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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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man konnte nicht andächtiger einer Predigt zuhören. Gustav
ward es zu Mute, als befände er sich in der Kirche.

Da brach die Menge auf einmal in ein Gelächter aus,
über eine Bemerkung des Redners; darauf Beifallsrufe aus
Hunderten von Kehlen. Von da ab wurde der Vortrag
häufig unterbrochen, durch Zustimmung. Hin und wieder
hörte man auch ein Zischen, aber das wurde sogleich durch
verstärktes Bravorufen, Trampeln und Händeklatschen über¬
täubt. Als der Redner endlich geschlossen hatte, brach ein
solcher Lärm los, das Gustav Schlimmes zu fürchten be¬
gann.

Das Tosen legte sich im Nu, als der Vorsitzende sich er¬
hob, zu ein paar Worten. "Jetzt hat er die Diskussion er¬
öffnet" erklärte Häschke dem Neuling.

Verschiedene aus der Versammlung traten auf das Po¬
dium. Wieder waren es nur ganz einfache Leute. Mancher
unter ihnen sah ärmlich aus und herabgekommen. Die meisten
erklärten sich als "arbeitslos."

Und wie sprachen diese Männer! -- Gustav konnte es
gar nicht begreifen. Bettler und Stromer schienen es zu sein,
wie er manchen von seines Vaters Thür gewiesen hatte. Und
nun mußte er mit Beschämung erkennen, wie ihm diese ein¬
fachen Männer überlegen waren. Wie wußten sie die Worte
zu setzen, ihren Gedanken Ausdruck zu verleihen!

Sie schilderten ihr Elend, berichteten von den Erfahrungen,
die sie in der Fabrik, im Bergwerk, auf der Straße, gesammelt
hatten. Von der Unbarmherzigkeit der Reichen sprachen sie
und der Härte der Arbeitgeber. Dann schilderten sie den
Jammer in ihren Familien. Und von diesem düsteren Hinter¬
grund hob sich um so leuchtender ab das Bild der Zukunft:
ihre Forderungen, die kühnen Hoffnungen und Erwartungen
dessen, was da kommen sollte, der Ausgleich, die Vergeltung,
das Glück, das irdische Paradies, welches ihnen prophezeit
worden war, von ihren Lehrern, dessen Glanz sich in ihren
glühenden Augen spiegelte.

Die Worte dieser Männer griffen Gustav an's Herz. Er

man konnte nicht andächtiger einer Predigt zuhören. Guſtav
ward es zu Mute, als befände er ſich in der Kirche.

Da brach die Menge auf einmal in ein Gelächter aus,
über eine Bemerkung des Redners; darauf Beifallsrufe aus
Hunderten von Kehlen. Von da ab wurde der Vortrag
häufig unterbrochen, durch Zuſtimmung. Hin und wieder
hörte man auch ein Ziſchen, aber das wurde ſogleich durch
verſtärktes Bravorufen, Trampeln und Händeklatſchen über¬
täubt. Als der Redner endlich geſchloſſen hatte, brach ein
ſolcher Lärm los, das Guſtav Schlimmes zu fürchten be¬
gann.

Das Toſen legte ſich im Nu, als der Vorſitzende ſich er¬
hob, zu ein paar Worten. „Jetzt hat er die Diskuſſion er¬
öffnet“ erklärte Häſchke dem Neuling.

Verſchiedene aus der Verſammlung traten auf das Po¬
dium. Wieder waren es nur ganz einfache Leute. Mancher
unter ihnen ſah ärmlich aus und herabgekommen. Die meiſten
erklärten ſich als „arbeitslos.“

Und wie ſprachen dieſe Männer! — Guſtav konnte es
gar nicht begreifen. Bettler und Stromer ſchienen es zu ſein,
wie er manchen von ſeines Vaters Thür gewieſen hatte. Und
nun mußte er mit Beſchämung erkennen, wie ihm dieſe ein¬
fachen Männer überlegen waren. Wie wußten ſie die Worte
zu ſetzen, ihren Gedanken Ausdruck zu verleihen!

Sie ſchilderten ihr Elend, berichteten von den Erfahrungen,
die ſie in der Fabrik, im Bergwerk, auf der Straße, geſammelt
hatten. Von der Unbarmherzigkeit der Reichen ſprachen ſie
und der Härte der Arbeitgeber. Dann ſchilderten ſie den
Jammer in ihren Familien. Und von dieſem düſteren Hinter¬
grund hob ſich um ſo leuchtender ab das Bild der Zukunft:
ihre Forderungen, die kühnen Hoffnungen und Erwartungen
deſſen, was da kommen ſollte, der Ausgleich, die Vergeltung,
das Glück, das irdiſche Paradies, welches ihnen prophezeit
worden war, von ihren Lehrern, deſſen Glanz ſich in ihren
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[368/0382] man konnte nicht andächtiger einer Predigt zuhören. Guſtav ward es zu Mute, als befände er ſich in der Kirche. Da brach die Menge auf einmal in ein Gelächter aus, über eine Bemerkung des Redners; darauf Beifallsrufe aus Hunderten von Kehlen. Von da ab wurde der Vortrag häufig unterbrochen, durch Zuſtimmung. Hin und wieder hörte man auch ein Ziſchen, aber das wurde ſogleich durch verſtärktes Bravorufen, Trampeln und Händeklatſchen über¬ täubt. Als der Redner endlich geſchloſſen hatte, brach ein ſolcher Lärm los, das Guſtav Schlimmes zu fürchten be¬ gann. Das Toſen legte ſich im Nu, als der Vorſitzende ſich er¬ hob, zu ein paar Worten. „Jetzt hat er die Diskuſſion er¬ öffnet“ erklärte Häſchke dem Neuling. Verſchiedene aus der Verſammlung traten auf das Po¬ dium. Wieder waren es nur ganz einfache Leute. Mancher unter ihnen ſah ärmlich aus und herabgekommen. Die meiſten erklärten ſich als „arbeitslos.“ Und wie ſprachen dieſe Männer! — Guſtav konnte es gar nicht begreifen. Bettler und Stromer ſchienen es zu ſein, wie er manchen von ſeines Vaters Thür gewieſen hatte. Und nun mußte er mit Beſchämung erkennen, wie ihm dieſe ein¬ fachen Männer überlegen waren. Wie wußten ſie die Worte zu ſetzen, ihren Gedanken Ausdruck zu verleihen! Sie ſchilderten ihr Elend, berichteten von den Erfahrungen, die ſie in der Fabrik, im Bergwerk, auf der Straße, geſammelt hatten. Von der Unbarmherzigkeit der Reichen ſprachen ſie und der Härte der Arbeitgeber. Dann ſchilderten ſie den Jammer in ihren Familien. Und von dieſem düſteren Hinter¬ grund hob ſich um ſo leuchtender ab das Bild der Zukunft: ihre Forderungen, die kühnen Hoffnungen und Erwartungen deſſen, was da kommen ſollte, der Ausgleich, die Vergeltung, das Glück, das irdiſche Paradies, welches ihnen prophezeit worden war, von ihren Lehrern, deſſen Glanz ſich in ihren glühenden Augen ſpiegelte. Die Worte dieſer Männer griffen Guſtav an's Herz. Er

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/382>, abgerufen am 14.06.2024.