Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

uns gleich unbekannt sind. Aus eben dem Grunde
wird es dem Guten, Fleißigen, Sparsamen, Klu-
gen etc. in der Regel der liebe Gott gut gehen, und
vieles was er wünscht gelingen lassen, dem Thoren
und Bösen aber, der sich in Krieg mit der Welt
setzt, wird es nicht so gut ergehen. Dem, der die
Hand im Eise liegen läßt, wird sie der liebe Gott
höchst wahrscheinlich erfrieren, und dem der sie ins
Feuer hält verbrennen lassen, es müßte denn der
unverbrennbare Spanier seyn. Wer zu Schiffe geht,
wird zuweilen vom lieben Gott die Schickung des
Ertrinkens zugetheilt erhalten, wer aber nie das
Land verläßt, den wird der liebe Gott auch gewiß
nie im Meere umkommen lassen. Daher heißt es
auch mit Recht: Hilf Dir selbst, und Gott wird Dir
helfen. Die Wahrheit ist, daß Gott uns schon von
vornherein geholfen hat. -- Das Werk des Meisters
ist vollendet und, soweit es beabsichtigt war, voll-
kommen. Es braucht daher keiner fernern extraordi-
nairen Nachhülfe und Corrigirung von oben. In
unsre eignen Hände ist für jetzt die weitere Entwick-
lung gelegt. Wir können gut und böse, klug und
thöricht seyn, nicht immer vielleicht wie es die In-
dividuen
frei wollen möchten, aber wie sie die
vorhergehende Menschheit herangebildet. Tugend
und Sünde, Klugheit und Thorheit sind ja über-
haupt blos Worte, die ihre Bedeutung hier erst durch
die menschliche Gesellschaft erhalten, und ohne
sie gänzlich verlieren würden. Der Begriff des Gu-
ten und Bösen entwickelt sich offenbar nur in Bezug

uns gleich unbekannt ſind. Aus eben dem Grunde
wird es dem Guten, Fleißigen, Sparſamen, Klu-
gen ꝛc. in der Regel der liebe Gott gut gehen, und
vieles was er wünſcht gelingen laſſen, dem Thoren
und Böſen aber, der ſich in Krieg mit der Welt
ſetzt, wird es nicht ſo gut ergehen. Dem, der die
Hand im Eiſe liegen läßt, wird ſie der liebe Gott
höchſt wahrſcheinlich erfrieren, und dem der ſie ins
Feuer hält verbrennen laſſen, es müßte denn der
unverbrennbare Spanier ſeyn. Wer zu Schiffe geht,
wird zuweilen vom lieben Gott die Schickung des
Ertrinkens zugetheilt erhalten, wer aber nie das
Land verläßt, den wird der liebe Gott auch gewiß
nie im Meere umkommen laſſen. Daher heißt es
auch mit Recht: Hilf Dir ſelbſt, und Gott wird Dir
helfen. Die Wahrheit iſt, daß Gott uns ſchon von
vornherein geholfen hat. — Das Werk des Meiſters
iſt vollendet und, ſoweit es beabſichtigt war, voll-
kommen. Es braucht daher keiner fernern extraordi-
nairen Nachhülfe und Corrigirung von oben. In
unſre eignen Hände iſt für jetzt die weitere Entwick-
lung gelegt. Wir können gut und böſe, klug und
thöricht ſeyn, nicht immer vielleicht wie es die In-
dividuen
frei wollen möchten, aber wie ſie die
vorhergehende Menſchheit herangebildet. Tugend
und Sünde, Klugheit und Thorheit ſind ja über-
haupt blos Worte, die ihre Bedeutung hier erſt durch
die menſchliche Geſellſchaft erhalten, und ohne
ſie gänzlich verlieren würden. Der Begriff des Gu-
ten und Böſen entwickelt ſich offenbar nur in Bezug

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0127" n="103"/>
uns gleich unbekannt &#x017F;ind. Aus eben dem Grunde<lb/>
wird es dem Guten, Fleißigen, Spar&#x017F;amen, Klu-<lb/>
gen &#xA75B;c. in der Regel der liebe Gott gut gehen, und<lb/>
vieles was er wün&#x017F;cht gelingen la&#x017F;&#x017F;en, dem Thoren<lb/>
und Bö&#x017F;en aber, der &#x017F;ich in Krieg mit der Welt<lb/>
&#x017F;etzt, wird es nicht &#x017F;o gut ergehen. Dem, der die<lb/>
Hand im Ei&#x017F;e liegen läßt, wird &#x017F;ie der liebe Gott<lb/>
höch&#x017F;t wahr&#x017F;cheinlich erfrieren, und dem der &#x017F;ie ins<lb/>
Feuer hält verbrennen la&#x017F;&#x017F;en, es müßte denn der<lb/>
unverbrennbare Spanier &#x017F;eyn. Wer zu Schiffe geht,<lb/>
wird zuweilen vom lieben Gott die Schickung des<lb/>
Ertrinkens zugetheilt erhalten, wer aber nie das<lb/>
Land verläßt, den wird der liebe Gott auch gewiß<lb/>
nie im Meere umkommen la&#x017F;&#x017F;en. Daher heißt es<lb/>
auch mit Recht: Hilf Dir &#x017F;elb&#x017F;t, und Gott wird Dir<lb/>
helfen. Die Wahrheit i&#x017F;t, daß Gott uns &#x017F;chon von<lb/>
vornherein geholfen hat. &#x2014; Das Werk des Mei&#x017F;ters<lb/>
i&#x017F;t vollendet und, &#x017F;oweit es beab&#x017F;ichtigt war, voll-<lb/>
kommen. Es braucht daher keiner fernern extraordi-<lb/>
nairen Nachhülfe und Corrigirung von oben. In<lb/>
un&#x017F;re eignen Hände i&#x017F;t für jetzt die weitere Entwick-<lb/>
lung gelegt. Wir können gut und bö&#x017F;e, klug und<lb/>
thöricht &#x017F;eyn, nicht immer vielleicht wie es die <hi rendition="#g">In-<lb/>
dividuen</hi> frei wollen möchten, aber wie &#x017F;ie die<lb/>
vorhergehende <hi rendition="#g">Men&#x017F;chheit</hi> herangebildet. Tugend<lb/>
und Sünde, Klugheit und Thorheit &#x017F;ind ja über-<lb/>
haupt blos Worte, die ihre Bedeutung hier er&#x017F;t durch<lb/>
die <hi rendition="#g">men&#x017F;chliche Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft</hi> erhalten, und ohne<lb/>
&#x017F;ie gänzlich verlieren würden. Der Begriff des Gu-<lb/>
ten und Bö&#x017F;en entwickelt &#x017F;ich offenbar <hi rendition="#g">nur</hi> in Bezug<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0127] uns gleich unbekannt ſind. Aus eben dem Grunde wird es dem Guten, Fleißigen, Sparſamen, Klu- gen ꝛc. in der Regel der liebe Gott gut gehen, und vieles was er wünſcht gelingen laſſen, dem Thoren und Böſen aber, der ſich in Krieg mit der Welt ſetzt, wird es nicht ſo gut ergehen. Dem, der die Hand im Eiſe liegen läßt, wird ſie der liebe Gott höchſt wahrſcheinlich erfrieren, und dem der ſie ins Feuer hält verbrennen laſſen, es müßte denn der unverbrennbare Spanier ſeyn. Wer zu Schiffe geht, wird zuweilen vom lieben Gott die Schickung des Ertrinkens zugetheilt erhalten, wer aber nie das Land verläßt, den wird der liebe Gott auch gewiß nie im Meere umkommen laſſen. Daher heißt es auch mit Recht: Hilf Dir ſelbſt, und Gott wird Dir helfen. Die Wahrheit iſt, daß Gott uns ſchon von vornherein geholfen hat. — Das Werk des Meiſters iſt vollendet und, ſoweit es beabſichtigt war, voll- kommen. Es braucht daher keiner fernern extraordi- nairen Nachhülfe und Corrigirung von oben. In unſre eignen Hände iſt für jetzt die weitere Entwick- lung gelegt. Wir können gut und böſe, klug und thöricht ſeyn, nicht immer vielleicht wie es die In- dividuen frei wollen möchten, aber wie ſie die vorhergehende Menſchheit herangebildet. Tugend und Sünde, Klugheit und Thorheit ſind ja über- haupt blos Worte, die ihre Bedeutung hier erſt durch die menſchliche Geſellſchaft erhalten, und ohne ſie gänzlich verlieren würden. Der Begriff des Gu- ten und Böſen entwickelt ſich offenbar nur in Bezug

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/127
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/127>, abgerufen am 24.11.2024.