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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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auf Andere, denn der Mensch, welcher nie einen
Mitmenschen sah, kann weder gut noch böse handeln,
ja wohl kaum so fühlen und denken -- er besitzt
allerdings die Fähigkeit dazu, und dies begründet
seine höhere geistige Natur, aber nur durch ihm
gleichartige Mitgeschöpfe kann diese in Wirksamkeit
treten, wie Feuer erst entsteht, oder sichtbar wird,
wo brennbare Materie vorhanden ist. Der Begriff
des Klugen und Thörichten entsteht dagegen schon
früher, und auch in Bezug auf unser eignes Indi-
viduum allein, denn auch der einzelne Mensch, im
Conflikt mit der sogenannten todten Natur, kann
thöricht sich schaden, oder das Gegebne mit Klug-
heit benutzen, und dies an sich gewahr werden.
Gut seyn heißt also in jeder Beziehung nichts andres
als: andre Menschen lieben und sich ihren Ge-
setzen unterwerfen -- böse aber: sich nicht an diese
Gesetze kehren, das Wohl Andrer für wenig oder
nichts achten, und bei seinen Handlungen nur die
eigne momentane Gratifikation vor Augen haben.
Klug seyn heißt dagegen nur seinen eignen Vor-
theil am geschicktesten zu bewahren wissen -- thö-
richt
, ihn zu vernachlässigen, oder falsch zu beur-
theilen. Wir sehen also sehr bald, daß gut und
klug, böse und thöricht, in höchster Potenz, fast
synonim werden, denn wer gut ist wird in der Re-
gel seinen Mitmenschen gefallen, von ihnen wieder
geliebt werden müssen, folglich auch klug, für sich
den wahrsten Vortheil erlangen, der Böse dagegen
mit ihnen in ewigen Streit gerathen, indem er zu-

auf Andere, denn der Menſch, welcher nie einen
Mitmenſchen ſah, kann weder gut noch böſe handeln,
ja wohl kaum ſo fühlen und denken — er beſitzt
allerdings die Fähigkeit dazu, und dies begründet
ſeine höhere geiſtige Natur, aber nur durch ihm
gleichartige Mitgeſchöpfe kann dieſe in Wirkſamkeit
treten, wie Feuer erſt entſteht, oder ſichtbar wird,
wo brennbare Materie vorhanden iſt. Der Begriff
des Klugen und Thörichten entſteht dagegen ſchon
früher, und auch in Bezug auf unſer eignes Indi-
viduum allein, denn auch der einzelne Menſch, im
Conflikt mit der ſogenannten todten Natur, kann
thöricht ſich ſchaden, oder das Gegebne mit Klug-
heit benutzen, und dies an ſich gewahr werden.
Gut ſeyn heißt alſo in jeder Beziehung nichts andres
als: andre Menſchen lieben und ſich ihren Ge-
ſetzen unterwerfen — böſe aber: ſich nicht an dieſe
Geſetze kehren, das Wohl Andrer für wenig oder
nichts achten, und bei ſeinen Handlungen nur die
eigne momentane Gratifikation vor Augen haben.
Klug ſeyn heißt dagegen nur ſeinen eignen Vor-
theil am geſchickteſten zu bewahren wiſſen — thö-
richt
, ihn zu vernachläſſigen, oder falſch zu beur-
theilen. Wir ſehen alſo ſehr bald, daß gut und
klug, böſe und thöricht, in höchſter Potenz, faſt
ſynonim werden, denn wer gut iſt wird in der Re-
gel ſeinen Mitmenſchen gefallen, von ihnen wieder
geliebt werden müſſen, folglich auch klug, für ſich
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[104/0128] auf Andere, denn der Menſch, welcher nie einen Mitmenſchen ſah, kann weder gut noch böſe handeln, ja wohl kaum ſo fühlen und denken — er beſitzt allerdings die Fähigkeit dazu, und dies begründet ſeine höhere geiſtige Natur, aber nur durch ihm gleichartige Mitgeſchöpfe kann dieſe in Wirkſamkeit treten, wie Feuer erſt entſteht, oder ſichtbar wird, wo brennbare Materie vorhanden iſt. Der Begriff des Klugen und Thörichten entſteht dagegen ſchon früher, und auch in Bezug auf unſer eignes Indi- viduum allein, denn auch der einzelne Menſch, im Conflikt mit der ſogenannten todten Natur, kann thöricht ſich ſchaden, oder das Gegebne mit Klug- heit benutzen, und dies an ſich gewahr werden. Gut ſeyn heißt alſo in jeder Beziehung nichts andres als: andre Menſchen lieben und ſich ihren Ge- ſetzen unterwerfen — böſe aber: ſich nicht an dieſe Geſetze kehren, das Wohl Andrer für wenig oder nichts achten, und bei ſeinen Handlungen nur die eigne momentane Gratifikation vor Augen haben. Klug ſeyn heißt dagegen nur ſeinen eignen Vor- theil am geſchickteſten zu bewahren wiſſen — thö- richt, ihn zu vernachläſſigen, oder falſch zu beur- theilen. Wir ſehen alſo ſehr bald, daß gut und klug, böſe und thöricht, in höchſter Potenz, faſt ſynonim werden, denn wer gut iſt wird in der Re- gel ſeinen Mitmenſchen gefallen, von ihnen wieder geliebt werden müſſen, folglich auch klug, für ſich den wahrſten Vortheil erlangen, der Böſe dagegen mit ihnen in ewigen Streit gerathen, indem er zu-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/128>, abgerufen am 27.04.2024.