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Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886.

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Untersuchungskommission ihm immer noch Zeichen ihres unverminderten Interesses an seiner Person gab, da entschloß er sich endlich, nach schweren inneren Kämpfen, blutenden Herzens zu dem entscheidenden Schritt. "Am 17. Mai 1826", so berichtet er selbst, "um 1/210 Uhr Abends verließ ich Berlin. Ich mußte die ganze Familie täuschen. Es war schrecklich und ich weinte bitterlich, als ich in den Wagen stieg."

Er wandte sich zunächst nach England und verlebte in London ein an Entbehrungen reiches, schweres Jahr. Mittellos in der Millionenstadt mußte er sich seinen kümmerlichen Unterhalt durch deutsche und italienische Sprachstunden erwerben. Den Gedanken, sich dauernd in England niederzulassen, gab er bald auf. Nachdem er sich einmal unter Schmerzen von der Heimath losgerissen, wollte er auch völlig heraus aus der alten Welt, "zu neuen Sphären reiner Thätigkeit". Den ersten Anhalt bot ihm eine gar bescheidene Stellung. In Boston sollte eine Schwimmschule nach dem Muster der hiesigen, vom General v. Pfuel gegründeten, errichtet werden. Das Amt, dieselbe einzurichten und zu leiten, wurde Lieber von der Stadt Boston durch Vermittelung englischer Freunde angeboten, und er acceptirte. Aber nicht als völlig freier Mann wandte er sich dem Lande der Freiheit zu; er trug das Glied einer Kette mit sich hinüber, einen Ring, freilich einen goldnen - seinen Verlobungsring. Im Augenblick seines Scheidens von der alten Welt zeigte er sich noch als echten Deutschen, that er einen Schritt, den in seiner prekären Lage kein praktischer Yankee je gethan hätte. Er hatte sich verliebt und verlobt. Er war ein Opfer seines Lehrerberufes, denn er hatte seiner künftigen Braut italienische Stunden geben, mit ihr Tasso lesen müssen. Daß seine Mathilde keine reiche Erbin war, braucht kaum gesagt zu werden; aber sie hatte den Muth, trotz seiner sehr fragwürdigen

Untersuchungskommission ihm immer noch Zeichen ihres unverminderten Interesses an seiner Person gab, da entschloß er sich endlich, nach schweren inneren Kämpfen, blutenden Herzens zu dem entscheidenden Schritt. „Am 17. Mai 1826“, so berichtet er selbst, „um ½10 Uhr Abends verließ ich Berlin. Ich mußte die ganze Familie täuschen. Es war schrecklich und ich weinte bitterlich, als ich in den Wagen stieg.“

Er wandte sich zunächst nach England und verlebte in London ein an Entbehrungen reiches, schweres Jahr. Mittellos in der Millionenstadt mußte er sich seinen kümmerlichen Unterhalt durch deutsche und italienische Sprachstunden erwerben. Den Gedanken, sich dauernd in England niederzulassen, gab er bald auf. Nachdem er sich einmal unter Schmerzen von der Heimath losgerissen, wollte er auch völlig heraus aus der alten Welt, „zu neuen Sphären reiner Thätigkeit“. Den ersten Anhalt bot ihm eine gar bescheidene Stellung. In Boston sollte eine Schwimmschule nach dem Muster der hiesigen, vom General v. Pfuel gegründeten, errichtet werden. Das Amt, dieselbe einzurichten und zu leiten, wurde Lieber von der Stadt Boston durch Vermittelung englischer Freunde angeboten, und er acceptirte. Aber nicht als völlig freier Mann wandte er sich dem Lande der Freiheit zu; er trug das Glied einer Kette mit sich hinüber, einen Ring, freilich einen goldnen – seinen Verlobungsring. Im Augenblick seines Scheidens von der alten Welt zeigte er sich noch als echten Deutschen, that er einen Schritt, den in seiner prekären Lage kein praktischer Yankee je gethan hätte. Er hatte sich verliebt und verlobt. Er war ein Opfer seines Lehrerberufes, denn er hatte seiner künftigen Braut italienische Stunden geben, mit ihr Tasso lesen müssen. Daß seine Mathilde keine reiche Erbin war, braucht kaum gesagt zu werden; aber sie hatte den Muth, trotz seiner sehr fragwürdigen

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[23/0023] Untersuchungskommission ihm immer noch Zeichen ihres unverminderten Interesses an seiner Person gab, da entschloß er sich endlich, nach schweren inneren Kämpfen, blutenden Herzens zu dem entscheidenden Schritt. „Am 17. Mai 1826“, so berichtet er selbst, „um ½10 Uhr Abends verließ ich Berlin. Ich mußte die ganze Familie täuschen. Es war schrecklich und ich weinte bitterlich, als ich in den Wagen stieg.“ Er wandte sich zunächst nach England und verlebte in London ein an Entbehrungen reiches, schweres Jahr. Mittellos in der Millionenstadt mußte er sich seinen kümmerlichen Unterhalt durch deutsche und italienische Sprachstunden erwerben. Den Gedanken, sich dauernd in England niederzulassen, gab er bald auf. Nachdem er sich einmal unter Schmerzen von der Heimath losgerissen, wollte er auch völlig heraus aus der alten Welt, „zu neuen Sphären reiner Thätigkeit“. Den ersten Anhalt bot ihm eine gar bescheidene Stellung. In Boston sollte eine Schwimmschule nach dem Muster der hiesigen, vom General v. Pfuel gegründeten, errichtet werden. Das Amt, dieselbe einzurichten und zu leiten, wurde Lieber von der Stadt Boston durch Vermittelung englischer Freunde angeboten, und er acceptirte. Aber nicht als völlig freier Mann wandte er sich dem Lande der Freiheit zu; er trug das Glied einer Kette mit sich hinüber, einen Ring, freilich einen goldnen – seinen Verlobungsring. Im Augenblick seines Scheidens von der alten Welt zeigte er sich noch als echten Deutschen, that er einen Schritt, den in seiner prekären Lage kein praktischer Yankee je gethan hätte. Er hatte sich verliebt und verlobt. Er war ein Opfer seines Lehrerberufes, denn er hatte seiner künftigen Braut italienische Stunden geben, mit ihr Tasso lesen müssen. Daß seine Mathilde keine reiche Erbin war, braucht kaum gesagt zu werden; aber sie hatte den Muth, trotz seiner sehr fragwürdigen

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Zitationshilfe: Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/preuss_franz_1886/23>, abgerufen am 24.04.2024.