Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

"seht, wie hat Er es so herrlich hinausgeführet!" Die Bauern
hörten sich das mit an; dem Herrn Pastor durfte man ja
nicht widersprechen. Aber in ihren geheimsten Gedanken war
nicht viel von Ergebenheit in die Ratschlüsse des Höchsten zu
finden. "Wenn die Not am größten, ist Gottes Hilfe am
nächsten" und "Wer Gott dem Allerhöchsten traut, der hat auf
keinen Sand gebaut". Das waren ja alles sehr schöne Sprüche,
aber manchmal sah es wirklich danach aus, als ob man
im himmlischen Rate -- ebenso wie bei der irdischen Obrigkeit
-- recht wenig Verständnis für das besäße, was dem Land¬
manne frommt. Wie konnte es sonst geschehen, daß jetzt un¬
unterbrochen schönes Wetter war, wo ein solcher Tag, vierzehn
Tage früher, alles gerettet hätte. Nun war das schöne Heu
zu Mist geworden. Mancher schüttelte den Kopf; wirklich, es
ging zu verkehrt zu in der Welt! Man wußte nicht mehr,
was man denken sollte.

Die Kornernte begann. Stroh war viel da, soviel stand
fest. Und wo kein Lager gewesen, konnte man auch mit den
Ähren leidlich zufrieden sein. Aber wo sich das Getreide
zeitig gelegt hatte und nicht wieder aufgestanden war, da sah
es trostlos aus. Jetzt erst beim Mähen merkte man, was das
für ein Fitz und Filz geworden war. Kaum daß die Sense
durchdringen konnte. Noch einmal soviel Zeit, als sonst,
brauchten die Schnitter. Allerhand Übelstände zeigten sich.
An manchen Stellen war das Getreide zweiwüchsig geworden
durch die anhaltende Nässe. An den Ähren fand sich reich¬
liches Mutterkorn. Der Rost und andere Krankheiten hatten
vieles verdorben.

Den August hindurch blieb trockene, milde Witterung. So¬
viel Einsehen hatte der liebe Gott doch, daß er die Roggenernte
wenigstens nicht auch noch verregnen ließ. Den Lästerzungen und
Nörglern war dadurch einigermaßen der Mund gestopft, und
mancher, der durch die frühere Heimsuchung vor den Kopf
gestoßen worden, machte wieder seinen Frieden mit dem lieben
Gott. Ja, der Herr Pastor durfte von der Kanzel herab sagen:
soviel der Güte und Treue hätten wir gar nicht verdient. --

8*

„ſeht, wie hat Er es ſo herrlich hinausgeführet!“ Die Bauern
hörten ſich das mit an; dem Herrn Paſtor durfte man ja
nicht widerſprechen. Aber in ihren geheimſten Gedanken war
nicht viel von Ergebenheit in die Ratſchlüſſe des Höchſten zu
finden. „Wenn die Not am größten, iſt Gottes Hilfe am
nächſten“ und „Wer Gott dem Allerhöchſten traut, der hat auf
keinen Sand gebaut“. Das waren ja alles ſehr ſchöne Sprüche,
aber manchmal ſah es wirklich danach aus, als ob man
im himmliſchen Rate — ebenſo wie bei der irdiſchen Obrigkeit
— recht wenig Verſtändnis für das beſäße, was dem Land¬
manne frommt. Wie konnte es ſonſt geſchehen, daß jetzt un¬
unterbrochen ſchönes Wetter war, wo ein ſolcher Tag, vierzehn
Tage früher, alles gerettet hätte. Nun war das ſchöne Heu
zu Miſt geworden. Mancher ſchüttelte den Kopf; wirklich, es
ging zu verkehrt zu in der Welt! Man wußte nicht mehr,
was man denken ſollte.

Die Kornernte begann. Stroh war viel da, ſoviel ſtand
feſt. Und wo kein Lager geweſen, konnte man auch mit den
Ähren leidlich zufrieden ſein. Aber wo ſich das Getreide
zeitig gelegt hatte und nicht wieder aufgeſtanden war, da ſah
es troſtlos aus. Jetzt erſt beim Mähen merkte man, was das
für ein Fitz und Filz geworden war. Kaum daß die Senſe
durchdringen konnte. Noch einmal ſoviel Zeit, als ſonſt,
brauchten die Schnitter. Allerhand Übelſtände zeigten ſich.
An manchen Stellen war das Getreide zweiwüchſig geworden
durch die anhaltende Näſſe. An den Ähren fand ſich reich¬
liches Mutterkorn. Der Roſt und andere Krankheiten hatten
vieles verdorben.

Den Auguſt hindurch blieb trockene, milde Witterung. So¬
viel Einſehen hatte der liebe Gott doch, daß er die Roggenernte
wenigſtens nicht auch noch verregnen ließ. Den Läſterzungen und
Nörglern war dadurch einigermaßen der Mund geſtopft, und
mancher, der durch die frühere Heimſuchung vor den Kopf
geſtoßen worden, machte wieder ſeinen Frieden mit dem lieben
Gott. Ja, der Herr Paſtor durfte von der Kanzel herab ſagen:
ſoviel der Güte und Treue hätten wir gar nicht verdient. —

8*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0129" n="115"/>
&#x201E;&#x017F;eht, wie hat Er es &#x017F;o herrlich hinausgeführet!&#x201C; Die Bauern<lb/>
hörten &#x017F;ich das mit an; dem Herrn Pa&#x017F;tor durfte man ja<lb/>
nicht wider&#x017F;prechen. Aber in ihren geheim&#x017F;ten Gedanken war<lb/>
nicht viel von Ergebenheit in die Rat&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e des Höch&#x017F;ten zu<lb/>
finden. &#x201E;Wenn die Not am größten, i&#x017F;t Gottes Hilfe am<lb/>
näch&#x017F;ten&#x201C; und &#x201E;Wer Gott dem Allerhöch&#x017F;ten traut, der hat auf<lb/>
keinen Sand gebaut&#x201C;. Das waren ja alles &#x017F;ehr &#x017F;chöne Sprüche,<lb/>
aber manchmal &#x017F;ah es wirklich danach aus, als ob man<lb/>
im himmli&#x017F;chen Rate &#x2014; eben&#x017F;o wie bei der irdi&#x017F;chen Obrigkeit<lb/>
&#x2014; recht wenig Ver&#x017F;tändnis für das be&#x017F;äße, was dem Land¬<lb/>
manne frommt. Wie konnte es &#x017F;on&#x017F;t ge&#x017F;chehen, daß jetzt un¬<lb/>
unterbrochen &#x017F;chönes Wetter war, wo ein &#x017F;olcher Tag, vierzehn<lb/>
Tage früher, alles gerettet hätte. Nun war das &#x017F;chöne Heu<lb/>
zu Mi&#x017F;t geworden. Mancher &#x017F;chüttelte den Kopf; wirklich, es<lb/>
ging zu verkehrt zu in der Welt! Man wußte nicht mehr,<lb/>
was man denken &#x017F;ollte.</p><lb/>
          <p>Die Kornernte begann. Stroh war viel da, &#x017F;oviel &#x017F;tand<lb/>
fe&#x017F;t. Und wo kein Lager gewe&#x017F;en, konnte man auch mit den<lb/>
Ähren leidlich zufrieden &#x017F;ein. Aber wo &#x017F;ich das Getreide<lb/>
zeitig gelegt hatte und nicht wieder aufge&#x017F;tanden war, da &#x017F;ah<lb/>
es tro&#x017F;tlos aus. Jetzt er&#x017F;t beim Mähen merkte man, was das<lb/>
für ein Fitz und Filz geworden war. Kaum daß die Sen&#x017F;e<lb/>
durchdringen konnte. Noch einmal &#x017F;oviel Zeit, als &#x017F;on&#x017F;t,<lb/>
brauchten die Schnitter. Allerhand Übel&#x017F;tände zeigten &#x017F;ich.<lb/>
An manchen Stellen war das Getreide zweiwüch&#x017F;ig geworden<lb/>
durch die anhaltende Nä&#x017F;&#x017F;e. An den Ähren fand &#x017F;ich reich¬<lb/>
liches Mutterkorn. Der Ro&#x017F;t und andere Krankheiten hatten<lb/>
vieles verdorben.</p><lb/>
          <p>Den Augu&#x017F;t hindurch blieb trockene, milde Witterung. So¬<lb/>
viel Ein&#x017F;ehen hatte der liebe Gott doch, daß er die Roggenernte<lb/>
wenig&#x017F;tens nicht auch noch verregnen ließ. Den Lä&#x017F;terzungen und<lb/>
Nörglern war dadurch einigermaßen der Mund ge&#x017F;topft, und<lb/>
mancher, der durch die frühere Heim&#x017F;uchung vor den Kopf<lb/>
ge&#x017F;toßen worden, machte wieder &#x017F;einen Frieden mit dem lieben<lb/>
Gott. Ja, der Herr Pa&#x017F;tor durfte von der Kanzel herab &#x017F;agen:<lb/>
&#x017F;oviel der Güte und Treue hätten wir gar nicht verdient. &#x2014;</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">8*<lb/></fw>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0129] „ſeht, wie hat Er es ſo herrlich hinausgeführet!“ Die Bauern hörten ſich das mit an; dem Herrn Paſtor durfte man ja nicht widerſprechen. Aber in ihren geheimſten Gedanken war nicht viel von Ergebenheit in die Ratſchlüſſe des Höchſten zu finden. „Wenn die Not am größten, iſt Gottes Hilfe am nächſten“ und „Wer Gott dem Allerhöchſten traut, der hat auf keinen Sand gebaut“. Das waren ja alles ſehr ſchöne Sprüche, aber manchmal ſah es wirklich danach aus, als ob man im himmliſchen Rate — ebenſo wie bei der irdiſchen Obrigkeit — recht wenig Verſtändnis für das beſäße, was dem Land¬ manne frommt. Wie konnte es ſonſt geſchehen, daß jetzt un¬ unterbrochen ſchönes Wetter war, wo ein ſolcher Tag, vierzehn Tage früher, alles gerettet hätte. Nun war das ſchöne Heu zu Miſt geworden. Mancher ſchüttelte den Kopf; wirklich, es ging zu verkehrt zu in der Welt! Man wußte nicht mehr, was man denken ſollte. Die Kornernte begann. Stroh war viel da, ſoviel ſtand feſt. Und wo kein Lager geweſen, konnte man auch mit den Ähren leidlich zufrieden ſein. Aber wo ſich das Getreide zeitig gelegt hatte und nicht wieder aufgeſtanden war, da ſah es troſtlos aus. Jetzt erſt beim Mähen merkte man, was das für ein Fitz und Filz geworden war. Kaum daß die Senſe durchdringen konnte. Noch einmal ſoviel Zeit, als ſonſt, brauchten die Schnitter. Allerhand Übelſtände zeigten ſich. An manchen Stellen war das Getreide zweiwüchſig geworden durch die anhaltende Näſſe. An den Ähren fand ſich reich¬ liches Mutterkorn. Der Roſt und andere Krankheiten hatten vieles verdorben. Den Auguſt hindurch blieb trockene, milde Witterung. So¬ viel Einſehen hatte der liebe Gott doch, daß er die Roggenernte wenigſtens nicht auch noch verregnen ließ. Den Läſterzungen und Nörglern war dadurch einigermaßen der Mund geſtopft, und mancher, der durch die frühere Heimſuchung vor den Kopf geſtoßen worden, machte wieder ſeinen Frieden mit dem lieben Gott. Ja, der Herr Paſtor durfte von der Kanzel herab ſagen: ſoviel der Güte und Treue hätten wir gar nicht verdient. — 8*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/129
Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/129>, abgerufen am 17.05.2024.