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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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verständniß stören, und die am besten in der Welt
zusammenpassenden Gemüther -- beide noch obendrein
im behaglichen Schooße ihrer beiderseitigen Stecken-
pferde -- wie ein Sturm das friedliche Meer aufre-
gen, von einander reißen, ja auf eine Zeit fast geistig
zerstören mußte, den einen Theil zu rastloser Wande-
rung, den andern zu trostarmer Einsamkeit, beide
zu Kummer, Sorge, Schmerz und Sehnsucht verur-
theilend! Aber war der Sturm nicht vielleicht unum-
gänglich nöthig für die Meerbewohner, wäre die nie
bewegte Luft ihnen nicht vielleicht noch verderblicher
geworden? Lasse uns also nicht übermäßig trauern,
nichts Vergangenes bereuen, was immer eitel ist
-- nur vorwärts zum Besseren laß uns streben, und
auch im schlimmsten Falle nicht uns selbst verlieren!
Wie oft aber sind die eingebildeten Uebel, die schwer-
sten zu ertragen! welche brennende Schmerzen erregt
gekränkte Eitelkeit, welche peinigende Scham Begriffe
falscher Ehre. Es geht mir nicht besser, und oft
möchte ich mir beinah Falstaffs Philosophie über die-
ses Capitel wünschen. Die Natur hat mir indessen
ein anderes kostbares Geschenk verliehen, was ich
Dir mittheilen zu können, mich glücklich schätzen
würde. Ich finde in jeder Lage schnell, und fast in-
stinktmäßig, die gute Seite derselben auf, und ge-
nieße diese mit einer Frische des Gefühls, einer kind-
lichen Weihnachtsfreude an Kleinigkeiten, die gewiß
bei mir nie veralten wird. Und wo wäre nicht auf
die Länge Gutes dem Uebeln überwiegend beigemischt?
Diese Ueberzeugung aber ist der Grundstein meiner

verſtändniß ſtören, und die am beſten in der Welt
zuſammenpaſſenden Gemüther — beide noch obendrein
im behaglichen Schooße ihrer beiderſeitigen Stecken-
pferde — wie ein Sturm das friedliche Meer aufre-
gen, von einander reißen, ja auf eine Zeit faſt geiſtig
zerſtören mußte, den einen Theil zu raſtloſer Wande-
rung, den andern zu troſtarmer Einſamkeit, beide
zu Kummer, Sorge, Schmerz und Sehnſucht verur-
theilend! Aber war der Sturm nicht vielleicht unum-
gänglich nöthig für die Meerbewohner, wäre die nie
bewegte Luft ihnen nicht vielleicht noch verderblicher
geworden? Laſſe uns alſo nicht übermäßig trauern,
nichts Vergangenes bereuen, was immer eitel iſt
— nur vorwärts zum Beſſeren laß uns ſtreben, und
auch im ſchlimmſten Falle nicht uns ſelbſt verlieren!
Wie oft aber ſind die eingebildeten Uebel, die ſchwer-
ſten zu ertragen! welche brennende Schmerzen erregt
gekränkte Eitelkeit, welche peinigende Scham Begriffe
falſcher Ehre. Es geht mir nicht beſſer, und oft
möchte ich mir beinah Falſtaffs Philoſophie über die-
ſes Capitel wünſchen. Die Natur hat mir indeſſen
ein anderes koſtbares Geſchenk verliehen, was ich
Dir mittheilen zu können, mich glücklich ſchätzen
würde. Ich finde in jeder Lage ſchnell, und faſt in-
ſtinktmäßig, die gute Seite derſelben auf, und ge-
nieße dieſe mit einer Friſche des Gefühls, einer kind-
lichen Weihnachtsfreude an Kleinigkeiten, die gewiß
bei mir nie veralten wird. Und wo wäre nicht auf
die Länge Gutes dem Uebeln überwiegend beigemiſcht?
Dieſe Ueberzeugung aber iſt der Grundſtein meiner

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[128/0152] verſtändniß ſtören, und die am beſten in der Welt zuſammenpaſſenden Gemüther — beide noch obendrein im behaglichen Schooße ihrer beiderſeitigen Stecken- pferde — wie ein Sturm das friedliche Meer aufre- gen, von einander reißen, ja auf eine Zeit faſt geiſtig zerſtören mußte, den einen Theil zu raſtloſer Wande- rung, den andern zu troſtarmer Einſamkeit, beide zu Kummer, Sorge, Schmerz und Sehnſucht verur- theilend! Aber war der Sturm nicht vielleicht unum- gänglich nöthig für die Meerbewohner, wäre die nie bewegte Luft ihnen nicht vielleicht noch verderblicher geworden? Laſſe uns alſo nicht übermäßig trauern, nichts Vergangenes bereuen, was immer eitel iſt — nur vorwärts zum Beſſeren laß uns ſtreben, und auch im ſchlimmſten Falle nicht uns ſelbſt verlieren! Wie oft aber ſind die eingebildeten Uebel, die ſchwer- ſten zu ertragen! welche brennende Schmerzen erregt gekränkte Eitelkeit, welche peinigende Scham Begriffe falſcher Ehre. Es geht mir nicht beſſer, und oft möchte ich mir beinah Falſtaffs Philoſophie über die- ſes Capitel wünſchen. Die Natur hat mir indeſſen ein anderes koſtbares Geſchenk verliehen, was ich Dir mittheilen zu können, mich glücklich ſchätzen würde. Ich finde in jeder Lage ſchnell, und faſt in- ſtinktmäßig, die gute Seite derſelben auf, und ge- nieße dieſe mit einer Friſche des Gefühls, einer kind- lichen Weihnachtsfreude an Kleinigkeiten, die gewiß bei mir nie veralten wird. Und wo wäre nicht auf die Länge Gutes dem Uebeln überwiegend beigemiſcht? Dieſe Ueberzeugung aber iſt der Grundſtein meiner

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/152>, abgerufen am 22.11.2024.