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Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886.

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edelsten Söhne zu verleugnen, sie rücksichtslos von sich zu stoßen; die Mächte, in deren Hand das Schicksal des deutschen Vaterlandes lag, schienen nicht zu sehen, welche Wunden sie ihm schlugen, welch' edles Lebensblut diesen Wunden entströmte. Noch versuchte Lieber, sich im Lande zu halten, auf irgendeine Weise sich eine Existenz zu gründen. Aber mehr und mehr drängte sich ihm die Einsicht auf, daß Alles vergebens sei, daß es Männern seines Schlages unter den herrschenden Verhältnissen nicht erspart bleiben solle, das bittere Brod der Verbannung zu essen. Schon richtete er seinen Blick in die Ferne. Im Sommer 1825 hatte er eine Stellung als Hauslehrer in der Familie des Grafen Bernsdorff angenommen, und denselben - mit polizeilicher Erlaubniß - auf seine Güter in Mecklenburg begleitet. Eine Notiz seines Tagebuches aus dieser Zeit verräth die Gedanken, die in ihm aufzusteigen begannen. "Ich kann mir nichts Köstlicheres vorstellen", schreibt er, "als einen eigenen Landbesitz in einem freien Lande, - aber lieber ein freier Bauer, als ein Mecklenburger Edelmann. Graf Bernsdorff erlaubt seinen Bauern nicht, ein Stück Vieh oder ein Pferd zu verkaufen, ehe sie es nicht ihm angeboten haben." In diesen wenigen Worten scheint schon die Ahnung zu dämmern, daß sein freier Sinn ihn hinaustreibe aus der alten Welt mit ihren verrotteten, einem feudalistischen Mittelalter entstammenden Einrichtungen, ihn hinüberziehe in das jungfräuliche Land der Freiheit, über welchem ein moderner Geist, ungetrübt von jenen finstern Schatten, in heitrer Klarheit waltete. Solche Gedanken begannen festere Gestalt anzunehmen. Im folgenden Winter betrieb er in Berlin eifrig das Studium der englischen Sprache, und als sich, der freundschaftlichen Bemühungen Niebuhr's ungeachtet, ihm noch immer keinerlei Aussicht einer selbstständigen Existenz eröffnete, als die Köpenicker

edelsten Söhne zu verleugnen, sie rücksichtslos von sich zu stoßen; die Mächte, in deren Hand das Schicksal des deutschen Vaterlandes lag, schienen nicht zu sehen, welche Wunden sie ihm schlugen, welch’ edles Lebensblut diesen Wunden entströmte. Noch versuchte Lieber, sich im Lande zu halten, auf irgendeine Weise sich eine Existenz zu gründen. Aber mehr und mehr drängte sich ihm die Einsicht auf, daß Alles vergebens sei, daß es Männern seines Schlages unter den herrschenden Verhältnissen nicht erspart bleiben solle, das bittere Brod der Verbannung zu essen. Schon richtete er seinen Blick in die Ferne. Im Sommer 1825 hatte er eine Stellung als Hauslehrer in der Familie des Grafen Bernsdorff angenommen, und denselben – mit polizeilicher Erlaubniß – auf seine Güter in Mecklenburg begleitet. Eine Notiz seines Tagebuches aus dieser Zeit verräth die Gedanken, die in ihm aufzusteigen begannen. „Ich kann mir nichts Köstlicheres vorstellen“, schreibt er, „als einen eigenen Landbesitz in einem freien Lande, – aber lieber ein freier Bauer, als ein Mecklenburger Edelmann. Graf Bernsdorff erlaubt seinen Bauern nicht, ein Stück Vieh oder ein Pferd zu verkaufen, ehe sie es nicht ihm angeboten haben.“ In diesen wenigen Worten scheint schon die Ahnung zu dämmern, daß sein freier Sinn ihn hinaustreibe aus der alten Welt mit ihren verrotteten, einem feudalistischen Mittelalter entstammenden Einrichtungen, ihn hinüberziehe in das jungfräuliche Land der Freiheit, über welchem ein moderner Geist, ungetrübt von jenen finstern Schatten, in heitrer Klarheit waltete. Solche Gedanken begannen festere Gestalt anzunehmen. Im folgenden Winter betrieb er in Berlin eifrig das Studium der englischen Sprache, und als sich, der freundschaftlichen Bemühungen Niebuhr’s ungeachtet, ihm noch immer keinerlei Aussicht einer selbstständigen Existenz eröffnete, als die Köpenicker

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[22/0022] edelsten Söhne zu verleugnen, sie rücksichtslos von sich zu stoßen; die Mächte, in deren Hand das Schicksal des deutschen Vaterlandes lag, schienen nicht zu sehen, welche Wunden sie ihm schlugen, welch’ edles Lebensblut diesen Wunden entströmte. Noch versuchte Lieber, sich im Lande zu halten, auf irgendeine Weise sich eine Existenz zu gründen. Aber mehr und mehr drängte sich ihm die Einsicht auf, daß Alles vergebens sei, daß es Männern seines Schlages unter den herrschenden Verhältnissen nicht erspart bleiben solle, das bittere Brod der Verbannung zu essen. Schon richtete er seinen Blick in die Ferne. Im Sommer 1825 hatte er eine Stellung als Hauslehrer in der Familie des Grafen Bernsdorff angenommen, und denselben – mit polizeilicher Erlaubniß – auf seine Güter in Mecklenburg begleitet. Eine Notiz seines Tagebuches aus dieser Zeit verräth die Gedanken, die in ihm aufzusteigen begannen. „Ich kann mir nichts Köstlicheres vorstellen“, schreibt er, „als einen eigenen Landbesitz in einem freien Lande, – aber lieber ein freier Bauer, als ein Mecklenburger Edelmann. Graf Bernsdorff erlaubt seinen Bauern nicht, ein Stück Vieh oder ein Pferd zu verkaufen, ehe sie es nicht ihm angeboten haben.“ In diesen wenigen Worten scheint schon die Ahnung zu dämmern, daß sein freier Sinn ihn hinaustreibe aus der alten Welt mit ihren verrotteten, einem feudalistischen Mittelalter entstammenden Einrichtungen, ihn hinüberziehe in das jungfräuliche Land der Freiheit, über welchem ein moderner Geist, ungetrübt von jenen finstern Schatten, in heitrer Klarheit waltete. Solche Gedanken begannen festere Gestalt anzunehmen. Im folgenden Winter betrieb er in Berlin eifrig das Studium der englischen Sprache, und als sich, der freundschaftlichen Bemühungen Niebuhr’s ungeachtet, ihm noch immer keinerlei Aussicht einer selbstständigen Existenz eröffnete, als die Köpenicker

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Zitationshilfe: Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/preuss_franz_1886/22>, abgerufen am 29.03.2024.