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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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gen gegenüber, war daher ungleich schöner als die
Rückkehr. Im Ganzen soll die Schifffahrt auf die-
sem See, wegen der vielen Klippen und Inseln, wie
den oft plötzlich sich erhebenden Stürmen sehr gefähr-
lich seyn, und erst kürzlich meldeten uns die Zeitun-
gen, daß ein Marktschiff, auf welchem Fleischer sich
mit ihren Hammeln eingeschifft, mit Menschen und
Thieren ein Raub der erzürnten Seenixe geworden
sey. Wir hatten einen sehr stillen, aber nicht immer
heitern Tag. Als wir wieder gelandet, ließ ich mei-
nen Begleiter vorausgehen, um die nöthigen Bestel-
lungen zu machen, und besah noch, bei Sonnenun-
tergang, die am Ufer liegenden Ruinen einer Abtei,
die einige schöne Ueberreste alter Baukunst und Sculp-
tur darbot. Irland wimmelt von Ruinen alter
Schlösser und Klöster, mehr als irgend eine andere
Gegend Europa's, wiewohl diese Ueberbleibsel keine
so ungeheuren Massen darbieten als z. B. in Eng-
land. Diese alten Ruinen (denn leider findet man
hier auch gar viel neue) werden vom Volk überall
als Kirchhöfe benutzt, eine poetische Idee, die, glaube
ich, nur diesem Volke eigen ist. Da man nirgends
darin, wie in den englischen Kirchen, geschmacklose
moderne Monumente aufstellt, sondern nur die Erde
aufreißt, oder höchstens einen Stein auf das Grab
legt, so wird durch diesen Gebrauch das ergreifende
Bild irdischer Vergänglichkeit nur erhöht, nicht ent-
weiht. Was aber den Eindruck oft bis zum Grau-
senhaften steigert, ist die wenige Rücksicht, welche die
spätern [ - 1 Zeichen fehlt]odtengräber auf die früher Begrabenen neh-

gen gegenüber, war daher ungleich ſchöner als die
Rückkehr. Im Ganzen ſoll die Schifffahrt auf die-
ſem See, wegen der vielen Klippen und Inſeln, wie
den oft plötzlich ſich erhebenden Stürmen ſehr gefähr-
lich ſeyn, und erſt kürzlich meldeten uns die Zeitun-
gen, daß ein Marktſchiff, auf welchem Fleiſcher ſich
mit ihren Hammeln eingeſchifft, mit Menſchen und
Thieren ein Raub der erzürnten Seenixe geworden
ſey. Wir hatten einen ſehr ſtillen, aber nicht immer
heitern Tag. Als wir wieder gelandet, ließ ich mei-
nen Begleiter vorausgehen, um die nöthigen Beſtel-
lungen zu machen, und beſah noch, bei Sonnenun-
tergang, die am Ufer liegenden Ruinen einer Abtei,
die einige ſchöne Ueberreſte alter Baukunſt und Sculp-
tur darbot. Irland wimmelt von Ruinen alter
Schlöſſer und Klöſter, mehr als irgend eine andere
Gegend Europa’s, wiewohl dieſe Ueberbleibſel keine
ſo ungeheuren Maſſen darbieten als z. B. in Eng-
land. Dieſe alten Ruinen (denn leider findet man
hier auch gar viel neue) werden vom Volk überall
als Kirchhöfe benutzt, eine poetiſche Idee, die, glaube
ich, nur dieſem Volke eigen iſt. Da man nirgends
darin, wie in den engliſchen Kirchen, geſchmackloſe
moderne Monumente aufſtellt, ſondern nur die Erde
aufreißt, oder höchſtens einen Stein auf das Grab
legt, ſo wird durch dieſen Gebrauch das ergreifende
Bild irdiſcher Vergänglichkeit nur erhöht, nicht ent-
weiht. Was aber den Eindruck oft bis zum Grau-
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[246/0270] gen gegenüber, war daher ungleich ſchöner als die Rückkehr. Im Ganzen ſoll die Schifffahrt auf die- ſem See, wegen der vielen Klippen und Inſeln, wie den oft plötzlich ſich erhebenden Stürmen ſehr gefähr- lich ſeyn, und erſt kürzlich meldeten uns die Zeitun- gen, daß ein Marktſchiff, auf welchem Fleiſcher ſich mit ihren Hammeln eingeſchifft, mit Menſchen und Thieren ein Raub der erzürnten Seenixe geworden ſey. Wir hatten einen ſehr ſtillen, aber nicht immer heitern Tag. Als wir wieder gelandet, ließ ich mei- nen Begleiter vorausgehen, um die nöthigen Beſtel- lungen zu machen, und beſah noch, bei Sonnenun- tergang, die am Ufer liegenden Ruinen einer Abtei, die einige ſchöne Ueberreſte alter Baukunſt und Sculp- tur darbot. Irland wimmelt von Ruinen alter Schlöſſer und Klöſter, mehr als irgend eine andere Gegend Europa’s, wiewohl dieſe Ueberbleibſel keine ſo ungeheuren Maſſen darbieten als z. B. in Eng- land. Dieſe alten Ruinen (denn leider findet man hier auch gar viel neue) werden vom Volk überall als Kirchhöfe benutzt, eine poetiſche Idee, die, glaube ich, nur dieſem Volke eigen iſt. Da man nirgends darin, wie in den engliſchen Kirchen, geſchmackloſe moderne Monumente aufſtellt, ſondern nur die Erde aufreißt, oder höchſtens einen Stein auf das Grab legt, ſo wird durch dieſen Gebrauch das ergreifende Bild irdiſcher Vergänglichkeit nur erhöht, nicht ent- weiht. Was aber den Eindruck oft bis zum Grau- ſenhaften ſteigert, iſt die wenige Rückſicht, welche die ſpätern _odtengräber auf die früher Begrabenen neh-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/270>, abgerufen am 27.04.2024.