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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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trägliche, und rastlose Qualen bereitete, war die Be-
merkung, die jeden Tag einen neuen Zuwachs er-
hielt: daß Anna, die er als die Seine ansah, ob-
gleich sie dies zu erklären noch immer zögerte -- daß
seine Anna, seit der Ankunft des schönen Fremden,
immer kälter gegen ihn geworden, -- ja schien es
ihm nicht, als habe er selbst schon in unbewachten
Augenblicken ihr seelenvolles Auge gedankenschwer
auf Gomez holden Zügen ruhen, und ihre vorher
blassen Wangen dann in sanfter Röthe erblühen sehen,
-- traf aber sein Blick den ihrigen in solchen Mo-
menten, dann war das Rosenroth sogleich zur Fie-
berglut geworden. Ja gewiß, ihr ganzes Benehmen
war verändert! Unregelmäßig, launig, ohne Ruhe,
bald von tiefer Schwermuth ergriffen, bald sich mit
Wildheit ausgelassener Lustigkeit hingebend, schien
sie von dem besonnenen, klaren, stets gleich freund-
lichen Mädchen, das sie früher war, nur noch die
äußern Züge beibehalten zu haben. Alles verrieth
dem scharfsehenden Auge der Eifersucht, daß eine
tiefe Leidenschaft sie ergriffen, und für wen konnte
sie glühen -- als für Gomez? für ihn, der allein,
er mochte kommen oder gehen, den Saiten ihrer
Seele die veränderte Stimmung gab.

Ein alter Weiser sagt: Liebe ist zum größten
Theil dem Hasse näher verwandt, als der Zunei-
gung -- und in Edwards Busen zeite sich jetzt die
Wahrheit dieses Ausspruchs. Sein einziger Genuß
war fortan, der Geliebten, die er allein für schuldig
hielt, wehe zu thun. Wo die Gelegenheit sich dar-

trägliche, und raſtloſe Qualen bereitete, war die Be-
merkung, die jeden Tag einen neuen Zuwachs er-
hielt: daß Anna, die er als die Seine anſah, ob-
gleich ſie dies zu erklären noch immer zögerte — daß
ſeine Anna, ſeit der Ankunft des ſchönen Fremden,
immer kälter gegen ihn geworden, — ja ſchien es
ihm nicht, als habe er ſelbſt ſchon in unbewachten
Augenblicken ihr ſeelenvolles Auge gedankenſchwer
auf Gomez holden Zügen ruhen, und ihre vorher
blaſſen Wangen dann in ſanfter Röthe erblühen ſehen,
— traf aber ſein Blick den ihrigen in ſolchen Mo-
menten, dann war das Roſenroth ſogleich zur Fie-
berglut geworden. Ja gewiß, ihr ganzes Benehmen
war verändert! Unregelmäßig, launig, ohne Ruhe,
bald von tiefer Schwermuth ergriffen, bald ſich mit
Wildheit ausgelaſſener Luſtigkeit hingebend, ſchien
ſie von dem beſonnenen, klaren, ſtets gleich freund-
lichen Mädchen, das ſie früher war, nur noch die
äußern Züge beibehalten zu haben. Alles verrieth
dem ſcharfſehenden Auge der Eiferſucht, daß eine
tiefe Leidenſchaft ſie ergriffen, und für wen konnte
ſie glühen — als für Gomez? für ihn, der allein,
er mochte kommen oder gehen, den Saiten ihrer
Seele die veränderte Stimmung gab.

Ein alter Weiſer ſagt: Liebe iſt zum größten
Theil dem Haſſe näher verwandt, als der Zunei-
gung — und in Edwards Buſen zeite ſich jetzt die
Wahrheit dieſes Ausſpruchs. Sein einziger Genuß
war fortan, der Geliebten, die er allein für ſchuldig
hielt, wehe zu thun. Wo die Gelegenheit ſich dar-

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[274/0298] trägliche, und raſtloſe Qualen bereitete, war die Be- merkung, die jeden Tag einen neuen Zuwachs er- hielt: daß Anna, die er als die Seine anſah, ob- gleich ſie dies zu erklären noch immer zögerte — daß ſeine Anna, ſeit der Ankunft des ſchönen Fremden, immer kälter gegen ihn geworden, — ja ſchien es ihm nicht, als habe er ſelbſt ſchon in unbewachten Augenblicken ihr ſeelenvolles Auge gedankenſchwer auf Gomez holden Zügen ruhen, und ihre vorher blaſſen Wangen dann in ſanfter Röthe erblühen ſehen, — traf aber ſein Blick den ihrigen in ſolchen Mo- menten, dann war das Roſenroth ſogleich zur Fie- berglut geworden. Ja gewiß, ihr ganzes Benehmen war verändert! Unregelmäßig, launig, ohne Ruhe, bald von tiefer Schwermuth ergriffen, bald ſich mit Wildheit ausgelaſſener Luſtigkeit hingebend, ſchien ſie von dem beſonnenen, klaren, ſtets gleich freund- lichen Mädchen, das ſie früher war, nur noch die äußern Züge beibehalten zu haben. Alles verrieth dem ſcharfſehenden Auge der Eiferſucht, daß eine tiefe Leidenſchaft ſie ergriffen, und für wen konnte ſie glühen — als für Gomez? für ihn, der allein, er mochte kommen oder gehen, den Saiten ihrer Seele die veränderte Stimmung gab. Ein alter Weiſer ſagt: Liebe iſt zum größten Theil dem Haſſe näher verwandt, als der Zunei- gung — und in Edwards Buſen zeite ſich jetzt die Wahrheit dieſes Ausſpruchs. Sein einziger Genuß war fortan, der Geliebten, die er allein für ſchuldig hielt, wehe zu thun. Wo die Gelegenheit ſich dar-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/298>, abgerufen am 27.04.2024.