parich gar kein Proteſtant
vorhanden iſt — auch keine Kirche, ſondern nur eine
alte Ruine, wo jährlich die farce einer Predigt für
leere Wände abgeſpielt wird, und wobei ein ge-
mietheter Katholik
den Küſterdienſt verſieht!
Während dem tritt der Geiſtliche Jahr aus Jahr
ein das Londner und Pariſer Pflaſter, und führt ein
ſo ungeiſtliches Leben als möglich. So las ich z. B.
noch neulich in einer engliſchen Zeitung ſelbſt, daß
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[87/0109] Notiz nimmt, noch außerdem unterhalten müſſen, ein Hauptgrund der bodenloſen Armuth des Volks Wie unverträglich muß dies ſchon in einem Lande wie Irland erſcheinen, wo mehr als Zweidrittel der Einwohner im Allgemeinen, der katholiſchen Reli- gion mit dem größten Eifer zugethan ſind. Im Süden iſt das Verhältniß jedoch noch viel ungleicher. In der Grafſchaft Tipperary befinden ſich ohngefähr 400,000 Katholiken und nur 10,000 Proteſtanten. Demohn- geachtet koſtet den Einwohnern die proteſtantiſche Geiſtlichkeit jährlich folgende Summen: 1) Der Erz- biſchof 25,000 Lſt.; 2) der Dean 4000; 3) für ohn- gefähr fünfzig pariches (Pfarren) im Durchſchnitt jede 1500 Lſt., welche Ausgaben faſt alle den Katholiken allein zur Laſt fallen. Die meiſten dieſer Pfründer leben gar nicht einmal in Irland, ſondern ſtellen arme Teufel mit 40 — 50 Lſt. jährlich hier an (die berühmten Vicar’s) die ihre Geſchäfte verrichten; eine Sache die bald abgethan iſt, da es hier Ge- meinden giebt, die nicht mehr als zehn Mitglieder zählen, ja in einer parich gar kein Proteſtant vorhanden iſt — auch keine Kirche, ſondern nur eine alte Ruine, wo jährlich die farce einer Predigt für leere Wände abgeſpielt wird, und wobei ein ge- mietheter Katholik den Küſterdienſt verſieht! Während dem tritt der Geiſtliche Jahr aus Jahr ein das Londner und Pariſer Pflaſter, und führt ein ſo ungeiſtliches Leben als möglich. So las ich z. B. noch neulich in einer engliſchen Zeitung ſelbſt, daß ein engliſcher Geiſtlicher in Boulogne, eine große

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/109>, abgerufen am 27.04.2024.