Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

auch dies uns offenbart, und zwar so unbezweifelt
offenbart haben; als wir es mit Bestimmtheit wis-
sen, daß wir fühlen, denken und sind. Was uns nö-
thig war, ist uns im Innern offenbart, und dies
haben von jeher die größten Geister der Erde in mehr
oder minder erleuchteten Worten ausgesprochen.

Daß die Menschheit nicht wie eine willenlose Ma-
schine stille zu stehen, oder im Kreise sich ewig um-
zudrehen brauche, sondern weiter schreite, und aus
sich selbst fort werde, bis sie einst ihren möglichen
Lebenscyclus geendigt, und ihre höchste Perfektibi-
lität erreicht hat, daran zweifele ich keinen Augen-
blick. Meine Hypothese würde dabei nur die seyn,
daß die Erde, gleich dem einmal vom Stapel gelasse-
nen Schiffe, unter dem Schutz und Zwange unwan-
delbarer Naturgesetze, nun ihrer eignen Mannschaft
überlassen bleibe. Wir selbst machen hinfort unser
Leben (so weit es vom Menschen und nicht von jenen
Gesetzen abhängt) so wie unsre Geschichte, im Gro-
ßen wie im Kleinen, durch unsre eigne moralische
Kraft oder Schwäche. Keine besonders eingreifende
Macht ist meines Erachtens anzunehmen, die z. B.
Napoleon einen harten Winter in Rußland schickt,
um ihn zu stürzen, sondern Napoleon stürzt an dem
fehlerhaften Prinzip das ihn selbst leitet, und wel-
ches auf die Länge, an dieser oder jener scheinbaren
Ursache, immer untergehen muß. Das Naturereig-
niß tritt, in Bezug auf ihn, nur zufällig ein, an sich
aber ohne Zweifel in der nothwendigen Folge der
Gesetze, denen es unterworfen ist, wenn diese Gesetze

auch dies uns offenbart, und zwar ſo unbezweifelt
offenbart haben; als wir es mit Beſtimmtheit wiſ-
ſen, daß wir fühlen, denken und ſind. Was uns nö-
thig war, iſt uns im Innern offenbart, und dies
haben von jeher die größten Geiſter der Erde in mehr
oder minder erleuchteten Worten ausgeſprochen.

Daß die Menſchheit nicht wie eine willenloſe Ma-
ſchine ſtille zu ſtehen, oder im Kreiſe ſich ewig um-
zudrehen brauche, ſondern weiter ſchreite, und aus
ſich ſelbſt fort werde, bis ſie einſt ihren möglichen
Lebenscyclus geendigt, und ihre höchſte Perfektibi-
lität erreicht hat, daran zweifele ich keinen Augen-
blick. Meine Hypotheſe würde dabei nur die ſeyn,
daß die Erde, gleich dem einmal vom Stapel gelaſſe-
nen Schiffe, unter dem Schutz und Zwange unwan-
delbarer Naturgeſetze, nun ihrer eignen Mannſchaft
überlaſſen bleibe. Wir ſelbſt machen hinfort unſer
Leben (ſo weit es vom Menſchen und nicht von jenen
Geſetzen abhängt) ſo wie unſre Geſchichte, im Gro-
ßen wie im Kleinen, durch unſre eigne moraliſche
Kraft oder Schwäche. Keine beſonders eingreifende
Macht iſt meines Erachtens anzunehmen, die z. B.
Napoleon einen harten Winter in Rußland ſchickt,
um ihn zu ſtürzen, ſondern Napoleon ſtürzt an dem
fehlerhaften Prinzip das ihn ſelbſt leitet, und wel-
ches auf die Länge, an dieſer oder jener ſcheinbaren
Urſache, immer untergehen muß. Das Naturereig-
niß tritt, in Bezug auf ihn, nur zufällig ein, an ſich
aber ohne Zweifel in der nothwendigen Folge der
Geſetze, denen es unterworfen iſt, wenn dieſe Geſetze

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0126" n="102"/>
auch dies uns offenbart, und zwar &#x017F;o unbezweifelt<lb/>
offenbart haben; als wir es mit Be&#x017F;timmtheit wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, daß wir fühlen, denken und &#x017F;ind. Was uns nö-<lb/>
thig war, i&#x017F;t uns im <hi rendition="#g">Innern</hi> offenbart, und dies<lb/>
haben von jeher die größten Gei&#x017F;ter der Erde in mehr<lb/>
oder minder erleuchteten Worten ausge&#x017F;prochen.</p><lb/>
          <p>Daß die Men&#x017F;chheit nicht wie eine willenlo&#x017F;e Ma-<lb/>
&#x017F;chine &#x017F;tille zu &#x017F;tehen, oder im Krei&#x017F;e &#x017F;ich ewig um-<lb/>
zudrehen brauche, &#x017F;ondern weiter &#x017F;chreite, und aus<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t fort werde, bis &#x017F;ie ein&#x017F;t ihren möglichen<lb/>
Lebenscyclus geendigt, und ihre höch&#x017F;te Perfektibi-<lb/>
lität erreicht hat, daran zweifele ich keinen Augen-<lb/>
blick. <hi rendition="#g">Meine</hi> Hypothe&#x017F;e würde dabei nur die &#x017F;eyn,<lb/>
daß die Erde, gleich dem einmal vom Stapel gela&#x017F;&#x017F;e-<lb/>
nen Schiffe, unter dem Schutz und Zwange unwan-<lb/>
delbarer Naturge&#x017F;etze, nun ihrer eignen Mann&#x017F;chaft<lb/>
überla&#x017F;&#x017F;en bleibe. Wir &#x017F;elb&#x017F;t <hi rendition="#g">machen</hi> hinfort un&#x017F;er<lb/>
Leben (&#x017F;o weit es vom Men&#x017F;chen und nicht von jenen<lb/>
Ge&#x017F;etzen abhängt) &#x017F;o wie un&#x017F;re Ge&#x017F;chichte, im Gro-<lb/>
ßen wie im Kleinen, durch un&#x017F;re eigne morali&#x017F;che<lb/>
Kraft oder Schwäche. Keine be&#x017F;onders eingreifende<lb/>
Macht i&#x017F;t meines Erachtens anzunehmen, die z. B.<lb/>
Napoleon einen harten Winter in Rußland &#x017F;chickt,<lb/>
um ihn zu &#x017F;türzen, &#x017F;ondern Napoleon &#x017F;türzt an dem<lb/>
fehlerhaften Prinzip das ihn &#x017F;elb&#x017F;t leitet, und wel-<lb/>
ches auf die Länge, an die&#x017F;er oder jener &#x017F;cheinbaren<lb/>
Ur&#x017F;ache, immer untergehen muß. Das Naturereig-<lb/>
niß tritt, in Bezug auf ihn, nur zufällig ein, an &#x017F;ich<lb/>
aber ohne Zweifel in der nothwendigen Folge der<lb/>
Ge&#x017F;etze, denen es unterworfen i&#x017F;t, wenn die&#x017F;e Ge&#x017F;etze<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0126] auch dies uns offenbart, und zwar ſo unbezweifelt offenbart haben; als wir es mit Beſtimmtheit wiſ- ſen, daß wir fühlen, denken und ſind. Was uns nö- thig war, iſt uns im Innern offenbart, und dies haben von jeher die größten Geiſter der Erde in mehr oder minder erleuchteten Worten ausgeſprochen. Daß die Menſchheit nicht wie eine willenloſe Ma- ſchine ſtille zu ſtehen, oder im Kreiſe ſich ewig um- zudrehen brauche, ſondern weiter ſchreite, und aus ſich ſelbſt fort werde, bis ſie einſt ihren möglichen Lebenscyclus geendigt, und ihre höchſte Perfektibi- lität erreicht hat, daran zweifele ich keinen Augen- blick. Meine Hypotheſe würde dabei nur die ſeyn, daß die Erde, gleich dem einmal vom Stapel gelaſſe- nen Schiffe, unter dem Schutz und Zwange unwan- delbarer Naturgeſetze, nun ihrer eignen Mannſchaft überlaſſen bleibe. Wir ſelbſt machen hinfort unſer Leben (ſo weit es vom Menſchen und nicht von jenen Geſetzen abhängt) ſo wie unſre Geſchichte, im Gro- ßen wie im Kleinen, durch unſre eigne moraliſche Kraft oder Schwäche. Keine beſonders eingreifende Macht iſt meines Erachtens anzunehmen, die z. B. Napoleon einen harten Winter in Rußland ſchickt, um ihn zu ſtürzen, ſondern Napoleon ſtürzt an dem fehlerhaften Prinzip das ihn ſelbſt leitet, und wel- ches auf die Länge, an dieſer oder jener ſcheinbaren Urſache, immer untergehen muß. Das Naturereig- niß tritt, in Bezug auf ihn, nur zufällig ein, an ſich aber ohne Zweifel in der nothwendigen Folge der Geſetze, denen es unterworfen iſt, wenn dieſe Geſetze

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/126
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/126>, abgerufen am 24.11.2024.