Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

Reisenden, und als sie endlich Gallways Hafen er-
blickten, glaubte der alte Lynch nicht nur, daß ihm
Gott auf dieser Reise einen zweiten Sohn geschenkt,
sondern rechnete auch mit Zuversicht darauf, daß die
nie sich verläugnende Sanftmuth und Milde des
liebenswürdigen Jünglings, den heilsamsten Einfluß
auf die wilderen und dunkleren Eigenschaften seines
Eduards ausüben würden.

Diese Hoffnung schien auch durchgängig in Erfül-
lung zu gehen.

Edward, der in Gomez Alles fand, was ihm
fehlte, fühlte dadurch seine eigne Natur wie vervoll-
ständigt, und da er ihn überdieß, nach den Eröffnun-
gen des Vaters, schon als seinen Bruder ansah, ge-
wann ihre Freundschaft bald das Ansehn der innig-
sten und unzertrennlichsten Neigung.

Doch schon nach wenig Monden trübten in Ed-
wards Seele unangenehme Empfindungen diese frühere
Harmonie, Gonzalvo war unterdeß der Gemahl sei-
ner Schwester geworden, hatte aber seine Rückreise
auf unbestimmte Zeit verschoben. Alles trug ihn auf
den Händen, jeder beeiferte sich, ihm zuvorkommende
Liebe zu zeigen. Edward schien sich nicht so glück-
lich -- zum erstenmal vernachlässigt, konnte er sich
nicht verbergen, in seiner allgemeinen Popularität
einen gefährlichen Nebenbuhler gefunden zu haben --
was ihn aber weit mehr erschütterte, sein Herz eben
so sehr verwundete, als es seiner Gefühle -- uner-

Briefe eines Verstorbenen. I. 18

Reiſenden, und als ſie endlich Gallways Hafen er-
blickten, glaubte der alte Lynch nicht nur, daß ihm
Gott auf dieſer Reiſe einen zweiten Sohn geſchenkt,
ſondern rechnete auch mit Zuverſicht darauf, daß die
nie ſich verläugnende Sanftmuth und Milde des
liebenswürdigen Jünglings, den heilſamſten Einfluß
auf die wilderen und dunkleren Eigenſchaften ſeines
Eduards ausüben würden.

Dieſe Hoffnung ſchien auch durchgängig in Erfül-
lung zu gehen.

Edward, der in Gomez Alles fand, was ihm
fehlte, fühlte dadurch ſeine eigne Natur wie vervoll-
ſtändigt, und da er ihn überdieß, nach den Eröffnun-
gen des Vaters, ſchon als ſeinen Bruder anſah, ge-
wann ihre Freundſchaft bald das Anſehn der innig-
ſten und unzertrennlichſten Neigung.

Doch ſchon nach wenig Monden trübten in Ed-
wards Seele unangenehme Empfindungen dieſe frühere
Harmonie, Gonzalvo war unterdeß der Gemahl ſei-
ner Schweſter geworden, hatte aber ſeine Rückreiſe
auf unbeſtimmte Zeit verſchoben. Alles trug ihn auf
den Händen, jeder beeiferte ſich, ihm zuvorkommende
Liebe zu zeigen. Edward ſchien ſich nicht ſo glück-
lich — zum erſtenmal vernachläſſigt, konnte er ſich
nicht verbergen, in ſeiner allgemeinen Popularität
einen gefährlichen Nebenbuhler gefunden zu haben —
was ihn aber weit mehr erſchütterte, ſein Herz eben
ſo ſehr verwundete, als es ſeiner Gefühle — uner-

Briefe eines Verſtorbenen. I. 18
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0297" n="273"/>
Rei&#x017F;enden, und als &#x017F;ie endlich Gallways Hafen er-<lb/>
blickten, glaubte der alte Lynch nicht nur, daß ihm<lb/>
Gott auf die&#x017F;er Rei&#x017F;e einen zweiten Sohn ge&#x017F;chenkt,<lb/>
&#x017F;ondern rechnete auch mit Zuver&#x017F;icht darauf, daß die<lb/>
nie &#x017F;ich verläugnende Sanftmuth und Milde des<lb/>
liebenswürdigen Jünglings, den heil&#x017F;am&#x017F;ten Einfluß<lb/>
auf die wilderen und dunkleren Eigen&#x017F;chaften &#x017F;eines<lb/>
Eduards ausüben würden.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e Hoffnung &#x017F;chien auch durchgängig in Erfül-<lb/>
lung zu gehen.</p><lb/>
          <p>Edward, der in Gomez Alles fand, was ihm<lb/>
fehlte, fühlte dadurch &#x017F;eine eigne Natur wie vervoll-<lb/><choice><sic>&#x017F;ta&#x0307;ndigt</sic><corr>&#x017F;tändigt</corr></choice>, und da er ihn überdieß, nach den Eröffnun-<lb/>
gen des Vaters, &#x017F;chon als &#x017F;einen Bruder an&#x017F;ah, ge-<lb/>
wann ihre Freund&#x017F;chaft bald das An&#x017F;ehn der innig-<lb/>
&#x017F;ten und unzertrennlich&#x017F;ten Neigung.</p><lb/>
          <p>Doch &#x017F;chon nach wenig Monden trübten in Ed-<lb/>
wards Seele unangenehme Empfindungen die&#x017F;e frühere<lb/>
Harmonie, Gonzalvo war unterdeß der Gemahl &#x017F;ei-<lb/>
ner Schwe&#x017F;ter geworden, hatte aber &#x017F;eine Rückrei&#x017F;e<lb/>
auf unbe&#x017F;timmte Zeit ver&#x017F;choben. Alles trug ihn auf<lb/>
den Händen, jeder beeiferte &#x017F;ich, ihm zuvorkommende<lb/>
Liebe zu zeigen. Edward &#x017F;chien &#x017F;ich nicht &#x017F;o glück-<lb/>
lich &#x2014; zum er&#x017F;tenmal vernachlä&#x017F;&#x017F;igt, konnte er &#x017F;ich<lb/>
nicht verbergen, in &#x017F;einer allgemeinen Popularität<lb/>
einen <choice><sic>gefa&#x0307;hrlichen</sic><corr>gefährlichen</corr></choice> Nebenbuhler gefunden zu haben &#x2014;<lb/>
was ihn aber weit mehr er&#x017F;chütterte, &#x017F;ein Herz eben<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ehr verwundete, als es &#x017F;einer Gefühle &#x2014; uner-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Briefe eines Ver&#x017F;torbenen. <hi rendition="#aq">I.</hi> 18</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[273/0297] Reiſenden, und als ſie endlich Gallways Hafen er- blickten, glaubte der alte Lynch nicht nur, daß ihm Gott auf dieſer Reiſe einen zweiten Sohn geſchenkt, ſondern rechnete auch mit Zuverſicht darauf, daß die nie ſich verläugnende Sanftmuth und Milde des liebenswürdigen Jünglings, den heilſamſten Einfluß auf die wilderen und dunkleren Eigenſchaften ſeines Eduards ausüben würden. Dieſe Hoffnung ſchien auch durchgängig in Erfül- lung zu gehen. Edward, der in Gomez Alles fand, was ihm fehlte, fühlte dadurch ſeine eigne Natur wie vervoll- ſtändigt, und da er ihn überdieß, nach den Eröffnun- gen des Vaters, ſchon als ſeinen Bruder anſah, ge- wann ihre Freundſchaft bald das Anſehn der innig- ſten und unzertrennlichſten Neigung. Doch ſchon nach wenig Monden trübten in Ed- wards Seele unangenehme Empfindungen dieſe frühere Harmonie, Gonzalvo war unterdeß der Gemahl ſei- ner Schweſter geworden, hatte aber ſeine Rückreiſe auf unbeſtimmte Zeit verſchoben. Alles trug ihn auf den Händen, jeder beeiferte ſich, ihm zuvorkommende Liebe zu zeigen. Edward ſchien ſich nicht ſo glück- lich — zum erſtenmal vernachläſſigt, konnte er ſich nicht verbergen, in ſeiner allgemeinen Popularität einen gefährlichen Nebenbuhler gefunden zu haben — was ihn aber weit mehr erſchütterte, ſein Herz eben ſo ſehr verwundete, als es ſeiner Gefühle — uner- Briefe eines Verſtorbenen. I. 18

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/297
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/297>, abgerufen am 26.11.2024.