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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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hatte Leberecht Büttner neu zimmern lassen; da war kein
Balken der sich gesenkt oder gebogen hätte.

Er selbst, Traugott Büttner, hatte viel Arbeit, Sorge und
Kosten auf das Wohnhaus verwendet. Es war stets sein Stolz
gewesen, daß es so stattlich sei; er hatte seinen Ehrgeiz darein
gesetzt, das von den Vätern überkommene Heim in Ordnung
und Stand zu halten.

Er hatte dieses Haus lieb, wie man ein lebendes Wesen
liebt. Wenn er vom Felde hereinkam, blickte es ihn schon von
weitem an, freundlich und vertraut, wie eine Mutter. -- Es war
ja auch die Mutter von vielen Generationen, die in ihm ge¬
boren und groß geworden, denen es Obdach und Behausung
gewährt hatte.

Er kannte dieses Haus, wie er seine Ehefrau gekannt hatte.
Er liebte es nicht nur in seinen Vorzügen und guten Seiten,
er liebte es in allen seinen Eigenheiten und Heimlichkeiten, die
nur ihm offenbar waren. Er liebte es nicht zum mindesten
der schweren und bangen Stunden wegen, die er unter seinem
Dache durchlebt hatte.

Und nun kam da einer her, ein Fremder, und nannte es
eine: "Hundehütte"!

Es war nicht Zorn, was der Alte empfand, auch nicht
Ärger. All' die jäh aufwallenden, heißen Gefühle waren aus¬
gelöscht in ihm. Mehr ein Staunen war es, ein Verwundern
über das, was ihm wiederfuhr. Der Geist der streitbaren
Auflehnung, der ihn früher oft zu seinem Schaden beseelt,
hatte einer dumpfen Verdrossenheit Platz gemacht.

Er war still und nachdenklich geworden. Den Leuten im
Dorfe wurde er dadurch unheimlich. Wenn er in seinem
Kummer gerast, oder zur Schnapsflasche gegriffen hätte, würden
sie sich weniger gewundert haben, als über dieses stille "Sime¬
lieren" des Bauern.

Er konnte neuerdings über einem Worte, einem Erleb¬
nisse, stundenlang grübeln. Es war, als ginge er im Kreise,
wie ein Tier, das den Göpel drehen muß. Sein Geist
klebte fest und zäh an den Dingen, konnte sich nicht auf¬

hatte Leberecht Büttner neu zimmern laſſen; da war kein
Balken der ſich geſenkt oder gebogen hätte.

Er ſelbſt, Traugott Büttner, hatte viel Arbeit, Sorge und
Koſten auf das Wohnhaus verwendet. Es war ſtets ſein Stolz
geweſen, daß es ſo ſtattlich ſei; er hatte ſeinen Ehrgeiz darein
geſetzt, das von den Vätern überkommene Heim in Ordnung
und Stand zu halten.

Er hatte dieſes Haus lieb, wie man ein lebendes Weſen
liebt. Wenn er vom Felde hereinkam, blickte es ihn ſchon von
weitem an, freundlich und vertraut, wie eine Mutter. — Es war
ja auch die Mutter von vielen Generationen, die in ihm ge¬
boren und groß geworden, denen es Obdach und Behauſung
gewährt hatte.

Er kannte dieſes Haus, wie er ſeine Ehefrau gekannt hatte.
Er liebte es nicht nur in ſeinen Vorzügen und guten Seiten,
er liebte es in allen ſeinen Eigenheiten und Heimlichkeiten, die
nur ihm offenbar waren. Er liebte es nicht zum mindeſten
der ſchweren und bangen Stunden wegen, die er unter ſeinem
Dache durchlebt hatte.

Und nun kam da einer her, ein Fremder, und nannte es
eine: „Hundehütte“!

Es war nicht Zorn, was der Alte empfand, auch nicht
Ärger. All' die jäh aufwallenden, heißen Gefühle waren aus¬
gelöſcht in ihm. Mehr ein Staunen war es, ein Verwundern
über das, was ihm wiederfuhr. Der Geiſt der ſtreitbaren
Auflehnung, der ihn früher oft zu ſeinem Schaden beſeelt,
hatte einer dumpfen Verdroſſenheit Platz gemacht.

Er war ſtill und nachdenklich geworden. Den Leuten im
Dorfe wurde er dadurch unheimlich. Wenn er in ſeinem
Kummer geraſt, oder zur Schnapsflaſche gegriffen hätte, würden
ſie ſich weniger gewundert haben, als über dieſes ſtille „Sime¬
lieren“ des Bauern.

Er konnte neuerdings über einem Worte, einem Erleb¬
niſſe, ſtundenlang grübeln. Es war, als ginge er im Kreiſe,
wie ein Tier, das den Göpel drehen muß. Sein Geiſt
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[398/0412] hatte Leberecht Büttner neu zimmern laſſen; da war kein Balken der ſich geſenkt oder gebogen hätte. Er ſelbſt, Traugott Büttner, hatte viel Arbeit, Sorge und Koſten auf das Wohnhaus verwendet. Es war ſtets ſein Stolz geweſen, daß es ſo ſtattlich ſei; er hatte ſeinen Ehrgeiz darein geſetzt, das von den Vätern überkommene Heim in Ordnung und Stand zu halten. Er hatte dieſes Haus lieb, wie man ein lebendes Weſen liebt. Wenn er vom Felde hereinkam, blickte es ihn ſchon von weitem an, freundlich und vertraut, wie eine Mutter. — Es war ja auch die Mutter von vielen Generationen, die in ihm ge¬ boren und groß geworden, denen es Obdach und Behauſung gewährt hatte. Er kannte dieſes Haus, wie er ſeine Ehefrau gekannt hatte. Er liebte es nicht nur in ſeinen Vorzügen und guten Seiten, er liebte es in allen ſeinen Eigenheiten und Heimlichkeiten, die nur ihm offenbar waren. Er liebte es nicht zum mindeſten der ſchweren und bangen Stunden wegen, die er unter ſeinem Dache durchlebt hatte. Und nun kam da einer her, ein Fremder, und nannte es eine: „Hundehütte“! Es war nicht Zorn, was der Alte empfand, auch nicht Ärger. All' die jäh aufwallenden, heißen Gefühle waren aus¬ gelöſcht in ihm. Mehr ein Staunen war es, ein Verwundern über das, was ihm wiederfuhr. Der Geiſt der ſtreitbaren Auflehnung, der ihn früher oft zu ſeinem Schaden beſeelt, hatte einer dumpfen Verdroſſenheit Platz gemacht. Er war ſtill und nachdenklich geworden. Den Leuten im Dorfe wurde er dadurch unheimlich. Wenn er in ſeinem Kummer geraſt, oder zur Schnapsflaſche gegriffen hätte, würden ſie ſich weniger gewundert haben, als über dieſes ſtille „Sime¬ lieren“ des Bauern. Er konnte neuerdings über einem Worte, einem Erleb¬ niſſe, ſtundenlang grübeln. Es war, als ginge er im Kreiſe, wie ein Tier, das den Göpel drehen muß. Sein Geiſt klebte feſt und zäh an den Dingen, konnte ſich nicht auf¬

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/412>, abgerufen am 24.11.2024.