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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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fühlte die Not, die sie schilderten, als sei es seine eigene. Er
war ganz auf ihrer Seite. Eine Ahnung ging ihm auf von
dem, was sie beseelte.

Es war die gemeinsame Sache. Ein Geist, eine Hoffnung,
eine Idee sprach aus ihren Blicken, beherrschte ihre Mienen,
Bewegungen und Zungen. Eine Idee erfüllte sie, stärkte ihren
Mut, entflammte ihre Begeisterung, ihr Hoffen, erhob sie
über sich selbst, ließ jeden einzelnen mehr erscheinen, als
er war.

Es lag etwas Ansteckendes in dem gleichen Fühlen so
vieler; als habe sich der Luft etwas mitgeteilt von dem
Empfinden eines jeden Kopfes, das vereinigt wieder zurück¬
wirkte auf den einzelnen. Auch Gustav verspürte diese ge¬
heimnisvolle Wirkung des Massengeistes auf sich. Es lebte
Großes und Erhebendes in dem Bewußtsein, sich eins zu
wissen, in Hoffen und Wollen, mit Tausenden.

Auch ihn erfaßte die Sehnsucht nach dem, was jene
erstrebten, das sich mit Worten kaum ausdrücken ließ, und
das doch unausgesprochen aus jedem Auge hier leuchtete.
Sie tappten unsicher umher, ihre Worte widersprachen sich;
sie widersprachen auch einander gegenseitig in ihren Reden,
stammelnd suchten sie nach Ausdrücken, um das zu sagen,
was in ihrem Herzen lebte, unklar und verworren, was in
jedem dieser Köpfe eine andere Gestalt angenommen. Und
doch war etwas Gemeinsames da, das in der Tiefe der Ge¬
müter schlummerte: die Sehnsucht nach dem Glück.

Elend waren sie und verkommen. Die Gegenwart war
für sie eine dunkle Höhle, weit abgelegen von aller Schönheit
der Oberwelt. Ihre Augen waren starr auf jenes kleine ferne
Loch in der Höhe gerichtet, durch welches Licht und Sonnen¬
wärme zu ihnen drang; dort hinauf wollten sie. --

Gustav übersah die Versammlung. So viel ernste Männer¬
köpfe! Die meisten bleich, sorgenvoll, schmerzgeprüft. Konnte
man sich vorstellen, daß diesen nicht ihr Recht werden
sollte? --

Eines war ihm an diesem Abende klar geworden: schlecht

W. v. Polenz, Der Büttnerbauer. 24

fühlte die Not, die ſie ſchilderten, als ſei es ſeine eigene. Er
war ganz auf ihrer Seite. Eine Ahnung ging ihm auf von
dem, was ſie beſeelte.

Es war die gemeinſame Sache. Ein Geiſt, eine Hoffnung,
eine Idee ſprach aus ihren Blicken, beherrſchte ihre Mienen,
Bewegungen und Zungen. Eine Idee erfüllte ſie, ſtärkte ihren
Mut, entflammte ihre Begeiſterung, ihr Hoffen, erhob ſie
über ſich ſelbſt, ließ jeden einzelnen mehr erſcheinen, als
er war.

Es lag etwas Anſteckendes in dem gleichen Fühlen ſo
vieler; als habe ſich der Luft etwas mitgeteilt von dem
Empfinden eines jeden Kopfes, das vereinigt wieder zurück¬
wirkte auf den einzelnen. Auch Guſtav verſpürte dieſe ge¬
heimnisvolle Wirkung des Maſſengeiſtes auf ſich. Es lebte
Großes und Erhebendes in dem Bewußtſein, ſich eins zu
wiſſen, in Hoffen und Wollen, mit Tauſenden.

Auch ihn erfaßte die Sehnſucht nach dem, was jene
erſtrebten, das ſich mit Worten kaum ausdrücken ließ, und
das doch unausgeſprochen aus jedem Auge hier leuchtete.
Sie tappten unſicher umher, ihre Worte widerſprachen ſich;
ſie widerſprachen auch einander gegenſeitig in ihren Reden,
ſtammelnd ſuchten ſie nach Ausdrücken, um das zu ſagen,
was in ihrem Herzen lebte, unklar und verworren, was in
jedem dieſer Köpfe eine andere Geſtalt angenommen. Und
doch war etwas Gemeinſames da, das in der Tiefe der Ge¬
müter ſchlummerte: die Sehnſucht nach dem Glück.

Elend waren ſie und verkommen. Die Gegenwart war
für ſie eine dunkle Höhle, weit abgelegen von aller Schönheit
der Oberwelt. Ihre Augen waren ſtarr auf jenes kleine ferne
Loch in der Höhe gerichtet, durch welches Licht und Sonnen¬
wärme zu ihnen drang; dort hinauf wollten ſie. —

Guſtav überſah die Verſammlung. So viel ernſte Männer¬
köpfe! Die meiſten bleich, ſorgenvoll, ſchmerzgeprüft. Konnte
man ſich vorſtellen, daß dieſen nicht ihr Recht werden
ſollte? —

Eines war ihm an dieſem Abende klar geworden: ſchlecht

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[369/0383] fühlte die Not, die ſie ſchilderten, als ſei es ſeine eigene. Er war ganz auf ihrer Seite. Eine Ahnung ging ihm auf von dem, was ſie beſeelte. Es war die gemeinſame Sache. Ein Geiſt, eine Hoffnung, eine Idee ſprach aus ihren Blicken, beherrſchte ihre Mienen, Bewegungen und Zungen. Eine Idee erfüllte ſie, ſtärkte ihren Mut, entflammte ihre Begeiſterung, ihr Hoffen, erhob ſie über ſich ſelbſt, ließ jeden einzelnen mehr erſcheinen, als er war. Es lag etwas Anſteckendes in dem gleichen Fühlen ſo vieler; als habe ſich der Luft etwas mitgeteilt von dem Empfinden eines jeden Kopfes, das vereinigt wieder zurück¬ wirkte auf den einzelnen. Auch Guſtav verſpürte dieſe ge¬ heimnisvolle Wirkung des Maſſengeiſtes auf ſich. Es lebte Großes und Erhebendes in dem Bewußtſein, ſich eins zu wiſſen, in Hoffen und Wollen, mit Tauſenden. Auch ihn erfaßte die Sehnſucht nach dem, was jene erſtrebten, das ſich mit Worten kaum ausdrücken ließ, und das doch unausgeſprochen aus jedem Auge hier leuchtete. Sie tappten unſicher umher, ihre Worte widerſprachen ſich; ſie widerſprachen auch einander gegenſeitig in ihren Reden, ſtammelnd ſuchten ſie nach Ausdrücken, um das zu ſagen, was in ihrem Herzen lebte, unklar und verworren, was in jedem dieſer Köpfe eine andere Geſtalt angenommen. Und doch war etwas Gemeinſames da, das in der Tiefe der Ge¬ müter ſchlummerte: die Sehnſucht nach dem Glück. Elend waren ſie und verkommen. Die Gegenwart war für ſie eine dunkle Höhle, weit abgelegen von aller Schönheit der Oberwelt. Ihre Augen waren ſtarr auf jenes kleine ferne Loch in der Höhe gerichtet, durch welches Licht und Sonnen¬ wärme zu ihnen drang; dort hinauf wollten ſie. — Guſtav überſah die Verſammlung. So viel ernſte Männer¬ köpfe! Die meiſten bleich, ſorgenvoll, ſchmerzgeprüft. Konnte man ſich vorſtellen, daß dieſen nicht ihr Recht werden ſollte? — Eines war ihm an dieſem Abende klar geworden: ſchlecht W. v. Polenz, Der Büttnerbauer. 24

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/383>, abgerufen am 24.11.2024.