fühl, und hohe Empfänglichkeit für Freuden, die Gottes Güte Jedem erreichbar läßt.
Bei guter Zeit traf ich in Bray wider ein, wo auch der Mantelsack sich endlich eingefunden hatte. Manches was er enthielt, war nach der langen Ent- behrung nicht zu verachten, unter andern lieferte er mir den interessantesten Tischgefährten Lord Byron. Eben betrachte ich seine beiden Portraits, zwei mir geschenkte Handzeichnungen, die ich dem Giaour und dem Don Juan beigeheftet habe. Gleich Napoleon, erscheint er, mager, wild und leidend, wo er noch strebte; fett geworden und lächelnd, als er erreicht hatte. Aber in beiden so verschiednen Gesichtern, zeigt sich doch schon der tief vom Schicksal aufgewühlte, tiefer noch empfindende, und doch dabei höhnende, verachtende, vornehme Geist, der diese Züge belebte.
Lachen muß ich immer über die Engländer, die die- sen ihren zweiten Dichter (denn nach Shakespeare gebührt gewiß ihm die Palme) so jämmerlich spieß- bürgerlich beurtheilen, weil er ihre Pedanterie ver- spottete, sich ihren Krähwinkelsitten nicht fügen, ihren kalten Aberglauben nicht theilen wollte, ihre Nüch- ternheit ihm ekelhaft war, und er sich über ihren Hochmuth und ihre Heuchelei beklagte. Viele machen schon ein Kreuz, wenn sie nur von ihm sprechen, und selbst die Frauen, obgleich ihre Wangen von Enthu- siasmus glühen, wenn sie ihn lesen, nehmen öffent- lich heftig Parthei gegen den heimlichen Liebling, oft zu Gunsten der gemeinen Seele eines Weibes, die nie würdig war, Lord Byrons Schuhriemen aufzulö-
fühl, und hohe Empfänglichkeit für Freuden, die Gottes Güte Jedem erreichbar läßt.
Bei guter Zeit traf ich in Bray wider ein, wo auch der Mantelſack ſich endlich eingefunden hatte. Manches was er enthielt, war nach der langen Ent- behrung nicht zu verachten, unter andern lieferte er mir den intereſſanteſten Tiſchgefährten Lord Byron. Eben betrachte ich ſeine beiden Portraits, zwei mir geſchenkte Handzeichnungen, die ich dem Giaour und dem Don Juan beigeheftet habe. Gleich Napoleon, erſcheint er, mager, wild und leidend, wo er noch ſtrebte; fett geworden und lächelnd, als er erreicht hatte. Aber in beiden ſo verſchiednen Geſichtern, zeigt ſich doch ſchon der tief vom Schickſal aufgewühlte, tiefer noch empfindende, und doch dabei höhnende, verachtende, vornehme Geiſt, der dieſe Züge belebte.
Lachen muß ich immer über die Engländer, die die- ſen ihren zweiten Dichter (denn nach Shakespeare gebührt gewiß ihm die Palme) ſo jämmerlich ſpieß- bürgerlich beurtheilen, weil er ihre Pedanterie ver- ſpottete, ſich ihren Krähwinkelſitten nicht fügen, ihren kalten Aberglauben nicht theilen wollte, ihre Nüch- ternheit ihm ekelhaft war, und er ſich über ihren Hochmuth und ihre Heuchelei beklagte. Viele machen ſchon ein Kreuz, wenn ſie nur von ihm ſprechen, und ſelbſt die Frauen, obgleich ihre Wangen von Enthu- ſiasmus glühen, wenn ſie ihn leſen, nehmen öffent- lich heftig Parthei gegen den heimlichen Liebling, oft zu Gunſten der gemeinen Seele eines Weibes, die nie würdig war, Lord Byrons Schuhriemen aufzulö-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0222"n="198"/>
fühl, und hohe Empfänglichkeit für Freuden, die<lb/>
Gottes Güte Jedem erreichbar läßt.</p><lb/><p>Bei guter Zeit traf ich in Bray wider ein, wo<lb/>
auch der Mantelſack ſich endlich eingefunden hatte.<lb/>
Manches was er enthielt, war nach der langen Ent-<lb/>
behrung nicht zu verachten, unter andern lieferte er<lb/>
mir den intereſſanteſten Tiſchgefährten Lord Byron.<lb/>
Eben betrachte ich ſeine beiden Portraits, zwei mir<lb/>
geſchenkte Handzeichnungen, die ich dem Giaour und<lb/>
dem Don Juan beigeheftet habe. Gleich Napoleon,<lb/>
erſcheint er, mager, wild und leidend, wo er noch<lb/>ſtrebte; fett geworden und lächelnd, als er erreicht<lb/>
hatte. Aber in <hirendition="#g">beiden</hi>ſo verſchiednen Geſichtern,<lb/>
zeigt ſich doch ſchon der tief vom Schickſal aufgewühlte,<lb/>
tiefer noch empfindende, und doch dabei höhnende,<lb/>
verachtende, vornehme Geiſt, der dieſe Züge belebte.</p><lb/><p>Lachen muß ich immer über die Engländer, die die-<lb/>ſen ihren zweiten Dichter (denn nach Shakespeare<lb/>
gebührt gewiß ihm die Palme) ſo jämmerlich ſpieß-<lb/>
bürgerlich beurtheilen, weil er ihre Pedanterie ver-<lb/>ſpottete, ſich ihren Krähwinkelſitten nicht fügen, ihren<lb/>
kalten Aberglauben nicht theilen wollte, ihre <choice><sic>Nu̇ch</sic><corr>Nüch</corr></choice>-<lb/>
ternheit ihm ekelhaft war, und er ſich über ihren<lb/>
Hochmuth und ihre Heuchelei beklagte. Viele machen<lb/>ſchon ein Kreuz, wenn ſie nur von ihm ſprechen, und<lb/>ſelbſt die Frauen, obgleich ihre Wangen von Enthu-<lb/>ſiasmus glühen, wenn ſie ihn leſen, nehmen öffent-<lb/>
lich heftig Parthei gegen den heimlichen Liebling, oft<lb/>
zu Gunſten der gemeinen Seele eines Weibes, die<lb/>
nie würdig war, Lord Byrons Schuhriemen aufzulö-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[198/0222]
fühl, und hohe Empfänglichkeit für Freuden, die
Gottes Güte Jedem erreichbar läßt.
Bei guter Zeit traf ich in Bray wider ein, wo
auch der Mantelſack ſich endlich eingefunden hatte.
Manches was er enthielt, war nach der langen Ent-
behrung nicht zu verachten, unter andern lieferte er
mir den intereſſanteſten Tiſchgefährten Lord Byron.
Eben betrachte ich ſeine beiden Portraits, zwei mir
geſchenkte Handzeichnungen, die ich dem Giaour und
dem Don Juan beigeheftet habe. Gleich Napoleon,
erſcheint er, mager, wild und leidend, wo er noch
ſtrebte; fett geworden und lächelnd, als er erreicht
hatte. Aber in beiden ſo verſchiednen Geſichtern,
zeigt ſich doch ſchon der tief vom Schickſal aufgewühlte,
tiefer noch empfindende, und doch dabei höhnende,
verachtende, vornehme Geiſt, der dieſe Züge belebte.
Lachen muß ich immer über die Engländer, die die-
ſen ihren zweiten Dichter (denn nach Shakespeare
gebührt gewiß ihm die Palme) ſo jämmerlich ſpieß-
bürgerlich beurtheilen, weil er ihre Pedanterie ver-
ſpottete, ſich ihren Krähwinkelſitten nicht fügen, ihren
kalten Aberglauben nicht theilen wollte, ihre Nüch-
ternheit ihm ekelhaft war, und er ſich über ihren
Hochmuth und ihre Heuchelei beklagte. Viele machen
ſchon ein Kreuz, wenn ſie nur von ihm ſprechen, und
ſelbſt die Frauen, obgleich ihre Wangen von Enthu-
ſiasmus glühen, wenn ſie ihn leſen, nehmen öffent-
lich heftig Parthei gegen den heimlichen Liebling, oft
zu Gunſten der gemeinen Seele eines Weibes, die
nie würdig war, Lord Byrons Schuhriemen aufzulö-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/222>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.