"seht, wie hat Er es so herrlich hinausgeführet!" Die Bauern hörten sich das mit an; dem Herrn Pastor durfte man ja nicht widersprechen. Aber in ihren geheimsten Gedanken war nicht viel von Ergebenheit in die Ratschlüsse des Höchsten zu finden. "Wenn die Not am größten, ist Gottes Hilfe am nächsten" und "Wer Gott dem Allerhöchsten traut, der hat auf keinen Sand gebaut". Das waren ja alles sehr schöne Sprüche, aber manchmal sah es wirklich danach aus, als ob man im himmlischen Rate -- ebenso wie bei der irdischen Obrigkeit -- recht wenig Verständnis für das besäße, was dem Land¬ manne frommt. Wie konnte es sonst geschehen, daß jetzt un¬ unterbrochen schönes Wetter war, wo ein solcher Tag, vierzehn Tage früher, alles gerettet hätte. Nun war das schöne Heu zu Mist geworden. Mancher schüttelte den Kopf; wirklich, es ging zu verkehrt zu in der Welt! Man wußte nicht mehr, was man denken sollte.
Die Kornernte begann. Stroh war viel da, soviel stand fest. Und wo kein Lager gewesen, konnte man auch mit den Ähren leidlich zufrieden sein. Aber wo sich das Getreide zeitig gelegt hatte und nicht wieder aufgestanden war, da sah es trostlos aus. Jetzt erst beim Mähen merkte man, was das für ein Fitz und Filz geworden war. Kaum daß die Sense durchdringen konnte. Noch einmal soviel Zeit, als sonst, brauchten die Schnitter. Allerhand Übelstände zeigten sich. An manchen Stellen war das Getreide zweiwüchsig geworden durch die anhaltende Nässe. An den Ähren fand sich reich¬ liches Mutterkorn. Der Rost und andere Krankheiten hatten vieles verdorben.
Den August hindurch blieb trockene, milde Witterung. So¬ viel Einsehen hatte der liebe Gott doch, daß er die Roggenernte wenigstens nicht auch noch verregnen ließ. Den Lästerzungen und Nörglern war dadurch einigermaßen der Mund gestopft, und mancher, der durch die frühere Heimsuchung vor den Kopf gestoßen worden, machte wieder seinen Frieden mit dem lieben Gott. Ja, der Herr Pastor durfte von der Kanzel herab sagen: soviel der Güte und Treue hätten wir gar nicht verdient. --
8*
„ſeht, wie hat Er es ſo herrlich hinausgeführet!“ Die Bauern hörten ſich das mit an; dem Herrn Paſtor durfte man ja nicht widerſprechen. Aber in ihren geheimſten Gedanken war nicht viel von Ergebenheit in die Ratſchlüſſe des Höchſten zu finden. „Wenn die Not am größten, iſt Gottes Hilfe am nächſten“ und „Wer Gott dem Allerhöchſten traut, der hat auf keinen Sand gebaut“. Das waren ja alles ſehr ſchöne Sprüche, aber manchmal ſah es wirklich danach aus, als ob man im himmliſchen Rate — ebenſo wie bei der irdiſchen Obrigkeit — recht wenig Verſtändnis für das beſäße, was dem Land¬ manne frommt. Wie konnte es ſonſt geſchehen, daß jetzt un¬ unterbrochen ſchönes Wetter war, wo ein ſolcher Tag, vierzehn Tage früher, alles gerettet hätte. Nun war das ſchöne Heu zu Miſt geworden. Mancher ſchüttelte den Kopf; wirklich, es ging zu verkehrt zu in der Welt! Man wußte nicht mehr, was man denken ſollte.
Die Kornernte begann. Stroh war viel da, ſoviel ſtand feſt. Und wo kein Lager geweſen, konnte man auch mit den Ähren leidlich zufrieden ſein. Aber wo ſich das Getreide zeitig gelegt hatte und nicht wieder aufgeſtanden war, da ſah es troſtlos aus. Jetzt erſt beim Mähen merkte man, was das für ein Fitz und Filz geworden war. Kaum daß die Senſe durchdringen konnte. Noch einmal ſoviel Zeit, als ſonſt, brauchten die Schnitter. Allerhand Übelſtände zeigten ſich. An manchen Stellen war das Getreide zweiwüchſig geworden durch die anhaltende Näſſe. An den Ähren fand ſich reich¬ liches Mutterkorn. Der Roſt und andere Krankheiten hatten vieles verdorben.
Den Auguſt hindurch blieb trockene, milde Witterung. So¬ viel Einſehen hatte der liebe Gott doch, daß er die Roggenernte wenigſtens nicht auch noch verregnen ließ. Den Läſterzungen und Nörglern war dadurch einigermaßen der Mund geſtopft, und mancher, der durch die frühere Heimſuchung vor den Kopf geſtoßen worden, machte wieder ſeinen Frieden mit dem lieben Gott. Ja, der Herr Paſtor durfte von der Kanzel herab ſagen: ſoviel der Güte und Treue hätten wir gar nicht verdient. —
8*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0129"n="115"/>„ſeht, wie hat Er es ſo herrlich hinausgeführet!“ Die Bauern<lb/>
hörten ſich das mit an; dem Herrn Paſtor durfte man ja<lb/>
nicht widerſprechen. Aber in ihren geheimſten Gedanken war<lb/>
nicht viel von Ergebenheit in die Ratſchlüſſe des Höchſten zu<lb/>
finden. „Wenn die Not am größten, iſt Gottes Hilfe am<lb/>
nächſten“ und „Wer Gott dem Allerhöchſten traut, der hat auf<lb/>
keinen Sand gebaut“. Das waren ja alles ſehr ſchöne Sprüche,<lb/>
aber manchmal ſah es wirklich danach aus, als ob man<lb/>
im himmliſchen Rate — ebenſo wie bei der irdiſchen Obrigkeit<lb/>— recht wenig Verſtändnis für das beſäße, was dem Land¬<lb/>
manne frommt. Wie konnte es ſonſt geſchehen, daß jetzt un¬<lb/>
unterbrochen ſchönes Wetter war, wo ein ſolcher Tag, vierzehn<lb/>
Tage früher, alles gerettet hätte. Nun war das ſchöne Heu<lb/>
zu Miſt geworden. Mancher ſchüttelte den Kopf; wirklich, es<lb/>
ging zu verkehrt zu in der Welt! Man wußte nicht mehr,<lb/>
was man denken ſollte.</p><lb/><p>Die Kornernte begann. Stroh war viel da, ſoviel ſtand<lb/>
feſt. Und wo kein Lager geweſen, konnte man auch mit den<lb/>
Ähren leidlich zufrieden ſein. Aber wo ſich das Getreide<lb/>
zeitig gelegt hatte und nicht wieder aufgeſtanden war, da ſah<lb/>
es troſtlos aus. Jetzt erſt beim Mähen merkte man, was das<lb/>
für ein Fitz und Filz geworden war. Kaum daß die Senſe<lb/>
durchdringen konnte. Noch einmal ſoviel Zeit, als ſonſt,<lb/>
brauchten die Schnitter. Allerhand Übelſtände zeigten ſich.<lb/>
An manchen Stellen war das Getreide zweiwüchſig geworden<lb/>
durch die anhaltende Näſſe. An den Ähren fand ſich reich¬<lb/>
liches Mutterkorn. Der Roſt und andere Krankheiten hatten<lb/>
vieles verdorben.</p><lb/><p>Den Auguſt hindurch blieb trockene, milde Witterung. So¬<lb/>
viel Einſehen hatte der liebe Gott doch, daß er die Roggenernte<lb/>
wenigſtens nicht auch noch verregnen ließ. Den Läſterzungen und<lb/>
Nörglern war dadurch einigermaßen der Mund geſtopft, und<lb/>
mancher, der durch die frühere Heimſuchung vor den Kopf<lb/>
geſtoßen worden, machte wieder ſeinen Frieden mit dem lieben<lb/>
Gott. Ja, der Herr Paſtor durfte von der Kanzel herab ſagen:<lb/>ſoviel der Güte und Treue hätten wir gar nicht verdient. —</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">8*<lb/></fw></div></div></body></text></TEI>
[115/0129]
„ſeht, wie hat Er es ſo herrlich hinausgeführet!“ Die Bauern
hörten ſich das mit an; dem Herrn Paſtor durfte man ja
nicht widerſprechen. Aber in ihren geheimſten Gedanken war
nicht viel von Ergebenheit in die Ratſchlüſſe des Höchſten zu
finden. „Wenn die Not am größten, iſt Gottes Hilfe am
nächſten“ und „Wer Gott dem Allerhöchſten traut, der hat auf
keinen Sand gebaut“. Das waren ja alles ſehr ſchöne Sprüche,
aber manchmal ſah es wirklich danach aus, als ob man
im himmliſchen Rate — ebenſo wie bei der irdiſchen Obrigkeit
— recht wenig Verſtändnis für das beſäße, was dem Land¬
manne frommt. Wie konnte es ſonſt geſchehen, daß jetzt un¬
unterbrochen ſchönes Wetter war, wo ein ſolcher Tag, vierzehn
Tage früher, alles gerettet hätte. Nun war das ſchöne Heu
zu Miſt geworden. Mancher ſchüttelte den Kopf; wirklich, es
ging zu verkehrt zu in der Welt! Man wußte nicht mehr,
was man denken ſollte.
Die Kornernte begann. Stroh war viel da, ſoviel ſtand
feſt. Und wo kein Lager geweſen, konnte man auch mit den
Ähren leidlich zufrieden ſein. Aber wo ſich das Getreide
zeitig gelegt hatte und nicht wieder aufgeſtanden war, da ſah
es troſtlos aus. Jetzt erſt beim Mähen merkte man, was das
für ein Fitz und Filz geworden war. Kaum daß die Senſe
durchdringen konnte. Noch einmal ſoviel Zeit, als ſonſt,
brauchten die Schnitter. Allerhand Übelſtände zeigten ſich.
An manchen Stellen war das Getreide zweiwüchſig geworden
durch die anhaltende Näſſe. An den Ähren fand ſich reich¬
liches Mutterkorn. Der Roſt und andere Krankheiten hatten
vieles verdorben.
Den Auguſt hindurch blieb trockene, milde Witterung. So¬
viel Einſehen hatte der liebe Gott doch, daß er die Roggenernte
wenigſtens nicht auch noch verregnen ließ. Den Läſterzungen und
Nörglern war dadurch einigermaßen der Mund geſtopft, und
mancher, der durch die frühere Heimſuchung vor den Kopf
geſtoßen worden, machte wieder ſeinen Frieden mit dem lieben
Gott. Ja, der Herr Paſtor durfte von der Kanzel herab ſagen:
ſoviel der Güte und Treue hätten wir gar nicht verdient. —
8*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/129>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.