Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

die Revolution, die einst hier mit Felsen wie mit
Bällen gespielt, muß ein Schauspiel für Götter ge-
wesen seyn! Während ich, in Betrachtungen verlo-
ren, dieses Chaos anstaunte, hörte ich nahe über
mir einen gellenden, mehrmals wiederholten Schrei,
und sah, aufblickend, zwei majestätische Adler mit
ausgebreiteten Schwingen über uns schweben, eine
Seltenheit in diesen Gebürgen. Willkommen meine
treuen Wappenvögel! rief ich, hier wo es nur harte
Felsen, aber keine falschen Menschenherzen giebt --
wollt ihr mich wie der Vogel Rock in ein Diaman-
tenthal entführen, oder Kunde aus der lieben fer-
nen Heimath bringen? die Thiere schienen mit ih-
rem fortwährenden Rufe antworten zu wollen, lei-
der aber bin ich in der Vögelsprache noch nicht hin-
länglich bewandert, und so verließen sie mich, im-
mer höher und höher kreisend, bis sie zwischen den
Säulen des Trivaen verschwanden. Diese wiederhol-
ten Attentionen der Raubthiere für mich, sehe ich
als ein gutes Zeichen an.

Es war höchst unbequem, daß ich mit meinem
Führer nicht mehr als mit den Adlern sprechen
konnte, denn er verstand kein Wort englisch. Wir
mußten uns daher nur durch Zeichen verständlich
machen. Auf diese Weise zeigte er jetzt, nachdem wir
eine Weile verhältnißmäßig ganz bequem hinabge-
stiegen waren, mit der Hand auf den Ort, wohin
wir nun unsere Schritte lenken sollten. Hier waren
wir an die "böse Passage" gelangt. Diese bestand
nämlich in einer ganz steilen Wand, von gewiß nicht

die Revolution, die einſt hier mit Felſen wie mit
Bällen geſpielt, muß ein Schauſpiel für Götter ge-
weſen ſeyn! Während ich, in Betrachtungen verlo-
ren, dieſes Chaos anſtaunte, hörte ich nahe über
mir einen gellenden, mehrmals wiederholten Schrei,
und ſah, aufblickend, zwei majeſtätiſche Adler mit
ausgebreiteten Schwingen über uns ſchweben, eine
Seltenheit in dieſen Gebürgen. Willkommen meine
treuen Wappenvögel! rief ich, hier wo es nur harte
Felſen, aber keine falſchen Menſchenherzen giebt —
wollt ihr mich wie der Vogel Rock in ein Diaman-
tenthal entführen, oder Kunde aus der lieben fer-
nen Heimath bringen? die Thiere ſchienen mit ih-
rem fortwährenden Rufe antworten zu wollen, lei-
der aber bin ich in der Vögelſprache noch nicht hin-
länglich bewandert, und ſo verließen ſie mich, im-
mer höher und höher kreiſend, bis ſie zwiſchen den
Säulen des Trivaen verſchwanden. Dieſe wiederhol-
ten Attentionen der Raubthiere für mich, ſehe ich
als ein gutes Zeichen an.

Es war höchſt unbequem, daß ich mit meinem
Führer nicht mehr als mit den Adlern ſprechen
konnte, denn er verſtand kein Wort engliſch. Wir
mußten uns daher nur durch Zeichen verſtändlich
machen. Auf dieſe Weiſe zeigte er jetzt, nachdem wir
eine Weile verhältnißmäßig ganz bequem hinabge-
ſtiegen waren, mit der Hand auf den Ort, wohin
wir nun unſere Schritte lenken ſollten. Hier waren
wir an die „böſe Paſſage“ gelangt. Dieſe beſtand
nämlich in einer ganz ſteilen Wand, von gewiß nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0135" n="111"/>
die Revolution, die ein&#x017F;t hier mit Fel&#x017F;en wie mit<lb/>
Bällen ge&#x017F;pielt, muß ein Schau&#x017F;piel für <choice><sic>Gotter</sic><corr>Götter</corr></choice> ge-<lb/>
we&#x017F;en &#x017F;eyn! Während ich, in Betrachtungen verlo-<lb/>
ren, die&#x017F;es Chaos an&#x017F;taunte, hörte ich nahe über<lb/>
mir einen gellenden, mehrmals wiederholten Schrei,<lb/>
und &#x017F;ah, aufblickend, zwei maje&#x017F;täti&#x017F;che Adler mit<lb/>
ausgebreiteten Schwingen über uns &#x017F;chweben, eine<lb/>
Seltenheit in die&#x017F;en Gebürgen. Willkommen meine<lb/>
treuen Wappenvögel! rief ich, hier wo es nur harte<lb/>
Fel&#x017F;en, aber keine fal&#x017F;chen Men&#x017F;chenherzen giebt &#x2014;<lb/>
wollt ihr mich wie der Vogel Rock in ein Diaman-<lb/>
tenthal entführen, oder Kunde aus der lieben fer-<lb/>
nen Heimath bringen? die Thiere &#x017F;chienen mit ih-<lb/>
rem fortwährenden Rufe antworten zu wollen, lei-<lb/>
der aber bin ich in der Vögel&#x017F;prache noch nicht hin-<lb/>
länglich bewandert, und &#x017F;o verließen &#x017F;ie mich, im-<lb/>
mer höher und höher krei&#x017F;end, bis &#x017F;ie zwi&#x017F;chen den<lb/><choice><sic>Sa&#x0307;ulen</sic><corr>Säulen</corr></choice> des Trivaen ver&#x017F;chwanden. Die&#x017F;e wiederhol-<lb/>
ten Attentionen der Raubthiere für mich, &#x017F;ehe ich<lb/>
als ein gutes Zeichen an.</p><lb/>
          <p>Es war höch&#x017F;t unbequem, daß ich mit meinem<lb/>
Führer nicht mehr als mit den Adlern &#x017F;prechen<lb/>
konnte, denn er ver&#x017F;tand kein Wort engli&#x017F;ch. Wir<lb/>
mußten uns daher nur durch Zeichen ver&#x017F;tändlich<lb/>
machen. Auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e zeigte er jetzt, nachdem wir<lb/>
eine Weile verhältnißmäßig ganz bequem hinabge-<lb/>
&#x017F;tiegen waren, mit der Hand auf den Ort, wohin<lb/>
wir nun un&#x017F;ere Schritte lenken &#x017F;ollten. Hier waren<lb/>
wir an die &#x201E;&#x017F;e Pa&#x017F;&#x017F;age&#x201C; gelangt. Die&#x017F;e be&#x017F;tand<lb/>
nämlich in einer ganz &#x017F;teilen Wand, von gewiß nicht<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[111/0135] die Revolution, die einſt hier mit Felſen wie mit Bällen geſpielt, muß ein Schauſpiel für Götter ge- weſen ſeyn! Während ich, in Betrachtungen verlo- ren, dieſes Chaos anſtaunte, hörte ich nahe über mir einen gellenden, mehrmals wiederholten Schrei, und ſah, aufblickend, zwei majeſtätiſche Adler mit ausgebreiteten Schwingen über uns ſchweben, eine Seltenheit in dieſen Gebürgen. Willkommen meine treuen Wappenvögel! rief ich, hier wo es nur harte Felſen, aber keine falſchen Menſchenherzen giebt — wollt ihr mich wie der Vogel Rock in ein Diaman- tenthal entführen, oder Kunde aus der lieben fer- nen Heimath bringen? die Thiere ſchienen mit ih- rem fortwährenden Rufe antworten zu wollen, lei- der aber bin ich in der Vögelſprache noch nicht hin- länglich bewandert, und ſo verließen ſie mich, im- mer höher und höher kreiſend, bis ſie zwiſchen den Säulen des Trivaen verſchwanden. Dieſe wiederhol- ten Attentionen der Raubthiere für mich, ſehe ich als ein gutes Zeichen an. Es war höchſt unbequem, daß ich mit meinem Führer nicht mehr als mit den Adlern ſprechen konnte, denn er verſtand kein Wort engliſch. Wir mußten uns daher nur durch Zeichen verſtändlich machen. Auf dieſe Weiſe zeigte er jetzt, nachdem wir eine Weile verhältnißmäßig ganz bequem hinabge- ſtiegen waren, mit der Hand auf den Ort, wohin wir nun unſere Schritte lenken ſollten. Hier waren wir an die „böſe Paſſage“ gelangt. Dieſe beſtand nämlich in einer ganz ſteilen Wand, von gewiß nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/135
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/135>, abgerufen am 25.11.2024.