können kein Todesurtheil aussprechen. Dieses ist ein Recht, welches allein dem Könige zu- kommt, und welches er zuweilen gewissen obrig- keitlichen Personen, aus besondern Gnaden, aufträgt. Auf diese Weise schickt der Hof von Siam, wie der Hof von Peking, oft außer- ordentliche Aufseher in die Provinzen, um ge- wisse Vergehungen zu untersuchen, die Klagen des Volks anzuhören, und die Drückungen der Statthalter abzustellen. Die Kommissarien haben nicht nur die Macht, Privatpersonen zum Tode zu verurtheilen, sondern sie können auch obrigkeitliche Personen ihres Amtes ent- setzen.
Wir kommen nun auf die Strafgesetze selbst. Die gewöhnliche Strafe des Diebstahls ist der doppelte Ersatz, ja zuweilen der dreyfache, welchen der Richter und Kläger unter sich thei- len. Das Seltsamste hierbey ist dieses, daß die Siamer die Strafe des Diebstahls auf je- den unrechtmäßigen Besitz einer Sache ausdeh- nen. Wem also eine Erbschaft abgesprochen wird, der muß sie nicht nur seinem Gegentheile abtreten, sondern auch den Werth dafür bezah- len, und zwar die Hälfte an den Richter, und die andre Hälfte an den Gegner.
Wenn in wichtigen Anklagen der Beweis fehlt, erlaubt man den Partheyen, daß sie sich verschiedener Arten von Proben bedienen kön- nen. -- Die Feuerprobe, welche in den bar- barischen Zeitaltern in Europa so gebräuchlich
war,
koͤnnen kein Todesurtheil ausſprechen. Dieſes iſt ein Recht, welches allein dem Koͤnige zu- kommt, und welches er zuweilen gewiſſen obrig- keitlichen Perſonen, aus beſondern Gnaden, auftraͤgt. Auf dieſe Weiſe ſchickt der Hof von Siam, wie der Hof von Peking, oft außer- ordentliche Aufſeher in die Provinzen, um ge- wiſſe Vergehungen zu unterſuchen, die Klagen des Volks anzuhoͤren, und die Druͤckungen der Statthalter abzuſtellen. Die Kommiſſarien haben nicht nur die Macht, Privatperſonen zum Tode zu verurtheilen, ſondern ſie koͤnnen auch obrigkeitliche Perſonen ihres Amtes ent- ſetzen.
Wir kommen nun auf die Strafgeſetze ſelbſt. Die gewoͤhnliche Strafe des Diebſtahls iſt der doppelte Erſatz, ja zuweilen der dreyfache, welchen der Richter und Klaͤger unter ſich thei- len. Das Seltſamſte hierbey iſt dieſes, daß die Siamer die Strafe des Diebſtahls auf je- den unrechtmaͤßigen Beſitz einer Sache ausdeh- nen. Wem alſo eine Erbſchaft abgeſprochen wird, der muß ſie nicht nur ſeinem Gegentheile abtreten, ſondern auch den Werth dafuͤr bezah- len, und zwar die Haͤlfte an den Richter, und die andre Haͤlfte an den Gegner.
Wenn in wichtigen Anklagen der Beweis fehlt, erlaubt man den Partheyen, daß ſie ſich verſchiedener Arten von Proben bedienen koͤn- nen. — Die Feuerprobe, welche in den bar- bariſchen Zeitaltern in Europa ſo gebraͤuchlich
war,
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koͤnnen kein Todesurtheil ausſprechen. Dieſes
iſt ein Recht, welches allein dem Koͤnige zu-
kommt, und welches er zuweilen gewiſſen obrig-
keitlichen Perſonen, aus beſondern Gnaden,
auftraͤgt. Auf dieſe Weiſe ſchickt der Hof von
Siam, wie der Hof von Peking, oft außer-
ordentliche Aufſeher in die Provinzen, um ge-
wiſſe Vergehungen zu unterſuchen, die Klagen
des Volks anzuhoͤren, und die Druͤckungen der
Statthalter abzuſtellen. Die Kommiſſarien
haben nicht nur die Macht, Privatperſonen
zum Tode zu verurtheilen, ſondern ſie koͤnnen
auch obrigkeitliche Perſonen ihres Amtes ent-
ſetzen.
Wir kommen nun auf die Strafgeſetze
ſelbſt. Die gewoͤhnliche Strafe des Diebſtahls
iſt der doppelte Erſatz, ja zuweilen der dreyfache,
welchen der Richter und Klaͤger unter ſich thei-
len. Das Seltſamſte hierbey iſt dieſes, daß
die Siamer die Strafe des Diebſtahls auf je-
den unrechtmaͤßigen Beſitz einer Sache ausdeh-
nen. Wem alſo eine Erbſchaft abgeſprochen
wird, der muß ſie nicht nur ſeinem Gegentheile
abtreten, ſondern auch den Werth dafuͤr bezah-
len, und zwar die Haͤlfte an den Richter, und
die andre Haͤlfte an den Gegner.
Wenn in wichtigen Anklagen der Beweis
fehlt, erlaubt man den Partheyen, daß ſie ſich
verſchiedener Arten von Proben bedienen koͤn-
nen. — Die Feuerprobe, welche in den bar-
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/359>, abgerufen am 22.11.2024.
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