Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

zu verschaffen. Man hat in China eine
große Menge Bücher, worinn seine Tha-
ten beschrieben, und trefflich von den Bonzen
herausgestrichen worden. Es dauerte auch
nicht lange; so erhielt er schon eine Menge An-
hänger, bie sich eifrigst bemüheten, den ganzen
Orient mit seiner Lehre anzustecken. Die Chi-
neser benamen seine Anhänger Hochang: die
Tatarn, Lamas; die Siamer Talapoins;
die Japaner und Europäer, Bonzen. --
Foe
begriff doch endlich, daß er sterblich sey,
und in diesem Stücke vor andern Menschen
nichts voraus habe. Wie er also neun und
siebenzig Jahre gelebt hatte, und bemerkte,
daß sich seine Kräfte stark verminderten; so er-
klärte er seinen Schülern, daß er ihnen bisher
seine Lehren unter verblümten und metaphori-
schen Redensarten vorgehalten habe. Da er
nun itzt die Welt verlassen müsse; so könne er
sich nicht enthalten, ihnen seine wahren Mey-
nungen zu entdecken, und seine Geheimnisse zu
eröffnen. Wisset demnach, sagte er, daß
kein anderes Gcundwesen aller Dinge
sey, als das Leere und das Nichts; daß
aus diesem Nichts alles entstanden; daß
in dieses Nichts alles verwandelt werde,
und alle unsere Hoffnungen sich in ein
Nichts endigen
.

Nach seinem Tode verbreiteten seine Schü-
ler ungemein viele Fabeln und Erzählungen

von

zu verſchaffen. Man hat in China eine
große Menge Buͤcher, worinn ſeine Tha-
ten beſchrieben, und trefflich von den Bonzen
herausgeſtrichen worden. Es dauerte auch
nicht lange; ſo erhielt er ſchon eine Menge An-
haͤnger, bie ſich eifrigſt bemuͤheten, den ganzen
Orient mit ſeiner Lehre anzuſtecken. Die Chi-
neſer benamen ſeine Anhaͤnger Hochang: die
Tatarn, Lamas; die Siamer Talapoins;
die Japaner und Europaͤer, Bonzen. —
Foe
begriff doch endlich, daß er ſterblich ſey,
und in dieſem Stuͤcke vor andern Menſchen
nichts voraus habe. Wie er alſo neun und
ſiebenzig Jahre gelebt hatte, und bemerkte,
daß ſich ſeine Kraͤfte ſtark verminderten; ſo er-
klaͤrte er ſeinen Schuͤlern, daß er ihnen bisher
ſeine Lehren unter verbluͤmten und metaphori-
ſchen Redensarten vorgehalten habe. Da er
nun itzt die Welt verlaſſen muͤſſe; ſo koͤnne er
ſich nicht enthalten, ihnen ſeine wahren Mey-
nungen zu entdecken, und ſeine Geheimniſſe zu
eroͤffnen. Wiſſet demnach, ſagte er, daß
kein anderes Gcundweſen aller Dinge
ſey, als das Leere und das Nichts; daß
aus dieſem Nichts alles entſtanden; daß
in dieſes Nichts alles verwandelt werde,
und alle unſere Hoffnungen ſich in ein
Nichts endigen
.

Nach ſeinem Tode verbreiteten ſeine Schuͤ-
ler ungemein viele Fabeln und Erzaͤhlungen

von
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0310" n="290"/>
zu ver&#x017F;chaffen. Man hat in China eine<lb/>
große Menge Bu&#x0364;cher, worinn &#x017F;eine Tha-<lb/>
ten be&#x017F;chrieben, und trefflich von den Bonzen<lb/>
herausge&#x017F;trichen worden. Es dauerte auch<lb/>
nicht lange; &#x017F;o erhielt er &#x017F;chon eine Menge An-<lb/>
ha&#x0364;nger, bie &#x017F;ich eifrig&#x017F;t bemu&#x0364;heten, den ganzen<lb/>
Orient mit &#x017F;einer Lehre anzu&#x017F;tecken. Die Chi-<lb/>
ne&#x017F;er benamen &#x017F;eine Anha&#x0364;nger <hi rendition="#fr">Hochang</hi>: die<lb/>
Tatarn, <hi rendition="#fr">Lamas</hi>; die Siamer <hi rendition="#fr">Talapoins</hi>;<lb/>
die Japaner und Europa&#x0364;er, <hi rendition="#fr">Bonzen. &#x2014;<lb/>
Foe</hi> begriff doch endlich, daß er &#x017F;terblich &#x017F;ey,<lb/>
und in die&#x017F;em Stu&#x0364;cke vor andern Men&#x017F;chen<lb/>
nichts voraus habe. Wie er al&#x017F;o neun und<lb/>
&#x017F;iebenzig Jahre gelebt hatte, und bemerkte,<lb/>
daß &#x017F;ich &#x017F;eine Kra&#x0364;fte &#x017F;tark verminderten; &#x017F;o er-<lb/>
kla&#x0364;rte er &#x017F;einen Schu&#x0364;lern, daß er ihnen bisher<lb/>
&#x017F;eine Lehren unter verblu&#x0364;mten und metaphori-<lb/>
&#x017F;chen Redensarten vorgehalten habe. Da er<lb/>
nun itzt die Welt verla&#x017F;&#x017F;en mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e; &#x017F;o ko&#x0364;nne er<lb/>
&#x017F;ich nicht enthalten, ihnen &#x017F;eine wahren Mey-<lb/>
nungen zu entdecken, und &#x017F;eine Geheimni&#x017F;&#x017F;e zu<lb/>
ero&#x0364;ffnen. <hi rendition="#fr">Wi&#x017F;&#x017F;et demnach</hi>, &#x017F;agte er, <hi rendition="#fr">daß<lb/>
kein anderes Gcundwe&#x017F;en aller Dinge<lb/>
&#x017F;ey, als das Leere und das Nichts; daß<lb/>
aus die&#x017F;em Nichts alles ent&#x017F;tanden; daß<lb/>
in die&#x017F;es Nichts alles verwandelt werde,<lb/>
und alle un&#x017F;ere Hoffnungen &#x017F;ich in ein<lb/>
Nichts endigen</hi>.</p><lb/>
          <p>Nach &#x017F;einem Tode verbreiteten &#x017F;eine Schu&#x0364;-<lb/>
ler ungemein viele Fabeln und Erza&#x0364;hlungen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">von</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[290/0310] zu verſchaffen. Man hat in China eine große Menge Buͤcher, worinn ſeine Tha- ten beſchrieben, und trefflich von den Bonzen herausgeſtrichen worden. Es dauerte auch nicht lange; ſo erhielt er ſchon eine Menge An- haͤnger, bie ſich eifrigſt bemuͤheten, den ganzen Orient mit ſeiner Lehre anzuſtecken. Die Chi- neſer benamen ſeine Anhaͤnger Hochang: die Tatarn, Lamas; die Siamer Talapoins; die Japaner und Europaͤer, Bonzen. — Foe begriff doch endlich, daß er ſterblich ſey, und in dieſem Stuͤcke vor andern Menſchen nichts voraus habe. Wie er alſo neun und ſiebenzig Jahre gelebt hatte, und bemerkte, daß ſich ſeine Kraͤfte ſtark verminderten; ſo er- klaͤrte er ſeinen Schuͤlern, daß er ihnen bisher ſeine Lehren unter verbluͤmten und metaphori- ſchen Redensarten vorgehalten habe. Da er nun itzt die Welt verlaſſen muͤſſe; ſo koͤnne er ſich nicht enthalten, ihnen ſeine wahren Mey- nungen zu entdecken, und ſeine Geheimniſſe zu eroͤffnen. Wiſſet demnach, ſagte er, daß kein anderes Gcundweſen aller Dinge ſey, als das Leere und das Nichts; daß aus dieſem Nichts alles entſtanden; daß in dieſes Nichts alles verwandelt werde, und alle unſere Hoffnungen ſich in ein Nichts endigen. Nach ſeinem Tode verbreiteten ſeine Schuͤ- ler ungemein viele Fabeln und Erzaͤhlungen von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/310
Zitationshilfe: [Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/310>, abgerufen am 25.11.2024.