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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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4., Als ich dem Juden Abraham meinen schon
zweimal prolongirten Wechsel, mit alterum
tantum
endlich bezahlen mußte.

Es hat mich der Zweifel beunruhigt, ob die Juden
wirklich bis an der Welt Ende bestehen, und so wie
jetzt, vom Fluche getroffen, zerstreut und gedrückt auf
Erden leben, und uns deshalb, fortwährend so sehr
werden prellen müssen!

Doch, ist dieser Zweifel nicht schon Sünde, da es
so in vielen heiligen Büchern steht? Ueberdies geht
ja von unserm Lande, wo von jeher die größte Auf-
klärung herrschte, auch jetzo wiederum die Bekehrung
dieser unglücklichen Verirrten aus. Ach hier drängt
mich ein neuer banger Zweifel! Werden auch gewiß
einst alle Bewohner der Erde Christen heißen? Es
ist zwar so verlündet, aber neulich stieß ich bei mei-
nen gelehrten Studien auf eine Berechnung, die mir
zu meinem wahren Schrecken zeigte, daß es überhaupt
unter 800 Millionen Menschen bis jetzt nur noch et-
was über 200 Millionen giebt, welche sich nach dem
wahren Namen nennen. Hoffentlich werden indeß die
braven Bibelgesellschaften das Ihrige thun und nicht
ermüden. Den Engländern muß es aber doch noch
nicht rechter Ernst damit seyn, da sie in Indien fast
noch keinen Einzigen bekehrt haben. Die mögen wohl,
wie gewöhnlich, nur politische Zwecke damit verbin-
den *). Uebrigens las ich neulich von einem Missio-

*) Um dem Scherz ein ernstes Wort hinzuzufügen, möchte
ich hier fragen: Wer ehrt nicht die menschenfreundli-
4., Als ich dem Juden Abraham meinen ſchon
zweimal prolongirten Wechſel, mit alterum
tantum
endlich bezahlen mußte.

Es hat mich der Zweifel beunruhigt, ob die Juden
wirklich bis an der Welt Ende beſtehen, und ſo wie
jetzt, vom Fluche getroffen, zerſtreut und gedrückt auf
Erden leben, und uns deshalb, fortwährend ſo ſehr
werden prellen müſſen!

Doch, iſt dieſer Zweifel nicht ſchon Sünde, da es
ſo in vielen heiligen Büchern ſteht? Ueberdies geht
ja von unſerm Lande, wo von jeher die größte Auf-
klärung herrſchte, auch jetzo wiederum die Bekehrung
dieſer unglücklichen Verirrten aus. Ach hier drängt
mich ein neuer banger Zweifel! Werden auch gewiß
einſt alle Bewohner der Erde Chriſten heißen? Es
iſt zwar ſo verlündet, aber neulich ſtieß ich bei mei-
nen gelehrten Studien auf eine Berechnung, die mir
zu meinem wahren Schrecken zeigte, daß es überhaupt
unter 800 Millionen Menſchen bis jetzt nur noch et-
was über 200 Millionen giebt, welche ſich nach dem
wahren Namen nennen. Hoffentlich werden indeß die
braven Bibelgeſellſchaften das Ihrige thun und nicht
ermüden. Den Engländern muß es aber doch noch
nicht rechter Ernſt damit ſeyn, da ſie in Indien faſt
noch keinen Einzigen bekehrt haben. Die mögen wohl,
wie gewöhnlich, nur politiſche Zwecke damit verbin-
den *). Uebrigens las ich neulich von einem Miſſio-

*) Um dem Scherz ein ernſtes Wort hinzuzufügen, möchte
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[52/0076] 4., Als ich dem Juden Abraham meinen ſchon zweimal prolongirten Wechſel, mit alterum tantum endlich bezahlen mußte. Es hat mich der Zweifel beunruhigt, ob die Juden wirklich bis an der Welt Ende beſtehen, und ſo wie jetzt, vom Fluche getroffen, zerſtreut und gedrückt auf Erden leben, und uns deshalb, fortwährend ſo ſehr werden prellen müſſen! Doch, iſt dieſer Zweifel nicht ſchon Sünde, da es ſo in vielen heiligen Büchern ſteht? Ueberdies geht ja von unſerm Lande, wo von jeher die größte Auf- klärung herrſchte, auch jetzo wiederum die Bekehrung dieſer unglücklichen Verirrten aus. Ach hier drängt mich ein neuer banger Zweifel! Werden auch gewiß einſt alle Bewohner der Erde Chriſten heißen? Es iſt zwar ſo verlündet, aber neulich ſtieß ich bei mei- nen gelehrten Studien auf eine Berechnung, die mir zu meinem wahren Schrecken zeigte, daß es überhaupt unter 800 Millionen Menſchen bis jetzt nur noch et- was über 200 Millionen giebt, welche ſich nach dem wahren Namen nennen. Hoffentlich werden indeß die braven Bibelgeſellſchaften das Ihrige thun und nicht ermüden. Den Engländern muß es aber doch noch nicht rechter Ernſt damit ſeyn, da ſie in Indien faſt noch keinen Einzigen bekehrt haben. Die mögen wohl, wie gewöhnlich, nur politiſche Zwecke damit verbin- den *). Uebrigens las ich neulich von einem Miſſio- *) Um dem Scherz ein ernſtes Wort hinzuzufügen, möchte ich hier fragen: Wer ehrt nicht die menſchenfreundli-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/76>, abgerufen am 28.11.2024.