in dem nächsten Zelte. Man überläßt sich von beyden Seiten allem möglichen Vergnügen, so lange der Tag dauert. Wenn die Nacht her- einbricht; so führt das Fräuenzimmer die Braut zum Bräutigam, welcher sie allein in seinem Zelte erwartet, und sie, ohne zu reden, oder die geringste Bewegung zu machen, aufnimmt. Die Braut nähert sich, beobachtet gleichfalls ein Stillschweigen, und wirft sich ihrem Lieb- sten zu Füßen, der ihr ein Band um die Stirne bindet, an welchem eine goldene oder silberne Medaille hängt. Diese Cerimonie wird den Abend dreymal wiederholt, und bey jedem male ändert die Braut ihre Kleidung: so oft sie dem Bräutigam vorgeführt wird, so oft empfängt er sie auf eben diese Art, und beweist eben die Ernsthaftigkeit.
Es ist eine Art von Pracht im Morgenlan- de, daß man die Braut oft auszieht, und ihr in einem Tage alle Kleider anziehen läst, die sie zur Hochzeit bekommen hat. Wenn die Braut zum dritten male vorgeführt ist, steht der Bräu- tigam auf, umarmt sie, und trägt sie in das Zelt, wo sie schlafen sollen. Da läst man sie eine viertel Stunde allein: -- hernach waschen sie sich beyde mit kaltem Wasser, und ziehen sich anders an. Die junge Frau begiebt sich wieder zu den übrigen Weibern, der Mann aber zu seiner Gesellschaft, und zeigt daselbst die unver- werflichen Proben der Jungferschaft seiner Frau.
Je-
in dem naͤchſten Zelte. Man uͤberlaͤßt ſich von beyden Seiten allem moͤglichen Vergnuͤgen, ſo lange der Tag dauert. Wenn die Nacht her- einbricht; ſo fuͤhrt das Fraͤuenzimmer die Braut zum Braͤutigam, welcher ſie allein in ſeinem Zelte erwartet, und ſie, ohne zu reden, oder die geringſte Bewegung zu machen, aufnimmt. Die Braut naͤhert ſich, beobachtet gleichfalls ein Stillſchweigen, und wirft ſich ihrem Lieb- ſten zu Fuͤßen, der ihr ein Band um die Stirne bindet, an welchem eine goldene oder ſilberne Medaille haͤngt. Dieſe Cerimonie wird den Abend dreymal wiederholt, und bey jedem male aͤndert die Braut ihre Kleidung: ſo oft ſie dem Braͤutigam vorgefuͤhrt wird, ſo oft empfaͤngt er ſie auf eben dieſe Art, und beweiſt eben die Ernſthaftigkeit.
Es iſt eine Art von Pracht im Morgenlan- de, daß man die Braut oft auszieht, und ihr in einem Tage alle Kleider anziehen laͤſt, die ſie zur Hochzeit bekommen hat. Wenn die Braut zum dritten male vorgefuͤhrt iſt, ſteht der Braͤu- tigam auf, umarmt ſie, und traͤgt ſie in das Zelt, wo ſie ſchlafen ſollen. Da laͤſt man ſie eine viertel Stunde allein: — hernach waſchen ſie ſich beyde mit kaltem Waſſer, und ziehen ſich anders an. Die junge Frau begiebt ſich wieder zu den uͤbrigen Weibern, der Mann aber zu ſeiner Geſellſchaft, und zeigt daſelbſt die unver- werflichen Proben der Jungferſchaft ſeiner Frau.
Je-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0295"n="269"/>
in dem naͤchſten Zelte. Man uͤberlaͤßt ſich von<lb/>
beyden Seiten allem moͤglichen Vergnuͤgen, ſo<lb/>
lange der Tag dauert. Wenn die Nacht her-<lb/>
einbricht; ſo fuͤhrt das Fraͤuenzimmer die Braut<lb/>
zum Braͤutigam, welcher ſie allein in ſeinem<lb/>
Zelte erwartet, und ſie, ohne zu reden, oder<lb/>
die geringſte Bewegung zu machen, aufnimmt.<lb/>
Die Braut naͤhert ſich, beobachtet gleichfalls<lb/>
ein Stillſchweigen, und wirft ſich ihrem Lieb-<lb/>ſten zu Fuͤßen, der ihr ein Band um die Stirne<lb/>
bindet, an welchem eine goldene oder ſilberne<lb/>
Medaille haͤngt. Dieſe Cerimonie wird den<lb/>
Abend dreymal wiederholt, und bey jedem male<lb/>
aͤndert die Braut ihre Kleidung: ſo oft ſie dem<lb/>
Braͤutigam vorgefuͤhrt wird, ſo oft empfaͤngt<lb/>
er ſie auf eben dieſe Art, und beweiſt eben die<lb/>
Ernſthaftigkeit.</p><lb/><p>Es iſt eine Art von Pracht im Morgenlan-<lb/>
de, daß man die Braut oft auszieht, und ihr<lb/>
in einem Tage alle Kleider anziehen laͤſt, die ſie<lb/>
zur Hochzeit bekommen hat. Wenn die Braut<lb/>
zum dritten male vorgefuͤhrt iſt, ſteht der Braͤu-<lb/>
tigam auf, umarmt ſie, und traͤgt ſie in das<lb/>
Zelt, wo ſie ſchlafen ſollen. Da laͤſt man ſie<lb/>
eine viertel Stunde allein: — hernach waſchen<lb/>ſie ſich beyde mit kaltem Waſſer, und ziehen ſich<lb/>
anders an. Die junge Frau begiebt ſich wieder<lb/>
zu den uͤbrigen Weibern, der Mann aber zu<lb/>ſeiner Geſellſchaft, und zeigt daſelbſt die unver-<lb/>
werflichen Proben der Jungferſchaft ſeiner Frau.<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Je-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[269/0295]
in dem naͤchſten Zelte. Man uͤberlaͤßt ſich von
beyden Seiten allem moͤglichen Vergnuͤgen, ſo
lange der Tag dauert. Wenn die Nacht her-
einbricht; ſo fuͤhrt das Fraͤuenzimmer die Braut
zum Braͤutigam, welcher ſie allein in ſeinem
Zelte erwartet, und ſie, ohne zu reden, oder
die geringſte Bewegung zu machen, aufnimmt.
Die Braut naͤhert ſich, beobachtet gleichfalls
ein Stillſchweigen, und wirft ſich ihrem Lieb-
ſten zu Fuͤßen, der ihr ein Band um die Stirne
bindet, an welchem eine goldene oder ſilberne
Medaille haͤngt. Dieſe Cerimonie wird den
Abend dreymal wiederholt, und bey jedem male
aͤndert die Braut ihre Kleidung: ſo oft ſie dem
Braͤutigam vorgefuͤhrt wird, ſo oft empfaͤngt
er ſie auf eben dieſe Art, und beweiſt eben die
Ernſthaftigkeit.
Es iſt eine Art von Pracht im Morgenlan-
de, daß man die Braut oft auszieht, und ihr
in einem Tage alle Kleider anziehen laͤſt, die ſie
zur Hochzeit bekommen hat. Wenn die Braut
zum dritten male vorgefuͤhrt iſt, ſteht der Braͤu-
tigam auf, umarmt ſie, und traͤgt ſie in das
Zelt, wo ſie ſchlafen ſollen. Da laͤſt man ſie
eine viertel Stunde allein: — hernach waſchen
ſie ſich beyde mit kaltem Waſſer, und ziehen ſich
anders an. Die junge Frau begiebt ſich wieder
zu den uͤbrigen Weibern, der Mann aber zu
ſeiner Geſellſchaft, und zeigt daſelbſt die unver-
werflichen Proben der Jungferſchaft ſeiner Frau.
Je-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/295>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.