Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

sich um meinen nachgekommenen Wagen schon seit
dem Frühsten nichtsthuend versammelt hatten, und
nun unter Vivatgeschrei mich alle bettelnd umringten,
und Mann für Mann durch die Ruinen, über Trüm-
mern und Kratzbeeren, treulich begleiteten. Die son-
derbarsten Complimente erschallten zuweilen einzeln
aus der Menge heraus, einige riefen sogar: Es lebe
der König! Als ich bei der Zurückkunft ein Paar
Hände voll Kupfer unter sie warf, lag bald, von alt
und jung, die Hälfte im Straßenkoth, sich blutig
schlagend, während die andern schnell in die Brann-
teweinschenke liefen, um das Gewonnene sogleich zu
vertrinken.

Das ist Irland! vom Gouvernement vernachlässigt
oder bedrückt, von der stupiden Intoleranz des eng-
lischen Priesterthums erniedrigt, von seinen reichen
Landbesitzern verlassen, und von Armuth und Whis-
keygift zum Aufenthalt nackter Elenden gestempelt! --

Ich habe schon erwähnt, daß auch bei den gebilde-
ten Classen der Provinz, die Unwissenheit für unsere
Erziehungsbegriffe beispiellos erscheint. Ich will es
noch nicht als solche aufführen, daß z. B. heute beim
Frühstück vom Magnetismus gesprochen wurde, und
Niemand je das Geringste davon gehört hatte. Du
wirst übrigens nicht zweifeln, daß ich mich gern er-
bot, Mistriß L ..., deren Lebhaftigkeit bei der Be-
schreibung gleich Feuer fing, darin Unterricht zu ge-
ben -- aber stärker ist es schon, daß in B .... m,
unter einer Gesellschaft von 20 Personen, Niemand
wußte, daß es Oerter wie Carlsbad und Prag in

ſich um meinen nachgekommenen Wagen ſchon ſeit
dem Frühſten nichtsthuend verſammelt hatten, und
nun unter Vivatgeſchrei mich alle bettelnd umringten,
und Mann für Mann durch die Ruinen, über Trüm-
mern und Kratzbeeren, treulich begleiteten. Die ſon-
derbarſten Complimente erſchallten zuweilen einzeln
aus der Menge heraus, einige riefen ſogar: Es lebe
der König! Als ich bei der Zurückkunft ein Paar
Hände voll Kupfer unter ſie warf, lag bald, von alt
und jung, die Hälfte im Straßenkoth, ſich blutig
ſchlagend, während die andern ſchnell in die Brann-
teweinſchenke liefen, um das Gewonnene ſogleich zu
vertrinken.

Das iſt Irland! vom Gouvernement vernachläſſigt
oder bedrückt, von der ſtupiden Intoleranz des eng-
liſchen Prieſterthums erniedrigt, von ſeinen reichen
Landbeſitzern verlaſſen, und von Armuth und Whis-
keygift zum Aufenthalt nackter Elenden geſtempelt! —

Ich habe ſchon erwähnt, daß auch bei den gebilde-
ten Claſſen der Provinz, die Unwiſſenheit für unſere
Erziehungsbegriffe beiſpiellos erſcheint. Ich will es
noch nicht als ſolche aufführen, daß z. B. heute beim
Frühſtück vom Magnetismus geſprochen wurde, und
Niemand je das Geringſte davon gehört hatte. Du
wirſt übrigens nicht zweifeln, daß ich mich gern er-
bot, Miſtriß L …, deren Lebhaftigkeit bei der Be-
ſchreibung gleich Feuer fing, darin Unterricht zu ge-
ben — aber ſtärker iſt es ſchon, daß in B .... m,
unter einer Geſellſchaft von 20 Perſonen, Niemand
wußte, daß es Oerter wie Carlsbad und Prag in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0260" n="236"/>
&#x017F;ich um meinen nachgekommenen Wagen &#x017F;chon &#x017F;eit<lb/>
dem Früh&#x017F;ten nichtsthuend ver&#x017F;ammelt hatten, und<lb/>
nun unter Vivatge&#x017F;chrei mich alle bettelnd umringten,<lb/>
und Mann für Mann durch die Ruinen, über Trüm-<lb/>
mern und Kratzbeeren, treulich begleiteten. Die &#x017F;on-<lb/>
derbar&#x017F;ten Complimente er&#x017F;challten zuweilen einzeln<lb/>
aus der Menge heraus, einige riefen &#x017F;ogar: Es lebe<lb/>
der König! Als ich bei der Zurückkunft ein Paar<lb/>
Hände voll Kupfer unter &#x017F;ie warf, lag bald, von alt<lb/>
und jung, die Hälfte im Straßenkoth, &#x017F;ich blutig<lb/>
&#x017F;chlagend, während die andern &#x017F;chnell in die Brann-<lb/>
tewein&#x017F;chenke liefen, um das Gewonnene &#x017F;ogleich zu<lb/>
vertrinken.</p><lb/>
          <p>Das i&#x017F;t Irland! vom Gouvernement vernachlä&#x017F;&#x017F;igt<lb/>
oder bedrückt, von der &#x017F;tupiden Intoleranz des eng-<lb/>
li&#x017F;chen Prie&#x017F;terthums erniedrigt, von &#x017F;einen reichen<lb/>
Landbe&#x017F;itzern verla&#x017F;&#x017F;en, und von Armuth und Whis-<lb/>
keygift zum Aufenthalt nackter Elenden ge&#x017F;tempelt! &#x2014;</p><lb/>
          <p>Ich habe &#x017F;chon erwähnt, daß auch bei den gebilde-<lb/>
ten Cla&#x017F;&#x017F;en der Provinz, die Unwi&#x017F;&#x017F;enheit für un&#x017F;ere<lb/>
Erziehungsbegriffe bei&#x017F;piellos er&#x017F;cheint. Ich will es<lb/>
noch nicht als &#x017F;olche aufführen, daß z. B. heute beim<lb/>
Früh&#x017F;tück vom Magnetismus ge&#x017F;prochen wurde, und<lb/>
Niemand je das Gering&#x017F;te davon gehört hatte. Du<lb/>
wir&#x017F;t übrigens nicht zweifeln, daß ich mich gern er-<lb/>
bot, Mi&#x017F;triß L &#x2026;, deren Lebhaftigkeit bei der Be-<lb/>
&#x017F;chreibung gleich Feuer fing, darin Unterricht zu ge-<lb/>
ben &#x2014; aber &#x017F;tärker i&#x017F;t es &#x017F;chon, daß in B .... m,<lb/>
unter einer Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft von 20 Per&#x017F;onen, Niemand<lb/>
wußte, daß es Oerter wie Carlsbad und Prag in<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[236/0260] ſich um meinen nachgekommenen Wagen ſchon ſeit dem Frühſten nichtsthuend verſammelt hatten, und nun unter Vivatgeſchrei mich alle bettelnd umringten, und Mann für Mann durch die Ruinen, über Trüm- mern und Kratzbeeren, treulich begleiteten. Die ſon- derbarſten Complimente erſchallten zuweilen einzeln aus der Menge heraus, einige riefen ſogar: Es lebe der König! Als ich bei der Zurückkunft ein Paar Hände voll Kupfer unter ſie warf, lag bald, von alt und jung, die Hälfte im Straßenkoth, ſich blutig ſchlagend, während die andern ſchnell in die Brann- teweinſchenke liefen, um das Gewonnene ſogleich zu vertrinken. Das iſt Irland! vom Gouvernement vernachläſſigt oder bedrückt, von der ſtupiden Intoleranz des eng- liſchen Prieſterthums erniedrigt, von ſeinen reichen Landbeſitzern verlaſſen, und von Armuth und Whis- keygift zum Aufenthalt nackter Elenden geſtempelt! — Ich habe ſchon erwähnt, daß auch bei den gebilde- ten Claſſen der Provinz, die Unwiſſenheit für unſere Erziehungsbegriffe beiſpiellos erſcheint. Ich will es noch nicht als ſolche aufführen, daß z. B. heute beim Frühſtück vom Magnetismus geſprochen wurde, und Niemand je das Geringſte davon gehört hatte. Du wirſt übrigens nicht zweifeln, daß ich mich gern er- bot, Miſtriß L …, deren Lebhaftigkeit bei der Be- ſchreibung gleich Feuer fing, darin Unterricht zu ge- ben — aber ſtärker iſt es ſchon, daß in B .... m, unter einer Geſellſchaft von 20 Perſonen, Niemand wußte, daß es Oerter wie Carlsbad und Prag in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/260
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/260>, abgerufen am 22.11.2024.