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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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dem flüssigen Element umher, mich gewissermaßen in
das Seelenvergnügen einer Ente versetzend. Der Be-
weglichkeit meiner Phantasie ist, wie Du weißt, nichts
der Art unmöglich; wie aber das Wetter immer fin-
sterer und wilder ward, nahm auch meine Stimmung
allmählig einen immer unheimlicheren, ja ich möchte
fast sagen, höhnischen, modern diabolischen Charak-
ter an. Der Aberglaube der Berge umfing mich, ich
konnte ihm nicht länger widerstehen, dachte fortan
nur an Rübezahl, den böhmischen Jäger, die Fairie's
und den Bösen, an Beschwörungsformeln und Er-
scheinungen, so daß mir immer gespenstiger zu Muth
ward, und ich mich zuletzt lautdenkend ausrufen hörte:
Warum sollte mir der Teufel nicht eben so gut als
andern ehrlichen Leuten erscheinen können? Mit die-
sen Worten war ich auf der höchsten Spitze des stei-
len Berges angekommen. Das Unwetter hatte jetzt
seinen höchsten Grad erreicht, der Sturm heulte
fürchterlich, Wasser goß in Fluthen vom Himmel, und
der tiefe Felsenkessel, unter mir, erschien, wie hinter
schwarzen Vorhängen nur augenblicklich auftauchend,
dann wieder verschwindend in den rollenden Nebeln
und der einbrechenden Dämmerung. Da fiel mir
jene Beschwörungsformel ein, nach welcher, wenn
man sich dreimal laut lachend in einer Kirche um
Mitternacht selbst gerufen, eine Erscheinung verheißen
wird, die Niemand auszuhalten im Stande seyn soll.
Was in einer Kirche um Mitternacht statt findet,
dachte ich, mag hier im Aufruhr der Elemente, in der

Briefe eines Verstorbenen. I. 21

dem flüſſigen Element umher, mich gewiſſermaßen in
das Seelenvergnügen einer Ente verſetzend. Der Be-
weglichkeit meiner Phantaſie iſt, wie Du weißt, nichts
der Art unmöglich; wie aber das Wetter immer fin-
ſterer und wilder ward, nahm auch meine Stimmung
allmählig einen immer unheimlicheren, ja ich möchte
faſt ſagen, höhniſchen, modern diaboliſchen Charak-
ter an. Der Aberglaube der Berge umfing mich, ich
konnte ihm nicht länger widerſtehen, dachte fortan
nur an Rübezahl, den böhmiſchen Jäger, die Fairie’s
und den Böſen, an Beſchwörungsformeln und Er-
ſcheinungen, ſo daß mir immer geſpenſtiger zu Muth
ward, und ich mich zuletzt lautdenkend ausrufen hörte:
Warum ſollte mir der Teufel nicht eben ſo gut als
andern ehrlichen Leuten erſcheinen können? Mit die-
ſen Worten war ich auf der höchſten Spitze des ſtei-
len Berges angekommen. Das Unwetter hatte jetzt
ſeinen höchſten Grad erreicht, der Sturm heulte
fürchterlich, Waſſer goß in Fluthen vom Himmel, und
der tiefe Felſenkeſſel, unter mir, erſchien, wie hinter
ſchwarzen Vorhängen nur augenblicklich auftauchend,
dann wieder verſchwindend in den rollenden Nebeln
und der einbrechenden Dämmerung. Da fiel mir
jene Beſchwörungsformel ein, nach welcher, wenn
man ſich dreimal laut lachend in einer Kirche um
Mitternacht ſelbſt gerufen, eine Erſcheinung verheißen
wird, die Niemand auszuhalten im Stande ſeyn ſoll.
Was in einer Kirche um Mitternacht ſtatt findet,
dachte ich, mag hier im Aufruhr der Elemente, in der

Briefe eines Verſtorbenen. I. 21
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[321/0345] dem flüſſigen Element umher, mich gewiſſermaßen in das Seelenvergnügen einer Ente verſetzend. Der Be- weglichkeit meiner Phantaſie iſt, wie Du weißt, nichts der Art unmöglich; wie aber das Wetter immer fin- ſterer und wilder ward, nahm auch meine Stimmung allmählig einen immer unheimlicheren, ja ich möchte faſt ſagen, höhniſchen, modern diaboliſchen Charak- ter an. Der Aberglaube der Berge umfing mich, ich konnte ihm nicht länger widerſtehen, dachte fortan nur an Rübezahl, den böhmiſchen Jäger, die Fairie’s und den Böſen, an Beſchwörungsformeln und Er- ſcheinungen, ſo daß mir immer geſpenſtiger zu Muth ward, und ich mich zuletzt lautdenkend ausrufen hörte: Warum ſollte mir der Teufel nicht eben ſo gut als andern ehrlichen Leuten erſcheinen können? Mit die- ſen Worten war ich auf der höchſten Spitze des ſtei- len Berges angekommen. Das Unwetter hatte jetzt ſeinen höchſten Grad erreicht, der Sturm heulte fürchterlich, Waſſer goß in Fluthen vom Himmel, und der tiefe Felſenkeſſel, unter mir, erſchien, wie hinter ſchwarzen Vorhängen nur augenblicklich auftauchend, dann wieder verſchwindend in den rollenden Nebeln und der einbrechenden Dämmerung. Da fiel mir jene Beſchwörungsformel ein, nach welcher, wenn man ſich dreimal laut lachend in einer Kirche um Mitternacht ſelbſt gerufen, eine Erſcheinung verheißen wird, die Niemand auszuhalten im Stande ſeyn ſoll. Was in einer Kirche um Mitternacht ſtatt findet, dachte ich, mag hier im Aufruhr der Elemente, in der Briefe eines Verſtorbenen. I. 21

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/345>, abgerufen am 05.12.2024.