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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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weniger als 600 Fuß Tiefe, und über dieser einen
fast eben so steilen Erdabhang, vom Regen abge-
waschen und mit kleinen losen Steinen besäet. Ue-
ber den letztern sollten wir, wohl 1500 Schritt lang,
hinwegschreiten. Ich hätte dieses Unternehmen früher
für unausführbar gehalten, von der Nothwendigkeit
gezwungen, fand ich es jedoch, nach den ersten ängst-
lichen Schritten, ganz leicht. Es sah allerdings
halsbrechend aus, aber die vielen Steine und die
feuchte weiche Erde gaben einen festern Tritt als sie
erwarten ließen. Ueberhaupt klingen diese Dinge
auch in einer nicht übertriebenen Beschreibung im-
mer etwas gefährlicher als sie wirklich sind. Es ist
ganz wahr, daß ein Fehltritt hier ohne Rettung
Verderben brächte, aber man hütet sich eben schon
vor einem solchen. So müßte man auch im Wasser
ertrinken -- wenn man zu schwimmen aufhörte.
Wer also gehen kann, und einen festen Kopf hat,
kann dergleichen ganz ohne Gefahr unternehmen.

Die Dämmerung fing nun an einzutreten, undeut-
licher wurden die Berge, und unter uns lagen, wie
ein Paar dampfende Suppenterrinen, die Nebel
aushauchenden Seen von Capel Cerrig und Beth-
gellert. Wir hatten den höchsten Punkt erreicht,
und eilten so viel wir konnten nach dem ersten der
genannten Seen hinab. Noch einmal durchwadeten
wir einen Sumpf, und kletterten wieder über Felsen
hinunter, bis wir an den, am wenigsten schwierig
aussehenden, und dennoch ermüdendsten Theil des
Weges ankamen, eine glatte und feste Rasenalp,

weniger als 600 Fuß Tiefe, und über dieſer einen
faſt eben ſo ſteilen Erdabhang, vom Regen abge-
waſchen und mit kleinen loſen Steinen beſäet. Ue-
ber den letztern ſollten wir, wohl 1500 Schritt lang,
hinwegſchreiten. Ich hätte dieſes Unternehmen früher
für unausführbar gehalten, von der Nothwendigkeit
gezwungen, fand ich es jedoch, nach den erſten ängſt-
lichen Schritten, ganz leicht. Es ſah allerdings
halsbrechend aus, aber die vielen Steine und die
feuchte weiche Erde gaben einen feſtern Tritt als ſie
erwarten ließen. Ueberhaupt klingen dieſe Dinge
auch in einer nicht übertriebenen Beſchreibung im-
mer etwas gefährlicher als ſie wirklich ſind. Es iſt
ganz wahr, daß ein Fehltritt hier ohne Rettung
Verderben brächte, aber man hütet ſich eben ſchon
vor einem ſolchen. So müßte man auch im Waſſer
ertrinken — wenn man zu ſchwimmen aufhörte.
Wer alſo gehen kann, und einen feſten Kopf hat,
kann dergleichen ganz ohne Gefahr unternehmen.

Die Dämmerung fing nun an einzutreten, undeut-
licher wurden die Berge, und unter uns lagen, wie
ein Paar dampfende Suppenterrinen, die Nebel
aushauchenden Seen von Capel Cerrig und Beth-
gellert. Wir hatten den höchſten Punkt erreicht,
und eilten ſo viel wir konnten nach dem erſten der
genannten Seen hinab. Noch einmal durchwadeten
wir einen Sumpf, und kletterten wieder über Felſen
hinunter, bis wir an den, am wenigſten ſchwierig
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[112/0136] weniger als 600 Fuß Tiefe, und über dieſer einen faſt eben ſo ſteilen Erdabhang, vom Regen abge- waſchen und mit kleinen loſen Steinen beſäet. Ue- ber den letztern ſollten wir, wohl 1500 Schritt lang, hinwegſchreiten. Ich hätte dieſes Unternehmen früher für unausführbar gehalten, von der Nothwendigkeit gezwungen, fand ich es jedoch, nach den erſten ängſt- lichen Schritten, ganz leicht. Es ſah allerdings halsbrechend aus, aber die vielen Steine und die feuchte weiche Erde gaben einen feſtern Tritt als ſie erwarten ließen. Ueberhaupt klingen dieſe Dinge auch in einer nicht übertriebenen Beſchreibung im- mer etwas gefährlicher als ſie wirklich ſind. Es iſt ganz wahr, daß ein Fehltritt hier ohne Rettung Verderben brächte, aber man hütet ſich eben ſchon vor einem ſolchen. So müßte man auch im Waſſer ertrinken — wenn man zu ſchwimmen aufhörte. Wer alſo gehen kann, und einen feſten Kopf hat, kann dergleichen ganz ohne Gefahr unternehmen. Die Dämmerung fing nun an einzutreten, undeut- licher wurden die Berge, und unter uns lagen, wie ein Paar dampfende Suppenterrinen, die Nebel aushauchenden Seen von Capel Cerrig und Beth- gellert. Wir hatten den höchſten Punkt erreicht, und eilten ſo viel wir konnten nach dem erſten der genannten Seen hinab. Noch einmal durchwadeten wir einen Sumpf, und kletterten wieder über Felſen hinunter, bis wir an den, am wenigſten ſchwierig ausſehenden, und dennoch ermüdendſten Theil des Weges ankamen, eine glatte und feſte Raſenalp,

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/136>, abgerufen am 27.04.2024.